Am Ende der Nahrungskette

Von Trabajador
Julian Draxler hat Schalke 04 verlassen
© getty

Nach dem ersatzlosen Verlust von Julian Draxler befindet sich Schalke 04 in einer schwierigen Lage. Der Abgang des Eigengewächses stellt eine weitere Verfehlung von Manager Horst Heldt dar. Diese könnte ihm schlussendlich den Job kosten.

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Nein, Beschwerden über den Turbokapitalismus oder die verloren gegangene Fußballromantik können viele Fußballfans einfach nicht mehr hören. Warum sollte die zweitschönste Nebensache der Welt auch anders funktionieren als andere unschöne Dinge in unserer Gesellschaft? Neureiche, überbezahlte Schnösel haben das Geschäft fest in ihrer Hand - und die Spieler, die sie beraten, sind kaum besser.

Und doch gibt es immer wieder Momente, in denen es besonders deutlich zu Tage tritt, wie pervers die Summen sind, mit denen jongliert wird, und wie ohnmächtig und traurig viele Fans dieser Geschäftemacherei gegenüberstehen. Das ist bei Julian Draxler gerade einmal wieder so - der Julian Draxler, der vor knapp zwei Jahren noch "mit Stolz und Leidenschaft bis 2018" seinen Vertrag verlängerte.

In jeder besseren Sportgazette gibt es nach seinem Weggang zum VfL Wolfsburg entsprechende Kommentare. Dass es ihm nur ums Geld gegangen sei. Oder dass es ihm nur um die sportliche Perspektive gegangen sei. Dass es eine gute Entscheidung von Horst Heldt war. Dass es eine schlechte Entscheidung von Horst Heldt war. Jedwede Spekulation hat bestimmt ihre Berechtigung, und es gibt genügend Argumente für alle möglichen Seiten.

Nur ein weiterer Fußballer?

Und doch tut dieser Wechsel besonders im Schalker Umfeld weh, weil der Spieler nicht nur als neues Schalker Gesicht vermarktet worden war, sondern auch als sportlicher Hoffnungsträger galt, um den herum man eine Mannschaft hatte aufbauen wollen - trotz des Wunsches nach einem Wechsel ins Ausland, den Draxler selber oft genug angesprochen hatte.

Der Spieler selbst spricht in seinem Auftritt von einer "langen, langen Zeit" auf Schalke - frei übersetzt dürfte hier seine Erleichterung darüber mitschwingen, dass er aus seinem vielleicht etwas zu familiären Umfeld und der Erwartungshaltung als Heilsbringer "mit Stolz und Leidenschaft" nun flüchten konnte. So wird Julian Draxler auf Schalke sicher allen in Erinnerung bleiben - als das, was er am Ende gewesen ist: Ein weiterer Fußballprofi unter vielen.

Dann tut es mir leid, denn dann ist es zu spät!

Das Szenario könnte tatsächlich so ausgesehen haben, dass den Königsblauen am Ende die Alternativen ausgegangen sind, um auf einen möglichen Transfer von Draxler zu reagieren. Zu einem Zeitpunkt, als eigentlich keiner mehr damit rechnete, ging der Wechsel von Kevin de Bruyne über die Bühne - und so wurde auch der Draxler-Deal angeschoben. Nur hatte Horst Heldt am Ende vom (Mon-)Tag keine Alternativen mehr auf der Pfanne, um diesen Weggang aufzufangen. Oder hätte er tatsächlich die mehr als zwanzig Millionen Euro für Filip Kostic auf den Tisch legen sollen?

Spätestens in der Winterpause wird klar sein, wie diese Frage zu beantworten ist. Der überhitzte Transfermarkt hat Schalke in diesem Fall ganz ans Ende der Nahrungskette befördert - eine Entwicklung, die den Königsblauen nicht ganz fremd ist. Der letzte Transfer, der den Schalkern richtig weh getan hat, war das Anheuern von Ex-Fanikone Manuel Neuer, der nun mit Julian Draxler auf eine Stufe gestellt wird. Auch Neuer war sicher, dass er Schalke "immer im Herzen tragen" würde... eine Formulierung, die Draxler wortgleich bei seiner Vorstellung in Wolfsburg übernahm.

