"Wir sind vor Saddam geflüchtet"

Bastian Strobl
19. Juni 201516:58
Alan Omer (l.) trifft bei der UFC Fight Night in Berlin auf Arnold Allenimago
Werbung

In seiner Heimat überlebte er den Krieg. In Las Vegas pennte er in Hostels. Nun steigt Alan Omer (26) bei der UFC Fight Night in Berlin zum zweiten Mal ins Octagon - und will das öffentliche Bild der "brutalen Schläger" ändern.

SPOX: Alan, am Samstag endet mit Ihrem zweiten UFC-Kampf eine lange Leidenszeit. Hat sich Ihre Herangehensweise geändert?

Alan Omer: Nein, eigentlich gar nicht. Ich gehe mit derselben Einstellung rein wie davor auch: Ich will den Kampf immer vorzeitig beenden. Das wäre gegen Mike Wilkinson so gewesen, der jetzt leider passen muss. Und so wird es auch gegen Arnold Allen sein. Für mich kommt auch gar nichts anderes in Frage, ich werde versuchen, nach vorne zu marschieren.

SPOX: Ihren letzten Auftritt in der UFC hatten Sie im April 2014. Was ist seitdem schief gelaufen?

Omer: Eigentlich sollte ich bereits im Januar in Stockholm wieder ins Octagon steigen, aber leider habe ich mich damals zwei Wochen vor dem Kampf am Unterarm verletzt. Solche Rückschläge bin ich in meiner Karriere fast schon gewohnt. Davor musste ich zwei Jahre lang wegen einer Knie-OP aussetzen. Aber ich bin immer stark zurückgekommen, das macht mir Mut.

Nick Hein im Interview: "Frittierte Insekten können nicht schaden"

SPOX: Bei Ihrem UFC-Debüt mussten Sie sich in Abu Dhabi Jim Alers geschlagen geben. Ist ein Sieg in Berlin fast schon Pflicht für Sie?

Omer: Ich lasse mich von dem ganzen Druck und Trubel nicht ablenken, sondern konzentriere mich einfach auf meinen Job. Ich weiß, dass viele Freunde nach Berlin kommen werden, um mich anzufeuern. Aber das motiviert mich eher zusätzlich. Ich glaube, genau diese Gelassenheit wird am Ende den Unterschied machen.

SPOX: Sie werden am Samstag nicht der einzige Kämpfer sein, der vor heimischem Publikum antritt. Erleben wir momentan den Aufstieg einer neuen MMA-Generation in Deutschland? SPOX

Omer: Um ehrlich zu sein, bin ich gar nicht auf dem Laufenden, was genau in der deutschen Szene abläuft. Ich beobachte sie eher nebenbei. Aber es kann gut sein, dass wir vor einer neuen Ära stehen. Jessin Ayari muss man da auch erwähnen. Er ist einer der Kämpfer, die es sicherlich als nächstes in die UFC schaffen können.

SPOX: Die vermeintlich größte Aufgabe von Ihnen, Nick Hein und Co. wird es in den nächsten Jahren sein, das Bild der UFC in Deutschland zu verändern. Wie sehr ärgert Sie die negative Berichterstattung?

Omer: Man muss leider sagen, dass die Medien in den letzten Jahren ziemlich "gute" Arbeit geleistet haben, um die UFC in den Dreck zu ziehen. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir die Öffentlichkeit vom Gegenteil überzeugen. Unser Sport ist kein Blut-Boxen und wir sind sicherlich keine brutalen Schläger.

SPOX: Sie sind das perfekte Beispiel dafür. Neben Ihrer UFC-Karriere studieren Sie an der Universität Stuttgart Maschinenbau. Wie schwer ist ein solches Doppelleben?

Omer: Viele Menschen denken, dass die beiden Bereiche nur schwer kombinierbar sind. Aber ich habe damit eigentlich gar kein Problem. Mein Studium belastet mich nur während den Prüfungszeiten. In diesen ein, zwei Monaten trainiere ich einfach weniger und lege die sportlichen Ambitionen auf Eis. Aber ansonsten halten mich die paar Vorlesungen während eines Semesters nicht vom Training ab, dafür ist mir der Sport auch zu wichtig.

