Am Freitag beginnt in Baku die Premierenausgabe der European Games. Ein sportlicher Testlauf, der eine Lücke in der europäischen Sportgeschichte schließen soll. Viele Top-Stars gehen nicht an den Start, die Menschrechtslage im Gastgeberland sorgt für Diskussionen. Dennoch will sich Aserbaidschan durch einen finanziellen und organisatorischen Kraftakt für weltweite Events empfehlen. SPOX beantwortet die fünf wichtigsten Fragen zu den European Games.
Was sind die European Games?
Vom 12. bis zum 28. Juni finden in Baku die ersten European Games statt. Dies hatte das EOC bei seiner 41. Generalversammlung im Dezember 2012 beschlossen. Baku bewarb sich als einziger Kandidat und erhielt 38 Stimmen bei acht Gegenstimmen von den 50 Nationalen Olympischen Komitees.
Die Europaspiele stellen eine Analogie zu bereits bestehenden multidisziplinären Sportfesten auf regionaler oder kontinentaler Ebene dar. Bereits 1951 fanden die Asian Games und die Pan-American Games ihren Anfang.
In Afrika gab es 1967, kurz nach der Dekolonisierung, die ersten All-African Games. Obgleich die Commonwealth Games seit 1911 auch europäische (britische) Sportler beherbergen, schließt Baku gesamteuropäisch eine sportgeschichtliche Lücke.
Beachsoccer-Messi Noel Ott im SPOX-Interview
Über 6000 Athleten aus 50 Nationen kämpfen in 20 Sportarten - davon sind 16 olympisch - um insgesamt 253 Goldmedaillen. Olympia 2016 in Rio de Janeiro wartet im Vergleich mit 306 Entscheidungen in 28 Sportarten auf. 50 Fernsehstationen übertragen die Spiele weltweit.
Warum European Games?
Wie erwähnt möchte Europa als Wiege der Olympischen Spiele eine Lücke schließen. Baku ist eine Art "Testballon" für die nächsten Spiele im Sommer 2019, deren Ausrichter allerdings noch nicht fest steht. Elf der 20 Wettbewerbe haben Qualifikationsrelevanz für Rio. Bei einer sportlich und wirtschaftlich erfolgreichen Austragung behält sich das EOC vor, weitere Qualifikationen im Rahmen der Europaspiele durchzuführen.
Aus sportlicher Sicht stellen die European Games ein weiteres Großereignis im Kalender dar. Vor allem junge Sportler stehen im Vordergrund, aber auch Teilnehmer aus Randsportarten erhalten die Chance, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Auch finanziell soll sich die Reise nach Aserbaidschan lohnen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zahlt 4000 Euro für Einzel-Gold, auch bei Silber und Bronze klingelt es in den Kassen der Sportler.
Aber nicht nur für die Sportler soll sich das Abenteuer Baku auszahlen: Auch das EOC wird am Umsatz der Spiele beteiligt. Dieser Beitrag speist sich aus dem Verkauf der TV-Rechte sowie Sponsorengeldern. Der DOSB erhält einen Fixbetrag von 50.000 Euro plus erfolgsabhängige Zahlungen.
Trotz der anfänglichen Zurückhaltung gegenüber den European Games stehen mit Cola Cola, Procter & Gamble , BP und Red Bull erstklassige, international operierende Sponsoren zu Verfügung, um das Event zu stemmen. Der Gastgeber selbst tut sein Übriges. Mit dem Öl-Unternehmen SAROC, der Kapital Bank sowie Azerbaijan Airlines investieren hochrangige Firmen aus dem eigenen Land Geld in die "europäische Olympiade".
Welche Sportarten werden in Baku vertreten sein?
Insgesamt treten die Wettkämpfer in 20 Sportarten, aufgeteilt in 31 Teildisziplinen, gegeneinander an. Während der Olympia-Klassiker Leichtathletik kaum vertreten ist, geht es beim Tischtennis, Schießen und Triathlon um direkte Tickets für Rio. Im Volleyball, Ringen, Radsport, Bogenschießen, Boxen und Judo sind Ranglistenpunkte zu erwerben. Mit Aerobic und dem Kampfsport Sambo gibt es auch Exoten in Baku zu bestaunen.
Am Sandstrand können sich die Zuschauer auf Beachvolleyball und Beachsoccer freuen. Turnen wird mit von der Partie sein, ebenso Basketball, das erstmals im 3-on-3 Modus ausgetragen wird. Dabei werfen die Kontrahenten auf den gleichen Korb. Ein erfolgreicher Feldversuch zählt dabei einfach, ein Wurf von Downtown bringt zwei Punkte ein. Die Shot-Clock ist auf 12 Sekunden halbiert.
