"Man verwechselt uns mit bezahlten Hooligans"

Von Adrian Franke
31. August 201618:15
Nick Hein hat in Hamburg einen Sieg gefeiertgetty
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Noch im Mai musste Nick Hein seinen Kampf gegen Jon Tuck absagen, den Sergeant plagten große Probleme mit der Bandscheibe. Doch innerhalb kürzester Zeit wurde er entgegen der Prognosen wieder fit - jetzt trifft er am Samstag bei der UFC Fight Night in Hamburg auf Tae Hyun Bang (live auf DAZN). Mit SPOX sprach Hein über seine Rolle in der UFC, die knallharte Natur des Sports in jedem Aspekt, Conor McGregor und seinen Draht zur Polizei.

SPOX: Herr Hein, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es der Bandscheibe? Sie kamen ja doch deutlich schneller zurück, als zum Teil prognostiziert wurde.

Nick Hein: Ich muss mich da ausdrücklich beim Becker Plus Gesundheitszentrum bedanken. Ich wäre nicht jeden Tag eine Stunde dahin gefahren, wenn sie mir nicht das Gefühl gegeben hätten, dass ich es mit Profis zu tun habe. Sie haben es geschafft, dass meine Symptome innerhalb eines Monats komplett weg gegangen sind. Oder sagen wir, zu 95 Prozent weg sind: Ich konnte vorher den Arm nicht einmal richtig bewegen, jetzt merke ich hin und wieder mal ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen. Die Leute fragen immer, wie ich das gemacht habe und sagen, dass das unrealistisch sei - aber es geht eben doch.

SPOX: Also keinerlei Einschränkungen mehr, abgesehen vom Kribbeln in den Fingerspitzen?

Hein: Keine Einschränkungen, nein.

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SPOX: Im Mai allerdings mussten Sie den Kampf gegen Jon Tuck nach Ihrer Verletzung absagen. Sie sprachen damals davon, "am Boden zerstört" zu sein. Wie lief die Vorbereitung jetzt auf den Kampf in Hamburg ab?

Hein: Ganz normal, wie immer. Wir haben alles gegeben und viel trainiert. Ich habe allerdings den Trainingsort gewechselt und habe mich in Los Angeles vorbereitet. Ich werde jetzt auch vermehrt mit Antoni Hardonk trainieren, das ist mein neuer Head Coach. Er ist ein Name, der gekämpft und eine aktive Karriere hinter sich hat. Deshalb hat er auch die Zeit und die Muße, um sich einem Projekt wie einem Kämpfer zu widmen.

SPOX: Schauen wir mal auf Deutschland: In der Heimat haben Sie ja eine ganz gute Bilanz, Ihre beiden Kämpfe hier haben Sie gewonnen. Sehen Sie sich inzwischen auch als das Gesicht der Events in Deutschland? Ist das eine Rolle, die Sie anstreben?

Hein: Natürlich, ja. Ich mache das sehr gerne, ich kämpfe sehr gerne auf heimischem Boden, weil du einfach entspannter kämpfst. Dann hast du auch den Vorteil der Fans im Rücken - da bin ich schon sehr neugierig auf das Wochenende. Wenn man diesen Rückhalt spürt, das kann einem wirklich nochmal einen richtigen Schub geben. 5000 Leute, die hinter einem stehen, die können einen schon motivieren.

SPOX: Wobei die Begeisterung in Deutschland generell noch ein wenig im Kommen ist ...

Hein: ... das würde ich zwiegespalten sehen. Die Tatsache, dass wir ein Event schon mehrere Wochen im Voraus ausverkauft haben, spricht für sich. Die Begeisterung hält sich bei denen zurück, die sich nicht mit dem Sport auskennen. Es gibt wenige Leute, die den Sport kennen und ihn scheiße finden. Es ist einfach noch Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir sind ja froh, dass sich die Medien dem Thema auch mit uns annehmen - SPOX ist da auch ganz, ganz wichtig. Mit Euch rede ich deshalb auch gerne, weil ich weiß, dass ihr euch mit dem Sport auseinandersetzt, anstatt einfach eine reißerische Überschrift zu wollen.

SPOX: Wo sehen Sie denn noch den größten Bedarf an Aufklärungsarbeit?