SPOX: Ihre Liebe für den MMA-Sport begann als 17-Jähriger - allerdings ohne großartige Ambitionen. Warum?

Omer: Ich weiß nicht, ob ich keine Ambitionen hatte. Ich würde eher sagen, dass ich mir nie Gedanken gemacht habe, was ich erreichen will. Das lag aber auch an den Umständen. Damals war nie die Rede von MMA, wir nannten es eher Free Fighting oder No Holds Barred. Ich muss zugeben, dass ich die ersten zwei Jahre auch nicht wirklich wusste, was meinen Sport überhaupt ausmacht oder wie groß MMA in den USA damals schon war. Mit den ersten Erfolgen bin ich dann langsam reingewachsen. Trotzdem war eine Karriere in der UFC 2006 oder 2007 für mich noch komplett utopisch. Das war etwas, was man vielleicht im Fernsehen oder Internet gesehen hat, aber viel zu weit weg war. Ich hätte nie gedacht, dass ich selbst einmal im Octagon stehen werde.

SPOX: Sie sollen in dieser Phase auch sehr kurzfristig Kämpfe angenommen haben. Stand der finanzielle Aspekt damals im Mittelpunkt?

Omer: Klar, ich kann mich noch an ein Duell mit Alex Wiebe erinnern. Das lief alles sehr spontan ab, ich hatte sechs oder sieben Kilo weniger als er und habe auch verloren. Aber mir war das egal, ich habe dafür 300 Euro kassiert, das war mir einfach wichtiger. Zu dieser Zeit hat sich niemand großartig um irgendwelche Kampfrekorde geschert, wir sind einfach unserer Leidenschaft nachgegangen. Wir waren die alte Generation, die sich eben nicht jedes Mal einen Kopf darum gemacht hat, ob man bei Sherdog nun eine positive oder negative Statistik hat.

SPOX: Später führte Sie Ihr Weg für ein Trainingslager nach Las Vegas. Welche Erfahrungen haben Sie im Mekka des MMA-Sports gemacht?

Omer: Das war schon abenteuerlich. Mein Manager Tim Leidecker hat den Kontakt zu Shawn Tompkins hergestellt, einem Star-Trainer in der Szene, der mittlerweile leider verstorben ist. Keine zwei Tage später stand ich auf einmal am Flughafen in Las Vegas, ohne irgendeinen Ansprechpartner. Also habe ich die ersten beiden Nächte in einem Hostel verbracht, bevor ich dann ins Gym gegangen bin. Zum Glück war Shawn sehr hilfsbereit und hat mich bei sich aufgenommen, ich konnte in seinem Haus wohnen, zusammen mit anderen Fightern.

SPOX: Von der Glitzerwelt Las Vegas haben Sie also nicht allzu viel mitbekommen?

Omer: Nein, mein Vegas war keine Glitzerwelt. Wir waren auch kaum einmal auf dem Strip. Es war eigentlich ein ganz normales Alltagsleben mit sehr vielen Trainingseinheiten.

Seite 1: Omer über seine Rückschläge, brutale Schläger und Las Vegas

Seite 2: Omer über The Ultimate Fighter, seinen UFC-Vertrag und Saddam Hussein

SPOX: Mit etwas Glück hätten Sie Las Vegas besser kennenlernen können. Sie wurden zu einem Tryout für eine Staffel von The Ultimate Fighter eingeladen. Warum hat es nicht geklappt?

Omer: Fünf Monate vor dem Tryout hatte ich eine Nasen-OP. Das wussten die Verantwortlichen sogar, aber ich wurde trotzdem eingeladen und konnte sie von meinen Fähigkeiten überzeugen. Leider habe ich in den Wochen danach im Training immer mal wieder was auf die Nase bekommen, am Ende war sie einfach zu instabil. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als meine Teilnahme abzusagen. Im Nachhinein glaube ich aber, dass es gar nicht so schlecht war. Erstens bin ich kein großer Fan von solchen Reality-TV-Shows. Und zweitens war ich zu der Zeit wahrscheinlich auch noch nicht bereit für die UFC, das wäre nicht förderlich gewesen.

