Im vergangenen Jahr haben Sie mit Polen den WM-Titel geholt. Im Finale mit einem irren 3:0 gegen Brasilien. Wie blicken Sie mit etwas Abstand auf dieses Highlight?
Heynen: Ich hätte niemals davon geträumt, eines Tages Weltmeister zu werden. Ich bin doch nur der dumme Belgier. Belgien ist kein großes Land im Volleyball. Ich habe selbst niemals im Ausland gespielt, ich hatte nicht die großen Kontakte. Einmal im Ausland als Trainer zu arbeiten und vielleicht mal bei den Olympischen Spielen dabei zu sein - das war schon viel für mich. Ich habe Monate gebraucht, bis ich verstanden habe, was wir da geschafft haben. Ich habe bei Wikipedia nachgeschaut, welche Trainer im Volleyball die WM gewonnen haben. Da gibt es nur noch drei oder vier, die am Leben sind. Und da steht jetzt mein Name in einer Liste mit Leuten, für die ich so viel Respekt habe. Ich kriege jetzt schon wieder Gänsehaut, wenn ich darüber spreche. Es ist unglaublich. Selbst wenn ich nie mehr ein Spiel gewinnen sollte in meiner Karriere, habe ich mehr erreicht, als ich je erwarten konnte.
Und jetzt haben Sie das große Ziel Olympia-Gold 2020.
Heynen: Es kommt in der Geschichte nicht oft vor, dass eine Nation gleichzeitig Weltmeister und Olympiasieger war. Die Polen haben es in den 70ern mal geschafft, die USA in den 80ern, das war's. Jetzt haben wir diese riesige Möglichkeit. Nach WM-Bronze mit der deutschen Nationalmannschaft habe ich den Jungs gesagt: Ich will mehr. Aber die Spieler haben es nicht verstanden. In Polen ist das anders. Polen ist ein Volleyball-Land. Im Moment stehe ich mit den Spielern per Telefon in Kontakt. Wenn ich mit meinem wichtigsten Spieler Michal Kubiak spreche, läuft das immer so ab: 'Blabla, blabla, wir haben eine gemeinsame Sache. Was ist unsere gemeinsame Sache? Wir holen Gold. Wir holen Gold. Tschüss.' So sprechen wir miteinander. Ich hatte noch nie Angst, mir hohe Ziele zu setzen. Du kannst am Ende natürlich mit Silber zufrieden sein mit etwas Abstand, aber das Ziel muss immer Gold sein.
Heynen: "Dann ist es immer ein Pole"
Und das war mit Deutschland nicht mehr so möglich?
Heynen: Als ich 2014 gesagt habe, wir holen eine Medaille, haben mich alle für verrückt erklärt. Wir holen selbst bei einer EM keine Medaille, wie soll das bei einer WM möglich sein. Das schaffen wir niemals. Das habe ich gehört. Aber eine Woche vor WM-Start saßen Lukas Kampa und Jochen Schöps auf der Pressekonferenz und haben von einer Medaille gesprochen. Und jeder merkte, dass es glaubwürdig war und sie wirklich davon überzeugt waren. Da ist es mir gelungen, diesen Glauben in die Mannschaft hineinzutragen. Wir waren die beste Mannschaft bei der WM, ich wollte danach Gold angreifen, aber dieser Glaube hat nach der WM gefehlt.
Wie sehen Sie die Stärke des deutschen Volleyballs im Moment?
Heynen: Gut. Sehr gut sogar. Volleyball ist eine kleine Sportart in Deutschland, aber ihr Deutschen habt das gut gemacht mit eurer Akribie. Es wurde ein Masterplan entwickelt, den Vereinen wurde Druck gemacht - und die Liga hat sich dadurch sehr gut entwickelt. Vor zehn Jahren war die deutsche Liga für Spieler nicht gerade attraktiv, das hat sich verändert. Die Liga ist nicht die beste in Europa, aber vielleicht auf Rang drei, vier oder fünf einzuordnen. Der deutsche Volleyball steht gut da. Es könnte natürlich immer besser sein, aber ihr seid und bleibt ein Fußballland, das ist nun mal kulturell so. Wenn ich in Friedrichshafen auf der Straße angehalten und um ein Foto gebeten werde, ist es immer ein Pole. Die kennen mich alle. (lacht) Volleyball ist dort die Nummer eins, nicht die Nummer sechs. Das WM-Finale haben in Polen 17 Millionen Menschen gesehen. 17 von insgesamt 38 Millionen - das ist eine unglaubliche Zahl. Deshalb ist ein Leben in Polen aber auch gar nicht so einfach und ich bin auch immer froh, wenn ich dann wieder in Friedrichshafen bin.
