Wimbledon 2024: Andy Murray nimmt Abschied
Wenn die Flaggen an der Church Road am Dienstag auf Halbmast gehisst werden, dann weil der vielleicht beliebteste Schotte in England zum letzten Mal Abschied genommen hat. Die Rede ist von Sir Andrew Barron "Andy" Murray, dem besten Tennisspieler auf der Insel seit Fred Perry, der Wimbledon von 1934 bis 1936 dreimal in Folge gewinnen konnte. Murray schaffte das "nur" zweimal, doch spätestens seit seinem ersten Triumph 2013 sind sie ihm verfallen. Er war es, der aus den "Big Three" Federer-Nadal-Djokovic jahrelang die "Big Four" machte, auch wenn er insgesamt nur drei Slams gewinnen konnte.
Seine Karriere schien 2019 nach jahrelangen Hüftproblemen und einem künstlichen Gelenk eigentlich schon vorbei, aber Murray wäre nicht Murray, hätte er sich nicht doch allen Hindernissen zum Trotz zurück gekämpft, gekratzt und gebissen. Mit mittlerweile 37 Jahren soll dann nun doch bald Schluss sein, aber Wimbledon und die Olympischen Spielte wollte er ein letztes Mal mitnehmen. In Queens lief es auch gar nicht so schlecht, doch gefühlt aus dem Nichts musste Murray aufgeben und sich aufgrund einer Zyste an der Wirbelsäule einer OP unterziehen. Das war am vergangenen Samstag, voreilige Zeitungsberichte schrieben sogar schon von einem definitiven Wimbledon-Aus.
Doch so schnell gibt "Sir Andy" nicht auf. "Vielleicht kommt mir mein Ego in die Quere, aber ich habe das Gefühl, dass ich es verdiene, die Entscheidung erst in letzter Sekunde zu treffen", sagte er, blieb im Draw und will bis zu seinem Erstrundenmatch am Dienstag gegen Tomas Machac alles versuchen. Die Tennis-Rente starrt ihn an, doch noch blinzelt Murray nicht: "Die meisten Menschen freuen sich darauf, legen die Füße hoch und genießen das Leben. Aber ich sehe das nicht so. Es gefällt mir ganz und gar nicht."
Sollte es für das Einzel nicht reichen, will Murray zumindest mit seinem Bruder Jamie im Doppel antreten - vom Turnier gab es dafür natürlich eine Wildcard. Das letzte Match seiner Karriere will er sich so oder so nicht diktieren lassen: "Ich weiß, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, wie ich mein letztes Match beendet habe, oder wo. Aber ich habe so viel in den Sport investiert, dass ich zumindest mit einem richtigen Match abtreten will, in dem ich noch mithalten kann. Und nicht so wie in Queen's."
Die Verletzung ist eine extrem bittere Pille für den so ehrgeizigen Schotten. 2017 schaffte er es zuletzt über die dritte Runde hinaus, aber vollständig fit hätte er es auf seinem Lieblingsbelag mit einer guten Auslosung sogar in die zweite Woche schaffen können. Ein letzter Auftritt auf dem Centre Court wäre ihm von Herzen zu gönnen.
Wimbledon 2024: Wie fit ist Novak Djokovic?
Wie sein langjähriger Rivale ist auch Novak Djokovic mittlerweile 37 Jahre alt, doch beim Serben schien das Karriereende noch viele Jahre auf sich warten zu lassen, schließlich dominierte er die Konkurrenz im vergangenen Jahr fast nach Belieben - mit einer Ausnahme. Doch dann spielte er in der ersten Jahreshälfte nicht auf seinem gewohnten Niveau und musste mitten in den French Open aufgrund eines Meniskusrisses zurückziehen, obwohl er sich gerade in Form zu spielen schien. Der Anfang vom Ende? Nicht nur Wimbledon schien unerreichbar, auch die Olympia-Teilnahme wackelte plötzlich.
Der Djoker ließ sich in Paris am Knie operieren, nahm prompt die Reha auf - und präsentierte sich in der vergangenen Wochenende tatsächlich beim Training auf Rasen. "Ich werde nur spielen, wenn ich in der Lage bin, weit zu kommen und um den Titel zu kämpfen", betonte er gegenüber der BBC: "Ich bin nicht hier, um nur ein paar Runden zu bestreiten. Nur wenn ich weiß, dass ich am Maximum oder nahe dran spielen kann, werde ich spielen." Einen Trainingssatz gegen Jannik Sinner verlor er an Donnerstag zwar, aber das Knie hielt. Womöglich hat das den Ausschlag gegeben: Er blieb im Draw und bekommt es in Runde eins mit den Tschechen Vit Kopriva zu tun.
