"Viele Ehen sind gescheitert"

Jonas Schützeneder
30. Dezember 201412:35
Jochen Behle beendete 1998 seine aktive Karriere im Langlaufimago
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Trotz aller Dominanz der Norweger darf sich Jochen Behle getrost als Langlauf-Legende bezeichnen. Im Interview mit SPOX blickt der 54-Jährige zurück auf seine Anfänge im Weltcup, kleine Preisgelder und die zahlreichen Erfolge als Bundestrainer.

SPOX: Herr Behle, die Frage von TV-Kommentator Bruno Moravetz hat Sie berühmt gemacht. Wo ist denn Jochen Behle gerade?

Jochen Behle: Ja, die Frage höre ich öfter. Gerade bin ich im Büro, hier bin ich jetzt deutlich häufiger als früher.

SPOX: Und wie finden Sie den Westernhagen-Song "Wo ist Behle?"

Behle: Ich habe den Sinn dahinter noch nicht ganz verstanden. Aber natürlich ist es eine Ehre, von so einem Künstler erwähnt zu werden.

SPOX: Mittlerweile kommentieren Sie bei "Eurosport" die Langlauf-Events. Sind Sie froh, dass es im Gegensatz zu Ihrer aktiven Zeit überall Kameras und Zwischenstände gibt? Sie müssen nicht nach Athleten suchen...

Behle: Natürlich ist es einfacher und die Regie hilft sehr weiter. Mir macht die Arbeit wirklich Spaß und rund um die Events trifft man jede Menge Bekannte.

SPOX: Zu Ihrer Zeit lief man im Langlauf klassisch und es gab so gut wie keine Massenstarts. Was hat für Sie den Reiz ausgemacht?

Behle: Natürlich hat man mit den Massenstarts und Sprints ein neues Niveau erreicht. Das ist auch im TV besser zu vermarkten. Ich bin damals über meinen Vater zum Langlauf gekommen und bin ein Leben lang dabei geblieben. Ich habe auch Fußball gespielt, aber Langlauf war immer mein Sport und nach den ersten Erfolgen bin ich weiter dran geblieben.

SPOX: Und das Material? Man hat den Eindruck, dass die Topteams heutzutage mehr Wachs testen und als zu trainieren.

Behle: Es ist wirklich überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Bindung, Schuhe und Ski sind komplett anders. Insgesamt ist es auch sicherer geworden. Heute kann man wesentlich steilere Abfahrten fahren. Und natürlich sind die Service-Teams viel größer und wichtiger geworden. Früher haben wir selbst viel getüftelt und probiert, wir waren da noch stärker eingebunden in die Arbeiten rund um das Rennen.

SPOX: Bis heute ist das Wachsen der entscheidende Vorteil und kann jederzeit ein Rennen kaputtmachen. Ihr schlimmster Fehlgriff?

Behle: Es war ausgerechnet bei Olympia. Die Bedingungen waren schwer und ich habe einfach nicht das passende Wachs gefunden. Dann bin ich mit einem ganz normal Schuppenski von Fischer gelaufen. Ich hatte natürlich überhaupt keine Chance und bin weit hinten gelandet.

SPOX: Wie heute waren damals die Norweger das Maß aller Dinge. War das nicht frustrierend?

Behle: Norwegen war uns allen in Sachen Know-How, Technik und Finanzen weit voraus, das hat man gemerkt. Als Scherz haben wir immer gesagt, dass wir bei den Weltcups nur den besten Mitteleuropäer herausfinden wollen, vorne liefen ja immer die Norweger. Trotzdem haben wir uns abseits der Piste super verstanden und abends auch mal ein Bierchen zusammen getrunken. Nach der Saison sind wir zum Beispiel oft noch einige Wochen geblieben. Das sind wunderbare Erinnerungen.

SPOX: Und das Training? Haben Sie als Bundestrainer anders trainieren lassen?

Behle: Ja natürlich. Heute ist der Sport sehr wissenschaftlich geprägt. Mit den Daten hat man ganz andere Möglichkeiten. Das hilft den Athleten schon enorm. Ich sage es ganz ehrlich: Unabhängig vom Material waren Angerer, Teichmann und Sommerfeldt auf jeden Fall ein Stück besser als ich damals. Aber das ist ja in jeder Sportart so.

SPOX: Heute hat es der Langlauf schwer, Nachwuchs zu bekommen. Das liegt nicht nur am Klimawandel, oder?

Behle: Nein, und es ist deutlich zu sehen: Alle Ausdauersportarten, sei es im Wintersport oder in der Leichtathletik, haben Nachwuchsprobleme. Gerade diese Sportarten sind mit viel Fleiß und Mühe verbunden. Heute kennen die Kinder jedes PC-Spiel und alle Serien. Aber draußen Sport treiben machen immer weniger, das macht mir schon Sorgen.

SPOX: Und Geld?

Behle: Im Gegensatz zu Norwegen ist der Wintersport in Deutschland nur eine Randsportart. Fußball dominiert ganz klar, auch bei den Sponsoren. Das wirkt sich natürlich auch auf die finanziellen Möglichkeiten aus. Immerhin: Die Topstars, wie wir sie vor einigen Jahren hatten, haben mit Sponsoren ganz gut verdient. Aber eben nur die absoluten Topleute. Und ihr Gehalt war dann auf Höhe eines Drittliga-Spielers beim Fußball. Olympiasieger und Drittligisten, das passt eben nicht zusammen.

