Frank Stäbler ist einer der erfolgreichsten Ringer der Welt und will sich in Tokio seinen letzten Traum erfüllen: eine olympische Medaille. Im Interview mit SPOX spricht der 32-Jährige über seine Vorbereitung, die Zuschauer-Frage und seine bisherigen Erlebnisse bei Olympischen Spielen.
Außerdem berichtet Stäbler von einem turbulenten vergangenen Jahr, seiner laufenden Abnehmtortur und davon, wie er einst mit Usain Bolt dessen Goldmedaille in einem Londoner Club feierte.
Herr Stäbler, wie viel wiegen Sie derzeit?
Frank Stäbler: Das kann ich Ihnen ziemlich genau sagen, weil ich mein Gewicht momentan immer auf 100-200 Gramm genau einschätzen kann: 71,5 Kilo.
Grund für Ihre genauen Kenntnisse ist, dass Sie mitten in der Phase des "Abkochens" stecken, in der Sie sich von Ihren normalerweise 75 Kilogramm auf 67 Kilogramm runterhungern müssen, um an der entsprechenden Gewichtsklasse bei Olympia teilnehmen zu können. Wie unangenehm kann das werden?
Stäbler: Ich sage immer: Das ist ein Gang durch die Hölle. Dieser Kampf hinter den Kulissen ist wirklich der schwierigste von allen. Da der Weltverband meine eigentliche Gewichtsklasse für Olympia gestrichen hat, trete ich nun eine weiter unten an und muss deswegen durch diese Abnehmtortur. Das Ganze dauert etwa drei Monate, in denen ich die Ernährung, das Training und das Mentale komplett umstelle und so von meinem Ausgangsgewicht, bei dem ich schon nur acht Prozent Körperfett habe, nochmal über acht Kilo abnehme.
Das heißt konkret?
Stäbler: Konkret sieht das so aus, dass ich zuerst den weißen Zucker komplett aus meiner Ernährung verbannt habe. Das ist sehr, sehr schwierig, denn selbst in Wurst findet man Zucker. Mein zweiter Schritt war es, abends auf Kohlenhydrate zu verzichten, um dem Stoffwechselrhythmus zu entsprechen. Im dritten Punkt will ich zur Stoffwechselmaschine werden, meinen Körper also beispielsweise durch Vitamin D, Jod und vielem mehr unterstützen, den Stoffwechsel zu verbessern. Außerdem esse ich ganz viel Chili, um das innere Feuer anzuheizen. (lacht)
Wie bleiben Sie dabei leistungsfähig?
Stäbler: Das ist die große Kunst. Wenn ich kaum noch die Kraft habe, mich auf den Beinen zu halten - wie soll ich da vier oder fünf Kämpfe absolvieren? Das wird die große Herausforderung in Tokio werden.
Wie oft trainieren Sie aktuell?
Stäbler: Ich halte mein Pensum und trainiere aktuell zehnmal die Woche, mit Gymnastik- und Atemübungen sogar 15-mal. Die Qualität muss eben auch hochgehalten werden. Wenn ich sage, "ich habe nur halbe Kraft, also trainiere ich auch nur halb", gewinne ich keine olympische Medaille.
Dazu kommen Ihr im Bau befindliches Haus und Ihre zwei kleinen Töchter. Wie viel Zeit bleibt da überhaupt noch für Vorfreude auf Tokio?
Stäbler: Ich muss schon zugeben, dass es ein turbulentes Jahr war. Gerade durch den Nachwuchs im Februar und den gleichzeitig Umzug in das neue Haus, in dem auch noch vieles Baustelle ist, zehrt es an den Nerven. Es gibt mir zwar auch eine unglaubliche Power, das Baby beispielsweise abends nochmal in den Arm zu nehmen, aber wenn ich völlig fertig vom Training nach Hause komme und durch die Kinder die halbe Nacht wach bin, bin ich morgens natürlich doppelt gerädert.
gettyFrank Stäbler zu Zuschauern bei Olympia: "Für mich ist das ein riesiger Unterschied"
Vor einiger Zeit wurde zunächst bekanntgegeben, dass die Arenen in Tokio voraussichtlich mit 50 Prozent Zuschauerauslastung bei maximal 10.000 Zuschauern öffnen dürfen. In die Makuhari Messe, in der die Ringer-Wettkämpfe stattfinden, wären das 5.000 Menschen gewesen. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Stäbler: Ich hatte mir das extrem gewünscht und habe mich mega gefreut, weil das für mich ein riesiger Unterschied ist. Bei der EM vor einigen Monaten zum Beispiel haben wir in einer leeren Halle gekämpft - das war eine Vollkatastrophe. Ich hatte null Anspannung und Adrenalin durch diese seltsame Atmosphäre und kam mir vor wie bei einem Trainingskampf. Deswegen war ich wirklich glücklich, als ich gehört habe, dass die Zuschauer zurückkehren sollen. Von mir aus hätten es, wenn es die pandemische Lage zulassen würde, gerne 20.000 sein können, je mehr, desto besser! Ich habe mich riesig darauf gefreut, im Stadion nicht mehr die Stecknadel fallen zu hören und die Herzen von zumindest 5.000 Japanern zu erobern zu können.