Eine Wunderheilung? Hatte Djokovic bei seiner Verletzung gar zu dick aufgetragen, wie man es ihm oft vorwirft? Das wäre der Verschwörungstheorie zu viel. "Man ist eigentlich direkt nach der OP wieder bei voller Stärke", erklärte der Amerikaner Taylor Fritz, der 2021 die gleiche Verletzung erlitten hatte: "Entscheidend ist der Entzündungsgrad. Den muss man niedrig halten." Das scheint bislang zu funktionieren, aber wie gut das Knie wirklich hält, wird wohl auch Nole erst im Turnierverlauf feststellen.
Der Start in Wimbledon ist auf jeden Fall ein Risiko, gerade im Hinblick auf Paris nur wenige Wochen später - und da fehlt ihm ja noch die so sehnlichst gewünschte Goldmedaille, der einzige große Titel, den er in seiner Laufbahn nicht gewinnen konnte. 2021 schien er auf dem besten Weg zum "Grand Slam", weshalb ihm einige vom Start in Tokio abrieten. Er spielte trotzdem, verpasste eine Medaille und wenig später ging ihm dann auch im US-Open-Finale die Puste aus.
Andererseits ist es verständlich, dass sich der siebenfache Titelträger im Spätherbst seiner Karriere keinen Start mehr entgehen lassen will. Rasen könnte mittlerweile seine beste Chance sein, die jungen Wilden wie Sinnner und Alcaraz zu schlagen, sein Erfahrungsvorsprung auf dem Belag ist gigantisch, und die Matches sind körperlich normalerweise nicht so kräftezehrend wie auf Hartplatz oder Sand. Sollte er nach seiner Aufgabe bei Roland Garros tatsächlich zum achten Mal Wimbledon gewinnen können - und seinen 25. Slam insgesamt -, würde er seiner Legende noch ein weiteres Kapitel hinzufügen und der älteste Champion der Turniergeschichte werden.
Wimbledon 2024: Wie kommt Alexander Zverev auf Rasen zurecht?
Rasentennis scheint Alexander Zverev nach all den Jahren noch immer suspekt zu sein. Die Ballwechsel sind eher kurz. Die Phasen, in denen der deutsche Topspieler gegen starke Aufschläger wenig ausrichten kann, manchmal quälend lang. Für Zverev wird es vor allem eine Kopfsache, seine durchwachsene Bilanz beim Klassiker in Wimbledon endlich zu verbessern.
"Ich muss ehrlich gestehen, auf Rasen fällt es mir sehr, sehr schwer, die Konzentration beizubehalten", sagte der French-Open-Finalist bei Sky vor dem Turnierstart: "Und es fällt mir sehr schwer, dass es mir im Match nicht langweilig wird."
In Paris und New York stand Zverev bereits bei den Majors im Endspiel, in Melbourne zweimal im Halbfinale. In Wimbledon, wo er zum Auftakt auf den Spanier Roberto Carballes Baena (Nummer 65 der Welt) trifft, reichte es bei sieben Teilnahmen des Olympiasiegers gerade einmal für das Achtelfinale. Dabei bringt Zverev mit seinem mächtigen Service und seinem sicheren Grundlinienspiel eine starke Basis mit.
So sieht es auch der einstige Turnierchampion Michael Stich, der Zverev trotz der bisherigen Probleme durchaus im erweiterten Favoritenkreis sieht. "Gerade nach seinem Erfolg bei den French Open sollte er so viel Selbstvertrauen haben, dass er weiß, dass er auch in Wimbledon weit kommen kann", sagte Stich der Sport Bild. Und fügte an, dass es "immer eine Frage des Kopfes" sei.
Das Rasentennis bleibe besonders, auch wenn seit Veränderung der Saat die Zeiten des klassischen Serve-and-Volley vorbei scheinen. So wie einst der dreimalige Champion Boris Becker sucht heute kaum ein Spieler mehr permanent den Weg ans Netz. Becker sprach in Bezug auf die Volleys eins von einer "verlorengegangenen Kunst". Zverev, der einen lösbaren Turnierbaum erwischte, sollte sie womöglich für sich entdecken.
"Zverev sollte die Volleys so in sein Spiel integrieren, dass sie einen Mehrwert darstellen", sagte Stich: "Das heißt nicht, dass er immer den schweren Volley versuchen muss, es geht vielmehr um die Einstellung, den Gegner zu zwingen, Passierbälle zu schlagen, was wiederum eine Fehlerquelle beinhaltet." Denn Zverev bringt mit seinen 1,98 Metern und langen Armen eine beachtliche Spannweite mit, die Gegner schon einmal beeindrucken kann.
Wimbledon 2024: Was können die übrigen Deutschen reißen?
Es geht beinahe ein bisschen unter, dass aus deutscher Sicht eine ehemalige Wimbledon-Siegerin antritt. Angelique Kerber hatte das Turnier 2018 sensationell gewinnen können, in zwei Sätzen gegen die große Serena Williams. Das Comeback der mittlerweile 36-Jährigen nach Babypause läuft allerdings ein bisschen unter dem Radar, weil die guten Ergebnisse von einst fehlen.
