"Meine Frau ist das strenge Oberhaupt"

Jan Höfling
27. September 201508:52
Nick Hein (l.) bereitete sich im Tiger Muay Thai vorJeff Sainlar / Tiger Muay Thai
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In Japan steigt Nick Hein zum vierten Mal unter dem Banner der UFC in das Octagon. Vor dem Duell mit Yusuke Kasuya spricht der 31-Jährige über einen lang gehegten Traum, Essens-Verhandlungen mit seiner Frau, das Ego von Höchstleistungs-Wettkampfmaschinen sowie den Schlagabtausch zwischen Floyd Mayweather jr. und Ronda Rousey. Außerdem: Warum Legende Ulli Wegner falsch liegt.

SPOX: Nick, am Samstag geht für Sie ein Traum in Erfüllung. In der Saitama Super Arena treffen Sie auf Yusuke Kasuya. Was geht Ihnen vor dem Duell mit dem Japaner durch den Kopf?

Nick Hein: Um ehrlich zu sein, ich denke nicht allzu viel über Kasuya nach. Ich weiß natürlich, dass er sich gut vorbereitet hat, aber das gilt auch für mich. Es ist sein erster Kampf unter dem Banner der UFC und das auch noch vor heimischem Publikum, er wird also richtig heiß sein. Ich kenne dieses Gefühl aus Berlin. Es kann eine große Schlacht werden, spektakulär wird es auf jeden Fall.

SPOX: MMA hat im Land der aufgehenden Sonne einen sehr hohen Stellenwert. Was macht Japan für Kampfsportler so besonders?

Hein: Ich glaube, dass die japanische Kultur und der Respekt, den die Menschen voreinander haben, die Basis ist. Vorurteile gegen Kampfsportler gibt es hier nicht, stattdessen nur puren Respekt für die Leistung. Ich habe es in dieser Woche selbst erlebt. Ich wurde unter anderem im Hotel von Fans abgefangen, die mich kannten und nach Fotos gefragt haben. Eine solche Wertschätzung gibt einem ein gutes Gefühl. Ich hoffe, dass wir auch in Deutschland irgendwann an diesen Punkt gelangen.

SPOX: Empfinden Sie es als besonderes Privileg, in Japan antreten zu dürfen?

Hein: Es ist mehr als nur ein Privileg, für mich geht ein Lebenstraum in Erfüllung. MMA ist in Japan schon sehr lange eine riesen Sache. Seit ich auf dem Schirm habe, dass es hier eine solch einmalige Kämpfer- und Fanszene gibt, war es für mich ein Traum, hier antreten zu können - auch wenn dieser damals sehr weit entfernt war. Jetzt ein Teil davon sein zu dürfen, ist sehr schwer zu fassen. Ich versuche deshalb vor dem Kampf die Stimmung einfach nur zu genießen.

SPOX: Auch abseits des Octagons haben Sie eine besondere Beziehung zu Japan. Sie haben unter anderem Ihre Frau dort kennengelernt.

Hein: Durch meine Vergangenheit als Judoka hatte ich im Jahr 2005 einen längeren Aufenthalt von drei Monaten in Japan. Ein Trainingspartner und ich waren zu zweit unterwegs. Unter der Woche wurde hart trainiert, am Wochenende fuhren wir dann immer nach Tokio, weil wir natürlich auch etwas sehen wollten. Wir waren jung, da durfte das Nachtleben nicht fehlen. (lacht) In einem Club ist mir dann direkt eine junge Dame ins Auge gestochen. Da sie zu meinem Glück äußerst kommunikativ war und sehr gut Englisch konnte, kamen wir schnell ins Gespräch. Sie hat mich sofort fasziniert und mir dann tatsächlich auch ihre Nummer gegeben - und ich habe sie dummerweise verschlampt.

SPOX: Bei über neun Millionen Menschen, die in Tokio leben, ein eigentlich fatales Missgeschick.

Hein: Ich hatte damals ein japanisches Prepaid-Handy und absolut keine Ahnung, wie man das Ding richtig bedient. Nach einigen Fehlversuchen war die Nummer dann auf einmal leider weg. Aus Verzweiflung sind wir eine Woche später beide wieder zur exakt gleichen Zeit in eben jenen Club gegangen und haben uns glücklicherweise wiedergetroffen. An diesem Abend hatte ich mir ihre Nummer dann allerdings mindestens 15 bis 20 Mal auf Papier aufgeschrieben.

SPOX: Mit Erfolg, zwei Jahre später folgte die Hochzeit in Tokio. Inzwischen sprechen Sie sogar ein paar Fetzen Japanisch. Findet man Sie auch in Deutschland vorwiegend in Sushi-Bars wieder?

