Die Weltverbände ITF (Tennis), IJF (Judo) und WA (Bogenschießen) waren bis zum Montagmittag die einzigen, die sich nach der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees gegen einen Komplett-Ausschluss Russlands detailliert geäußert haben. Der Schwimm-Weltverband FINA hingegen schloss zunächst sieben russische Schwimmer von Rio aus. Mehrere Fachverbände wie die Ruderer (FISA) haben eine Entscheidung für den späteren Montag angekündigt. Die übrigen Dachorganisationen prüfen noch.
"Ich bin bestürzt, wie schnell die ersten Weltverbände sämtliche nominierten Athleten aus Russland durchgewunken haben. Ich habe dann doch große Zweifel, dass da überhaupt eine verantwortungsvolle Prüfung stattfindet", sagte Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag.
Freitag, auch Vize-Präsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), hatte die Entscheidung des IOC "als schlechtestes Zeichen überhaupt" bezeichnet. Offenbar zeichnet sich ab, dass viele Fachverbände den russischen Athleten einen Rio-Start ermöglichen, obwohl der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF samt Präsident Sebastian Coe einen anderen Weg eingeschlagen und die Russen bis auf eine Ausnahme komplett gesperrt hat. "Sebastian Coe hat den anderen internationalen Verbänden Hilfe angeboten, aber offensichtlich wird das dort gar nicht gewünscht", sagte Freitag.
Ohne IAAF-Unterstützung sortierte die FINA zu Wochenbeginn zunächst sieben Schwimmer aus. Nikita Lobinzew, Wladimir Morozow und Darja Ustinowa sind laut FINA vom McLaren-Report betroffen. Zudem zog das russische Olympia-Komitee ROC vier Nominierte zurück, darunter die London-Olympiadritte Julija Efimowa, die bereits einmal wegen Dopings gesperrt war und damit die IOC-Kriterien nicht erfüllt. Weitere Fälle werden von der FINA noch geprüft, der Weltverband ordnete zudem die Nachkontrolle aller Dopingproben von der WM 2015 im russischen Kasan an.
"Russland ist für das Judo sehr wichtig"
Der Tennis-Weltverband empfiehlt, allen sieben nominierten russischen Spielern das Startrecht für Rio zu erteilen. Das teilte die ITF am Sonntag mit. "Die sieben russischen Nominierten sind Teil eines rigorosen Anti-Doping-Programms außerhalb ihres Landes", schrieb die ITF und verwies auf insgesamt 205 Blut- und Urinkontrollen seit 2014: "Wir glauben, dass saubere Sportler das Recht haben, in Rio anzutreten." Unter anderem gehört die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Swetlana Kusnezowa, ehemals Nummer zwei der Welt, zum Aufgebot.
Auch der Judo-Weltverband wird keine russischen Athleten von den Sommerspielen ausschließen. In einer Mitteilung unter dem Motto "Der saubere Weg nach Rio" verwies die IJF auf ihre "globale Anti-Doping-Strategie" - 84 Prozent aller für Olympia qualifizierten Athleten seien bis vergangenen Dienstag im Training oder Wettkampf getestet worden. "Es wurde jede Gelegenheit genutzt, die Athleten zu kontrollieren", teilte der Verband mit.
Drei Tage zuvor hatte bereits IJF-Präsident Marius Vizer, 2015 als Präsident aller Sport-Weltverbände (SportAccord) zurückgetreten, den "sauberen russischen Athleten" seine Unterstützung zugesichert: "Wir hoffen, dass sie dabei sein dürfen. Russland ist für das Judo sehr wichtig." Der russische Staatspräsident Wladimir Putin, einst selbst Judoka, ist IJF-Ehrenpräsident.
Auch die drei nominierten Bogenschützinnen dürfen starten. Tujana Daschidorschjewa, Xenia Perowa und Inna Stepanowa erfüllten die Kriterien des IOC, teilte der WA mit, sie seien intensiv getestet worden. Keine der drei Athletinnen war schon einmal wegen Dopings gesperrt.
Geiger "um Sport besorgt"
Den deutschen Spitzenfunktionären stößt die Entscheidung des IOC weiter bitter auf. "Ich bin sehr besorgt um unseren Sport", sagte Präsident Michael Geiger vom Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) im Deutschlandfunk zum Verzicht des IOC auf Russlands Generalausschluss von den Sommerspielen in Rio trotz belegten Staatsdopings.
Geiger beklagt die mangelnde Entschlossenheit der IOC-Spitze um den deutschen Präsidenten Thomas Bach ausdrücklich. "Ich hätte mir eine mutigere Entscheidung gewünscht. Wenn ich als Schiedsrichter nicht bereit bin, irgendwann auch mal die Rote Karte zu zeigen, entgleitet mir das Spiel", meinte der frühere Olympia-Referee weiter.
Der DTTB-Chef unterstellte dem IOC außerdem Doppelzüngigkeit: "Mich ärgert, dass man im Vorfeld postulierte, dass das IOC nicht zögern werde, die härtesten Sanktionen gegen beteiligte Personen und Organisationen zu ergreifen. Aber die Organisationen scheinen rausgelassen worden zu sein."
Im McLaren-Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA über flächendeckendes Staatsdoping in Russland waren auch acht Fälle im Judo aufgeführt.