Rafael Nadal und die French Open: Ein etwas anderer Rückblick

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© getty

Ab Sonntag greift Rafael Nadal bei den French Open nach seinem 14. Titel. Noch nie hat jemand ein Grand-Slam-Turnier derart dominiert wie der bald 35 Jahre alte Mallorquiner - eine Tatsache, die SPOX-Redakteur Stefan Petri fast schon ratlos zurücklässt. Ein etwas anderer Rückblick auf die Ära Nadal.

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Ich verfolge Tennis seit Mitte der 90er, also seit mittlerweile gut zweieinhalb Jahrzehnten. Was meine erste Tennis-Erinnerung ist, kann ich nicht mehr genau sagen. Unvergessen geblieben ist mir das Wimbledon-Finale zwischen Richard Krajicek und MaliVai Washington - wegen der Flitzerin zu Beginn? -, aber damit hat es nicht angefangen. Michael Stichs üble Knöchelverletzung im Herbst 1995 habe ich mit ziemlicher Sicherheit gesehen, und natürlich waren mir Boris Becker und Steffi Graf auch zuvor schon ein Begriff, schließlich griff ich als Kind und später als Jugendlicher im Verein auch gern mal zum Schläger.

Ich war Sampras-Fan, Greg Rusedski fand ich super - warum, ist im Rückblick irgendwie schwierig zu sagen - die Schweden waren alle cool, oder auch Justine Henin und ihre Rückhand. Das French-Open-Finale 1999 zwischen Graf und Martina Hingis, Andre Agassis tränenreicher Rücktritt nach der Niederlage gegen Benjamin Becker, bis hin zum letzten Wimbledon-Finale zwischen Roger Federer und Novak Djokovic.

Eine zugegebenermaßen lange Einleitung, um zu folgender Feststellung zu gelangen: Die Hälfte aller French Open meines Tennislebens hat Rafael Nadal gewonnen.

Wie ist so etwas überhaupt möglich?

Rafael Nadals Anfänge und das Sandplatztennis aus einer anderen Ära

Angefangen hat alles 2005, da war ich 21. Wobei ich eben zögerte, als ich schreiben wollte, dass Nadals "Stern" bei den French Open damals "aufgegangen war". Schließlich kam er nicht aus dem Nichts, wie etwa Jelena Ostapenko 2017 - oder auch Martin Verkerk, der 2003 als unbekannter Holland-Lulatsch plötzlich das Finale von Roland Garros gegen Juan Carlos Ferrero bestritt.

Nadal war bei seinen ersten French Open an vier gesetzt, schließlich hatte er im gleichen Kalenderjahr zuvor schon fünf Sandplatzturniere gewonnen, darunter den Sweep Monte Carlo-Barcelona-Rom in der Vorbereitung. Ich weiß nicht mehr, ob er für mich damals Favorit auf den Titel war, auf der Rechnung hatte man ihn aber allemal, neben der Armada an Sandplatzwühlern aus Spanien und Argentinien - und natürlich Federer.

Überhaupt. Sandplatztennis. Das war "zu meiner Zeit", höhö, also Mitte/Ende der 90er bis hin ins neue Jahrtausend, noch ein Ding. So unterschiedlich waren die Beläge, dass die Sergi Brugueras und Alberto Berasateguis sich die vier Wochen Rasentennis im Kalender teilweise direkt schenkten, weil sich Flugtickets und Spesen vom Preisgeld für das Aus in der ersten Runde in Queens und Wimbledon gar nicht decken ließen, um es mal ganz salopp zu sagen. Und ein "Pistol Pete" auf roter Asche gefühlt nur mit einer halbleeren Spritzpistole bewaffnet war.

Auf der einen Seite das "Einwurf-rennrennrennrenn-Vorhand"-Tennis, auf der anderen die "Kanonenaufschlag-Fluchtnachtvorn-Volley"-Variante, und beide gingen sich zwangsweise so gut es ging aus dem Weg. Allrounder wie Agassi waren die Ausnahme, die die Regel bestätigten. Gute alte Zeit.