Hat Heldt sich transfertechnisch verzockt, könnte das für Schalke tatsächlich üble Folgen haben. Chefcoach Breitenreiter hat mehrfach auf die reichlich dünne Kaderdecke hingewiesen, die jetzt durch den Verkauf zweier junger Spieler wie Draxler und Multhaup - beide aus der eigenen Knappenschmiede - und dem zumindest angedachten Abgang von Marvin Friedrich noch dünner geworden ist.

De Bruyne - Draxler - Fehlanzeige

Geholt hat Schalke im Gegenzug nur noch Pierre-Emile Höjbjerg, der ein zentraler Mittelfeldspieler ist und die interne Versetzung von Roman Neustädter in die Innenverteidigung auffangen soll. Für die Außenpositionen gab es keine Verstärkungen mehr.

Sozusagen am Ende der Nahrungs- und Ereigniskette De Bruyne - Draxler - Fehlanzeige steht Schalke jetzt ohne seinen vermeintlichen Superstar, der zugegebenermaßen in den letzten zwei Jahren den Beweis seiner Fortentwicklung und Klasse zumeist schuldig geblieben ist. Dennoch war er im Schalker Kader einer derjenigen, der mit einem Tempodribbling, einem Übersteiger, einer überraschenden Aktion dafür sorgen konnte, dass die gegnerische Abwehr zumindest Schweißperlen auf der Stirn stehen hatte. Schwer vorstellbar, dass ähnliche Ängste durch den eher lethargischen Max Meyer oder den zuletzt ineffektiven Eric-Maxim Choupo-Moting entstehen.

Verbrannte Talente und Manager

Der Hinweis von Andre Breitenreiter zum "Verbrennen" von Talenten kommt nicht nur nicht zum ersten Mal, sondern auch nicht von ungefähr. Wer - so wie Schalke - in den letzten Jahren größere Mengen an Jugendspielern zu Profis macht, muss sie nicht nur fußballerisch ausbilden. Er muss ihnen auch Perspektiven auf Einsätze bieten und ihnen charakterliche Maßstäbe setzen. Derzeitig dürfte Breitenreiter am meisten Angst um Leroy Sane haben, der in der vergangenen Saison bereits durch sein Zaubertor gegen Real Madrid auf sich aufmerksam machte.

Doch im Gegensatz zur Konkurrenz in der Bundesligaspitze liest sich die Transferbilanz von Horst Heldt nicht wie eine Erfolgsgeschichte. Richtige Glücksgriffe, die die Mannschaft entscheidend nach vorn gebracht hätten, waren unter seiner Ägide nicht dabei - dafür bleiben vermeintliche Flops wie Chinedu Obasi, Ciprian Marica, Michel Bastos, Jan Kirchhoff, Adam Szalai, Christian Clemens, Kevin-Prince Boateng, Felipe Santana oder Roman Neustädter aber sehr prominent im Gedächtnis.

Das Ende von Heldt?

Das Einbauen der Eigengewächse aus der Knappenschmiede gestaltet sich ebenfalls schwierig. Max Meyer ist seit geraumer Zeit in einer fortdauernden Formkrise, Maurice Multhaup und Marcel Sobottka wurden mehr oder weniger verscherbelt, Julian Draxler als ehemaliges "Gesicht" des Vereins für schnöden Mammon und auf desillusionierende Weise nach Wolfsburg vertickt. Dass sich Horst Heldt mittlerweile auf jeder einzelnen Jahreshauptversammlung für seine Transferaktivitäten rechtfertigen muss, scheint immer weniger zufällig bedingt zu sein.

Da der Vertrag des Königswinterers Heldt zum Saisonende ausläuft, ist auch sein Verbleib auf Schalke wohl sehr stark davon abhängig, wie sich die Mannschaft in der Hinrunde sportlich präsentiert. Vielleicht war der Verkauf von Julian Draxler ohne entsprechendes Gegengewicht deshalb auch schon der letzte große Fehler des Schalker Managers. Clemens Tönnies' derzeitige Ruhe dürfte deshalb für Heldt eher gefährlich als nützlich sein.

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