Biathlontrainer Bernhard Kröll (45) bleibt der Öffentlichkeit häufig verborgen. Dabei trainierte der "Meistermacher" unter anderem Deutschlands erste Weltcup-Gesamtsiegerin Martina Glagow und brachte Rekordweltmeisterin Magdalena Neuner oder auch Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier hervor.
Im Interview mit SPOX erklärt Kröll die Prinzipien seiner Trainingseinheiten, erzählt aus seiner Zeit mit Neuner und verrät, wer in dieser Saison seine Topfavoriten auf den Gesamtweltcup sind.
Außerdem schätzt Kröll die Chancen der deutschen Biathleten ein und äußert sich zur Kritik an den Olympischen Winterspielen in Peking 2022.
Herr Kröll, Sie haben mit Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier zwei der erfolgreichsten deutschen Wintersportlerinnen der Geschichte hervorgebracht. Warum sind Sie eigentlich noch kein Bundestrainer?
Bernhard Kröll: (lacht) Ich denke, der Hauptgrund ist, dass ich mit der Arbeit, die ich hier vor Ort am Stützpunkt des Zoll Ski Team in Mittenwald machen kann, sehr glücklich bin. Natürlich hat es Situationen gegeben, wo ich darüber nachgedacht habe, es wäre auf jeden Fall eine neue Herausforderung.
Nach welchen Prinzipien richten Sie Ihre Arbeit als Biathlontrainer aus?
Kröll: Prinzipiell versuche ich die jüngeren Sportler ab 15 Jahren in Bezug auf Biathlon gut auszubilden. Nicht auf die anstehende Saison gesehen, sondern zukunftsgerichtet. Als Sportler sollte man erstmal eine gute Basis im läuferischen Bereich und im Schießbereich legen. Schließlich wollen wir die Sportler nicht schon mit 16 Jahren in die Weltspitze bringen, sondern erst mit 21, 22 Jahren langsam an den Weltcup heranführen.
Im Endeffekt trainiert im Biathlon doch jeder Sportler das Schießen und das Laufen.
Kröll: Da haben Sie Recht, es geht bei uns vordergründig um die Sicherheit beim Schießen. Da arbeiten wir mehr mit Papierscheiben als Klappscheiben. Denn auf Papier wird das Schießergebnis noch besser verdeutlicht, während auf Klappscheiben eher zweitrangig ist, wo der Treffer war. Denn später fließen dann noch andere Faktoren wie Wettkampfbelastung und Aufregung hinein. Da ist es dann immer besser, wenn man einen guten Schuss als Basis hat. Und läuferisch legen wir viel Wert auf eine gute Grundlagenausdauer, weil das der absolute Grundstoff für gute Leistungen ist. Ohne das bekommt man irgendwann Probleme, wenn der Wettkampfkalender straffer wird. Beim Hausbau setzt man ja auch nicht schon den Dachstuhl aufs Haus, wenn der Keller und das Erdgeschoss noch nicht stehen.
gettyKröll: "Da waren auf einmal Leute beim Training, die Fotos gemacht haben"
Im Fußball wächst der Einfluss von Datenanalysten auf die Entwicklung der Sportler. Welche Rolle spielt das in Ihrer Arbeit?
Kröll: Ich habe bereits mit 21 Jahren den Weg ins Trainergeschäft gesucht, wobei die ersten fünf Jahre eher ein Hobby waren. Datensätze sind sehr interessant und spielen auch in unserer Arbeit eine große Rolle, eine enge Beziehung pflegen wir beispielsweise mit dem IAT (Institut für Angewandte Trainingswissenschaft Leipzig, Anm. d. Red.). Nichtsdestotrotz ist es nicht das wichtigste. Wichtiger ist, dass ich den Sportler sehr gut kennenlernen muss. Ich muss ein Verhältnis zum Sportler und ein Gefühl für seine sportlichen Bedürfnisse aufbauen. Das ist die Grundvoraussetzung für eine gute Zusammenarbeit und auch vielleicht eine meiner Stärken als Trainer.
Wie verändert sich das Training, wenn man merkt: Dieser Sportler hat das Zeug zum Weltstar?
Kröll: Natürlich merkt man mit wachsender Erfahrung, welcher Sportler mehr Talent hat. Dieser Schein kann in jungen Jahren aber auch immer trügen, ich habe ja keine Glaskugel, in die ich reinschauen kann.
Magdalena Neuner war die erste Topathletin, die Sie trainieren durften. Eine Situation, in die viele Trainer vielleicht nur einmal in Ihrer Karriere kommen. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?
Kröll: Bei Magdalena habe ich die Erfahrung gemacht, dass man nicht alle Sportler über einen Kamm scheren kann. Auch dass manchmal weniger mehr ist, wenn die Sportlerin meint, dass es nicht ihr Tag sei. Dass man auch mal eine Trainingseinheit auslässt und auf die Bedürfnisse des Sportlers reagiert. Zudem habe ich mehr über den Umgang mit medialer Aufmerksamkeit gelernt, Magdalena ist ja bereits sehr früh ins Rampenlicht geschossen. Da waren auf einmal Leute beim Training, die Filmaufnahmen und Fotos gemacht haben. Oder das Management wollte auf einmal Sponsorentermine in den Trainingsplan einbauen. Das kannten wir vorher so nicht.
