Ruderer Oliver Zeidler ist bei den am Freitag beginnenden Olympischen Spielen eine der größten deutschen Gold-Hoffnungen. Der 24-Jährige kommt als amtierender Welt- und Europameister im Einer nach Tokio und dominiert die Szene nach einem kometenhaften Aufstieg. Im Interview mit SPOX erzählt Zeidler seine beeindruckende Geschichte.
Zeidler erklärt, warum ihm der Vergleich als Zlatan des Ruderns gut gefällt, warum der Fußball seiner Meinung nach in eine komplette Parallelwelt abgedriftet ist und warum der deutsche Sport dringend krasse Reformen benötigt.
Außerdem beschreibt er eine Nahtoderfahrung der besonderen Art und verrät, was er sich von Michael Jordan abgeschaut hat.
Herr Zeidler, Sie gelten als der "Zlatan des Ruderns", als der "Terminator im Einer", wie gefallen Ihnen solche Bezeichnungen?
Oliver Zeidler: (lacht) Ich schaue eigentlich lieber Rocky-Filme. Im Ernst: Ich kann mit der Betitelung als Zlatan des Ruderns ganz gut leben. Vor allem, weil Zlatan jemand ist, der nicht nur Sprüche klopft, sondern dann auch Leistung folgen lässt. Ich bin wie Zlatan in meiner Sportart sozusagen ein Superstar, ich haue wie er gerne mal auf die Kacke und sage Dinge, die nicht jedem so passen. Insofern passt der Vergleich witzigerweise echt ganz gut.
Wenn man Ihren Namen bei Google sucht, dauert es auch nicht lange, bis man Schlagzeilen findet wie: "Zeidler attackiert Fußball-Millionäre." Warum haben Sie sich da so aufgeregt?
Zeidler: Das war damals eine schwierige Phase. Die Olympischen Spiele waren gerade verschoben worden aufgrund der Corona-Pandemie, was für uns Olympia-Athleten ein harter Schlag war. Wir verdienen natürlich nicht annähernd so viel wie die Fußballer, aber wir sind auch Berufssportler und darauf angewiesen, unserem Sport nachgehen zu können. Aber für uns hat sich zu diesem Zeitpunkt niemand interessiert. Hauptsache, der Fußball als ach so großer Wirtschaftszweig kann wieder spielen. Das empfand ich als maximal ungerecht und deshalb musste ich etwas dazu sagen - dazu stehe ich auch bis heute. Ich fand es auch grotesk, wenn ich in der Coronakrise in den Zeitungen von Gehaltsverhandlungen von Fußballstars gelesen habe, bei denen es um irrwitzige Millionensummen ging, während gleichzeitig Menschen ihren Job verlieren, keine Aufträge mehr bekommen und ums finanzielle Überleben kämpfen. Der Fußball ist in eine komplette Parallelwelt abgedriftet.
Bale-Wechsel für über 100 Mio.? "Okay, das ist nur noch krank"
Waren Sie nie Fan?
Zeidler: Nicht wirklich. Aber ich habe früher extrem viel FIFA gezockt, das schon. Danach war ich eine Zeitlang süchtig, aber irgendwann hatte ich keine Zeit mehr dafür. Und spätestens, als damals Gareth Bale für über 100 Millionen Euro zu Real gewechselt ist, dachte ich mir: Okay, das ist nur noch krank. Aber ich muss sagen, dass ich auch ohne Fußball ganz gut leben kann. Da schaue ich mir lieber anderen Sport an, damit kann ich mich besser identifizieren und halte ihn für ehrlicher. Ich würde mir daher auch wünschen, dass die Vielfalt an Sportarten medial besser zur Geltung gebracht wird und nicht Weltmeisterschaftsfinals oder ähnliche Events in der letzten Ecke von Mediatheken verschwinden, während im Vorabendprogramm auch die 2. Liga abwärts gezeigt wird.
gettyMan kann die finanziellen Dimensionen natürlich nicht vergleichen. Dennoch: Für eine Goldmedaille würden Sie 20.000 Euro bekommen.
Zeidler: Eine Summe, die ein Fußball-Nationalspieler glaube ich in einer erfolgreichen EM-Qualifikation für jeden Sieg bekommt. Die Gold-Prämie ist schon ein bisschen eigenartig und auch ein bisschen peinlich. Aber wir machen den Sport nicht für das Geld. Ich bin beim Rudern, weil es mir Spaß macht und mich persönlich erfüllt. Weil ich Leute animieren will, selbst in den Rudersport zu gehen. Es ist so ein intensiver Sport, der dir so viel abverlangt, mit so viel Tradition, mit so einer großen Verbundenheit zur Natur - deshalb mache ich den Sport.
