Contra: Man kann eben nicht alles haben
Von Filippo Cataldo
Stefan Kuntz hat jedes Recht der Welt, enttäuscht zu sein über die vielen Absagen für seinen Olympia-Kader. Natürlich ist es verheerend, wenn es der DFB nicht mal schafft, 22 Spieler nach Tokio zu schicken. Doch das Thema ist, wie so oft, komplexer, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Bereits vor Olympia 2016 hatten der DFB und die Bundesligisten sich darauf geeinigt, dass maximal zwei Spieler pro Verein für Olympia nominiert werden sollten, dass es keine Doppelnominierung für EM und Olympia geben sollte und dass der damalige Trainer Horst Hrubesch zudem auf Spieler verzichten würde, die im Sommer den Verein gewechselt hatten.
2016 verpassten daher unter anderem Timo Werner, Kevin Volland, Leroy Sane, Julian Weigl oder Jonathan Tah die Spiele von Rio de Janeiro. Trotzdem holte das trotz der Absagen zugegebenermaßen immer noch sehr prominent besetzte deutsche Olympiateam um die routinierten Bender-Zwillinge Lars und Sven und die jungen Matthias Ginter, Niklas Süle, Leon Goretzka und Serge Gnabry Silber.
Olympia: Top-6 der Bundesliga schickt nur drei Spieler
Insofern ist es nicht nur ein Armutszeugnis, sondern absolut zu verurteilen, dass der FC Bayern München es diesmal nicht einmal für nötig befand, seinen dritten Torwart Ron-Thorben Hoffmann für Olympia freizugeben.
Dass insgesamt nur drei Spieler des Olympia-Kaders bei den sechs besten Bundesliga-Mannschaften der vergangenen Saison unter Vertrag stehen, hat aber auch andere, mehr oder weniger triftige Gründe.
Eintracht Frankfurt etwa hat bis auf den nachnominierten Ragnar Ache keine Spieler, die in Frage gekommen wären. Bei Bayer Leverkusen, das Nadiem Amiri abgestellt hat, sieht es nicht anders aus.
Beim BVB wären altersmäßig etwa nur Felix Passlack und Mo Dahoud in Frage gekommen. Auf Youssoufa Moukoko verzichtete Kuntz freiwillig und Mats Hummels stand zwar offenbar auf der vorläufigen 100er-Liste, die Kuntz im Januar an die NADA melden musste, doch der Kandidat für die Alterspräsidentenrolle des Olympiateams, die jetzt Max Kruse gewohnt überragend übernommen hat, durfte dann ja doch mit zur EM. Kuntz wurde hier also Opfer von Joachim Löws Umdenken.
Kuntz wurde aber natürlich auch und vor allem Opfer des immer dichteren internationalen Spielplans, der kaum noch Raum für Pausen lässt. Was sich in diesem Corona-Jahr noch verschärft hat.
Hauptproblem sind UEFA und FIFA
Viele Spieler sind schon jetzt am Maximum angelangt. U21-Europameister Ridle Baku etwa hätte nach einer Saison, in der er für den VfL Wolfsburg immer auf dem Platz stand, nebenbei für die A-Nationalmannschaft debütierte und die U21 zum EM-Titel führte, praktisch ohne Pause auch noch zum Olympiaturnier reisen müssen. Nur, um dann nach Saisonbeginn zu einem der Gesichter des neuen DFB-Teams unter Hansi Flick werden zu sollen: Dass VfL-Sportchef Marcel Schäfer da kurz den Stecker gezogen hat, hilft dem Spieler am Ende wahrscheinlich noch mehr als dem Klub.
Solange die UEFA nicht ihre in allen Beziehungen unsinnige Nations League abschafft, solange der internationale Spielkalender nicht entschärft wird, ergibt eine Abstellungspflicht für Olympia, wie sie es etwa in Spanien durch ein nationales Sportgesetz gibt, keinen Sinn. Im Gegenteil: Angesichts der Umstände wäre sie sogar Wahnsinn. Zumal es ja nicht besser werden wird. Bei der UEFA gibt es offenbar Überlegungen, die EM von jetzt schon reichlich vielen 24 auf 32 Teams weiter aufzublähen. Die FIFA überlegt, die WM alle zwei Jahre durchzuführen.
Und so lassen sich im Grunde für die allermeisten Absagen valide und nachvollziehbare Argumente finden. Etwa für die kurzfristige Absage des bei der U21-EM überragenden Niklas Dorsch. Er sprach ja selbst von einer "Zwickmühle". Einerseits wäre er gerne bei Olympia dabei gewesen, andererseits ist er gerade zum FC Augsburg gewechselt, der schon zwei Spieler abgestellt hatte und für den es wie immer zunächst darum gehen wird, den Abstieg zu verhindern.
Wenn der FCA ihm die Reise nach Tokio verweigert, ist das schade für Kuntz, für das Team und für den Spieler. Aber ein Armutszeugnis ist es nicht. So toll die olympische Idee grundsätzlich ist: Man kann nicht alles haben.