Der TV-Experte der ARD blickt auf die Vierschanzentournee voraus, die unter besonderen Umständen ausgetragen wird. Hannawald nennt seinen Favoriten und erklärt, dass die deutschen Tournee-Hoffnungen Markus Eisenbichler und Karl Geiger voneinander profitieren können.
Der 46-Jährige erzählt zudem von seinem Burnout und warum seine Tätigkeit im Fernsehen kurz nach seiner Behandlung noch zu früh kam und er stattdessen in den Motorsport wechselte.
Herr Hannawald, Sie sind der letzte deutsche Tourneesieger. Richtig feiern konnten sie den Sieg in der Saison 2001/02 aber nicht.
Sven Hannawald: Das lag daran, dass es innerhalb des Wettkampfkalenders war. Wäre nach der Tournee Ruhe, hätte ich es zelebrieren können. Der Weltcup geht aber immer direkt weiter. Wenn du dann im März erst realisierst, dass du Tourneesieger bist, bist du meistens zu platt dafür. Im Hinterkopf bist du natürlich stolz, aber eigentlich immer noch im Rhythmus. Man kann es erst nach der Karriere richtig aufnehmen, wie zum Beispiel jetzt: Ich genieße das Skispringen. Darüber bin ich froh, dass ich körperlich gesehen ausgeglichen bin.
Diese Freude am Skispringen war bei Ihnen aber irgendwann weg.
Hannawald: Stimmt. Eigentlich habe ich immer schon ein paar Tage nach Saisonende die Lust auf das Skispringen verspürt. Ich habe gemerkt, dass es aber von Saison zu Saison immer ein bisschen länger gedauert hat, bis das grüne Licht von innen heraus kam. Ab der WM in Predazzo 2003 ging es bergab. Dabei kamen von außen auch noch kleine Störfeuer - unter anderem die Bundestrainerdebatte - hinzu. Das hatten wir zuvor nicht gekannt.
Wie ging es weiter?
Hannawald: In der Saison 2003/04 wollte ich, obwohl mit Wolfgang Steiert mein Heimtrainer der neue Bundestrainer wurde, überhaupt nichts mehr vom Skispringen wissen. Das wurde immer schlimmer. Ich fühlte immer mehr Schwierigkeiten in meinem Körper. Eine Unruhe, Müdigkeit und Rastlosigkeit. Ich kam nicht zur Ruhe, obwohl ich zu Hause war. Das hat mich dann komplett ruiniert.
Sie beendeten die Saison 2003/04 vorzeitig.
Hannawald: Das Typische im Endstadium des Burnouts ist, wenn du von heute auf morgen keine Aufgaben mehr hast, dass dein System endgültig kollabiert. Das war bei mir im Urlaub so. Da wusste ich nicht mehr, was ich machen sollte.
Sie haben einmal erzählt, dass sie damals in dem Urlaub in Barcelona einen ganzen Tag lang Laub gesammelt haben.
Hannawald: Genau. Ab einem gewissen Stadium kommst du nicht mehr mit der Ruhe klar, obwohl der Körper nach Ruhe schreit. Die innerliche Unruhe macht dich irre. Deswegen suchst du dir Aufgaben. Deswegen suchen sich Leute, die in den Burnout rennen, eher mehr als weniger Aufgaben. Damit sie Zeit verbringen und sich ablenken von dem, was sich innerlich komisch anfühlt. Keiner kann dich da mehr retten. Du musst selbst gegen die Wand rennen, damit du den Knall hörst. Ab einem gewissen Zeitpunkt hat niemand mehr Zugriff auf dich.
Kurz danach ließen Sie sich in einer Klinik behandeln.
Hannawald: Vor diesem Urlaub war ich schon über anderthalb Jahre bei mehreren Ärzten. Wir sind zusammen mit dem Mannschaftsarzt alle Abteilungen durchgegangen, aber es hat immer geheißen: "'Ich bin der Profisportler, bei mir sieht alles gut aus." Am Ende war ich dann bei einem Arzt für Psychosomatik, der gleich die Diagnose "Burnout" feststellte und mich in eine Klinik schickte.
Sven Hannawald im Steckbrief
Geburtsdatum | 9. November 1974 |
Geburtsort | Erlabrunn |
Weltcupdebüt | 1993 |
Karriereende | 2005 |
Nach der Behandlung beendeten Sie ihre Karriere, suchten eine neue Aufgabe und heuerten schon in der Saison 2005/06 als Junior-Partner des damaligen ARD-Experten Reinhard Heß an.
Hannawald: Ich war mein Leben lang Skispringer, deswegen liegt es nahe, dass ich nur eine Art von Aufgabe habe. Wenn du aufhörst, sehnst du dich nach einer Aufgabe, die dich ähnlich bindet. Es liegt nahe, ins Fernsehgeschäft zu wechseln, da man die Erfahrung und das Know-how hat. Dementsprechend gab es damals die Anfrage. Ich hab es versucht - ich sage bewusst "versucht'" - da ich schnell gemerkt habe, dass es zu schnell nach meinem Burnout war. Ich wäre damals bei den Olympischen Spielen in Turin 2006 als Experte dabei gewesen. Die Tickets waren schon gebucht, aber ich musste einsehen, dass es zu früh für mich kommt. Ich hatte noch zu viele innere Kämpfe, war gefühlt noch zu nah am Springen dran. Ich habe mich schließlich bewusst um andere Dinge gekümmert.
Sven Hannawald: "Kindheitstraum ist in Erfüllung gegangen"
Sie fuhren stattdessen Autorennen und stiegen beim ADAC GT Masters ein.
Hannawald: Wenn man Skispringer war, dann wäre ein Bürojob danach ehrlich gesagt nichts. Da ist nicht mehr viel Adrenalin dabei. Das war beim Motorsport natürlich anders.
Sie galten schon früher als großer Formel-1-Fan.
Hannawald: Ich habe jedes Rennen angesehen. Wir waren dank RTL auch einige Male bei der Formel 1 eingeladen. Dann Rennen zu fahren, damit ist für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Kurz vor der Bekanntgabe kam bei mir aber wieder eine innere Unruhe auf. Ich habe gedacht, dass es falsch ist. Ich habe es trotzdem durchgezogen. Als es kommuniziert wurde, war ich der glücklichste Mensch der Welt. Diese Aufgabe hat mich ausgeglichen und dann hat mein Tagesablauf wieder gepasst.
Vor der Saison ging es nach vierjähriger Tätigkeit für Eurosport sozusagen wieder "back to the roots" zur ARD.
Hannawald: Für uns alle kam es überraschend, dass Dieter Thoma als Experte aufhört. Ich sehe das nun als Chance. Eurosport hat mich ziehen lassen, dafür bin ich dankbar. Das Haifischbecken war groß, weil viele Namhafte sich sogar selbst ins Spiel gebracht haben.
Wie werden Sie die Tournee begleiten? Sind Sie vor Ort?
Hannawald: Wir haben den Entschluss gefasst, dass wir im Studio bleiben. Da stehe ich komplett dahinter, da wir eine gewisse Verantwortung mit unserer Rolle in der Öffentlichkeit haben. In Zeiten der Corona-Pandemie finde ich es gut, dass wir das Nötigste tun, um das Risiko zu minimieren.