Dennoch ist der finanzielle Faktor ja ein großer. Ein Boot ist nicht gerade billig.
Zeidler: Das stimmt. Ein Boot kostet 15.000 Euro und im Endeffekt brauchst du jedes Jahr ein neues. Dazu kommen zwei Paar Skulls, die jeweils 800 Euro kosten. Und du darfst am Material nicht sparen. Bei uns entscheiden teilweise Wimpernschläge über Sieg oder Niederlage - da brauchst du das bestmögliche Material, weil jedes Prozent zählt. In diesem Jahr ist es so, dass der Verband die Boote finanziert hat, aber davor war ich in meiner Karriere sehr stark auf die finanzielle Unterstützung meiner Familie und des Vereins angewiesen, ohne sie wäre es nicht gegangen. Wir sind einfach eine große Sportler-Familie. Wir sind alle große Olympia-Fans, die nachts aufstehen, um Wettkämpfe zu sehen. Als Matthias Steiner 2008 Gold gewann für seine verstorbene Ehefrau, oder als Michael Phelps achtmal Gold holte - das waren prägende Olympia-Momente für mich.
"Alle vier Jahre ziehen die Kanuten den Karren aus dem Dreck"
Was man nicht vergessen darf: Sie arbeiten neben dem Sport auch noch als Steuerfachangestellter bei einem Finanzdienstleister. Wie passt das eigentlich zusammen?
Zeidler: (lacht) Gute Frage. Irgendwie macht es mir Spaß, mich mit dem Thema Recht und mit Zahlen zu beschäftigen. Ich führe quasi ein Doppelleben. Im Boot bin ich der Superheld und dann setze ich die Brille auf und werde zum Büroangestellten. Ich bin gerade auch in den letzten Zügen meines Master-Studiums und werde dann mein Examen als Steuerberater angehen. Wir haben über die finanziellen Herausforderungen gesprochen. Ich muss mir auch als Weltmeister früh um meine Zukunft und die Zeit nach der aktiven Karriere Gedanken machen. Ich muss schauen, wie ich nach dem Rudern meinen Lebensunterhalt verdiene. In den olympischen Sportarten wirst du kaum Athleten finden, die sich da ein großes Polster aufbauen können mit ihren Erfolgen.
Womit wir beim Thema der Bedeutung des Sports generell in Deutschland wären. Jetzt in Tokio wird wieder jeder die Medaillen bejubeln.
Zeidler: Und dann verschwinden wir wieder vier Jahre in der Versenkung. Bei den Kanuten finde ich das immer besonders extrem. Alle vier Jahre ziehen sie für uns den Karren aus dem Dreck und danach sieht und hört man leider vier Jahre lang nichts von ihnen. Ich bin wirklich froh, dass die Olympischen Spiele stattfinden, weil die Aufmerksamkeit, die wir Sportler dort bekommen, so unglaublich wichtig für uns ist. Wir brauchen diese Aufmerksamkeit, um Sponsoren bei der Stange zu halten, oder um vielleicht neue Partner zu gewinnen. Wenn wir diese Bühne nicht hätten, könnten wir nicht überleben. Aber unabhängig davon stecken wir sportpolitisch natürlich in einem Dilemma. Wir haben Politiker, die sich jetzt auch wieder in Tokio sicher gerne mit deutschen Medaillen schmücken werden, aber wirklich was für den Sport zu tun? Da sehe ich wenig bis nichts. Dabei müsste so dringend ein Ruck durch Sport-Deutschland gehen. Es müssten krasse Reformen her.
Woran denken Sie konkret?
Zeidler: Neben einer nochmal besseren finanziellen Förderung für die Elite, denke ich zum Beispiel an das Thema Trainingsstätten. Da ist die Situation im Rudern völlig absurd. In ganz Deutschland gibt es zwei, drei Regatta-Strecken, auf denen man große Events austragen kann, eine davon ist hier bei mir in München. Aber diese Strecke gammelt seit Jahren vor sich hin, es wird absolut nichts gemacht. Die Stadt gibt lieber eine Unsumme an Geld für Gutachten aus, statt einfach mal anzupacken. Es gibt im süddeutschen Raum auch keinen Bundesstützpunkt. Dafür aber beispielsweise in Dresden oder in Leipzig, wo du auf der Elbe mit starker Strömung rudern musst und dir noch die Berufsschifffahrt in die Quere kommt. Oder auf Gewässern, auf denen nicht mal drei Boote nebeneinander passen, da kann man meiner Meinung nach nicht ordentlich trainieren und sich auf Weltklasse-Regatten vorbereiten. Das ist alles amateurhaft und nicht nachvollziehbar. Klar ist es wichtig, dass es auch hier Vereine gibt, die junge Sportler ans Rudern heranführen, ob es hierfür aber einen Bundesstützpunkt braucht, bezweifle ich ganz stark. Allgemein denke ich, dass staatliche Mittel für Sport besser und leistungsorientierter eingesetzt werden könnten, als es momentan der Fall ist.