Die Entscheidung, Zuschauer zuzulassen, haben Sie also eindeutig positiv gesehen.
Stäbler: Zu hundert Prozent. Ich war immer ein Athlet, der es liebt, vor Zuschauern zu kämpfen und ich hatte ja anders als etwa die Fußballer oder Handballer auch gar nicht die Möglichkeit, mich daran zu gewöhnen, vor einer Geisterkulisse zu kämpfen. Von daher: Ja, zu hundert Prozent positiv!
Nun wurde allerdings verspätet doch auf eine Zuschauer-Rückkehr verzichtet. Haben Sie diese sich ständig verändernden Voraussetzungen in Ihre mentale Vorbereitung mit einbezogen?
Stäbler: Auf die Rückkehr der Zuschauer musste ich mich nicht einstellen, weil ich weiß, dass ich damit umgehen kann. Viele bekommen Lampenfieber, aber ich habe über die Jahre gelernt, aus der Kulisse Kraft zu ziehen. Worauf ich mich mental vorbereitet habe, ist das Schlimmste, also eine leere Halle.
Noch schlimmer als eine leere Halle wäre für Sie eine Absage oder erneute Verschiebung der Spiele gewesen. Sie haben stets betont, immer felsenfest von einer Austragung auszugehen, um den Fokus nicht zu verlieren.
Stäbler: Das stimmt. Ich habe mir angewöhnt, eine Art Schutzschild um mich herum aufzubauen, weil ich selbstverständlich täglich damit konfrontiert wurde. Das Thema war auch in den Gesprächen mit den Menschen um mich herum omnipräsent, was sehr belastend war. Ich habe mir eine wirkliche Auseinandersetzung damit aber nicht leisten können, weil ich hier jeden Tag in gewisser Weise sinnbildlich um mein Leben kämpfe, körperlich wie mental. Wenn ich da nur einen Funken Zweifel in mir hätte, dass das alles umsonst sein könnte, dann könnte ich die notwendige Energie nicht mehr aufbringen, den Traum einer olympischen Medaille zu leben. Ich habe mir immer gesagt: "In meiner Welt wird das stattfinden, ohne Zweifel."
In Japan sind derzeit nur rund sechs Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Kommen die Spiele trotzdem nicht doch zu früh für Japan?
Stäbler: Es ist natürlich schwierig, dass in einem solch fortschrittlichen Land nur so wenige Menschen geimpft sind. Das kann ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Aber: Die Zustimmung eines Großteils der Menschen in Japan haben die Spiele mittlerweile, auch wenn das zwischenzeitlich anders war.
Sind Sie geimpft?
Stäbler: Ja, ich bin mittlerweile geimpft. Ich hätte das zwar nicht zwingend gebraucht, weil nach meiner Corona-Infektion im vergangenen Herbst noch starke Antikörper vorhanden sind, aber ich ordne alles dem olympischen Traum unter. Ich sehe die Impfung auch als eine Art Türöffner, sie macht einiges unkomplizierter. Wenn wir vor Ort in Tokio sind, müssen wir uns beispielsweise jeden Tag einem PCR-Test unterziehen, da besteht natürlich das Risiko, dass ein solcher auch mal falsch positiv ist. Dieses Risiko minimiert die Impfung.
Frank Stäbler über seine Infektion mit dem Coronavirus
Sie sprechen Ihre Infektion an. Trotz anfangs nur schwacher Symptome hatten Sie später hart mit den Folgen des Coronavirus' zu kämpfen.
Stäbler: Es war wirklich ein Schlag ins Gesicht, als ich von meinen Ärzten erfahren habe, dass ich einen Leistungseinbruch von 20 Prozent erlitten habe. Als Leistungssportler suche ich immer nach den letzten ein, zwei Prozent und dann bekomme ich ein halbes Jahr vor Olympia so eine Nachricht - da habe ich meine Träume schon schwinden sehen. Es hat mich ein paar Tage gekostet, das zu verkraften. Letztlich ist mir das aber gut gelungen und über teilweise neue Wege bin ich nach rund drei Monaten wieder zu meiner vollen Leistungsfähigkeit
zurückgekehrt. Ohne Medikamente!