Gab es in all den Jahren auch Eigenschaften an Magdalena Neuner, mit denen Sie zu kämpfen hatten?
Kröll: Es gab immer mal Situationen, wo man nicht einer Meinung war, aber das ist ein gutes Zeichen dafür, dass der Sportler mitdenkt. Magdalena hat beispielsweise immer sehr gern mit den gleichaltrigen Jungs trainiert und hat versucht, in deren Training mitzulaufen. Dieser Ehrgeiz hat sich dann auch positiv auf ihre Fähigkeiten im Profibereich ausgewirkt.
imago imagesKröll: Neuner und Dahlmeier "haben sieben Jahre lang Spitzenniveau gezeigt"
Neuner und Dahlmeier beendeten Ihre Karrieren schon mit 25 Jahren. Kam dieser Schritt für Sie zu früh?
Kröll: Als Trainer sage ich: Ja, natürlich. Auf dem Niveau hätten sie noch drei bis fünf Jahre weitermachen und große Erfolge feiern können. Das ist absolut schade. Andererseits sind beide bereits mit 18 Jahren auf die große Bühne gekommen und haben sieben Jahre lang Spitzenniveau gezeigt. Und beiden ist es gelungen, am Höhepunkt ihrer Karriere aufzuhören, sind also nicht Gefahr gelaufen, den Absprung zu verpassen.
Magdalena Neuner hatte während Ihrer aktiven Zeit mit Stalking und Morddrohungen zu kämpfen. Wie haben Sie das als Ihr Trainer wahrgenommen?
Kröll: Als Heimtrainer von Magdalena habe ich das voll mitbekommen. Das ist eine Erfahrung, die auch ich als Trainer von ihr machen musste und die man so keinem Sportler wünscht. Das war eine absolute Ausnahmesituation. Ich hatte damals regelmäßigen Kontakt mit der Polizeistation, wenn der Stalker wieder in der Gegend war. Da wurde man dann schon feinfühliger und das Training lief nicht mehr so entspannt ab. Der stand dann sogar bei Magdalena auf dem Balkon im ersten Stock und hat an die Scheibe geklopft. Man wird hellhöriger und mustert am Trainingsstützpunkt auch Wanderer aus der Ferne genauer, obwohl man sich vorher darüber gar keine Gedanken gemacht hat.
Am 27. November startet der Biathlon-Weltcup. Auf welche deutschen Talente sollten wir im anstehenden Winter ein Auge werfen?
Kröll: Im männlichen Bereich hoffe ich schon, dass Philipp Nawrath oder Philipp Horn sich im Weltcup etablieren. Aus persönlicher Sicht hoffe ich auf Philipp Lipowitz, der bei den deutschen Meisterschaften aufhorchen ließ und auch schon von Bundestrainer Mark Kirchner zum Lehrgang eingeladen wurde. Im weiblichen Bereich schätze ich Denise Herrmann als etablierte Sportlerin sehr stark ein und denke auch, dass Franziska Preuß eine gute Rolle spielen wird. Bei den jüngeren hat mich Vanessa Voigt überrascht. Beim Biathlon ist die Tagesform sehr entscheidend und Vanessa hat sich läuferisch sehr gut weiterentwickelt, ist eine sehr stabile Schützin. Das hat sie im September bei den deutschen Meisterschaften nochmal gezeigt. Ihr traue ich eine einstellige Platzierung bei einem Weltcuprennen zu.
Erstmals seit knapp 30 Jahren schaffte es im vergangenen Winter kein Deutscher unter die Top-10 in der Weltcup-Gesamtwertung. Müssen wir uns generell Sorgen machen?
Kröll: In erster Linie ist das eine normale Wellenbewegung. Ich denke, dass das Feld aber auch insgesamt enger geworden ist, weil viel mehr Nationen am Start sind und deutlich aufgeholt haben. Früher waren Deutschland, vereinzelte Skandinavier, Russland und Frankreich stark. Jetzt haben auch die kleinen Nationen immer wieder Toptalente am Start und können bei Einzelwettkämpfen überzeugen. Für deutsche Sportler wird es dadurch auch deutlich schwieriger, sich in der Weltspitze durchzusetzen.
Diese Biathletin könnte für eine Überraschung sorgen
Wer sind Ihre Topfavoriten bei den Männern und Frauen?