Wie ist Ihr Blick auf die Sportförderung in Deutschland?
Zeidler: Da muss ich sagen, dass sich in den vergangenen Jahren wirklich einiges getan hat. Die Deutsche Sporthilfe hat vor Tokio durchaus aufgetrumpft, das muss ich ausdrücklich loben und da kann ich mich auch gar nicht beschweren. Klar, es geht immer mehr, aber da sind wir dann wieder bei der Politik, die ein Paket schnüren und viel mehr Geld in den Sport reinbuttern müsste. Dadurch müsste sich die Sporthilfe nicht mehr zwischen einer international konkurrenzfähigen Olympiaprämie und der Förderung der Jugend entscheiden. Sonst werden wir die Talente, die wir immer noch haben, irgendwann nicht mehr bei der Stange halten. Weil sie nicht abgesichert sind, weil eine lange Sportkarriere die berufliche Perspektiven verschlechtert und es keine vernünftige Altersvorsorge für die Jahre im Sport gibt - da sehe ich das größte Problem, dass wir viele junge Top-Athleten verlieren werden und uns dann wundern, warum wir nichts mehr gewinnen.
Sie haben vorhin erklärt, warum die Austragung der Sommerspiele so wichtig ist. Dennoch gibt es natürlich auch eine kritische Seite der Betrachtung. Es werden Spiele sein, die während einem Corona-Notstand in Tokio stattfinden. Ohne Fans. Kann man das ausblenden?
Zeidler: Ich muss es ausblenden. Eines vorneweg: Niemand will die Bevölkerung in Tokio in Gefahr bringen und eine neue Welle an Infektionen auslösen, deshalb werden wir ja quasi mit niemandem in Kontakt kommen und deshalb empfinde ich die Entscheidung, auf Zuschauer zu verzichten, auch als richtig. Aber mehr Gedanken darf ich mir darüber nicht machen. Das würde meinen Erfolg gefährden. Ich bin komplett fokussiert auf den Tag X, an dem ich meine Bestleistung abrufen muss. Wenn ich da Unsicherheiten oder Zweifel aufkommen lasse, in welcher Form auch immer, kann mich das die entscheidenden Prozentpunkte kosten.
"Mist, da bin ich ja schwimmend schneller als mit dem Boot"
Aber die Umstände werden nicht so sein, wie man es sich bei Sommerspielen wünscht.
Zeidler: Klar, die Umstände werden sicher nicht so sein, wie ich mir meine ersten Olympischen Spiele vorgestellt habe. Ich hätte gerne die Familie dabei zum Beispiel. Aber trotz der widrigen Umstände wird sich für mich mein olympischer Traum erfüllen. Trotz der Umstände kriege ich gerade Gänsehaut, wenn ich daran denke. Und trotz der Umstände ist es nüchtern betrachtet der Saisonhöhepunkt, auf den alles ausgerichtet ist. Ich weiß, dass keine Party möglich sein wird, deshalb werde ich mich voll und ganz auf den Wettkampf konzentrieren. Und das Gute an meiner Situation ist, dass ich in drei Jahren in Paris ja auch noch dabei sein kann und dort das Flair hoffentlich erleben werde. Das macht es für mich auch einfacher, mich in diesem speziellen Fall nur auf meine Rennen zu fokussieren.
imago imagesSie kommen aus einer totalen Ruderer-Familie, insofern erscheint es "normal", dass Sie auch ein erfolgreicher Ruderer geworden sind. Ihr Weg dahin ist aber alles andere als normal. Erzählen Sie.
