Jan-Lennard Struff setzte sich völlig niedergeschlagen auf seine Bank und pustete erstmal tief durch. Nach 200 vergeblichen Anläufen auf der ATP-Tour hat der Tennisprofi aus Warstein auch beim Heimspiel in Stuttgart seinen ersten Turniersieg verpasst. In einem dramatischen Finale musste sich der 33-Jährige im Finale dem favorisierten US-Amerikaner Frances Tiafoe mit 6:4, 6:7 (1:7), 6:7 (8:10) geschlagen geben. Es bleibt wie verhext.
"Es war eine wunderschöne Woche für mich, es war eine unfassbare Stimmung", sagte Struff nach der Partie: "Es hat mir unheimlich viel bedeutet, auch wenn es ein Heartbreaker ist, dieses Match zu verlieren."
Und dennoch scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der formstarke Davis-Cup-Spieler eine Trophäe holt. "Du wirst einen Titel gewinnen, mach einfach weiter", würdigte Tiafoe seinen geschlagenen Gegner.
In der Weltrangliste wird Struff am Montag immerhin als 21. wieder als die deutsche Nummer eins vor dem Hamburger French-Open-Halbfinalisten Alexander Zverev (22.) geführt. Bei einem Sieg gegen Tiafoe wäre er sogar als 19. erstmals in die Top 20 eingezogen. Der US-Profi seinerseits wird auf Position zehn zum ersten Mal in den Top 10 geführt.
Vor dem mit knapp 800.000 Euro dotierten Rasenturnier in Stuttgart war Struff auch bei den Sandplatz-Konkurrenzen 2021 in München und in diesem Jahr beim Masters in Madrid ins Finale eingezogen, dort aber jeweils unterlegen. Im Spaniens Hauptstadt war er erst nach großem Kampf dem hohen Favoriten und Lokalmatador Carlos Alcaraz unterlegen.
Im Match gegen Tiafoe, gegen den er zuvor eine ausgeglichene Bilanz (1:1) aufgewiesen hatte, blieb Struff nervenstark. Zwar wackelte im ersten Satz sein Aufschlag (fünf Doppelfehler), die fehlende Präzision machte Struff aber mit großem Kampf wett. Im zweiten Durchgang agierte Struff weiter mutig, die Aufschlagspiele wurden aber zu Hängepartien. Im Tiebreak drehte dann sein Gegner auf, Struff war chancenlos.
Im entscheidenden Satz zeigten beide Spieler vor den Augen des dreimaligen Wimbledonsiegers Boris Becker Nerven, hielten aber jeweils ihren Aufschlag. Die rund 5000 Zuschauer feierten nun jede gelungene Aktion für Struff, die Entscheidung brachte erneut der Tiebreak. Dort vergab Struff einen Matchball, Tiafoe verwandelte seinen dritten.
Jan-Lennard Struff: Nächste Titelchance in Halle
Die Finalteilnahme in Stuttgart dürfte für Jan-Lennard Struff trotzdem Balsam auf die geschundene Seele sein. Zu groß war die Enttäuschung über das frühe Aus in Paris. Und das nach dem famosen Auftritt in Madrid gegen Alcaraz. Als erster Lucky Loser der Turniergeschichte hatte er das Endspiel erreicht und war dort nur knapp am jungen spanischen Überflieger gescheitert. Auch zuvor hatte er mit dem Viertelfinale beim Masters in Monte Carlo bereits überzeugt.
Entsprechend groß waren die Erwartungen für den Grand Slam in Paris. Doch schon in Runde eins kam für die Nummer 21 der Setzliste in Roland Garros gegen den Tschechen Jiri Lehecka in fünf Sätzen das Aus. "Es ärgert mich, dass ich nicht mein bestes Tennis gespielt hatte", haderte Struff nach dem unerwartet frühen K.o.
Doch der Kämpfer ließ sich nicht unterkriegen. Struff machte sich fortan auf den Weg, sein Tennis auf Rasen umzustellen. Mit Erfolg. Im Achtelfinale schaltete er die Nummer fünf der Setzliste, Tommy Paul (USA), aus. Im Finale war der polnische Titelverteidiger Hubert Hurkacz (Nr. 4) dran.
Nun will "Struffi" im westfälischen Halle nachlegen. Dort trifft er zum Auftakt auf einen Qualifikanten. In "Klein-Wimbledon" in der Provinz hat er noch einiges gutzumachen. Erst zweimal kam er bis ins Achtelfinale (2019 und 2021), sonst war stets in Runde eins Schluss. Auch diese magere Bilanz will Struff verbessern.