Nach 16 Tagen hat sich Sotschi als Gastgeber der Winterspiele von der Sportwelt verabschiedet. Ein Rückblick auf die ganz besonderen Momente und Geschichten, auf Triumphe und Tragödien und die Exoten im Schatten der Superstars...
König Ole krönt sich zum Alleinherrscher
Wenn sich auf der Tribüne ein König verneigt, muss Historisches passiert sein. "Das ist unglaublich", sagte Harald V., Monarch von Norwegen, über einen Landsmann, der sich vor den Augen seiner Majestät selbst zum König krönte. Kurz nach seiner Goldmedaille im Sprint holt sich Ole Einar Björndalen mit der Mixed-Staffel ebenfalls Gold im Biathlon. Das achte Gold der Legende! Auf der Tribüne feiert ihn neben seinem König auch Björn Daehlie. Der Langläufer war bis dahin der erfolgreichste Winter-Olympionike aller Zeiten. Jetzt ist es Björndalen, der wie sein Landsmann acht Goldene und vier Silberne im Schrank hat. Björndalen hat jedoch eine bronzene, Daehlie nicht. Damit ist er der Alleinherrscher unter den Wintersportlern.
Pünktlich zu Olympia war der Routinier wieder da. Und wie: Schusssicher und stark in der Loipe ließ er die jüngere Konkurrenz locker hinter sich. Aber jetzt soll Schluss sein mit Leistungssport. "Es sind noch drei Weltcups. Dann ist die Saison vorbei und mein Ziel ist es aufzuhören", sagt der Norweger. Seine Bilanz außerhalb Olympias: 94 Weltcupsiege. Einer davon sogar im Langlauf. Ein weiteres Indiz dafür, dass der sympathische Norweger über seinen Sport hinausschaut: Er will in die Athleten-Kommission beim IOC. Die Chancen stehen gut. Wer will einem König schon den Zugang verwehren?
Johnny Quinn als Türöffner
Ein Türöffner, den Fuß in der Tür haben, Tür und Tor offen: Die Liste der Wortspiele für US-Bobfahrer Johnny Quinn ist schier unendlich. Die Spiele hatten kaum begonnen, da sorgte der 30-Jährige für Aufregung. Quinn machte sich nach dem Aufstehen auf den Weg in sein Bad, wollte kurz darauf zurück ins Zimmer und hatte ein Problem.
Das Schloss klemmte und ließ sich nicht mehr öffnen. Quinn versuchte es eine Zeit lang mit sanften Methoden, verlor dann aber die Geduld. Wofür das ganze Jahr trainieren, dachte sich der kräftige Athlet und rammte kurzerhand ein Loch in die versperrte Tür. Übrig blieb ein größeres Loch in der Mitte, eine dünne Schicht Holz und eine Kunststoffverkleidung kamen zum Vorschein. Bei aller Muskelkraft des Athleten: Besonders stabil wirkte die zerstörte Tür nicht.
Via "Twitter" berichtete er seiner Fangemeinde von seinem Erlebnis. Die Zahl seiner Follower vervielfachte sich daraufhin rasend. "Ohne Handy, um um Hilfe zu rufen, habe ich mein Bob-Training genutzt um auszubrechen", schrieb der Tür-Rambo.
Quinns Aktion war der Höhepunkt in der Zusammenfassung aller Baustellen rund um das Olympische Dorf: Heizkörper in drei Metern Höhe, Toiletten ohne Trennwände, dafür mit dem Hinweis versehen, dass Angeln auf dem stillen Örtchen verboten sei. Das Netz hatte mit Sotschis Infrastruktur mehr Spaß als mit dem Sport. Auch dank Johnny Quinn.
Drama on Ice: Shootout zwischen USA und Russland
Der Eispalast bebt, Putin jubelt und Thomas Bach gratuliert. Das späte 3:2 der russischen Eishockey-Stars gegen die USA sollte der Auftakt zum glorreichen Gold-Run bei den Heimspielen in Sotschi werden. Sollte! Zuerst nahmen die Referees per Video-Beweis die russische Führung zurück, dann sorgte ein Nachfahre amerikanischer Ureinwohner für den russischen Albtraum in einer magischen Nacht.
Satte 16 Versuche im Penalty brauchte das intensive Duell, um einen glücklichen Sieger zu krönen. Der Held: Timothy Leif - kurz TJ - Olshie. US-Coach Dan Bylsma wählte den Angreifer der St. Louis Blues acht (!) Mal als Schützen aus. Olshie dankte für das Vertrauen und traf sechsmal - ein überragender Wert!. Selbst Barack Obama schickte einen Glückwunsch via "Twitter" an den 27-Jährigen, der sich in 15 Minuten selbst zum Nationalhelden machte. Als Nachfahre der Anishinabe, einem Stamm von Ureinwohner hat der NHL-Spieler auch den Namen "Keeway Gaaboo". Heißt soviel wie Rückkehr. Als neuer Nationalheld dürfte die äußerst euphorisch ausfallen.
