Angelique Kerber fiebert den Olympischen Spielen entgegen, sie freut sich auf das Klassenfahrt-Gefühl. Die Melbourne-Siegerin träumt von Gold und spürt lange vermisste Anerkennung.
83.673 dienstliche Flugkilometer hat Angelique Kerber im vergangenen Jahr abgespult. 26 Städte in zehn Monaten. Die Hatz zwischen den Welten, Kontinenten und Zeitzonen gehört zum schnelllebigen Dasein als Tennisprofi.
Zur Entspannung setzt Kerber unter anderem auf Filme. Im Repertoire der Australian-Open-Siegerin befindet sich seit vier Jahren auch ihr ganz persönlicher Olympia-Moment. "Als ich mit der ganzen Mannschaft bei meinen ersten Sommerspielen 2012 in London ins Stadion gelaufen bin, das war Gänsehaut pur. Ich habe damals auf der Stadionrunde mitgefilmt. Und die Sequenzen schaue ich mir auch heute noch immer mal wieder an", sagte Kerber dem SID: "Es war das absolut beste Gefühl - so etwas vergisst man nie mehr."
In Rio de Janeiro gehört die Weltranglistenzweite zu den größten deutschen Hoffnungen. Ziel ist eine Medaille, "Gold wäre ein absoluter Traum", meinte die Wimbledonfinalistin, die diese Woche beim WTA-Premier-Turnier in Montreal/Kanada antritt und von dort nach Brasilien fliegen wird.
Kerber hofft auf das Team-Gefühl
Etwas überraschend steht Kerber nicht auf der vom DOSB erstellten Top-5-Vorschlagsliste für die Fahnenträger-Wahl. Wie schwer es sein wird, die Balance zwischen dem sportlichen Ehrgeiz und dem Genuss des olympischen Klassenfahrt-Gefühls zu finden, weiß die 28-Jährige noch nicht. "Es wird interessant sein, das herauszufinden. Der Wettkampf hat natürlich Priorität. Aber ich hoffe, das olympische Flair in Rio auch genießen zu können", sagte Kerber, die im Doppel mit ihrer Zimmernachbarin Andrea Petkovic (Darmstadt) antritt.
In London 2012 war nicht so viel "Neuland wie diesmal", weil die Tennisprofis damals im vertrauten Wimbledon spielten. "Angie" setzt am Zuckerhut auf das besondere Team-Gefühl. "Ich spüre auch bei meinen Einsätzen im Fed Cup immer, dass mir das eine besondere Kraft verleiht", betonte sie. Ein bisschen spekuliert Kerber mit Abstechern zum Schwimmen, Handball oder Hockey.
Ihre Finalniederlage in Wimbledon vor zweieinhalb Wochen gegen Serena Williams (USA) hat sie gut verdaut. Die anschließende Reise zur Hochzeit von Ana Ivanovic und Bastian Schweinsteiger nach Venedig war "genau die richtige Ablenkung". Doch seit den Tagen an der Church Road hat sie die Gewissheit, "dass ich endgültig angekommen bin. Ich weiß, dass ich noch weitere Finals spielen kann - auch mit einem anderen Ausgang."
Leistung wird respektiert
Wimbledon 2016, das Endspiel gegen die große Williams, hat noch einmal etwas verändert und Kerber weiter bestärkt. "Ich habe gemerkt, dass die Fans irgendwann im Match mehr auf meiner Seite waren", berichtete die Kielerin: "Ich spüre jetzt die Anerkennung. Es hat ein bisschen gedauert, aber die Leute zeigen jetzt auch, dass sie meine Leistung respektieren und schätzen."
Auch die kleine Wimbledon-Schale für die Finalistin ist längst in ihrem Besitz. "Sie steht bei mir zu Hause genau neben der Melbourne-Trophäe. Mein Name wurde gleich nach dem Match eingraviert. Also alles gut", sagte Kerber schmunzelnd. Ihr zehn Kilogramm schwerer Australian-Open-Pokal war nach einer Reise-Odyssee und Zoll-Problemen erst mit fünfwöchiger Verspätung eingetroffen. Mit einer Rio-Medaille gäbe es solche Probleme nicht.