"Peiffer? Ein Kerl wie ein Baum"

Michael Graßl
03. März 201611:49
Erik Lesser (l.) und Benedikt Doll sind heiß auf die Biathlon-WM in Oslogetty
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Die WM in Oslo steht vor der Tür (Do., 15.30 Uhr im LIVETICKER). Die Zimmerkollegen Erik Lesser und Benedikt Doll sprechen über die deutschen Medaillenchancen am Holmenkollen. Zudem äußert sich das Duo zu geheimen Partys im Hardrock-Cafe, Darts-Sessions unter Kollegen, Ole Einar Björndalens Geheimnis, den Schockmoment um Arnd Peiffer und eine Fahrlässigkeit des Verbandes.

SPOX: Herr Lesser, Herr Doll, für Sie beide ist die Weltmeisterschaft in Oslo nicht das erste gemeinsame Großereignis - dennoch gibt es auch für Sie eine Premiere. Sie teilen sich erstmals ein Zimmer...

Erik Lesser: Ja, das stimmt. Das war eigentlich gar nicht geplant, hat sich dann aber spontan so ergeben.

Benedikt Doll: Normalerweise bin ich immer mit Daniel Böhm auf dem Zimmer. Aber in unserer Mannschaft versteht sich jeder mit jedem. Deshalb war das nur eine kurze Frage der Umgewöhnung.

SPOX: Mal abgesehen davon, dass Sie sich an Ihren neuen Zimmerkollegen gewöhnen mussten, wie lief Ihr Alltag in den letzten WM-Vorbereitungstagen ab?

Lesser: Zentraler Fixpunkt war eine große Besprechung am Sonntag mit den Trainern, bei denen wir über unsere Einsätze aufgeklärt wurden. Daran hat sich bei allen das individuelle Trainingspensum orientiert. Am Montag sind wir schließlich nach Oslo geflogen.

Doll: Vor dem Abflug hatten wir zudem noch einen kleinen Testwettkampf. Ansonsten stand hauptsächlich Regeneration vor der großen Eröffnung auf dem Programm.

SPOX: Im Gegensatz zu den letzten Jahren haben Sie sich diesmal in Ruhpolding den letzten Schliff für die WM geholt. Inwiefern hat sich die WM-Vorbereitung dadurch geändert?

Lesser: Es ist wichtig, ab und zu neue Reize zu setzen und frischen Wind reinzubringen. Die Vorbereitung fängt ja allgemein viel früher an. Wir haben einen Trainingsplan, der von Trainern, Wissenschaftlern und Sportlern gestaltet wird. Es gibt bestimmte Kennzahlen, wie viele Stunden und Kilometer abzuspulen sind. Das variiert im Detail von Sportler zu Sportler. Der Rahmen der Trainingspläne ist bei uns in der deutschen Mannschaft aber sehr ähnlich.

SPOX: Schafft man es so kurz vor Beginn eines solchen Großereignisses überhaupt noch abzuschalten? Oder ist man buchstäblich Tag und Nacht nur noch auf die WM fokussiert?

Lesser: Also am meisten an die WM erinnert wird man immer dann, wenn man in einem Interview eine Frage dazu gestellt bekommt. (lacht) Ansonsten kommt das erst direkt vor den Wettkämpfen.

Doll: Da muss ich Erik zustimmen. Die richtige Anspannung kommt meist erst, wenn der Startschuss in den einzelnen Rennen fällt. Unter dem Strich ist ein WM-Rennen gar nicht so anders wie ein Weltcup-Rennen. Vollgas geben musst du immer. Nur dass man bei der Weltmeisterschaft eine Medaille umgehängt bekommt.

SPOX: Dieselbe Bedeutung wie ein Weltcup-Rennen dürfte diese WM aber nicht haben. Mit dem Holmenkollen findet diese zusätzlich an einem Wintersportort mit langer Tradition statt. Blenden Sie das als Athlet komplett aus?

Doll: Für uns Biathleten hat der Holmenkollen nicht so die große Bedeutung wie zum Beispiel für die Langläufer. Klar hast du die Geschichte im Hinterkopf, aber es ist ein Biathlon-Stadion wie jedes andere auch. Besonders ist allerdings der Blick hinab auf Oslo. Vor allem abends.

