SPOX: Wir haben vorhin schon ein bisschen über Politik gesprochen. Wenn Sie die Macht hätten, einige Dinge im Sport zu ändern, was würden Sie sofort tun?
Harting: Ich würde erstmal fünf Millionen in die Hand nehmen, um die Marke Leistungssport wieder aufzupolieren. Die ist nämlich gänzlich vergessen worden. Unsere ganzen Tugenden wie Leidensfähigkeit oder Durchsetzungsvermögen, Werte, aus denen Leistung erst entstehen kann, sind irgendwie eklig geworden. Aus Perfektion ist Partizipation geworden. Aus "Der Held" ist "Die Mannschaft" geworden. In der Wissensgesellschaft, die wir heute haben, sind Leistungen von Einzelpersonen der Grund, warum Wissen überhaut entsteht. Die Marke Leistungssport muss wieder attraktiver gemacht werden. Das war ja auch die Idee hinter der Sportlotterie, leider hat sich das ein bisschen anders entwickelt und ich bin nach dem Rückzug als Initiator im Moment auf Abstand gegangen. Grundsätzlich ist es nach wie vor dringend erforderlich, dass im Sport mehr in private Hände gelegt wird. Der Sport braucht private Entscheider an der Spitze, die auch Konsequenzen erfahren. Im Funktionärswesen ist es ja überwiegend so, dass man eine miese Performance abliefern kann und es passiert nichts, es geht einfach so weiter. Junge aufstrebende Denker zerschellen regelrecht an den alten föderativen Strukturen. Wir schaffen es nur, wenn wir ganze Reihen austauschen. Denn in jedem Unternehmen würdest du für eine unter normalen Bedingungen erreichte 1-Prozent-Performance als Steuermann gefeuert werden. Es muss mehr Privatismus rein und wir müssen die öffentlichen Gelder grundsätzlich hinterfragen - und viel wichtiger, besser einsetzen. Fragen Sie doch mal den DOSB, wo das Geld versickert, das weiß nicht mal der Chef, das muss man sich mal reinziehen. Ich wollte nie Sportfunktionär werden, doch wenn ich die absolute Befugnis bekäme, würde ich es der Zukunft zu Liebe machen.
SPOX: Wenn wir beim DOSB sind, kommen wir auch ganz schnell zu den gescheiterten Olympia-Bewerbungen. Zeigt das ganze Desaster nicht auch, dass Deutschland vielleicht eine Fußballnation ist, aber definitiv keine Sportnation?
Harting: Eines ist für mich klar: Deutschland hält sich für den Nabel der Welt. Hallo, das sind wir aber nicht. Wenn wir die olympische Bewegung boykottieren, dann geht sie eben woanders hin. Woanders sind nämlich unsere moralischen Ebenen, die wir so hochtragen, nicht wichtig. In anderen Ländern werden Dinge anders geregelt. Mit dem Nein zu Olympia haben wir es uns doppelt versaut, weil die Bewegung jetzt woanders hingeht und wir eben nicht unsere ganzen schönen Werte transportieren können. Eigentlich dumm. Es war ein taktisch falsches Nein zu einem ganz schlechten Zeitpunkt, auch einfach nicht zu Ende gedacht. Zumal es natürlich auch ein Fall von Doppelmoral ist, wenn ich FIFA oder UEFA besser sehe als das IOC. Da belügt man sich ja selbst.
SPOX: Sind die Sportarten hinter dem Fußball aber teilweise selbst schuld, dass sie nicht vom Fleck kommen?
Harting: Absolut. Ich würde bei SPOX auch nicht anfangen, über andere Sachen zu berichten, weil die Akzeptanz bei den Menschen dafür gar nicht da ist. Die Leute können nicht neun Stunden arbeiten und sich dann noch in eine Sportart reinlesen. Sie verstehen es einfach nicht, weil die Vokabeln auch erstmal angelernt werden müssen. Nehmen wir das Beispiel Kino. Was wurde da herumgejammert wegen der Raubkopiererei. Dann gab es 3D-Filme und plötzlich war die Bude wieder voll. Das Kino war nicht das Problem, das Produkt war einfach schlecht. Dann wurde etwas geändert und die Leute kamen zurück. Manche Sportarten kapieren nicht, dass das Ehrenamt toll ist, aber damit nichts verändert wird. Wenn eine Sportart olympische Medaillen gewinnen will, dann muss eine große mittelständische Firma im Hintergrund stehen und im Vollbesitz der Rechte sein.
SPOX: Wechseln wir zum Abschluss noch von der Sport- in die Bundespolitik. Die Wahlergebnisse und die Stärke der AfD sind eines der großen Themen 2016. Was ist Ihre Meinung dazu?
Harting: Wie vorhin schon einmal angedeutet, Deutschland fehlt eine Vision. Die Veränderung der Parteilandschaft ist eine Konsequenz aus Fehlern, die gemacht wurden. Man kann ja nicht Nicht-Wähler dafür beschuldigen, dass die AfD so stark geworden und in Landtage eingezogen ist. Ich kann doch nicht von Menschen verlangen, das geringere Übel zu wählen, nur um die AfD zu verhindern. Ich zwinge sie, mich zu wählen, das geringere Übel. Wie selbstvernichtend ist das denn? Das ist wirklich ein Armutszeugnis. Ich denke, dass die Menschen nicht mehr gespürt haben, überhaupt etwas verändern zu können in diesem Land. Es ist sehr traurig. Es gibt ein paar coole Politiker, aber die sind zu gut und verstehen, dass sie keine Chance mehr haben und machtlos sind, wenn sie in eine höhere Position kommen. Klaus Wowereit war zum Beispiel jemand, den ich immer ganz cool fand.