Zwei Rasenturniere hat Kerber in der Vorbereitung gespielt. In Berlin verlor sie ihr Auftaktmatch gegen Linda Noskova, in Bad Homburg unterlag sie in der ersten Runde der Russin Diana Shnaider. Die dreifache Grand-Slam-Gewinnerin ist mittlerweile einfach nicht mehr konstant genug, auch die starke Defensive von einst ist keine Trumpfkarte mehr. "Ich gehe trotzdem positiv nach Wimbledon. Ich habe noch ein paar Tage und werde mich jetzt in Ruhe vorbereiten", sagte sie nach Bad Homburg bei Sky. Die Auslosung hat ihr mit Yulia Putintseva nicht unbedingt einen Gefallen getan: Die für Kasachstan startende Russin gewann gerade erst das Vorbereitungsturnier in Birmingham.
Es könnte vielleicht der letzte Auftritt Kerbers auf dem Heiligen Rasen sein - große Erfolge sind von ihr leider nicht zu erwarten. Besser könnte es für Jule Niemeier laufen, die in Bad Homburg immerhin Maria Sakkari schlagen konnte: Das Spiel der 24-Jährigen passt zum Untergrund, 2022 ging es schon einmal bis ins Viertelfinale. Damals verlor sie übrigens gegen Tatjana Maria. Die ist mittlerweile 36, kann mit ihrem unkonventionellen Spieler aber fast jede Gegnerin in den Wahnsinn treiben.
Bei den Herren ist es hinter Alexander Zverev eher dünn. Jan-Lennard Struffs Spiel mit Serve-and-Volley und Vorhandpeitsche passt zwar wie angegossen, über die 3. Runde kam er aber noch nie hinaus. Immerhin hat er zum Auftakt einen machbaren Gegner erwischt (Fabian Maroszan) - im Gegensatz zu Yannick Hanfmann, der es direkt mit Jannik Sinner zu tun bekommt.
Wimbledon 2024: Das nächste Kapitel der Alcaraz/Sinner-Ära?
Einige Fans werden nach der Auslosung des Draws frustriert aufgestöhnt haben: Ein Wimbledon-Finale zwischen Jannik Sinner und Carlos Alcaraz, den beiden besten Spielern und Grand-Slam-Champions des Jahres wird es nicht geben. Beide würden stattdessen im Halbfinale aufeinandertreffen. Womöglich das vorgezogene Endspiel, gerade wenn Djokovic seinem lädierten Knie Tribut zollen muss. Aber das hat sich French-Open-Champ Alcaraz selbst zuzuschreiben, der nach seinem Achtelfinal-Aus in Queens auf Platz drei der Weltrangliste abrutschte.
Andernfalls könnte sich Sinner, seit Paris Nummer eins der Welt, auch ein bisschen gefreut haben. Er schied nämlich 2022 und 2023 jeweils gegen den Djoker aus, besiegte Alcaraz in Wimbledon aber im einzigen Duell auf Rasen vor zwei Jahren. Der Italiener steht im Rennen mit Alcaraz unter Druck, wenn man so will: Der Spanier führt bei den Grand-Slam-Titeln mit 3-1 und hat Wimbledon bereits gewonnen, Rotschopf Sinner muss also nachziehen, wenn es eine Rivalität auf Augenhöhe bleiben soll. Bei den French Open verlor er im Halbfinale in fünf Sätzen gegen "Carlitos", gewann kürzlich in Halle aber seinen ersten Titel auf Rasen und scheint gewappnet.
Alcaraz offenbarte in Queen's gegen Jack Draper (6:7, 3:6) dagegen ein paar Schwächen - das Vorbereitungsturnier hatte er letztes Jahr noch gewonnen. "Ich habe nicht gut gespielt, mich nicht gut bewegt", war sein Fazit. Wirklich viel Erfahrung hat er auf Rasen immer noch nicht, auch wenn ihn das 2023 natürlich nicht stoppen konnte. Es wird spannend zu sehen sein, ob und wie der Druck der Titelverteidigung auf dem normalerweise so unbekümmerten 21-Jährigen lastet.
Wimbledon 2024: Die deutschen Teilnehmer im Überblick
Männer:
Name | Gegner 1. Runde |
Alexander Zverev | Roberto Carballes Baena (Spanien) |
Jan-Lennard Struff | Fabian Marozsan (Ungarn) |
Dominik Koepfer | Fabio Fognini (Italien) |
Yannick Hanfmann | Jannik Sinner (Italien/Nr. 1) |
Daniel Altmeier | Arthur Fery (Großbritannien) |
Maximilian Marterer | Roberto Bautista Agut (Spanien) |
Frauen:
Name | Gegnerin 1. Runde |
Tatjana Maria | Katie Boulter (Großbritannien) |
Tamara Korpatsch | Yuriko Miyazaki (Japan) |
Laura Siegemund | Kateryna Baindl (Ukraine) |
Angelique Kerber | Yulia Putintseva (Kasachstan) |
Jule Niemeier | Viktorija Golubic (Schweiz) |
Eva Lys | Clara Burel (Frankreich) |