SPOX: Oslo ist ein gutes Stichwort. Viel Zeit wird zwischen den Wettkämpfen zwar nicht bleiben, aber ist eine gemeinsame Tour in die Stadt geplant?

Lesser: Bisher nicht. Viele reine Ruhetage bleiben sowieso nicht und die Strecke hinunter nach Downtown ist doch ein Stück. Abends geht es ins Hardrock-Cafe, wenn es eine Athleten-interne Party gibt - das kann man mal machen. Mehr wird aber nicht laufen.

Doll: An diesen Ruhetagen sollte auch tatsächlich die Regeneration im Vordergrund stehen. Wir gehen klassisch laufen und nutzen die berühmte 50 Kilometer Langlaufstrecke. Dort kommt der besondere Reiz des Holmenkollen viel mehr zur Geltung.

SPOX: Heißt das folglich, dass Sie mehr einzeln unterwegs sind als im Team?

Lesser: Das kommt ganz auf den Typen an. Wir verabreden uns gerne auf einen gemeinsamen Kaffee und haben wieder unsere Dartscheibe dabei, mit der wir uns ein paar Matches liefern. Ich persönlich bin ein Typ, der nach zwei Wochen Zeit für sich braucht. Die Jungs sind in dieser Hinsicht sehr flexibel - man kann alles zusammen machen, sich aber auch einfach mal rausnehmen. Wir haben eine gute Mischung beisammen. SPOXspox

SPOX: Eine gute Mischung wird auch gleich zum Auftakt der WM nötig sein, wenn die Wettkämpfe mit der Mixed-Staffel starten. Diese hat allerdings oft nicht die Anerkennung wie die anderen klassischen Rennen wie Massenstart oder Sprint. Wie stehen Sie als Athleten dazu?

Doll: Die Mixed ist inzwischen ein vollwertiges Mitglied der Biathlon-Familie und besonders für kleinere Nationen, die für eine Männer- oder Frauen-Staffel keine ausreichende Anzahl an Top-Läufern zur Verfügung haben, interessant. Dazu gibt es nun ja auch die Single-Mixed. Richtig begeistert sind wir Sportler davon aber nicht.

SPOX: Deutlich größer dürfte Ihre Begeisterung sein, wenn wir über den WM-Abschluss, die Staffel, sprechen...

Doll: Klar, wer läuft nicht gerne in der Staffel? Es ist immer schade, dass nur vier aus der Mannschaft eingesetzt werden können.

Lesser: Das sehe ich genauso. Jedes Rennen hat auf seine Weise einen Reiz, zudem hat jeder Läufer unterschiedliche Prioritäten. Aber ich würde schon sagen, dass mein Hauptfokus der Staffel gilt.

SPOX: Ein wichtiger Teil der Staffel war in den letzten Jahren Arnd Peiffer. Mit seinem Sturz gegen einen Baum hat er kurz vor der WM aber einen Schock ausgelöst und selbst von "Glück im Unglück" gesprochen. Wie haben Sie den Sturz miterlebt?

Lesser: Ich war sozusagen hautnah dabei. Es war ein schlimmes Gefühl, als ich dort vorbeigefahren bin und einen Teamkollegen regungslos im Schnee liegen sah. Das war wirklich ein Schockmoment. Als wir im Ziel waren und die ersten Gespräche mitbekamen, dazu die Bilder in der Wiederholung sahen, war uns klar, dass Arnd wirklich Glück im Unglück hatte. Es ist ja nicht alltäglich, dass so etwas passiert.

SPOX: Sind Sie danach nicht ins Grübeln gekommen, was die zum Teil nicht ungefährlichen und ungesicherten Abfahrten betrifft?

Doll: Ein gewisses Risiko fährt immer mit. Wir machen im Biathlon keinen gemütlichen Sonntagssport. Wir versuchen in jeder Abfahrt maximales Risiko zu gehen, schließlich zählt jede Sekunde. Die Runde darf ein paar schwierige Stellen und Abfahrtten haben und braucht nicht nur einfach sein. Ich finde, man darf auch mal auf dem Hosenboden landen. Natürlich sollte die Strecke so gesichert sein, dass dann nicht gleich ein Baum im Wege steht, der gefährlich werden kann.