Obwohl Ihnen diese verschrieben worden waren..
Stäbler: Laut meinen Ärzten bin ich mittlerweile ausgewiesener Belastungsasthmatiker. Man sagte mir, ich könne nur mit Asthma- und Kortisonsprays wieder zu hundert Prozent gelangen. Ich habe mich aber geweigert, diese zu nehmen. Auch wenn es legal gewesen wäre, wollte ich nicht, dass es später heißt, ich sei nur Olympiasieger geworden, weil ich mir Sprays reingeballert habe. So bin ich den Weg des Risikos gegangen und habe angefangen, mit einem Atmungs-Coach zu trainieren und das Ganze auf diesem Wege in den Griff zu bekommen. Darauf bin ich stolz.
Inwieweit hat die eigene Infektion Ihren Blick auf das Virus verändert?
Stäbler: Vorher war das nicht wirklich greifbar. Wenn dieses Virus aber mich als gesunden Topathleten so aus der Bahn wirft, dann zeigt das, wie unberechenbar und individuell Corona ist. Auch wenn die Regeln manchmal blöd sind, man muss sich daran halten und sich schützen.
gettyFrank Stäbler vor seinem Karriereende: "Mir bleibt, wer ich heute bin"
Sie wurden vor kurzem 32 Jahre alt und kämpften zuletzt immer wieder mit Schulterproblemen. Für den Traum Olympia verlängerten Sie Ihre Karriere um ein Jahr. Wie fit sind Sie?
Stäbler: Als mein Körper vor einiger Zeit an allen Ecken gegen das zusätzliche Jahr rebelliert hat, habe ich zu ihm gesagt: "Du hältst bis zum Olympiafinale am 4. August durch und ich kümmere mich danach den Rest meines Lebens gut um dich." Das ist der Deal. Ich habe die Schulter so stabilisiert, dass sie der Belastung vorerst standhält. Letztlich ist es aber so, dass die Verletzung der Schultereckgelenkssprengung sich einfach nicht mit der Sportart Ringen verträgt. Darum ist es ein harter Weg mit vielen Schmerzen. Es werden definitiv auch über die Karriere hinaus Spuren bleiben, nicht nur in der Schulter. Leistungssport ist letztlich nicht gesund für den Körper, man opfert da sehr, sehr viel. Ich habe mir aber schon früh überlegt, dass ich das in Kauf nehme, weil ich durch den Sport ein außergewöhnliches Leben führen kann.
Dazu gehören bisher zwei Olympia-Teilnahmen, 2012 debütierten Sie in London.
Stäbler: Damals war ich 21, das war eine unglaubliche Erfahrung. Mitten im größten Sportereignis der Welt habe ich im Deutschen Haus mit Prinz Albert von Monaco zu Tisch sitzen dürfen und mit Michael Phelps morgens um sechs Uhr im McDonald's Katerfrühstück gemacht. (lacht) In London war es so, dass die Stadt und damit die Clubs ganz in der Nähe des Deutschen Hauses waren. Wir haben dort vorgeglüht und sind dann in der Jogginghose weitergezogen.
Erinnern Sie sich an etwas Besonderes?
Stäbler: Ich erinnere vor allem noch an eine Geschichte mit Usain Bolt: Wer am Club-Eingang eine Akkreditierung oder Medaille vorzeigen konnte, der ist direkt zum VIP-Eingang geleitet worden. An einem Abend stand ich dadurch plötzlich in einem abgetrennten Bereich, in dem Bolt am Tag seines Olympiasieges den DJ gemacht und mit Champagner herumgespritzt hat. So haben wir miteinander gefeiert. Das waren unvergessliche Momente.
gettyUnd 2016 in Rio de Janeiro?
Stäbler: In Rio war es genau das Gegenteil. Ich hatte im Vorfeld sehr große Erwartungen, bin dann aber daran und an meiner Verletzung gescheitert. Ich habe eine Woche eigentlich nur durchgeheult, bevor ich wieder nach Hause geflogen bin. Das waren sehr traurige Spiele. Auch deswegen läuft für mich nun alles darauf hinaus, bei meinen letzten Spielen das letzte Mosaiksteinchen meiner Karriere namens Olympiamedaille zu gewinnen.
Was bleibt neben den Erfolgen, wenn Sie Ihre Karriere beendet haben?
Stäbler: Mir bleibt, wer ich heute bin. Ich habe dem Ringen so vieles zu verdanken und habe mir in zwei Jahrzehnten viele Fähigkeiten aneignen dürfen, die mir auf und neben der Matte helfen. Neben den Goldmedaillen ist es am Schönsten, die Person geworden zu sein, die für diese Erfolge notwendig gewesen ist.