Aufatmen in der Sportwelt: Nach wochenlanger Debatte haben sich Gastgeber Japan und das Internationale Olympische Komitee (IOC) wegen der Coronakrise auf eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio auf das Jahr 2021 geeinigt. Eigentlich sollten die Sommerspiele vom 24. Juli bis 9. August 2020 stattfinden.
"Ich habe vorgeschlagen, die Spiele um ein Jahr zu verschieben, und Präsident Bach hat dem zu 100 Prozent zugestimmt", sagte der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe Reportern am Dienstag. Ein genauer Ersatztermin ist bislang noch nicht bekannt. Gleiches gilt für die Paralympics in Tokio, die vom 25. August bis 6. September stattfinden sollten.
Abe betonte nach einem entscheidenden Gespräch mit IOC-Präsident Thomas Bach, die Olympischen Spiele im kommenden Jahr sollten zum "Beweis" für den Sieg der Menschheit über die Pandemie werden. Nach Angaben des Gouverneurin der Präfektur Tokio, Yuriko Koike, sollen die Wettkämpfe in einem Jahr weiter als "Tokio 2020" bezeichnet werden. Das IOC bezeichnete die Unterredung mit den Verantwortlichen in Japan als "freundlich und konstruktiv".
IOC und Bach knicken nach Kritik ein
Zuletzt hatten sich immer mehr Athleten, Funktionäre und Nationale Olympische Komitees gegen den Termin im Sommer 2020 ausgesprochen und das IOC für sein Festhalten am bisherigen Datum scharf kritisiert. Die Ausbreitung der COVID-19-Erkrankungen durch das Coronavirus schreitet weltweit weiter voran. Am Dienstagmittag gab es weltweit mehr als 390.000 Infektionen mit Corona, mehr als 17.000 Menschen verloren ihr Leben.
Am Montagabend hatte bereits das langjährige IOC-Mitglied Dick Pound (Kanada) in US-Medien erklärt, dass die Spiele verschoben werden. Pound gilt im IOC als Bachs Gegner, leistete sich in der Vergangenheit immer wieder Auseinandersetzungen mit dem IOC-Präsident.
Bach war in den letzten Tagen wegen seiner Hinhalte-Taktik international stark in die Kritik geraten. "Thomas Bach wurde das Heft des Handels längst aus den Händen genommen", sagte der frühere Sportfunktionär Clemens Prokop am Dienstag dem SID. "Ich denke, dieser Vorgang ist vermutlich die größte Niederlage, die Bach in seiner Laufbahn als Funktionär erlebt hat", meinte Prokop, viele Jahre Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).
Verschiebung von Olympia wird teuer
Noch am Sonntagabend hatte Bach angekündigt, dass das IOC und Tokio sich vier Wochen Zeit für eine Entscheidung nehmen würden, doch das war in den Augen vieler Sportler nicht mehr zu halten. "Der zeitliche Korridor, in dem er und das IOC noch als Gestalter für ihr eigenes Produkt auftreten können und nicht von der Politik gezwungen werden, wird immer kleiner", sagte der Schwimm-Olympiasieger Michael Groß der Tageszeitung Die Welt.
Seit Wochen schon bemängeln die Sportler weltweit, dass sie sich wegen der Maßnahmen in der Coronakrise nicht mehr richtig auf die Olympischen Spiele vorbereiten könnten. Auch sei durch unterschiedliche Regeln in den verschiedenen Ländern keine Chancengleichheit mehr gegeben. Probleme bereitete auch die Qualifikation für die Spiele, deren Wettkämpfe zum großen Teil abgesagt wurden.
Spätestens aber mit den Erklärungen von den Nationalen Olympischen Komitees aus den USA, Kanada und Großbritannien, auf einen Start in Tokio verzichten zu wollen, war Bachs Taktik gescheitert. In den USA sitzt der Fernsehsender NBC, der dem IOC für die Übertragung der Spiele bis ins Jahr 2032 fast sechs Milliarden Euro zugesagt hat. Ohne US-Sportler in Tokio wäre dieser Deal wohl geplatzt.
Die Verschiebung der Spiele ist ein extrem teurer Vorgang. Experten schätzen, dass auf den Gastgeber Japan und den Veranstalter IOC Kosten von 5,6 bis 5,9 Milliarden Euro zukommen werden. Vor allem logistisch ist es für Veranstalter, Athleten und TV-Sender eine Herkulesaufgabe. Das Hauptproblem dabei sind die Sportstätten. Insgesamt gibt es 43 Arenen oder Anlagen, die für die Spiele 2020 errichtet wurden. Für alle Anlagen müssen die Organisatoren nun neue Verträge aushandeln.
Die Erklärung des IOC im Wortlaut
"Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, und der japanische Premierminister, Shinzo Abe, haben am Morgen eine Telefonkonferenz abgehalten, um die sich ständig ändernde Situation in Bezug auf COVID-19 und die Olympischen Spiele in Tokio 2020 zu diskutieren.
Auch Yoshiro Mori, Präsident des lokalen Organisations-Komitees Tokio 2020, Sportministerin Seiko Hashimoto, der Bürgermeister von Tokio, Yuriko Koike, der Vorsitzende der IOC-Koordinations-Kommission, John Coates, der IOC-Generaldirektor Christophe De Kepper und der IOC-Geschäftsführer der Olympischen Spiele, Christophe Dubi, nahmen teil.
Präsident Bach und Premierminister Abe drückten ihre gemeinsame Besorgnis über die weltweite COVID-19-Pandemie aus und welche weitreichenden Auswirkungen diese auf das tägliche Leben der Menschen und damit auch auf die Vorbereitung der Athleten auf die Spiele weltweit hat.
In einem sehr harmonischen und konstruktiven Gespräch lobten die beiden die Arbeit des lokalen Organisations-Komitees Tokio 2020 und erwähnten den großartigen Fortschritt, den Japan im Kampf gegen COVID-19 erzielt hat.
Die beispiellose und nicht vorhersehbare Ausbreitung des Virus hat zu einer Verschlechterung der Lage im Rest der Welt geführt. Gestern sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass die COVID-19-Pandemie sich stark ausbreitet. Es gibt mehr als 375.000 bekannte Fälle weltweit und in fast jedem Land, und die Zahl steigt stündlich.
Aufgrund der aktuellen Umstände und basierend auf den Informationen, die die WHO heute bereit gestellt hat, sind der IOC-Präsident und der japanische Premierminister zu der Einsicht gekommen, dass die Spiele der XXXII. Olympiade in Tokio auf ein Datum nach Ende des Jahres 2020 - aber spätestens auf Sommer 2021 - verlegt werden müssen, um die Gesundheit der Athleten und aller anderen, die mit den Olympischen Spielen zu tun haben, sowie der internationalen Gemeinschaft zu schützen.
Die beiden Anführer sind sich einig, dass die Olympischen Spiele ein Signal der Hoffnung an die Welt in diesen schwierigen Zeiten sein können und dass die Olympische Flamme das Licht am Ende des Tunnels werden könne, in dem sich die Welt gerade befindet. Daher einigte man sich darauf, dass die Olympische Flamme in Japan bleibt. Zudem wurde bestimmt, dass die Spiele die Namen Olympische und Paralympische Spiele 2020 behalten."