Turn-Hoffnung Fabian Hambüchen im SPOX-Interview
Wassersport wird disziplinär mit 42 Wettbewerben im Schwimmen, Springen, Synchron und Wasserball überdurchschnittlich repräsentiert, allerdings lediglich mit Junioren-Europameisterschaften. Der Deutsche Schwimmerverband schickt bei dieser Gelegenheit die U17-Damen ins Rennen, bei den Männern geht der U19-Kader auf Medaillenjagd. Das gleiche gilt für die Leichtathletik. Dort laufen, werfen und springen kleinere Sportnationen wie Luxemburg, Mazedonien und Gastland Aserbaidschan um den Sieg. "Große" Sportarten wie Fußball, Handball, Reitsport und Tennis fehlen gänzlich.
Der sportliche Wert der Spiele kann also durchaus skeptisch betrachtet werden. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die Niederlande, designierter Gastgeber der European Games 2019, kurzfristig seine Kandidatur zurückgezogen hat. Ein neuer Austragungsort steht bisweilen noch nicht fest.
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Welche deutschen Sportler gehen an den Start?
Auch wenn der sportliche Wert im Schwimmen und in der Leichtathletik nicht auf Weltniveau anzusiedeln ist, geht beim Tischtennis die Post ab. Für Deutschland treten Superstar Timo Boll und Champions-League-Sieger Dimitrij Ovtcharov an. International stehen mit Marcos Freitas (Portugal) und Vladimir Samsonov (Weißrussland) zwei weitere Top-10-Akteure an der Platte.
Gleiches gilt für Volleyball: Dort misst sich das DVV-Team mit den europäischen Topnationen aus Russland, Serbien und Italien. Das Team von Viktor Heynen vertraut auf sein bewährtes Personal und geht mit Spitzenspielern wie Denis Kaliberda und Jochen Schöps ans Netz. Bei den Damen steht Lenka Dürr im Fokus. Sie ist in Baku zu Hause und spielt für Azeryol Baku.
Mit Ex-Olympiasiegerin Britta Heidemann im Degenfechten und Ex-Weltmeister Fabian Hambüchen als Fahnenträger hat der DOSB zwei weitere prominente Gesichter vor Ort. Weltmeister Raphael Holzdeppe nimmt an einem Showkampf im Stabhochsprung teil. Bei den Sportschützen und Kampfsportarten hat das Turnier Weltcup-Charakter, beim Beachvolleyball hingegen werden deutschen Profis fehlen, da die Wettbewerbe keine Quali-Relevanz für Rio 2016 haben. Insgesamt entsendet der DOSB 265 Sportler (124 Frauen und 141 Männer) nach Baku, was dem viertgrößten Aufgebot nach Russland, Italien und Gastgeber Aserbaidschan entspricht.
Was wird die Athleten in Baku erwarten?
In Aserbaidschan treffen zwei Welten aufeinander. Am deutlichsten wird dies in der Hauptstadt Baku. Die architektonisch-innovative Millionen-Metropole mit prachtvoller Skyline auf der einen Seite, die Old Town mit traditionellem Reichtum auf der anderen. Muslimische Kultur trifft hier auf alte Relikte langjähriger sowjetischer Herrschaft. Die Menschen im Land sprechen Aserbaidschani und Russisch. Englisch gibt es zusätzlich als Verkehrssprache, wird hierfür aber nur in der Öl- und Kapitalwirtschaft verwendet - dem neuen und modernen Baku.
Die totalitäre Politik von Staatspräsident Ilham Aliyew, der 2003 das Amt seines Vaters übernommen hatte, ist jedoch international sehr umstritten. Mangelnde Pressefreiheit, eingeschränkte Menschenrechte und politische Gefangene sind die Vorwürfe an die Regierung in Aserbaidschan. Auch der DOSB forderte jüngst, Regimekritiker freizulassen.
Trotz dieser Vorwürfe heimste Baku sportliche Großereignisse wie den Formel-1-GP ab 2016 in Baku und mehrere Spiele der Fußball-Europameisterschaft 2020 ein. Während im eigenen Land Gegner der Regierung unterdrückt werden, will man sich international, ähnlich wie auch China und Katar, als Big Player der Sportszene etablieren.
Davon zeugen zum Beispiel zwei gescheiterte Olympia-Bewerbungen und die für die European Games gebauten Arenen: Das Baku National Stadium, mit 68.700 Plätzen Hauptaustragungsort der Spiele (Kostenfaktor: ca. 700 Millionen Euro) und die Crystal Hall, die beide weltweiten Ansprüchen genügen dürften. Die Gesamtausgaben der Spiele liegen angeblich bei sechs Milliarden Euro.
Aserbaidschan am Rande Europas erhofft sich durch die Spiele vor allem Aufmerksamkeit und Anerkennung, nicht zuletzt durch medial perfekt inszenierte Spiele. Europa soll dabei nur der Anfang sein. Olympia ist das große Ziel. Die European Games sind also der große Testlauf. Angesicht der hohen Ausgaben und langen Vorbereitungen allerdings ein Testlauf der Superlative.