Der Teufelskerl von der Teufelswiese war ausnahmsweise sprachlos vor Glück. "Es ist sensationell", behauptete Andreas Sander, "ich weiß gar nicht, was ich sagen soll."
Musste er auch nicht, ein Blick in seine Augen erübrigte jedes weitere Wort: Im Rennen seines Lebens fuhr der bereits 31 Jahre alte Westfale bei der alpinen Ski-WM in Cortina d'Ampezzo überraschend zu Silber in der Abfahrt - und beinahe wäre ihm sogar das schier Unvorstellbare gelungen: Sander verfehlte Gold nur um eine Hundertstel.
"Nein", versicherte der überglückliche Sander, dieser winzige Rückstand auf den Super-G-Weltmeister Vincent Kriechmayr aus Österreich "ärgert mich nicht". Er habe ja "nie damit gerechnet, dass ich eine Medaille abhole", und dass er nun eine habe, das sei ein "super Gefühl".
Das war verständlich: Sander hatte vor 13 Jahren mal Super-G-Gold bei der Junioren-WM gewonnen, danach aber im Weltcup nie das Podest erreicht. Drei fünfte Plätze seit 2016 waren sein bester Ertrag, letztmals im Januar in Kitzbühel.
Sander: "Es war ein perfekter Tag"
Erst als er jetzt zum ersten Mal auf dem Podium stand, realisierte Sander, "dass es sensationell ist", was ihm da gelungen war, und "dass ich es dann bei einer WM schaffe, das hätte ich mir nie erträumen können. Es war ein perfekter Tag."
Und das hatte er schon erahnt, als er mit Startnummer zwei gleich hinter Kriechmayr ins Ziel gekommen war. "Ich habe schnell realisiert, dass es ein guter Lauf war", berichtete er - und an diesem Gefühl änderte sich nichts, je mehr Fahrer nach ihm den Berg herunterkamen.
Auch der zunehmend begeisterte Alpinchef Wolfgang Maier sprach nach der dritten und erneut völlig unerwarteten Silbermedaille nach jenen von Romed Baumann (Super-G) und Kira Weidle (Abfahrt) sogleich von einem "Sensationsergebnis". Und die Hundertstel, "die verschmerzen wir", sagte auch er, "für uns ist das wie eine Goldmedaille".
Zum ersten WM-Sieg in der Königsdisziplin seit jenem von Hansjörg Tauscher 1989 in Vail fehlten Sander am Ende der nur 2610 Meter langen Piste Vertigine lediglich 27 Zentimeter.
Baumann zieht sich blutende Schnitte zu
Mit dieser Vertigine ("Schwindel") hatte sich Sander, der auf der "Teufelswiese" bei Ennepetal das Skifahren gelernt hat, nach der Ankunft in Cortina schnell angefreundet: "Ich habe vom ersten Tag an gemerkt: Die Abfahrt liegt mir."
In den Trainingsläufen belegte der sehr analytisch denkende Sander jeweils Rang sechs, er tastete sich heran an den Kurs - und war dann am schnellsten, als es drauf ankam. Und damit auch schneller als die Mitfavoriten Beat Feuz (Schweiz/3.) und Dominik Paris (Italien/4.).
Es spielte daher auch keine Rolle, dass die anderen Deutschen chancenlos waren im Kampf um die Medaillen. Für Baumann, der sich bei seinem Sturz im Ziel blutende Schnitte an Nase und Lippe zuzog, reichte es zu Rang 14. Thomas Dreßen kam in seinem ersten Rennen nach 344 Tagen, einer Hüft-Operation Ende November und gerade mal zehn Tagen auf Schnee auf Rang 18. "Ich bin trotzdem zufrieden", betonte er. Dominik Schwaiger fuhr auf Platz 22.
Während Kriechmayr nun als Dritter nach Hermann Maier (Österreich/1999) und Bode Miller (USA/2005) gleich beide Speed-Titel bei einer WM gewann, beendete Sander auch eine zwei Jahrzehnte währende Durststrecke: Die letzte deutsche Medaille in der alpinen Königsdisziplin hatte 2001 in St. Anton nicht minder sensationell Florian Eckert gewonnen.