Judith Hesses Fehlstart-Drama
Im Moment der großen Enttäuschung erhält sie einen einfachen Trost. "Wenigstens bist du gesund geblieben", bekam Judith Hesse von ihrer Oma am Telefon zu hören. Die Erfurterin war als Mitfavoritin über 500 Meter im Eisschnelllauf angetreten. De facto war der Wettkampf ohne einen Lauf schon wieder vorbei. Zwei Fehlstarts, Disqualifikation, Hesse war untröstlich.
Ihr Trainer kritisierte vor allem den russischen Starter, der vor dem zweiten Lauf lange auf den Schuss gewartet hatte. "Das war eine schwache Leistung. Judith hat gezuckt, aber ihre russische Gegnerin Lobyschewa ist losgelaufen", so Stephan Gneup. Gäbe es im Eisschnelllauf einen Videobewis, Hesse wäre wohl ohne die Disqualifikation ins Rennen gegangen. Das tragische Ende ihrer Medaillen-Hoffnung wirft die 31-Jährige aber nicht um: "Es bringt ja nichts, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken", sagte Hesse nach ihren dritten Olympischen Spielen. Gut möglich, dass es nicht ihre letzten waren.
Kombinierer: Alles andere als Stallorder
Traumhafte Ausgangslage in der vorletzten Kurve: Drei Deutsche Kombinierer und zwei Norweger kämpfen um drei Medaillen. Deutscher Favorit: Björn Kircheisen. Läuferisch der stärkste und in Topform. Aber: taktisch der schwächste. Der 30-Jährige attackiert zu früh, hat im Ziel keine Kraft mehr zum Sprint und landet auf Rang 4. Tränen.
Bleiben noch zwei Deutsche. Fabian Rießle und Johannes Rydzek. In der vorletzten Kurve wird es eng. Rießle zieht kurz nach innen, streift seinen Teamkollegen, Rydzek stürzt. Rießle holt Bronze, Norwegen gewinnt. Im Zielsprint kommt es zur Diskussion zwischen Rydzek und Rießle. Wenig später umarmen sich beide. Keine Stallorder im deutschen Team und das schlechteste der denkbaren Ergebnisse aus dieser Konstellation. Deutschland litt mit, spottete allerdings auch über die "nordischen Ramponierer". Immerhin: Im Team reichte es später zu Silber. Knapp hinter Norwegen. Schon wieder.
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Der große Heimvorteil
Blickpunt Eiskunstlauf: Die überraschende Niederlage der Koreanerin Kim Yuna erhitzte die Gemüter. Die Weltmeisterin hatte sich in der Damen-Kür höchst umstritten hinter der Russin Adelina Sotnikowa mit Silber begnügen müssen. Für Experten und Fans ein echter Skandal. "Es wird interessant zu beobachten sein, ob Sotnikowa irgendwann einmal außerhalb Russlands eine solche Punktzahl erreicht", sagte Yunas früherer Trainer Byeon Seoun-Jun.
Pikant dabei: Wegen der neu eingeführten Anonymität der Punkrichter wird nur das Endergebnis der Starter sichtbar. Doppelt pikant: die Besetzung der Jury. Punkte vergaben unter anderem Alla Schechowzowa, Ehefrau des russischen Eiskunstlauf-Generalsekretärs. Als sogenannter technischer Kontrolleur wirkte Alexander Lakernik (Russland) mit, seinerzeit beim Paarlauf-Skandal in Salt Lake City als Assistent der Schiedsrichterin involviert. Auf einen Protest verzichtete die unterlegene Koreanerin. Und die Siegerin? Sotnikowa wollte sich ihren Titel nicht schlecht reden lassen. "Ich bin eine sehr schwierige Kür gelaufen, ich habe diese Medaille verdient." Es sei der Lauf ihres Lebens gewesen.
Gold für den kranken Opa
"Omi, da isch d'Dominique...". Weiter kommt sie nicht. Hemmungslos weinend sackt die frisch gebackenen Olympia-Siegerin zusammen. Eben hat Dominique Gisin Gold in der Abfahrt geholt. Kurzer Jubel, dann schnell zum Handy. Den Sieg will sie dem schwer kranken Großvater widmen. Ihr erster Trainer und Chauffeur zum Training.
"Ich bin überglücklich, dass Großpapa meinen Olympiasieg noch erleben durfte", sagte Gisin später. Im heimischen Basel hatten die Großeltern eine Kerze angezündet und für die Enkelin gebetet. Mit dem Olympiasieg gelang der 28-Jährigen der ersehnte Triumph. Und der fiel knapp aus: Tina Maze stürzte sich als letzte große Konkurrentin auf die Piste und fuhr zunächst einen Vorsprung auf die bis dahin Führende Gisin heraus. Im Ziel leuchtete auf: 0,00! Zeitgleich! Zum ersten Mal ein Doppel-Gold in einem alpinen Damen-Rennen!