Hein: Ich bin in der Tat des Öfteren dort anzutreffen, ich liebe die japanische Küche. Aber ansonsten hat sich nicht viel geändert. Die kulturelle Verbindung gab es schließlich schon durch das Judo, das seinen Ursprung in Japan hat. Die Kultur hatte es mir ohnehin angetan. Ich bin aber keiner, der Mangas sammelt. (lacht)

SPOX: Bleiben wir beim Thema Küche. Vor dem Kampf gegen Kasuya dürfte das Thema Ernährung einen besonders hohen Stellenwert haben.

Hein: Ich habe in der Tat einen festen Plan, was und wann ich etwas esse. Auch die Menge ist exakt abgestimmt, was nicht immer leicht ist. Zum Buffet geht es beispielsweise mit einer selbst mitgebrachten Waage. Da werden dann etwa die Orangen- oder Grapefruitstücke abgewogen. Das alles läuft sehr strikt ab, es geht nicht anders. Auch meine Frau hat inzwischen den Dreh sehr gut raus und bleibt knallhart. Sie ist sozusagen das strenge Oberhaupt.

SPOX: Hunger schlägt bekanntlich auf die Laune. Entsteht nicht ein gesteigertes Konfliktpotential?

Hein: Manchmal versuche ich wirklich zu verhandeln, dass ich vielleicht auch eine Orange oder so mehr essen kann. Sie bleibt dann aber hart und sagt nein. Im Endeffekt bin ich froh, dass sie das so unnachgiebig durchzieht, weil ich sonst hier und da so meine Probleme hätte, den brutalen Weight-Cut komplett durchzuziehen.

SPOX: Vor Ihrer Reise nach Tokio haben Sie sich wieder im Tiger-Muay-Thai-Gym auf Phuket vorbereitet. Die dortigen Trainingsbedingungen haben Ihnen schon gegen Lukasz Sajewski weitergeholfen.

Hein: Ich kenne nichts Besseres. Ich treibe mein Leben lang schon Leistungssport, bin seit jungen Jahren hineingewachsen und habe weder als Judoka noch in puncto MMA irgendwo eine ähnliche Trainingsstätte gesehen, die vor allem in Sachen Personal und Möglichkeiten so gut ausgestattet ist. Oder um es mit den Worten von Herrn Geissen zu sagen: 'Das ist absolut Endstufe.' (lacht)

SPOX: In Deutschland mussten Sie am Tag noch mehrere Stationen abfahren.

Hein: Das war hart. Vor allem ging dabei eine Menge Energie verloren, von der Zeit ganz zu schweigen. In Thailand habe ich alles auf einem Fleck. Ich glaube, dass es wenig Orte gibt, die mit ähnlichen Bedingungen und einem solchen Umfeld aufwarten können. Die Tiger Road, also die Straße an der das Gym liegt, bietet beispielsweise alles. Seien es gesunde Restaurants, Saunen oder Spas. Dann sind da noch der Strand, die Sportplätze und vor allem unzählige Treppen.

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SPOX: Sie sprechen die Trainingsmöglichkeiten an. Gewähren Sie uns doch mal einen kleinen Einblick in ihre Vorbereitung.

Hein: Mein Training in Thailand ist sehr umfangreich und für jeden Kampf individuell angepasst. In diesem Trainingslager hatte ich etwa sehr viele private Einheiten. Nehmen wir einen Montag als Beispiel. Morgens stand Brazilian Ju-Jutsu auf dem Programm, hinzu kamen Fitnesseinheiten am Nachmittag und zum Abschluss des Tages die Arbeit an den Pratzen, bei denen Box- und Standtechniken im Vordergrund standen. Jeder Tag ist vollgepackt, variiert jedoch. Schließlich umfasst MMA eine große Bandbreite an Disziplinen, die es zu meistern gilt. Die Qualität der Trainer hilft zusätzlich. Andrew Wood, George Hickman, Brad Ridell, um nur drei zu nennen, sind allesamt Spezialisten auf ihrem Gebiet. Diese Leute um sich zu haben, ist Gold wert.

SPOX: An Härte scheint es nicht zu mangeln. Auf Ihrer Facebook-Seite sind einige Bilder mit einem blauen Auge zu sehen.

Hein: Durch das hohe Niveau der Trainingspartner ist jede Einheit sehr leistungsfördernd und gleichzeitig knüppelhart. In Deutschland konnte ich oft zum Training gehen und wusste, dass ich an diesem Tag schon irgendwie durchkommen werde. Hier sollte man die Hände auch im Sparring keine Sekunde senken.

SPOX: Steigt damit nicht auch das Verletzungsrisiko?

Hein: Natürlich versucht niemand den anderen absichtlich zu verletzen. Aber wenn man Höchstleistungs-Wettkampfmaschinen auf der Matte hat, dann geht es halt ordentlich zur Sache. Hinzu kommt, dass jeder im Tiger Muay Thai eine gesunde Portion Ego mitbringt. Man sollte also besser ausgeschlafen und konzentriert sein.

SPOX: Viele Sportler nutzen Musik um sich zu pushen. Gilt das für Sie auch als Ablenkung?