Lesser: Um hier einzuhaken: Die Art der Sicherung an Arnds Unfallstelle war nicht sinnvoll. In diesen Fangnetzen fädelt man schnell ein. Eigentlich ist diese Stelle gar nicht so gefährlich, aber so wurde es brenzliger, als es hätte sein müssen. Normal wird im Weltcup gut darauf geachtet, dass mögliche Stürze abgefedert werden. Hier war man von Seiten des internationalen Verbandes etwas fahrlässig.

SPOX: Glauben Sie, die Folgen des Sturzes werden noch Auswirkungen auf Peiffers Leistungen bei der WM haben?

Lesser: Ich habe mit ihm zusammen trainiert und bin mir sicher, dass das keine Rolle mehr spielen wird. Er ist ein Kerl wie ein Baum, so schnell bringt den Nichts aus der Fassung. (lacht)

SPOX: Lassen Sie uns über Ole Einar Björndalen sprechen. Mit 42 Jahren läuft der Norweger immer noch in der Weltspitze mit. Können Sie uns sein Geheimrezept verraten?

Lesser: Das wird schwer, das überlasse ich lieber dir, Benni.

Doll: Wo soll man da anfangen? (lacht) Er hat sein ganzes Leben auf diesen Sport ausgerichtet und ist in dieser Hinsicht unfassbar ehrgeizig. Biathlon ist ja eine Ausdauersportart und diese können selbst in höherem Alter auf Topniveau praktiziert werden. Es wird immer Ausreißer nach oben oder unten geben. Ole ist eben ein ganz besonderer Ausreißer nach oben. Aber ich stelle es mir sehr hart vor, in diesem Alter körperlich noch so fit zu sein.

Lesser: Also mir tut mein Rücken jetzt schon weh. (lacht)

Doll: Es ist wirklich bemerkenswert. Und das nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Vom Kopf her. Er hat so eine große Erfahrung, dass er pünktlich zur WM in Topform sein wird und um die Medaillen kämpfen wird.

SPOX: Apropos Medaillen. Ihrem Mannschaftskameraden Simon Schempp werden ebenfalls ziemlich große Chancen auf Edelmetall eingeräumt.

Lesser: Er hat aus unserem Team mit Sicherheit die besten Chancen. Ich hoffe, Simon sieht es nicht als Bürde, als Medaillenaspirant gehandelt zu werden. Es wäre ihm nach dieser und der letzten Saison zu gönnen, dass er sich mit einer Medaille belohnt.

SPOX: Neben den Erwartungen in der Heimat und vom Verband, was haben Sie sich persönlich für sich selbst als Ziel für die Weltmeisterschaft vorgenommen?

Doll: Große Medaillenspekulationen oder -träume zu äußern, das gehört sich für einen Sportler aus meiner Sicht nicht. Ich werde mich auf meine Baustellen konzentrieren, insbesondere am Schießstand. Läuferisch mache ich mir keine Sorgen, da habe ich ein gutes Gefühl.

Lesser: Mein großes Ziel ist die Titelverteidigung mit der Staffel. Wenn ich zudem meine Leistungen aus den letzten Rennen, zum Beispiel in Antholz, bestätigen kann, dann werde ich zufrieden wieder nach Hause fahren.

SPOX: Wenn Sie nun schon Zimmerkollegen sind, was trauen Sie denn dem jeweils anderen zu? SPOX

Lesser: Dem Benni traue ich zu, dass er, wenn er ohne Druck läuft und mit höchstens einem Schießfehler durchkommt, eine Top-6-Platzierung rausholen kann. Sollte er bei der Staffel seinen Einsatz erhalten, wird er ein Feuerwerk abfackeln und seine Kontrahenten so abziehen, dass sie keine Lust mehr haben.

Doll: Ich glaube Erik, du wirst bei der WM so ein Rennen raushauen wie damals in Kontiolahti. In der Staffel bist du natürlich eine Bank und wirst das in Oslo auf überragende Art und Weise bestätigen.

SPOX: Mit Ihnen beiden kann in der Staffel also gar nichts mehr schief gehen, oder?

Doll: Hoffen wir es. (lacht)