Trumpfkarte Heimvorteil: Die Garage kocht

Von Philipp Dornhegge
Jarome Iginla, Sidney Crosby und Rick Nash sind nur drei von 23 Topleuten in Kanadas Kader
© Getty

Olympia im Mutterland des Eishockeys - und dann auch noch mit allen Superstars der NHL. Bei allem Respekt vor den anderen olympischen Sportarten: In Kanada und den USA spricht man fast nur über den großen Hockey-Clash der Großmächte in Vancouver. SPOX stellt die Teams der Top-6-Eishockey-Nationen in Porträts vor und sagt voraus - nicht ganz ernst gemeint -, wie sie sich die Goldmedaille holen werden. Teil 6: Kanada.
 

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Tor: Mit Roberto Luongo, Martin Brodeur und Marc-Andre Fleury hat Kanada drei Goalies, die zur Creme de la Creme der Liga gehören. Luongo wurde in Vancouver als erster Goalie seit Bill Durnan 1947 zum Teamkapitän ernannt und ist jedes Jahr ein Kandidat für Vezina und Hart Trophy.

Ganz zu schweigen vom Heimvorteil, den der 30-Jährige genießt. Als Rückhalt der Canucks weiß Luongo genau, wie der Hase im General Motors Place, für die Spiele eigens in Canada Hockey Place umgetauft und von den Fans liebevoll die Garage genannt, läuft.

Brodeur ist zwar schon 38 Jahre alt, dafür hat er sich in diesem Jahr aber zum größten Shutout-König der NHL-Geschichte gemausert, als er am 30. Dezember beim 2:0 gegen die Pittsburgh Penguins seinen Kasten zum 105. Mal sauber hielt. Zudem gilt er als einer der besten Puckhandler auf seiner Position.

Fleury ist der jüngste der drei Goalies (25) und wird die dritte Geige spielen. Wie Luongo und Brodeur kommt er aus Quebec, der Hochburg für kanadische Goalies. Obwohl Fleury nicht immer unkritisch bewertet wird - gelegentlich wirkt er unkonzentriert und macht unnötige Fehler -, hat er im vergangenen Jahr gezeigt, dass er in wichtigen Spielen ein absoluter Top-Goalie ist. Nicht zuletzt dank seiner Performance gewannen die Penguins 2009 den Stanley Cup gegen die Detroit Red Wings.

Abwehr: Mit Kapitän Scott Niedermayer und Chris Pronger verfügt das Team über zwei ehemalige Teamkollegen, die 2007 mit den Anaheim Ducks den Stanley Cup gewannen. San Joses Dan Boyle ist einer der Hauptgründe, warum die Sharks derzeit die Western Conference anführen, und komplettiert das Triumvirat der erfahrenen Akteure.

Hinzu kommen mit Duncan Keith und Brent Seabrook zwei Spieler der Blackhawks, mit Shea Weber der All-Star-Verteidiger der Predators und mit Drew Doughty (L.A. Kings) ein 20-Jähriger, der 2008 zum weltweit besten Verteidiger der Junioren gewählt wurde.

Sie alle haben internationale Erfahrung vorzuweisen, haben Medaillen gewonnen und gehören zu den Topleuten der NHL. Viel besser kann man es eigentlich nicht treffen.

Der einzige, der fehlt, ist Mike Green. Der 24-Jährige spielt bei den Washington Capitals - immerhin das beste Team der Liga - eine vorzügliche Rolle und hat aktuell von allen Verteidigern der NHL die meisten Tore und die meisten Assists auf dem Konto. Man weiß zwar, dass Green defensiv Schwächen hat, aber man wundert sich trotzdem, dass Green keine Rolle spielt.

Sturm: Sind die Kanadier im Tor und in der Abwehr schon erstklassig besetzt, gleicht das Aufgebot im Angriff einem All-Star-Team, bei dem man schnell ins Schwärmen geraten könnte. Sidney Crosby, Dany Heatley, Jarome Iginla, Ryan Getzlaf, Joe Thornton und und und: Kanada hat mehr Potenzial im Angriff als jedes andere Team beim Olympischen Turnier.

Abgesehen von Goalie Luongo müssen die Fans aber ohne Lokalmatadoren auskommen: Die ortsansässigen Canucks setzen in der Abwehr auf Ausgeglichenheit statt Star-Power. Die wenigen kanadischen Stützen (Willie Mitchell, Shane O'Brien, Kevin Bieksa) sind einfach nicht flashy genug.

In der Offense würde sogar nur ein Mann aus Vancouvers Team in Frage kommen: Alexandre Burrows spielt an der Seite der Sedin-Zwillinge eine überragende Saison und würde sicher für noch mehr Euphorie bei den Fans sorgen. Aber man kann die Entscheidung der Coaches gegen den gebürtigen Quebecois verstehen.