SPOX: Was hat man zu Ihrer Zeit eigentlich verdient?

Behle: Nicht so viel wie heute. Ein Weltcupsieg hat 15.000 Mark gebracht. Ich habe genau einen gewonnen. Natürlich hatte man Sponsoren um sich herum und auch den Verband. Dafür war der Sport damals auch längst nicht so teuer wie heute. Eine Tube Wachs hat zwei Mark gekostet. Heute verkaufen sie 30 Gramm für 100 Euro.

Seite 1: Behle über einen Westernhagen-Song, Wachs und ein Bier mit den Norwegern

Seite 2: Behle über die goldenen Jahre, seinen Rücktritt und Evi Sachenbacher-Stehle

SPOX: Sie waren als Bundestrainer maßgeblich an den Erfolgen von Angerer und Co. beteiligt. Wie haben Sie die Dominanz der Norweger gebrochen?

Behle: Da kommen viele Faktoren zusammen. Wir haben ein Fenster getroffen, in dem die Norweger etwas geschwächelt haben. Dann hatten wir mit den schon genannten Läufern und auch bei den Damen absolute Top-Talente, die hast du eben nicht jedes Jahr. Dazu kam dann dieser besondere Team-Spirit. So hat sich das entwickelt.

SPOX: Als Bundestrainer haben Sie gerne mal den Psycho-Krieg gegen die deutschsprachigen Norweger eröffnet: Sie brüllten zum Beispiel: Björgen lässt schon nach!

Behle: Ja, das gehört doch dazu. Wichtig ist, dass es fair bleibt. Und die Ansprachen am Hang sind sehr wichtig. Ich habe immer versucht, frühzeitig die Gesichter zu lesen. Und natürlich braucht jeder Sportler eine andere Ansprache. Angerer konnte man zum Beispiel sehr direkt motivieren, Teichmann hat es erst einmal aufgenommen und verarbeitet, dann reagiert. Auch als Kommentator warte ich immer mit Vorfreude auf die Großaufnahmen, die Gesichter verraten sehr viel.

SPOX: Und Ihre wichtigste Ansprache? SPOX

Behle: Schwer zu sagen. Vielleicht rund um die Damen-Staffel 2002 in Salt Lake City. Am Vorabend habe ich das Team noch darauf eingeschworen, dass wir Bronze holen können, wenn alles passt. Dann wurden die Russen plötzlich wegen Doping ausgeschlossen, die Italiener hatten sich ordentlich verwachst und wir liefen mit Norwegen um Gold. Das war wirklich unglaublich und sehr emotional. Und es war ein Stück weit auch der Startschuss für sehr erfolgreiche Jahre.

SPOX: Nach zehn Jahren und riesigen Erfolgen sind Sie 2012 zurückgetreten. Haben Sie ein sinkendes Schiff verlassen?

Behle: Nein, ich hätte gerne bis Sotschi weitergemacht. Ich habe immer gesagt, solange ich etwas bewegen kann, bin ich gerne Bundestrainer. Zuletzt hatte ich aber nicht mehr den Eindruck, etwas bewegen zu können.

SPOX: Inwiefern?

Behle: Die Jungs um Angerer und Teichmann waren nach den großen Erfolgen satt. Das hat man schon vor der Saison gesehen und ich wollte dafür dann nicht gerade stehen. Die Jungs hatten auch Familien, haben vermehrt auch selbst trainiert. Dabei wäre es wichtig gewesen, dass sie auch den jungen Talenten unter die Arme greifen. Beide hätten ein besseres Karriereende verdient gehabt. Das Ganze war rein sportlich, wir verstehen uns nach wie vor gut und telefonieren auch häufig.

SPOX: Sie sind ein Freund klarer Worte und haben als einer der wenigen auch Evi Sachenbacher-Stehle in Schutz genommen. SPOX

Behle: Ja, das war mir sehr wichtig. Natürlich hat Evi fahrlässig gehandelt. Trotzdem: Ob jemand bewusst mit EPO dopt oder einmal nicht genau genug bei der Ernährung aufpasst, ist für mich schon was anderes. Trotzdem hat man von Beginn an nur "Dopingsünderin Sachenbacher-Stehle" gelesen. Das hat mich schon sehr gestört. Ihr Name wird damit immer in Verbindung gebracht werden, trotz zahlreicher Erfolge. Ihr Karriereende hat mich deshalb nicht überrascht, ich hätte ihr auch dazu geraten.

SPOX: Sie haben jetzt mehr Zeit als früher, wie nutzen Sie die?

Behle: Als Profi und Bundestrainer ist natürlich viel Zeit für den Sport draufgegangen. Wenn du erfolgreich sein willst, geht es aber nicht anders. Mit den vielen Reisen bleibt natürlich wenig Zeit für die Familie. Es ist auch kein Wunder, dass in dieser Branche viele Ehen gescheitert sind. Aktuell kümmere ich mich um meine Stiftung für Kinder und Jugendliche, am Wochenende bin ich für "Eurosport" als Kommentator dabei. Ich genieße meine Freizeit jetzt total und unternehme viel. Rückblickend ist da natürlich vieles zu kurz gekommen.

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