Da stand er nun in der Mixed Zone der Olympic Arena von Rio de Janeiro. Die Goldmedaille um den Hals gehängt, von den deutschen Journalisten umlagert. Man sah es Fabian Hambüchen an, wie wenig er sein Glück in diesem Moment begreifen konnte.
"Ich kann nicht in Worte fassen, was da heute passiert ist. Meine Gefühle sind", sagte der 28-Jährige, machte eine Pause, sah zu seinem Vater und Trainer Wolfgang hinüber und fuhr fort: "Ach ich weiß auch nicht. Ich bin einfach sprachlos."
Kein Wunder: Es war die nicht mehr für möglich gehaltene Krönung einer großen Karriere im letzten Akt, im abschließenden Auftritt auf internationaler Bühne. Nach Bronze 2008 in Peking und Silber 2012 in London nun also Olympiasieger - kein Märchenschreiber wäre in der Lage, ein schöneres Ende zu finden.
"Ich bin mit dem Gedanken angereist, einfach noch einmal die Olympischen Spiele zu erleben", erklärte der Bergisch Gladbacher: "Dann war ich schon mit dem Erreichen des Reck-Finales unglaublich glücklich. Als ich mir die Starliste angeschaut habe, wusste ich, dass die Chance auf eine Medaille da ist. Aber mit Gold hätte ich niemals gerechnet."
Das Warten wird zur Hölle
Hambüchen hatte zuvor mit einer furiosen Darbietung an seinem geliebten Reck 15,766 Punkte abgestaubt. Er verwies damit den US-Amerikaner Danell Leyvva (15,500) und Nile Wilson aus Großbritannien (15,466) auf die Plätze zwei und drei.
Bis der zweite deutsche Reck-Olympiasieger nach Andreas Wecker in Atlanta 1996 aber feststand, musste mächtig gezittert werden. Hambüchen, der sich lediglich einen kleinen Wackler bei der Landung leistete, musste im Finale nämlich als erster ran. Danach begann das schier unerträgliche Warten.
"Das war die Hölle", beschrieb der Weltmeister von 2007 die Situation, als er nur noch dabei zusehen konnte, wie die verbliebenen sieben Athleten ihre Übungen herunterturnten. Verbunden mit der Hoffnung, es möge doch bitte niemand eine ähnliche Glanzleistung wie er selbst hinlegen.
Mitleid mit dem Abgestürzten
Direkt nach ihm war London-Olympiasieger Epke Zonderland an der Reihe. Doch der Niederländer, den eine Verletzung an der rechten Hand plagte, patzte und stürzte böse. Hambüchen und Zonderland kennen sich lange und verstehen sich blendend. Erst am Tag vor dem Reck-Finale waren die beiden noch gemeinsam beim Essen.
"Es tut mir unheimlich leid für ihn. Gesagt habe ich aber nicht viel. In diesem Moment willst du von niemandem große Sprüche hören", sagte Hambüchen zum unfreiwilligen Abgang seines Kollegen.
Doch noch immer war kein Edelmetall in trockenen Tüchern. Noch sechs, noch fünf, noch vier Konkurrenten. Erst als der Brasilianer Francisco Barretto fertig war und schlechter als Hambüchen bewertet wurde, war Bronze sicher. Und auch die letzten beiden Reck-Akrobaten kamen nicht mehr vorbei.
Nun brach der Jubel aus dem Deutschen heraus. Die Anspannung war doch enorm gewesen, obwohl Vater Wolfgang ihm noch geraten hatte, sein letztes großes Finale einfach zu genießen. "Da stehst du so unter Strom, das geht einfach nicht. Du kannst an nichts anderes denken, als dein Ding durchzuziehen", erklärte der Sohnemann.
Wie sieht die Zukunft aus?
Dass der überhaupt am Zuckerhut dabei sein würde, war vor gut vier Monaten noch alles andere als absehbar. Die Schulter machte große Probleme. Es bestand die Gefahr, die Gesundheit nachhaltig aufs Spiel zu setzen. Schritt für Schritt kämpfte sich der Turn-Floh schließlich zurück.
Auch deshalb ist noch nicht ganz klar, wie es für Hambüchen, der auf jeden Fall sein zuletzt vernachlässigtes Sportstudium zu Ende bringen möchte, weitergeht. Große internationale Wettkämpfe wird er nicht mehr bestreiten, weiter in der Bundesliga an den Start zu gehen, ist aber nach wie vor eine Option.
"In so einem Moment hast du das Gefühl, noch 100 Jahre weitermachen zu können. Aber ich habe natürlich nicht vergessen, wie es in den vergangenen Monaten war. Und auch morgen früh werde ich sicher nicht ganz schmerzfrei sein", sagte Hambüchen
"Nur noch ein Haufen Schutt"
Ob damit die Schulter oder ein möglicher Brummschädel gemeint waren, konnte nicht mehr final geklärt werden. Jedenfalls kündigte Hambüchen an, mit seinen Teamkollegen partymäßig durchstarten zu wollen.
"Heute nehme ich das Deutsche Haus auseinander, da findet ihr morgen nur noch einen Haufen Schutt", prophezeite er.
Sicher ist: Wenn es sich jemand verdient hat, am Zuckerhut über die Stränge zu schlagen, dann ist das Fabian Hambüchen.