Die Tage werden kürzer, die Blätter an den Bäumen verfärben sich. Der Winter steht vor der Tür - und damit auch die neue Wintersport-Saison. Am 22. und 23. Oktober geht's los. Dann stürzen sich die Ski-Stars im österreichischen Sölden wieder mit über 100 Sachen die Piste herunter. Dann gilt es wieder, die waghalsigsten Bergschluchten der Welt mit Kraft und Geschick zu meistern.
Allein: Der größte Stern am Ski-Himmel wird das Eröffnungs-Rennen des Weltcups vor dem heimischen Fernseher begutachten. Die Rede ist von Lindsey Vonn.
Die viermalige Gesamtweltcupsiegerin ist zu dieser Zeit auf einer Promo-Tour für ihr neu veröffentlichtes Buch. "Strong Is The New Beautiful" nennt sich das Werk, welches seit Mitte Oktober auf dem Markt ist. Der Inhalt? Gescheiterte Diät-Methoden, heimliche Fressattacken auf Tankstellen-Toiletten, Eiscreme zum Abendessen.
Vonn beschreibt ihren Weg von großer Unsicherheit aufgrund ihres Körpers zur Profisportlerin, die mit sich und dem, was sie zu bieten hat, im Reinen ist. Dass die US-Amerikanerin nun glücklich mit sich ist, zeigt ein hüllenloses Bild in Abfahrerpose direkt auf den ersten Seiten.
Gerne im Rampenlicht
Schnell wird deutlich, dass sie mit diesem Buch hauptsächlich eines erreichen will: Aufmerksamkeit. Dafür ist die 31-Jährige bekannt. Vonn steht gerne im Rampenlicht. Längst macht die Blondine abseits des Ski-Zirkus genauso viele Schlagzeilen wie mit ihren Erfolgen auf der Piste. Das unterscheidet den Superstar von der Konkurrenz - und macht sie zum Aushängeschild des Skisports.
Die zahlreichen Fotoshootings für diverse Magazine, die gescheiterte Beziehung mit Tiger Woods, in der sich die Skifahrerin "wie ein beobachteter Goldfisch im Aquarium" fühlte. Alles Teil einer gut geölten Vermarktungsmaschinerie.
Dass die Olympiasiegerin von 2010 neben ihren blonden Haaren, grünen Augen und dem strahlend weißen Grinsen auch noch mit einer konstanten Dominanz ihre Konkurrenz deklassiert, macht sie in den Augen der Medien und Sponsoren nur attraktiver.
Auf Rekordjagd
Gerade ihre Leistungen auf den Brettern sind rekordverdächtig. Schon längst als erfolgreichste Ski-Fahrerin ihrer Generation bekannt, kann die einstige Rivalin von Maria Höfl-Riesch in der kommenden Saison ihr Konto um einige Bestmarken erweitern.
Vor allem einen Rekord fasst Vonn besonders ins Auge: Mit 76 gewonnenen Wettkämpfen liegt sie nur zehn Siege hinter dem aktuellen Rekordhalter Ingemar Stenmark. Den Rekord bei den Frauen hat sie schon längst übernommen.
"Das ist auf jeden Fall mein Ziel. Ich versuche mich nur auf Siege zu konzentrieren. Es ist hart. Es ist genau wie damals Annemarie Moser-Prölls Rekord, umso mehr du darüber nachdenkst, umso schwieriger wird es, den Rekord tatsächlich zu brechen", weiß Vonn bei der Denver Post um die Herkulesaufgabe: "Deshalb versuche ich, diese Gedanken zu verdrängen. Wenn mir das gelingt, hoffe ich den Rekord noch diese Saison brechen zu können."
Alle Infos zum Saisonauftakt in Sölden
Dass sich Vonn überhaupt so motiviert und zuversichtlich zeigt, dürfte jeden neutralen Wintersport-Fan freuen. Schließlich beeinträchtigten Depressionen lange das Leben der Vorzeigesportlerin. Eine schwere Knieverletzung im Februar - die bereits dritte ihrer Karriere - beendete die vergangene Saison zudem äußert schmerzvoll.
Doch nun, acht Monate später, ist der Superstar der Szene wieder fit. "Ich habe keine Schmerzen, ich fühl mich großartig. Ich fühle mich schon seit längerem bei 100 Prozent", lautet Vonns Kampfansage an die Konkurrenz.
Dass sie das Auftakt-Wochenende in Sölden noch verpasst, mindert ihre Chancen auf den Sieg im Gesamt-Weltcup dabei keineswegs. Schon die vergangenen drei Jahre war Vonn verletzungsbedingt bei der Saison-Eröffnung in Österreich abwesend. Zwei Mal gehörte der Gesamtweltcup am Ende ihr.
2019 ist das Ziel
Doch damit gibt sich die Heldin aus Minnesota noch lange nicht zufrieden. Bis 2019 will Vonn noch die Ski-Welt dominieren. Für ihren letzten Akt hat sie dann einen ganz besonderen Wunsch.
"In meiner letzten Saison würde ich gerne in einem Rennen gegen die Männer antreten. Wir haben den Prozess hinsichtlich einer möglichen Teilnahme bei einem Männer-Rennen bereits in Gang gesetzt und versuchen herauszufinden, wie mir das ermöglicht werden kann", erklärte Vonn gegenüber der Sports Illustrated.
Hinzu kommt Olympia 2018 in Südkorea, die die bis dahin 33-Jährige noch unbedingt mitnehmen will. "Ich fahre definitiv bis zu den Winterspielen und vielleicht noch länger, wenn ich mich gut fühle", so die Goldmedaillen-Gewinnerin von Vancouver.
Stenmark und Moser-Pröll sind die Messlatten
Auf dem Weg dorthin sind noch weitere prestigeträchtige Bestmarken in Reichweite. So kann der "Don", wie sie von Freunden und Familie genannt wird, schon in dieser Saison neben dem Rekord für die meisten Weltcup-Siege zusätzlich die Bestmarke für die meisten Titel in verschiedenen Disziplinen sowie in der Abfahrt für sich in Anspruch nehmen. In beiden Fällen ist der Schwede Stenmark Spitzenreiter.
Darüber hinaus ist es für Vonn bis 2019 möglich, die meisten Weltcup-Gesamtsiegen (momentan vier) aller Zeiten einzufahren. Vorausgesetzt die Königin der Abfahrt bleibt in den kommenden drei Jahren von Verletzungen verschont und ist weiterhin das Maß aller Dinge. Aktuelle Rekordhalterin ist Annemarie Moser-Pröll mit sechs Titeln.
"Am Ende verdanke ich alles meinem Körper"
Ob Vonn das gelingt? Gut möglich. Zwar wird auch sie nicht jünger, ihr Hunger nach Rekorden dafür wächst immer mehr. Vor ihrer 16. Saison sind die Erwartungen und Ansprüche der Öffentlichkeit sowie die der eigenen Person unverändert. Siege sollen her, Rekorde gebrochen werden. Nur wenn man abliefert, bleibt man ganz oben.
Die Konkurrenz um Lara Gut hingegen wird versuchen, Vonn die Rückkehr so unangenehm wie möglich zu gestalten. Doch wie so oft in der Vergangenheit, stehen die Chancen für die Favoritin gut, am Ende wieder einmal triumphierend die Kristallkugel in den Himmel zu recken.
Selbst wenn ihr die Siege streitig gemacht werden sollten - die Fotoshootings für Magazine und Auftritte auf dem roten Teppich bleiben. Und wie die Rekordsiegerin der Damen in ihrem neuen Buch zitiert: "Am Ende verdanke ich alles meinem Körper."