Heynen: "Für einen Chaoten ist das kein Problem"
Lange sind Sie nicht mehr am Bodensee. Nach der Saison ist Schluss. Wie wichtig wäre zum Abschluss der Gewinn der Meisterschaft, den es seit 2015 nicht mehr gegeben hat?
Heynen: Als ich nach Friedrichshafen gekommen bin, hatte der Verein Angst, gar nichts mehr zu gewinnen. Dass es komplett nach unten geht. Das ist nicht passiert. Wir haben dreimal den Pokal gewonnen in den vergangenen drei Jahren. Den Auftrag, jedes Jahr etwas zu gewinnen, habe ich erfüllt. Natürlich wünscht sich jeder den Meistertitel, aber da hatten wir in der vergangenen Saison die beste Möglichkeit, als wir die Liga dominiert haben. Jetzt hatten wir vor dem Playoff-Start sechs Kandidaten auf die Meisterschaft, so ausgeglichen war es sehr lange nicht mehr. Ich würde kein Geld setzen, wer es am Ende macht. Das Wichtigste ist mir, dass ich den Verein in einem sehr guten Zustand verlasse. Es sieht alles sehr gut aus für die Zukunft in Friedrichshafen.
Im Juni werden Sie 50 Jahre alt.
Heynen: Ich wurde vor Kurzem darauf angesprochen, vorher hatte ich das gar nicht auf dem Schirm. Ich werde einen Tag vorher dran denken und dann irgendwas ausmachen. Wenn ich zurückschaue, war mein 40. Geburtstag ein interessanter Moment in meinem Leben. Damals überlegte ich, wie es mit meinem Leben weitergehen soll? Gehe ich arbeiten? Ich hatte ein Wirtschaftsingenieur-Studium absolviert. Will ich ganz auf die Karte Trainer setzen? Was will ich? Dann habe ich aufgeschrieben, dass ich der beste Trainer der Welt werden will. Wie wir vorhin besprochen haben, hatte ich noch nie Angst vor großen Zielen, auch wenn jeder, der das damals gelesen hätte, gedacht hätte, ich sei verrückt.
Und was machen Sie in fünf Jahren?
Heynen: Es würde mich sehr überraschen, wenn ich in fünf Jahren noch als Trainer im Männerbereich arbeiten würde. Vor fünf Jahren war ich der verrückte Belgier, der keine Ergebnisse liefert. Es kann so viel passieren. Nach Olympia 2020 brauche ich eine neue Herausforderung. Die Frauen-Mannschaften in Deutschland wissen, dass mich eine Aufgabe im Frauen-Bereich reizen könnte. Das würde mich gerade vom sozialen Aspekt her interessieren. Man sagt ja, dass es schwieriger ist, eine Frauen-Mannschaft zu führen. Das würde ich gerne herausfinden. Frauen-Trainer? Vielleicht aber auch eine Aufgabe im Fußball oder Tennis, ich weiß es nicht. Wenn mir jemand sagt, das schaffst du nicht, dann ist es die richtige Aufgabe für mich. Ich habe die gute Situation, dass ich nicht irgendwo Trainer sein muss, um meine Brötchen zu verdienen. Es muss mir Spaß machen. Ich muss dafür brennen. Ich hätte in Belgien damals einen Zehnjahresvertrag unterschreiben können, aber das wollte ich nicht. Mit der Folge, dass ich jetzt eben nicht weiß, was nach Tokio sein wird. Es ist alles offen. Aber für einen Chaoten ist das kein Problem.