Zeidler: Das stimmt. Ich wurde zwar in eine Ruderer-Familie hineingeboren und ich weiß noch, wie beeindruckend ich es als kleiner Steppke fand, in den Olympia-Büchern meines Opas Bilder von meiner eigenen Familie zu entdecken. Dennoch bin ich erstmal beim Schwimmen gelandet. Ich war ein sehr aufgedrehter Junge und habe alles Mögliche ausprobiert, Schwimmen, Leichtathletik, oder auch Basketball. Und auch das Rudern, aber da bin ich nach drei Schlägen sofort ins Wasser gefallen und dachte mir nur: Was für ein Mist, da bin ich ja schwimmend schneller als mit dem Boot. Ich war dann auch recht erfolgreich im Schwimmen, sodass es nie einen Grund gab, vom Wasser aufs Wasser zu wechseln. Ich bin beim Schwimmen geblieben, meine Eltern haben mich auch da total unterstützt und saßen tagelang in chlorigen Schwimmhallen wegen mir. Ich habe mich nie als "schwarzes Schaf" der Familie gefühlt, nur weil ich nicht beim Rudern war.
Wann war der Wendepunkt, als Sie doch mit dem Schwimmen aufgehört haben?
Zeidler: Das war 2016, als ich an der Olympia-Quali scheiterte und vor allem als peu a peu meine Trainingsgruppe zerbrach. Diese Trainingsgruppe hat mir extrem viel bedeutet. Das war mehr als eine Gruppe an jungen Menschen, die zusammen geschwommen sind. Wir haben Partys zusammen gefeiert, ich werde diese Zeit nie vergessen, da sind echte Freundschaften entstanden. Als sich diese Gruppe auflöste, ging viel an Spaß verloren für mich. Dazu kam, dass ich im Schwimmen zu dem Zeitpunkt vielleicht auch schon meinen Zenit erreicht hatte, es ging nicht mehr wirklich weiter für mich auf diesem Weg.
Zeidler: "Von Null auf Hundert, das ist einzigartig"
Dass Sie im Anschluss doch das Rudern für sich entdeckt haben, ist die eine Sache. Die andere ist aber, dass Sie aus dem völligen Nichts sofort in die Weltspitze vorgestoßen sind. Ein Märchen?
Zeidler: Man kann das schon als Märchen bezeichnen. Es gab schon Sportler, die innerhalb von verwandten Sportarten gewechselt sind und schnell Erfolg hatten, Biathlon und Langlauf fallen mir da ein. Aber Schwimmen und Rudern haben nichts miteinander zu tun. Dass ich es da von Null auf Hundert geschafft habe, ist einzigartig. Und ich kann mir das auch gar nicht so richtig erklären. Es ist einfach so passiert.
Wie ging es überhaupt los?
Zeidler: Ich weiß noch, dass ich nach dem Schwimmen einen Monat lang nichts gemacht hatte körperlich und merkte, dass mir das gar nicht gut tut. So habe ich den Ruderergometer im Keller entdeckt und einfach mal losgelegt. Es war für mich selbst eine Art Wow-Moment, als ich sah, was für Ergebnisse ich da erzielen kann. Also bin ich zu meinem Vater gegangen und habe ihn gefragt, ob er mir das mit dem Rudern doch mal beibringen kann. (lacht) Und so ging es los, erst mit einem Anfängerboot, später mit einem Holzboot eines ehemaligen Ruder-Kollegen meines Opas, bis ich relativ schnell schon in einem Spitzenboot saß und 2018 meine erste Weltcup-Regatta absolviert habe.
Bei dieser Weltcup-Regatta in Belgrad ist dann auch Ihre Liebe zum Rudern endgültig entbrannt.
Zeidler: Das war ein magischer Moment. Ich hatte mich knapp für das Finale qualifiziert und mein Vater meinte zu mir: Leg' dich doch einfach mal vor das gesamte Feld und schaue, was passiert. Ich habe ihm einfach mal blind vertraut und es genauso umgesetzt. Ich bin 1500 Meter lang vor dem amtierenden Weltmeister hergefahren, mit der schlechtesten Technik der Welt. Am Ende bin ich "nur" Dritter geworden, aber alle haben über den deutschen Typen geredet und was der da veranstaltet hat. Das war unfassbar. Da habe ich auch das gespürt, was ich im Schwimmen nie gespürt habe: Dass ich hier in der Weltspitze mit dabei sein kann. Dass ich es hier echt drauf habe. Das war wie im Traum.
Ein Grund für Ihren Erfolg ist sicher die Fähigkeit, sich quälen zu können. Woher kommt das?