Kröll: Bei den Männern ist Johannes Thingnes Bö auch in diesem Jahr Topfavorit. Aber auch Quentin Fillon Maillet ist ein sehr komplexer Sportler, den man nicht unterschätzen darf. Im weiblichen Bereich sehe ich natürlich Franziska Preuß in der Gesamtwertung ganz vorn dabei. Sie ist über die letzten Jahre sehr abgeklärt geworden und kann auch in Peking eine Medaille holen. Tiril Eckhoff und Dorothea Wierer werden immer eine Rolle spielen. Die Schwedin Hanna Öberg dürfen wir nicht vergessen, aber auch ihre jüngere Schwester Elvira hat kürzlich sehr gute Leistungen im Laufen gezeigt und könnte für eine Überraschung sorgen.
Sie dürfen einmal träumen ... Welchen Sportler oder welche Sportlerin würden Sie gern einmal trainieren?
Kröll: Zu allererst möchte ich betonen, dass es mir sehr viel Freude bereitet, die Sportler aus meiner Trainingsgruppe zu trainieren und mein Ziel ist es, sie so weit wie möglich zu bringen. Ich sehe in der Gruppe bei uns schon Potenzial, da einige schon im Perspektivkader eingegliedert sind und auch die Sportler, die verletzungsbedingt Probleme hatten, zeigen große Motivation, den Anschluss zu schaffen. Mein Ziel und mein Traum ist es, jemanden aus unserer Trainingsgruppe bei den Olympischen Spielen 2026 am Start zu haben. Wenn ich ins Ausland schaue, dann gefällt mir die junge Österreicherin Anna Gandler. Bei ihr finde ich das Gesamtpaket und die Einstellung sehr gut. Mit ihr hatte ich in Seefeld viel Kontakt. Sie ist sehr fleißig und gewissenhaft. Läuferisch und beim Schießen hat sie sehr gute Fähigkeiten. Wir werden in Zukunft etwas von ihr hören, ihren Namen sollte man sich international auf den Zettel schreiben.
imago imagesOlympia? "Kann man der Bevölkerung irgendwann nicht mehr nahebringen"
Seit der Vergabe nach Peking wird die Austragung der Winterspiele unter anderem aufgrund der Menschenrechtssituation kritisiert. Wie stehen Sie zu dieser Thematik?
Kröll: Ich beobachte immer, was mit den Wintersportstätten nach Ende der Spiele passiert. Man muss doch nicht in einem Land, das gar keinen Bezug zum Wintersport hat, etwas aus dem Boden stampfen, das im Nachhinein eingeäschert wird. Wenn ich diese Summen höre, die für zwei Monate verpulvert werden, genau diese Summen fehlen dann im Nachwuchs oder im landesweiten Sportstättenbau. Das kann man der Bevölkerung irgendwann nicht mehr nahebringen.
Wie wollen Sie das Problem lösen?
Kröll: Ganz einfach: Ich würde fünf Winterolympiaorte festlegen - gerne auch länderübergreifend - und aller vier Jahre zwischen diesen wechseln. Alle 20 Jahre kommt dann eben die Stadt XY wieder als Austragungsort vor. Dadurch würde dieser Wahnsinn an Kosten eingedämmt und kann an anderen Stellen investiert werden. Das ist doch auch der Grund, warum es 2018 keine Winterspiele in Deutschland gegeben hat. Es gibt so viele wichtigere Themen, wo man derartige Gelder einsetzen müsste. Zudem wäre es doch großartig, wenn ein Sportler auf der Strecke Olympiasieger wird, wo zwanzig Jahre zuvor schon sein großes Idol gewonnen hat. 2006 wurde Michael Greis in San Sicario dreifacher Olympiasieger - ich glaube nicht, dass seitdem mehr als fünf Wettkämpfe auf dieser Anlage stattgefunden haben.
Welchen Austragungsort würden Sie denn für Deutschland einplanen?
Kröll: Das müssen dann die Sportpolitiker entscheiden. (lacht) Wir haben in Deutschland ganz klar in Oberhof und Ruhpolding zwei große Leistungszentren. Die wären dafür prädestiniert, bei Olympia spricht man aber nicht nur von Biathlon. Man bräuchte vielleicht mindestens zwei Orte, denn Skilanglauflauf, Nordische Kombination, Ski alpin und der Rest müssen ja auch noch ihren Platz finden.
Biathlon: Die Termine im Überblick
Ort | Land | Datum |
Östersund | Schweden | 27. bis 28. November 2021 |
Östersund | Schweden | 2. bis 5. Dezember 2021 |
Hochfilzen | Österreich | 10. bis 12. Dezember 2021 |
Annecy | Frankreich | 16. bis 19. Dezember 2021 |
Oberhof | Deutschland | 6. bis 9. Januar 2022 |
Ruhpolding | Deutschland | 12. bis 16. Januar 2022 |
Antholz | Italien | 20. bis 23. Januar 2022 |
Peking | China | 4. bis 20. Februar 2022 - Olympische Spiele |
Kontiolahti | Finnland | 3. bis 6. März 2022 |
Ozepää | Estland | 10. bis 13. März 2022 |
Oslo | Norwegen | 17. bis 20. März 2022 |