Seit viereinhalb Jahren spielt Georges St. Pierre in einer eigenen Liga. Niemand konnte ihm gefährlich werden - nicht Jon Fitch, nicht BJ Penn, nicht Josh Koscheck, Dan Hardy oder Jake Shields. Der sympathische Kanadier nutzte seine starke ringerische Basis, um zu bestimmen, wo seine Fights sich abspielen, und sein punktgenaues Striking, um Wirkungstreffer zu landen und die Gegner zu demoralisieren. Niemand schien ihm gefährlich werden zu können.
Doch dann zog er sich eine schwere Knieverletzung zu, die ihn fast ein ganzes Jahr aus dem Spiel nahm. Kaum ein Eingriff ist bei MMA-Kämpfern unbeliebter, denn es ist wahnsinnig schwer, das Knie wieder so belastbar zu bekommen, wie es vor der Operation war.
Und selbst wenn das gelingt, bleiben oft psychische Zweifel, die unbewusst zu Änderungen an der Beinarbeit führen und von erfahrenen Gegnern ausgenutzt werden können.
"St. Pierre ist besser denn je"
St. Pierres Trainerstab hält das für ganz großen Unfug. "Georges ist heute besser denn je. Er fing vor acht Wochen völlig außer Form mit dem Training an und hat heute bessere Leistungswerte als jemals zuvor", so John Danaher. Auch Cheftrainer Firas Zahabi hat für die Theorie, dass St. Pierre immer noch angeschlagen sei, nur ein müdes Lächeln übrig: "Carlos Condits Team redet sich die Realität schön. Sie wissen, dass Georges viel besser ist als Carlos und hoffen jetzt auf ein Wunder. Daraus wird nichts."
Es scheint, als habe Condit mit der Aussage, dass St. Pierre nie wieder so gutes Ringen haben würde wie vor der Verletzung, einen Nerv getroffen. Der Kommentar fiel dabei lediglich in einem Nebensatz - Condits Hauptaussage war, dass St. Pierres letzte Gegner allesamt wie das Kaninchen vor der Schlange vor ihm standen und deswegen keine Chance hatten. Er würde diesen Fehler nicht machen, so der Tenor.
Obwohl die Bemerkung über St. Pierres Knie nur nebenbei fiel, stürzt sich die komplette MMA-Szene darauf. Es gibt ebenso viele Anhänger der Theorie, dass eine schwere Knieverletzung der Anfang vom Ende ist, wie es Menschen gibt, die sie für völligen Unfug halten.
Angriff ist die beste Verteididung
Die viel entscheidendere Frage ist, wie gut Carlos Condit wirklich ist. Er gewann den Interimstitel im Februar in einem Ausscheidungskampf gegen Nick Diaz, in dem er seinen hitzköpfigen Gegner durch gezieltes Zurückweichen so frustrierte, dass dieser Fehler machte. Diese Luxussituation wird er gegen den sehr strategisch kämpfenden Kanadier nicht vorfinden.
Vielmehr sollte er sein Heil darin suchen, offensiv zu kämpfen und St. Pierre zu überrennen zu versuchen. Dass es kaum möglich ist, ihn taktisch zu schlagen, indem man mit ihm über die Distanz geht, ist weithin bekannt. Wer sich darauf einlässt, einfach nur vor dem Champion zu stehen, hat schon so gut wie verloren.
Condit ist sich dessen bewusst. Er hätte problemlos gegen Nick Diaz in den Schlagabtausch gehen können, tat es aber nicht, weil es Diaz in die Karten gespielt hätte. Genauso wenig wird er den Fehler machen, St. Pierre kommen zu lassen und selbst in die passive Rolle zu schlüpfen.
Condit mit Reichweitenvorteil
Carlos Condit hat gute Chancen, die MMA-Welt zu schocken, obwohl er als deutlicher Außenseiter ins Rennen geht. Er hat einen Reichweitenvorteil. Er ist hungrig und will der Welt beweisen, dass St. Pierre auch nur mit Wasser kocht. Und er hat das, was St. Pierre zuletzt gefehlt hat: Er sucht das vorzeitige Ende.
Der Weltmeister muss dabei durch die Knieverletzung gar nicht völlig aus der Bahn geworfen worden sein. Es reicht, wenn er dadurch nur noch sehr gut ist und nicht mehr fast unschlagbar.
Aus Sicht der Fans täte es dem Weltergewicht gut, wenn St. Pierre auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt würde. In nicht einmal 24 Stunden wissen wir, ob Condit sich seinen Traum erfüllen kann.
Außerdem bei UFC 154:
- Der Däne Martin Kampmann wird versuchen, sich mit einem Sieg gegen Johny Hendricks als nächster Herausforderer im Weltergewicht zu positionieren. Im Training bekam Hendricks früher gegen Kampmann kein Bein auf dem Boden. Wird es auch im Octagon so aussehen?
- Lokalmatador Patrick Cote und der Italiener Alessio Sakara stehen beide unter immensem Erfolgsdruck. Der Verlierer dieses Kampfes könnte sich bald nach einem neuen Job umsehen müssen.
- Cyrille Diabate aus Frankreich bekommt es im Halbschwergewicht mit dem Strikeforce-Import Chad Griggs zu tun. Mal sehen, wen der beiden die neue Gewichtsklasse weiterbringt.
- Mark Hominick muss gegen Pablo Garza beweisen, dass er nach seiner Niederlage gegen Jose Aldo das Potential für einen zweiten Run auf den Titel hat.
UFC 154: St. Pierre vs Condit wird in der Nacht von Samstag auf Sonntag ab 4 Uhr auf SPOX.com und UFC.tv übertragen. Die Vorkämpfe starten um 1:00 Uhr auf facebook.com/UFC und um 2 Uhr dann parallel auf SPOX.com und UFC.tv.