Hein: Es geht darum, den Sport und vor allem die Menschen, die dahinter stehen, zu repräsentieren. In allererster Linie sind wir alle Sportler, die hart trainieren und die ein weitaus disziplinierteres Leben als manch andere vermeintliche Profis führen müssen, weil die körperliche Belastung uns so viel abverlangt. Aber wir sind auch Menschen. Wir sind eben nicht diese Kampfmaschinen, die skrupellos sind, die keine Angst haben und die sich einfach schlagen wollen. Ich bin ein Mensch, wie du und jeder andere auch. Ich habe meine Ängste, ich habe meine Zweifel. Ich liebe gewisse Sachen, ich kann eigene Emotionen empfinden. Wir sind normale Menschen, die sich entschieden haben, Kampfsport zu machen. Man verwechselt uns aber mit Hooligans, die dafür bezahlt werden. Und das ist eben das, was wir nicht sind. Wir sind keine Hooligans. Wir sind Athleten und das muss sich meiner Meinung nach in den Köpfen festsetzen. Im Boxen hat sich diese Einstellung etabliert, das ist inzwischen ja auch olympisch. Ich denke allerdings, mit dem MMA und Olympia wird es noch eine Weile dauern, weil es eben viele Leute gibt, die sich mit dem Thema nicht beschäftigen wollen. Aber das ist eben so.

SPOX: Gerade die körperlichen Belastungen sind ja immens. Wie groß ist das Risiko, das man mit seinem eigenen Körper eingeht, um sich alleine für einen Kampf fit zu machen?

Hein: Ich kann natürlich nur von mir selbst sprechen, aber im Vergleich zur Judo-Nationalmannschaft ist es schon ein extremer Schritt. Was ich damals gemacht habe, ist nicht annähernd zu vergleichen, mit dem was ich jetzt mache. Das gilt für die Intensität, das gilt aber auch dafür, wie das alles durchdacht ist. Ich hatte beispielsweise früher überhaupt keine Ahnung von Diät. Ich bin jetzt als Profi auf einem ganz anderen Niveau, als ich es jemals im Judo in der Nationalmannschaft war. Dazu kommt, dass ich jetzt Profi-Sportler bin. Das heißt, ich mache das wirklich jeden Tag, von morgens bis abends.

SPOX: Ein Vollzeit-Job.

Hein: Man kann es sich, glaube ich, nur schwer vorstellen, wenn man von außen drauf schaut. Ich trainiere in der Vorbereitung drei Mal am Tag und im Sparring geht es schon intensiv zur Sache. Freitags beispielsweise war es so, dass wir Sparring mit zusätzlicher Belastung und wechselnden Gegnern gemacht haben. Das ist eine unglaubliche physische Belastung. Dann hatte ich später teilweise noch Technik-Training, dabei geht es um die speziellen Situationen in den verschiedenen Positionen, die ja beim MMA teilweise unglaublich komplex sind. Abends gab es anschließend noch eine Konditionseinheit. Und vor allem ist das alles strukturiert: Wenn ich überlege, was ich mir früher in meiner Jugendzeit teilweise an Essen reingepfiffen habe - und wie diszipliniert und hochprofessionell das läuft! Natürlich ist das meine Perspektive, die nicht jeder sehen kann, auch viele andere Sportler nicht, die das nicht selbst erlebt haben. Aber das kreide ich auch niemandem an.

SPOX: Gerade aber wenn man das weiß und sich bewusst macht, wie viel Opfer dieser Sport fordert und wie sehr man sich dafür hingeben muss, stelle ich mir vor, dass es jemanden wie Sie umso mehr ärgert, wenn wieder Doping-Vergehen in Ihrem Sport publik werden.

Hein: Ganz ehrlich: Das ist mir scheißegal. Ich sorge dafür, dass ich dopingfrei bin und das ist das Einzige, was mich interessiert.

SPOX: Anderes Thema: Sie sind ja niemand, der vor den Kämpfen die Mega-Show abzieht oder große Reden schwingt. Haben Sie das Gefühl, dass auf der ganz großen Bühne die Show immer wichtiger wird und der Sport in der Folge in den Hintergrund rückt?

Hein: Hm - nicht unbedingt, weil man sich eben bewusst machen muss, dass man so Tickets verkauft. So ist es eben. Alle haben die Pressekonferenz von McGregor gesehen, wo die Flaschen geflogen sind und alle Leute wollten den Kampf sehen. Oder anderes Beispiel: Jeder hat die Promotion von CM Punk gesehen und alle sagen, dass er nicht in der UFC kämpfen sollte. Trotzdem werden sich all diese Leute den Kampf anschauen, weil sie das eben sehen wollen. Man muss das System verstehen.