Hein: Ich stimme mich weder auf das Training noch auf meine Kämpfe mit Musik ein. Ich glaube nicht, dass ein Aufgeputscht-Sein in meinem Sport besonders hilfreich ist. Wenn ich aber mal Musik vor einem Wettkampf höre, dann versuche ich es eher mit etwas Beruhigendem. Ansonsten höre ich allerdings gerne Musik. Vor allem filmische Musik oder alte Rock-Songs aus den 70er sowie 80er Jahren gehören zu meinen Favoriten. Und dann singe ich auch ab und an mal beim Duschen oder im Auto laut meiner Mitmenschen viel zu laut mit. (lacht)

SPOX: Sie sagten unlängst, dass MMA "die reinste und ehrlichste Form der Auseinandersetzung" sei. Im SPOX-Interview hatte Trainerlegende Ulli Wegner eine andere Ansicht.

Hein: Herrn Wegner habe ich in Berlin persönlich getroffen und schätze ihn sehr. Er ist ein großartiger Trainer der alten Schule. Dennoch: MMA ist vergleichbar mit dem Zehnkampf der Leichtathletik, bei dem der "wahre König der Athleten" gesucht wird. Boxen ist ein Teil davon, entspricht beispielsweise dem 100-m-Sprint. Es gibt aber mehr, sei es das Kickboxen, BJJ oder Ringen. All diese Aspekte machen MMA meiner Meinung nach zur Königsdisziplin. Man muss eben alles können, nur mit einem Teil kann man nicht bestehen. Das ist eine Aufgabe, die nur sehr schwer zu bewältigen ist.

SPOX: Trotzdem hinkt Deutschland bei der öffentlichen Wahrnehmung europäischen Ländern wie England, Schweden oder Polen hinterher. Ist die Problematik hierzulande eine Frage der Generation?

Hein: Wenn die neue Generation in die Positionen kommt, MMA in Deutschland zu etablieren, dann wird sich die Stellung definitiv ändern. Auch in Deutschland hat der Anteil der Personen, die MMA selbst betreiben oder sich zumindest damit beschäftigen, im Vergleich zu den letzten zehn oder 20 Jahren deutlich zugenommen. Die Studierenden oder Auszubildenden, die heute in den Gyms trainieren, sind in ein paar Jahren die Personen, die in den Entscheidungspositionen sitzen werden. Sei es beim Fernsehen, anderen Medien oder auch der Politik. Ich bin überzeugt davon, dass es deshalb mehr oder weniger eine Zeitfrage ist und sehe der Entwicklung nicht nur in Sachen Aufmerksamkeit positiv entgegen.

SPOX: Aktuell dürfte Ronda Rousey für die meiste Aufmerksamkeit sorgen, der breiten Masse ein Begriff sein. Was macht das Phänomen der US-Amerikanerin aus?

Hein: Rousey hat eigentlich alles, um MMA salonfähig zu machen. Sie ist eine erfolgreiche Sportlerin und zudem die perfekte Person, um dem Macho-Image des Sports entgegenzuwirken. Der Umstand, dass sie eine Frau ist und die Dominanz, die sie an den Tag legt, machen ihre Vermarktbarkeit nahezu unbezahlbar. Zudem ist Rousey sehr intelligent, hat das gewisse Etwas und ist deshalb auch beispielsweise für die Filmbranche sehr interessant. In Filmen wie The Expendables macht sie eine gute Figur. Deshalb ist sie aktuell das Zugpferd der UFC. SPOX

SPOX: Durften Sie sich davon schon persönlich überzeugen?

Hein: Das leider nicht, ich habe aber mal ihren Ex-Freund auf die Matte befördert. (lacht) Er war wie Rousey damals Judoka und wir traten gegeneinander an. Sie war zu dieser Zeit noch keine große Nummer und ehrlich gesagt hat mich das ganze deshalb nicht sonderlich interessiert. Heutzutage ist es natürlich eine nette Anekdote.

SPOX: Floyd Mayweather jr. scheint kein großer Rousey-Fan zu sein. Sind seine Aussagen lediglich Show oder unterschätzt er seine Landsfrau auch ein bisschen?

Hein: Ich bin kein großer Mayweather-Fan, allerdings muss man seinen Leistungen großen Respekt zollen. Er weiß, wie er sich vermarkten muss. Sein Image ist gewollt. Das gilt auch für die Aussagen zu Rousey. Auf gleichem Niveau würde ein MMA-Kämpfer im Boxen wohl verlieren, ein Boxer würde im Octagon untergehen - ein Lucky Punch mal ausgenommen. Bei Rousey und Mayweather kommt natürlich die Geschlechterfrage dazu, weshalb es einen Vergleich niemals geben wird. Solche 'Freak-Kämpfe' gehören glücklicherweise der Vergangenheit an und würden dem MMA-Image heutzutage höchstens schaden.

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