SPOX: Das änderte sich Anfang 2014, als die UFC Sie unter Vertrag nahm. Wie kam der Kontakt zustande?

Omer: Ich wusste davon nichts. Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern. Ich wollte streichen und bin deswegen in einen Baumarkt gefahren, um ein bisschen Farbe zu besorgen. Irgendwann klingelte mein Handy und mein Manager fragte mich, ob ich nicht Lust auf einen Kampf in Abu Dhabi hätte. Ich habe zugesagt - und erst danach hat er mir gesagt, dass der Fight Teil eines UFC-Events ist. Das war einer der krassesten Momente, die man haben kann. Das Streichen hatte sich natürlich erledigt, ich habe sofort ein paar Freunde angerufen und wir sind zusammen ins Gym.

UFC-Event in Berlin: Sobotta trifft auf Kennedy

SPOX: Wie laufen eigentlich Vertragsverhandlungen mit der UFC ab?

Omer: Das hört sich vielleicht komisch an, aber ich habe davon gar nichts mitbekommen. Das lief alles über meinen Manager. Ich habe meinen Vertrag nicht mal gelesen, sondern sofort meine Unterschrift daruntergesetzt. Das war wie ein Traum, der hoffentlich noch lange weitergeht. Mein Ziel ist es, ganz nach oben zu kommen.

SPOX: Mit Ihrem UFC-Deal ging eine lange Reise zu Ende. Nicht nur sportlich, sondern auch privat. Sie wurden im Norden Iraks geboren, einen Monat nach dem Ende des Ersten Golfkriegs. Zwei Jahre später mündete die schwierige Lage im Land im Zweiten Golfkrieg. Welche Erinnerungen haben Sie daran noch?

Omer: Ich war noch sehr jung und kann mich nicht mehr an alles erinnern. Aber natürlich vergisst man die Bomben und Schüsse nicht. Mein Vater stand auf der schwarzen Liste, nachdem er und seine Einheit desertiert waren. Irgendwann sind wir vor Saddam und seinen Truppen in die Berge geflüchtet.

SPOX: Wie ging es weiter?

Omer: Wir haben danach drei Jahre lang im Jemen gelebt, bis auch dort der Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Wieder Krieg, wieder Kampfflugzeuge, wieder Straßengefechte, bevor wir es dann nach Deutschland geschafft haben.

SPOX: Wie wurden Sie in Deutschland aufgenommen?

Omer: Wir haben erst mal in Flüchtlingslagern gelebt. Das war eine sehr schwierige Zeit. Wir konnten kein Deutsch und hatten kein Geld. Ich weiß noch, wie ich eingeschult wurde und eigentlich direkt in eine Förderklasse gesteckt wurde, weil ich mich mit niemandem unterhalten konnte.

SPOX: Mittlerweile leben Sie in Stuttgart. Sehen Sie Deutschland als Ihre Heimat an?

Omer: Für mich ist Heimat dort, wo ich lebe. Und das ist momentan Stuttgart. Aber ich fühle mich natürlich weiterhin als Kurde und bin stolz darauf. In Kurdistan blüht gerade alles auf, die Gesellschaft, die Wirtschaft. Nach Saddam haben wir die Kurve bekommen, das kann man nicht mehr mit der Zeit vor 20 Jahren vergleichen. Nach dem Kampf in Berlin werde ich auch sofort für ein paar Wochen dorthin fliegen. Darauf freue ich mich jetzt schon, hoffentlich mit einem Sieg im Gepäck.

Seite 1: Omer über seine Rückschläge, brutale Schläger und Las Vegas

Seite 2: Omer über The Ultimate Fighter, seinen UFC-Vertrag und Saddam Hussein

Alle UFC-Champions im Überblick