SPOX: Wie sehen Sie sich darin?

Hein: Ich glaube, dass meine Rolle eine andere ist. Ich bin nicht derjenige, der die Leute polarisieren soll. Das ist nicht irgendwie abgesprochen, aber ich sehe das selbst: Ich bin nicht derjenige, der schockieren und an die Fernseher bannen soll. Man braucht eben auch in Deutschland gerade das, was ich vorhin gesagt habe: die Menschen! Deshalb gefällt es mir, dass ich authentisch sein kann. Ich muss mich nicht geben wie McGregor. Persönlich glaube ich auch gar nicht, dass der McGregor selbst so ist und viele bestätigen das auch. Das ist eigentlich ein ganz feiner Kerl, aber es ist eben eine Rolle, die er gut verkauft und die natürlich auch Verkaufszahlen in die Höhe schnellen lässt. Stellen wir uns doch mal vor, ich würde jetzt vorher sagen: "Ich reiße ihm das Herz raus und werde ihn fressen wie ein Tiger eine Gazelle." Das würde am nächsten Tag in der Zeitung stehen und damit wäre MMA in Deutschland für die nächsten zehn Jahre aber auch wieder ins Abseits gestellt.

SPOX: Gerade was das Sportliche angeht.

Hein: Ganz genau.

SPOX: In Hamburg geht es für Sie jetzt gegen Tae Hyun Bang, einen sehr offensiven Boxer mit großer Reichweite. Können Sie schon irgendetwas zu Ihrer Taktik verraten?

Hein: Also was ich sagen kann: Wir haben uns sehr intensiv auf Schwächen, die er in seinen letzten Kämpfen gezeigt hat, vorbereitet. Ich habe mir seine Videos mehrmals angeschaut - er mag zwar längere Arme haben, aber er muss sie eben auch nutzen. Und wir werden sehen, wie er das am Samstag hinbekommt.

SPOX: Angenommen Ihre Taktik geht auf: Wie groß ist Ihre Hoffnung, mit einem Sieg auf sich aufmerksam zu machen und vielleicht auch das Ranking anzugreifen?

Hein: Klar, das ist natürlich präsent. Aber am wichtigsten ist mir persönlich, dass ich einen Ort gefunden habe, an dem ich mich entwickeln kann. Vorher haben die Leute immer gefragt: "Willst du nach deinem Kampf einen Top-15-Gegner?" Aber ehrlich gesagt, habe ich mich noch gar nicht so weit gefühlt, deswegen habe ich die Antwort auf diese Frage immer vermieden. Mein Ziel ist es, mich so zu entwickeln, dass ich im Ranking auch weiter vorne mitmischen kann. Ich will nicht einfach gegen einen Top-15-Gegner antreten und auf die Fresse kriegen. Ich will so gut sein, dass ich zu Recht in der Top-15 mitspielen kann. Da ist mein Augenmerk drauf. Deswegen bin ich jetzt froh, dass ich an einer Stelle bin, wo ich mich weiter entwickeln kann. Und ich bin sicher, dass ich jetzt die Leistung über die Zeit bringen werde, um in die Top-15 zu kommen. So kann ich die Frage, denke ich, am besten beantworten.

SPOX: Zum Abschluss eine Frage abseits des Sports: Sie haben mit einem ausführlichen Facebook-Post, in dem Sie die Kölner Polizei - immerhin ihre direkten ehemaligen Kollegen - verteidigt und die Sparpolitik rund um die Polizei generell kritisiert haben, rund um die Ereignisse in der Silvester-Nacht in Köln für Aufsehen gesorgt. Hatten Sie dieses enorme Feedback, das Sie dazu bekommen haben, irgendwie kommen gesehen?

Hein: Also wer das kommen sieht, der ist ein Marketing-Genie! Wenn ich wüsste, wie Social Media funktioniert, würde ich noch mehr solche Dinger bringen. (lacht) Nein, natürlich habe ich mich darüber gefreut, aber es war nicht meine Intention, damit so ein Medien-Echo zu erzeugen. Es hat mir einige Türen geöffnet, unter anderem wird im Dezember mein Buch zum Thema "Polizei am Limit" raus kommen und das wird sicherlich für weiteren Gesprächsstoff sorgen. Denn der Facebook-Post war ehrlich gesagt nur der Anfang.

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