Zeidler: Ich bin wahrscheinlich das, was man einen positiv Besessenen nennt. Ich habe die Fähigkeit, ja sogar die Lust, mich zu quälen und nicht aufzuhören, bevor nicht die letzte Trainingseinheit gemacht wurde. So musst du aber im Rudern auch sein. Wenn du Schmerz nicht ertragen kannst, bist du bei uns falsch. Dazu kommt eine perfektionistische Ader, die ich wohl auch in mir habe. Wenn ich etwas mache, will ich ganz genau wissen, warum wir diese Übung jetzt zum Beispiel machen, warum dies oder jenes auf dem Plan steht. Und wenn ich das weiß und verstehe, ziehe ich es durch bis zum letzten Moment. Mein Ziel ist es immer auch, auf ein psychisch höheres Level zu kommen als meine Gegner.
Gibt es Sportler, die Sie dabei inspirieren?
Zeidler: Ich habe "The Last Dance" mit Michael Jordan angeschaut, das hat mich sehr inspiriert. Auch weil ich da gewisse Parallelen zu mir und meinem Mindset gefunden habe. Jordan hat sich ja phasenweise motiviert, indem er Feindbilder aufgebaut hat. Nach dem Motto: Du willst MVP werden? Vergiss es! Und so ticke ich auch. Ich stelle mir auch meine Gegner vor und denke mir: Du willst mich schlagen? Vergiss es! Ich zeige Dir, wer hier der Stärkste ist. Diese Triggerpunkte sind ganz wichtig für mich.
Was ist das Härteste, das Sie jemals gemacht haben?
Zeidler: Es gibt diesen zwei Kilometer langen Ergotest. Das ist wie eine Nahtoderfahrung.
Wie bitte?
Zeidler: Ja, wirklich. Das ist eine sehr spezielle Erfahrung. Man muss sich das so vorstellen: Du bist in einer Turnhalle, zehn Leute werden zu diesem Test rausgeschickt und hinter ihnen wird die Tür zugesperrt. Warum auch immer machen wir in Deutschland ein großes Geheimnis um die Ergebnisse, ich sehe das nicht so eng und teile meines immer auf Instagram. Auf jeden Fall hört man trotz der verschlossenen Türen die Geräusche. Das Heulen der Räder, die schreienden Trainer. Und dann kommen irgendwann halbe Leichen aus dem Raum raus, ganz blass im Gesicht, komplett zerstört. Da werden Laktatwerte von weit über 20 gemessen, das ist kurz vorm Nierenversagen. Du sitzt auf dem Rad und denkst dir echt: Entweder ich kotze jetzt, oder es bleibt was stehen in meinem Körper. So stelle ich mir das Sterben vor. Bitte, liebe Kinder, don't try this shit at home. (lacht)
Zeidler: "Ausstrahlen, dass hier niemand anders Gold holt"
Alle Qualen sollen ja zum großen Erfolg auf dem Wasser führen. Was ist für Sie persönlich die Faszination am Rudern?
Zeidler: Bei uns dreht sich viel um die Suche nach dem perfekten Schlag. Wenn du im Boot sitzt und diesen perfekten Schlag fühlst, wie das Boot sich richtig am Wasser abdrückt und gefühlte 30 Meter nach vorne weiterzieht, ist das einfach grandios.
Was durchlebt ein Körper während eines Rennens, das ja bis zu sieben Minuten lang sein kann?
Zeidler: Ein Rennen geht über 2000 Meter, aber du merkst schon nach 500 Metern, dass die Beine schwer werden. Und schon nach 750 Metern kommst du langsam in den Tunnel und dein Gehirn kann sich nur noch auf ganz wenige Dinge konzentrieren. Dann musst du schauen, wie du auf Zack bleibst. Ich versuche immer, für mich die Schläge zu zählen, das hilft mir. Und zwischen 1000 und 1500 Metern geht es darum, deine Gegner zu zerstören, die Psychokeule herauszuholen und den richtigen Stich zu setzen. Da ist dann Taktik gefragt. Da bist du aber wie gesagt längst im roten Bereich. Wenn die Hupe endlich ertönt und du als Sieger ins Ziel gekommen bist, tut es wirklich viel weniger weh, als wenn du auf Rang fünf landest.
Rang fünf wäre in Tokio kein Erfolg, so dominant wie Sie in dieser Saison waren. Zählt ehrlicherweise nur Gold im Finale am 30. Juli?
Zeidler: Ich will nichts verschreien, aber mein Ziel ist klar: Olympiasieger zu werden. Keine Medaille zu gewinnen wäre nach der Dominanz, die ich ausgestrahlt habe, auch komisch. Mein Ziel ist es, dass ich, sobald ich in Tokio an der Regattastrecke ankomme, mit jeder Zelle meines Körpers ausstrahle, dass hier niemand anders Gold holt. Dass es für die anderen nur um Rang zwei bis sechs geht. Das wird mein Mindset sein.