Dimitrij Ovtcharov und seine Frau Jenny stießen mit Champagner an. Beim Bankett der Sieger nach den German Open in Magdeburg schmeckte dem Weltcupgewinner das Dinner nach seinem Finalsieg gegen Timo Boll vorzüglich, doch eigentlich hatte der momentan stärkste Tischtennisspieler der Welt nur einen Wunsch: "Ich freue mich auf Zuhause und unsere Tochter Emma."
Der eineinhalbjährige Sonnenschein und die Familie sind die eine Welt des Weltranglistendritten, eine andere ist die Box. Darin erscheint Ovtcharov das Leben aufgrund seiner Erfolgsserie derzeit "etwas surreal".
Beinahe unwirklich klingt auch Bolls Einschätzung der durch eine unerwartete Schwächephase von Chinas Dominatoren begünstigten Kräfteverhältnisse am Tisch: "Wir schweben beide auf einer Welle. Es ist schön, wenn zwei Deutsche das Welttischtennis so ein bisschen dominieren."
Tatsächlich tanzen die Top-5-Stars dieser Tage förmlich auf der chinesischen Mauer. China Open, Weltcup und nun German Open - stets machten die Spitzenspieler von Bundestrainer Jörg Roßkopf die Titel nach beachtlichen Erfolgen auch gegen die stärksten Asse aus dem Reich der Mitte bis zu Ovtcharovs Siegpunkten unter sich aus.
Goldene Träume im Lager des DTTB
Im Lager des DTTB blühen denn auch inzwischen Träume. Goldene Träume. Der erste Triumph bei einer Mannschafts-WM ist vor den Titelkämpfen im Frühjahr 2018 in Halmstad mittlerweile alles andere als Utopie.
Ovtcharov darf zudem nach insgesamt sieben Titelgewinnen im laufenden Jahr auf die Wahl zum "Spieler des Jahres" hoffen. Besonders aber winkt dem Olympia-Dritten von 2012 beim Jahresfinale in Astana als "absolutes Highlight meiner Karriere" der Sprung an die Spitze der Weltrangliste.
"Nach dem Weltcup und den German Open muss man sagen, dass Dima und Timo mehr als nur Ausrufezeichen gesetzt haben und in der Lage sind, dem Welttischtennis ihren Stempel aufzudrücken", sagte DTTB-Sportdirektor Richard Prause dem SID.
"China ist angreifbar geworden"
"Beide sind nach ihren Nadelstichen beim Weltcup durch ihre Siege gegen Topchinesen auch in Magdeburg einen Schritt weiter. China bleibt das Maß aller Dinge, ist aber wirklich angreifbar geworden, und wir würden uns freuen, wenn die WM nächste Woche beginnen würde", äußerte Prause.
Der Wunsch ist verständlich. Schließlich erschienen die Chinesen sowohl beim Weltcup vor drei Wochen trotz des Starts ihres Superstars Ma Long und in Magdeburg auch mit einem Top-10-Quartett nur als Schatten ihrer selbst.
So sehr wirkt offenbar die "Rebellion" von Ma und Co. bei den China Open gegen Veränderungen im Trainerstab nach, dass Ovtcharov und Boll beständig in Chinas Phalanx einbrechen konnten.
Möglicher WM-Coup
Für Prause hat sich dadurch ein Zeitfenster zum historischen WM-Coup geöffnet: "Momentan herrscht bei den Chinesen eine gewisse Unruhe. Sie wirken kopflos und verunsichert. Vieles ist im Umbruch, wichtige Strukturen fehlen, und die Zuordnung von Trainern und Spielern scheint nicht 100-prozentig gegeben."
Gleichwohl würde Prause Roßkopfs Team in einem WM-Duell "noch nicht in einer 50:50-Situation" sehen: "Die Dominanz der Chinesen ist momentan nicht so erdrückend. Aber sie werden alles daran setzen, sich wieder zu stabilisieren."