Exoten on Tour
Knapp über 1,1 Millionen Einwohner, mittlerer Temperaturschnitt 15 Grad, tropisches Klima. Klingt nicht nach einem Paradies für Skifahrer. Yohan Goncalves aus Osttimor will sich trotzdem beweisen. Der 19-Jähirge startete im Slalom für den kleinen Inselstaat, der zwischen Indonesien und Australien liegt. Etwa 75.000 Euro haben ihn Vorbereitung und Reise gekostet. Respektabel: Von 117 Startern holte sich Goncalves im Slalom Platz 77! Er fuhr zwar die langsamste Zeit (+27,94 Sekunden), kam jedoch im Gegensatz zu zahlreichen Konkurrenten ins Ziel. Was wären die Spiele ohne die Winter-Exoten!
Da dürfen natürlich auch Jamaikas Bobfahrer nicht fehlen. Alles andere als perfekt verlief der Start für die "Cool Runnings" in Sotschi. Bei der Anreise fehlten Teile ihres Gepäcks. Im Wettkampf reichte es dann nur zum vorletzten Rang. Auch weil ein Konkurrent im letzten Lauf nicht mehr angetreten war. Gefeiert wurden Winston Watts und Marvin Dixon trotzdem frenetisch. Da geriet der russische Bob-Held Alex Subkow fast ein wenig in den Hintergrund.
Ski statt Geige: Vanessa Mae verdient Ihr Geld normalerweise mit dem Verkauf ihrer Musik. In Sotschi ging die 35-jährige Ausnahmeviolonistin für Thailand im Riesenslalom an den Start. Als pure Marketing-Idee kritisiert, zeigte die Musikerin aber dann doch eine ganz ordentliche Leistung bei schweren Bedingungen. Mit dem letzten Platz war sie trotzdem nicht unzufrieden. "Immerhin nicht komplett blamiert", sagte sie im Anschluss.
Mit einem anderen Wunsch war Mathilde-Aivi Petitjeamn im klassischen Langlauf der Damen angetreten. Sie wolle Afrika inspirieren, sagte die Frau aus Togo vor ihrem Start. Sportlich gab erwartungsgemäß nichts zu holen. Ein schönes Erlebnis war es für die junge Frau aber allemal: Abseits der Loipe feierte sie in Sotschi ihren 20. Geburtstag und ein bisschen Inspiration für ihre Heimat.
Sotschis dunkler Schatten
Sie war gerade aufgestanden und beim Frühstück, als Evi Sachenbacher-Stehle zurück in den Traum geholt wurde. In ihren "schlimmsten Albtraum", wie sie später sagt. Am Morgen des Staffelrennens der Damen teilte ihr der deutsche Missionschef Michael Vesper mit, dass sie nach dem 4. Platz im Massenstart positiv auf leistungsfördernde Substanzen getestet worden sei.
Der Doping-Skandal rund um die ehemalige Langläuferin erschütterte das deutsche Team und ganz Sotschi. Danach wurden vier weitere positive Proben veröffentlicht. Die zugehörigen Sportler Johannes Dürr (Österreich, Langlauf), Vitalijs Pavlovs (Lettland, Eishockey), Marina Lisogor (Ukraine, Langlauf) und William Frullani (Italien, Bob) wurden genau wie Sachenbacher-Stehle von den Spielen ausgeschlossen. Es ist Sotschis dunkler Schatten, der die feierlichen Sport-Festtage verdunkelt. Ob dumm, ungewollt oder unglücklich: Sachenbacher-Stehles Doping war ein olympischer Moment, auf den alle gerne verzichtet hätten.
Abgang eines Dramaturgen
Er verzückte über Jahre die russischen Wintersport-Fans mit Ausstrahlung, Risiko und Entertainment. Er sei auf dem Eis sein eigener Dramaturg schrieben die Medien über Jewgeni Pluschenko. Der zweifache Eiskunstlauf-Olympiasieger galt auch in Sotschi als ganz großer Hoffnungsträger für Gold. Nach Gold im Team dann das große Drama: Über Nacht sagte Pluschenko seinen Start im Einzel-Wettbewerb ab. Bei einem Sturz war eine Schraube in seinem Rücken gebrochen, die ihm bei einer früheren Operation eingesetzt worden war.
Die Schmerzen seien nicht mehr zu ertragen gewesen, begründete Pluschenko seinen Rückzug. Er wurde daraufhin hart kritisiert. Er hätte starten können, sagten die einen. Er hätte den Platz früher an seinen Teamkollegen Maxim Kowtun abgeben müssen, schimpften die anderen. Mit Pluschenko verabschiedete sich ein ganz großer Star mit Gold, aber dennoch unwürdig, von der Bühne. Ob er nach der nächsten Operation, die diese Woche stattfinden soll, nochmal aufs Eis zurückkehrt, ist fraglich. Als Dramaturg hätte Pluschenko sein Karriereende sicher anders gestaltet.