Kanada hat eine unfassbare Auswahl an Topspielern zur Verfügung, sogar noch klangvollere Namen wie Martin St. Louis, Vincent Lecavalier, Jordan Staal, Shane Doan, Jason Spezza oder Steven Stamkos sucht man im Team Canada vergeblich. Die Nicht-Nominirung von Jungstar Stamkos hat zuletzt für den meisten Gesprächsstoff gesorgt.

Sollte Ryan Getzlaf aufgrund seiner Knöchelverletzung nicht rechtzeitig fit werden, würde auch nicht Stamkos, sondern Jeff Carter nachrücken.

Sucht man eine Schwachstelle, fällt eigentlich nur eins auf: Im Kader stehen nur zwei gelernte Right Winger (Iginla, Corey Perry), dafür aber eine ganze Armada an Centern. Doch eins ist klar: Mehr als Erbsenzählerei ist das nicht. Kanada ist und bleibt das tiefste Team bei den Winterspielen.

Trainer: Headcoach Mike Babcock ist seit vier Jahren Verantwortlicher bei den Detroit Red Wings und hat jedes Mal mindestens 50 Siege eingefahren. Dazu stand er zweimal in den Finals, einmal konnte er gewinnen. Mit Goldmedaillen bei je einer Junioren- und einer Senioren-WM (1997 und 2004) kann Babcock auch international einiges vorweisen.

Noch beeindruckender ist der Lebenslauf von Co-Trainer Jacques Lemaire. Der 63-Jährige kommt zwar zu seinem ersten Einsatz für Kanada, gewann allerdings in der NHL zweimal den Coach-of-the-Year-Award, zweimal den Stanley Cup und wurde bereits 1984 in die Hall of Fame aufgenommen, nachdem er schon als Spieler acht Meisterschaften feierte.

Lindy Ruff ist so eng mit den Buffalo Sabres verwurzelt wie kein anderer. Der 49-Jährige war als Spieler Kapitän der Sabres, bevor er zum Headcoach ernannt wurde. Mittlerweile sitzt Ruff seit 15 Jahren im Trainersessel - kein anderer aktueller Coach ist länger bei seinem Team. 2007 wurde er Zweiter bei der Wahl zum NHL-Trainer des Jahres, im vergangenen Jahr wurden seine Leistungen mit der Ernennung zu Kanadas Cheftrainer honoriert. Bei der WM in der Schweiz gewann Ruff die Silbermedaille.

Als dritter Assistent ist Ken Hitchcock dabei. 1999 gewann der 57-Jährige mit den Dallas Stars den Stanley Cup. Als Headcoach führte er die Columbus Blue Jackets in der vergangenen Saison erstmals in die Playoffs. Die ausgebliebene Weiterentwicklung des Teams kostete ihn allerdings unlängst den Job. Das ist sicher nicht gut fürs Selbstvertrauen, aber zum Glück muss Hitchcock ja nicht selbst aufs Eis. Viel wichtiger bei seiner Nominierung dürfte ohnehin die Tatsache gewesen sein, dass er sein Land bereits sechs Mal als Trainer oder Co-Trainer zu einem großen Turnier führte.

So gewinnt Kanada Gold: Da die Rink-Größe bei diesem Turnier den kanadischen Maßen entspricht, hat Team Canada keine Eingewöhnungsprobleme. Das aufgepeitschte Publikum brüllt den Gastgeber zum Auftakt gegen Norwegen zu einem lockeren 8:0.

Schon im zweiten Spiel gibt es jedoch den ersten Dämpfer. Die bissigen Schweizer verlangen Kanada alles ab und geben sich erst nach dem Shootout geschlagen. Ein Schuss vor den Bug zur rechten Zeit: Denn das letzte Gruppenspiel gegen den Rivalen aus dem Süden gerät zur Demonstration. Die USA haben beim 5:1 nicht den Hauch einer Chance.

Kanada nimmt Fahrt auf, fliegt durch Viertel- und Halbfinale und sieht sich im Endspiel Russland gegenüber. Ein Traumfinale für jeden Hockeyfan! Owetschkin gegen Crosby, und das beim Olympischen Turnier. Der Canada Hockey Place kocht, genauso wie der russische Superstar. Owetschkin geht viel zu aggressiv zu Werke, checkt seine Gegner reihenweise gegen die Bande, verletzt sich dabei aber selber. Nach nur fünf Minuten ist das Finale für den Superstar gelaufen.

Malkin, Datsyuk und Kowaltschuk müssen jetzt über sich hinauswachsen, aber gegen das gegenerische Starensemble und den ohrenbetäubenden Lärm in der Arena sind sie machtlos. Kanada spielt wie entfesselt, Crosby geht als Star des Turniers voran. Mit fünf Punkten ist er der Hauptgrund für den souveränen 6:2-Sieg Kanadas und die geglückte Revanche für das Viertelfinal-Aus vier Jahre zuvor in Turin.

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