Als Nadal anno 2005 also ins Finale von Paris stürmte, war es in dieser Hinsicht also kein Erdbeben, das die Tenniswelt erschütterte. Aber er hätte sich durchaus einreihen können in die Liste der Sieger vor ihm, allesamt Sandplatzspezialisten: Gaston Gaudio, Juan Carlos Ferrero, Albert Costa, und natürlich Guga Kuerten.

Hat Rafael Nadal die Ära der Sandplatzspezialisten beendet?

Die Highlights aus dem Finale 2005 sind ein faszinierendes Relikt aus einer anderen Ära, fast schon Tennis-Kreidezeit. Mariano Puerta, Nadals Finalgegner aus Argentinien - und mehrfacher Dopingsünder - spielt, pardon, richtig geiles, altmodisches Sandplatztennis, mit Vorhandpeitsche, Slice-Aufschlag, einer nur adäquaten einhändigen Rückhand. Er stöhnt, als wolle er es in Sachen Lautstärke mit den Airlinern auf dem Charles de Gaulle aufnehmen, und, es ist schwer in Worte zu fassen, "bewegt" sich wie ein Sandplatzspieler.

Puertas beste Ergebnisse bei den übrigen Grand Slams: zweimal 2. Runde US Open, einmal 2. Runde Australian Open, viermal 1. Runde Wimbledon.

Nadal, mit Bandana, Muskelshirt und Dreiviertelhose, zeigt vor allem seine bis heute legendären Counterpuncher-Qualitäten, ist ansonsten aber deutlich weniger aggressiv als in den letzten Jahren. Er zwingt Puerta in die Knie, weil der Nadals Defensive einfach nicht durchbrechen kann.

Mit Nadals Sieg, seinem ersten French-Open-Triumph endet so die Ära der Sandplatzspezialisten - einen Grand-Slam-Erfolg gab es für sie seitdem nicht mehr. Gut, eigentlich ja auch nicht mehr für alle anderen, von drei Ausnahmen mal abgesehen (Federer 2009, Wawrinka 2015, Djokovic 2016). Womit sich die Frage stellt: War es wirklich Nadal, der die Ära der Sandplatzspezialisten beendet hat?

Die tiefgreifenden Änderungen in der Tenniswelt vor rund 15-20 Jahren sind gut dokumentiert: Die Beläge wurden langsamer, insbesondere Rasen, die Bälle schwerer. Dazu kommt die Evolution der Racket-Technik, mit größeren Sweetspots und viel mehr Kontrolle. Resultat: Serve-and-Volley ist quasi ausgestorben, auf allen Belägen wird mehr oder weniger der gleiche Stil gepflegt - die T-Linie auf dem Centre Court in Wimbledon ist der beste Beweis. Wenn man will, gibt es keine Sandplatzspezialisten mehr, weil es überhaupt keine Spezialisten mehr gibt.

Bei den Damen war die Trennung nie so sehr ausgeprägt, auch wenn es natürlich auch Sandplatzwühlerinnen wie Arantxa Sanchez-Vicario oder Conchita Martinez gab. Und es gibt weder einen Nadal noch eine "Big-Three-Ära", was zwangsläufig für mehr Abwechslung sorgt: In den letzten sieben Jahren gab es in Paris sieben verschiedene Siegerinnen.

Und so kann man den Spieß auch umdrehen: Es gibt noch Sandplatzspezialisten - aber ihr Spiel greift auf den übrigen Belägen viel besser. Dafür gibt es keine Hart- bzw. Rasenspezialisten mehr: Ein Dominic Thiem ist zweifelsfrei Weltklasse. Aber er kann in in Melbourne und New York auch deshalb um die Titel mitspielen, weil er eben nicht Angst haben muss, in Runde zwei von einem Aufschlagkanonier mit grandioser Tagesform weggefegt zu werden.

Ist Nadal ein Sandplatzspezialist? Bei sieben Titeln abseits von Roland Garros erübrigt sich die Frage. Man könnte sicherlich anführen, dass er zumindest mal einer war, schließlich hat er seine ersten vier Grand Slams auf Sand eingefahren. Und doch ...

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