SPOX: Nick, seit Ihrem ersten UFC-Fight sind ein paar Monate vergangen. Haben Sie mittlerweile realisiert, was an diesem Abend in Berlin passiert ist?
Nick Hein: Es fühlt sich immer noch unwirklich an. Man kann es vielleicht mit einem Trauma-Opfer vergleichen. Solche Leute müssen in eine Therapie gehen, um das, was sie erlebt haben, zu verarbeiten. Wenn man so etwas ins Positive umkehren würde, dann wäre ich ein solcher Fall. Das komplette Event in Berlin war eine unglaublich intensive und tolle Erfahrung. Es kommt immer noch vor, dass ich irgendwo in der Ecke sitze und in die Luft starre, weil meine Gedanken wieder zu diesem Abend zurückwandern.
SPOX: Was ist Ihnen vor allem im Gedächtnis geblieben?
Hein: Das ist schwer zu sagen. Einerseits sicherlich der Druck vor dem Kampf, der von den Medien kam, von den Fans, aber auch von mir selber. Ich bin nicht 24 Jahre lang diesen Weg gegangen, ohne Anerkennung, ohne Rückhalt, um dann mit leeren Händen dazustehen. Als ich nach dem Fight zum Sieger ernannt wurde, ist die ganze Last von mir abgefallen. Das ist so, als würde dich die Liebe deines Lebens zum ersten Mal küssen. Das vergisst man nie.
SPOX: Wie fiel das Feedback von der UFC aus?
Hein: Alle waren sehr zufrieden mit mir, das tut natürlich gut. Man muss aber auch sagen, dass sich die UFC nicht lumpen lässt und sich extrem um mich kümmert. Das ist überwältigend und hätte ich in der Art nie erwartet. So viel Aufmerksamkeit habe ich in 20 Jahren als Judoka nicht erlebt. Das kann gerne noch ein bisschen weitergehen.
SPOX: Das haben Sie in der eigenen Hand. Am Samstag steigen Sie zum zweiten Mal ins Octagon. In Texas kommt es zum Duell mit Lokalmatador James Vick, der Ihnen rein körperlich deutlich überlegen ist. Wie sieht Ihre Taktik aus?
Hein: Ach, es gab mal eine ehemalige Freundin, die zu mir gesagt hat: Größe ist nicht alles (lacht). Das gilt auch für den Sport. Und gerade in der UFC kann man mit einer guten Technik einiges wettmachen, an meinen 1,72 Metern kann ich sowieso nichts mehr ändern, Buffalos sind ja verboten. Aber im Ernst: Vick ist sicherlich meine größte Herausforderung. Nicht nur wegen seiner Physis, wir kämpfen ja auch in seinem Wohnzimmer, seine Fans werden verrückt spielen. Deswegen werde ich mich jetzt nicht hinstellen und die typischen Phrasen dreschen. Es kann alles passieren, man kann topfit in den Kampf gehen und trotzdem nach 20 Sekunden am Boden liegen, dann fühlt man sich wie ein kleiner Junge, der im Phantasialand ausgesetzt wurde. Ich hoffe einfach, dass sich am Ende wie bei David gegen Goliath der Kleinere durchsetzt, an der Vorbereitung wird es auf keinen Fall liegen.
SPOX: Sie sprechen Ihr Training an, dass Sie nicht nur körperlich an die Grenzen gebracht hat. Auf Ihrer Facebook-Seite haben Sie sich vor einigen Wochen als einen "verunsicherten, dünnhäutigen, durch die Diät leicht reizbaren und für meine Nächsten fast unausstehlichen Vollarsch" beschrieben.
Hein: Mittlerweile ist es zum Glück nicht mehr so schlimm (schmunzelt). Aber es stimmt, das harte Training geht einem an die Nieren. Nach außen bin ich für alle der Sergeant, diese Galionsfigur in Deutschland, die den MMA-Sport populärer machen soll. Aber die meisten Leute sehen eben nur das Endprodukt, das idealisiert wird, dabei gehört so viel mehr dazu. Ohne mein Team, ohne meine Frau und meine Familie wäre das alles nicht möglich. Ich bin dankbar, dass sie mich nicht zum Teufel jagen, wenn ich mal wieder einen schlechten Tag habe.
SPOX: Wie äußert sich das?
Hein: Wenn meine Frau zum Beispiel irgendwo Gummibärchen herumliegen lässt, dann nervt mich das einfach. Ich weiß, dass hört sich verrückt an, aber in meiner Vorbereitung darf ich nicht schwach werden.
SPOX: Hilft Ihnen in diesen Momenten Ihre Erfahrungen als Polizist?
Hein: Ja, als Polizist muss man immer Vorbild sein, man ist quasi das Modell eines guten Bürgers. Jegliche persönlichen Tragödien oder Emotionen rücken in den Hintergrund, man muss nüchtern den Blick für das Wesentliche bewahren. Das versuche ich auch im Octagon umzusetzen.
SPOX: Das klingt nach einem typischen Anti-Helden.
Hein: Das kann man so sagen. In der UFC genieße ich diese Rolle, weil der Anti-Held auch mal den einen oder anderen Spruch loslassen darf und nicht immer der Norm entsprechen muss. Eine solche Situation wird auch in Texas auf mich warten. Und wenn ich schon der Outlaw bin, dann zumindest der Beste, den die Amerikaner jemals zu Gesicht bekommen haben. Ich kann eines versprechen: Sie werden mich nicht vergessen.
SPOX: Dass Sie auf Ihrer offiziellen UFC-Seite Harry Callahan - besser bekannt als Clint Eastwoods Filmcharakter Dirty Harry - als Held angeben, ist also kein Zufall?
Hein: Nein, ich finde einen Anti-Helden wie Dirty Harry einfach besser und cooler als zum Beispiel Arnold Schwarzenegger. Dieses typische Klischee wäre oberflächlich und uninteressant. Aber die UFC bietet eben einen gewissen Spielraum. Die Fighter sollen eine Geschichte erzählen können, um Wiedererkennungswert zu bekommen.
Seite 1: Hein über seinen zweiten UFC-Fight, das Anti-Held-Dasein und Dirty Harry
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