Ausnahmesportler wie von Cramm suchten die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung 1933. Edelmütig und stark, unnachgiebig und aufrecht - mit diesen Attributen wollte Hitler seine Sportler in den Wettstreiten gegen die anderen Nationen siegen sehen, um die Übermacht der arischen Rasse zu propagieren.
Kaum einer schien besser geeignet als Gottfried von Cramm mit seinem den arischen Richtlinien entsprechenden Aussehen und seinem exzellenten Ruf. So kam es, dass man ihm empfahl der NSDAP beizutreten. Von Cramm weigerte sich. Er wollte mit den Nazis nichts zu tun haben. Dennoch ging er 1937/38 zusammen mit den anderen drei deutschen Stars Henner Henkel, Dr. Heinrich Kleinschroth und Marlies Horn auf Welttournee.
In den USA, Japan, Australien und auf den Philippinen bestritt das Quartett vom Regime angeordnete Spiele. Das war's dann aber auch mit dem Gehorsam. Von Cramms sorgte stattdessen für mehrere Eklats.
In Japan predigte er in einer Rede vor Tausenden Frieden und das Miteinander aller und verzichtete auf eine Erwähnung Hitlers. In Australien besuchte er den Kinofilm "The Road Back", eine Verfilmung des in Deutschland verbotenen Werks von Erich Maria Remarque.
Verurteilt wegen Homosexualität
In Berlin tobte die politische Führung, als sie die Titelblätter der australischen Zeitungen in die Finger bekam, die einen lächelnden von Cramm auf einem breiten Kinosessel zeigten. Am 4. März kamen die Deutschen nach sieben Monaten wieder in der Heimat an, einen Tag später klingelte es während des Abendessens auf dem von Cramm'schen Gut an der Tür. Es war die Gestapo, Gottfried von Cramm wurde verhaftet.
Es hieß, er habe gegen §175 des Reichsstrafgesetzbuches verstoßen, gegen den sogenannten "Homosexuellen-Paragraphen". Man unterstellte ihm, eine homosexuelle Beziehung zum jüdischen Schauspieler Manasse Herbst gehabt zu haben. Es ist bis heute ungeklärt, ob dies tatsächlich der Fall war.
Einige sagen, die Nazis hätten nur einen Vorwand gebraucht, um einen unliebsamen Regime-Störer außer Gefecht zu setzen. Andere Zeitzeugen konstatierten, es wäre ein offenes Geheimnis gewesen, seine Ehen mit Lisa von Dobeneck (1930 bis 1937) und Barbara Hutton (1955 bis 1957), der Ex-Geliebten von keinem Geringeren als Hollywood-Star Cary Grant, seien nur Scheinehen gewesen.
Protest vom König
Von Cramm kam ins Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit und wurde schließlich zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Seine Freunde und Familie setzten derweil alle Hebel in Bewegung, um seine Freilassung zu bewirken. Donald Budge, gegen den von Cramm 1937 im Wimbledon-Finale verloren hatte, setzte ein empörtes Schreiben auf, das unter anderem die Baseball-Ikone Joe DiMaggio und Oscar-Gewinner Paul Muni unterzeichneten.
Gustav V. kontaktierte Hitler persönlich und von Cramms Mutter erhielt eine Audienz bei Hermann Göring. Es half. 1938 kam der Tennis-Star offiziell wegen guter Führung frei - und hatte durch die Vorstrafe doch sein Recht verwirkt, an Turnieren teilzunehmen.
Mit einer Ausnahmeregelung durfte er 1939 an einem Turnier im Londoner Queens Club teilnehmen. Er gewann souverän und schlug im Halbfinale Bobby Riggs, der im selben Jahr Wimbledon gewann. Von Cramm hatte aus nie vollständig geklärten Gründen seine Teilnahme abgesagt.
Im selben Jahr begann der Krieg und legte sich wie ein dunkle Leichentuch über Europa, das auch von Cramm bedeckte. 1940 wurde er einberufen, 1942 musste er sich dem Wahnsinn der Ostfront stellen. Als Vorbestrafter durfte er keinen Offiziersdienst antreten.
Nach dem Grauen das Comeback
Er muss Schreckliches gesehen haben. Zerfetzte Körper von Kameraden, verhungerte Menschen, der Tod war überall. Von Cramm aber entkam ihm mit schweren Erfrierungen an beiden Beinen. Nach wenigen Monaten wurde er aus der Wehrmacht entlassen. Er galt als nicht mehr "kriegsverwendungsfähig", durfte zurück in die Heimat und das Grauen hinter sich lassen.
Nach dem Krieg wagte er schnell sein Comeback und hatte wieder Erfolg. Er wurde anno 1947 zum ersten Deutschen Sportler des Jahres gekürt und wiederholte den Erfolg im darauffolgenden Jahr, obwohl er "lieber gesehen hätte, wäre ein anderer ausgezeichnet worden."
Von Cramm wurde zum "Tennis-Diplomaten", wie ihn der WDR später nannte. Zu Einem, der als einer der wenigen politisch unbelasteten Sportler das Ansehen des deutschen Tennissports wieder reparierte. Im Jahr 1946 war er der erste deutsche Sportler überhaupt, dem eine Auslandsreise gewährt wurde, er gründete den DTB mit und 1950 war sein Wirken entscheidend für dessen Wiederaufnahme in den Internationalen Tennisverband. Von Cramm war fortan selten in der Heimat. Er reiste viel und gründete 1951 eine Exportfirma für ägyptische Baumwolle.
Der gefeierte Besiegte
Am 8. November 1976 starb von Cramm bei einem mysteriösen Autounfall auf gerader Strecke in Kairo. Der "Tennis-Baron" war tot. Nur ein Jahr später wurde er als erster Deutscher überhaupt in die Tennis Hall of Fame aufgenommen.
Wer die Faszination von Gottfried von Cramm verstehen will, dem sei eine eindrucksvolle Szenerie geschildert: 1936 stand er als frischgekrönter French-Open-Champion im Wimbledon-Finale gegen den großen Fred Perry, den er nur Tage zuvor in einem packenden Davis-Cup-Match geschlagen hatte.
Das heißersehnte Spiel war schnell vorüber, von Cramm verlor 1:6, 0:6, 0:6. Eine Muskelverletzung hatte ihn gehemmt. Anstatt sich in Ausreden zu flüchten, trat er vor das Publikum und entschuldigte sich in bestem Englisch und mit trauriger Stimme dafür, nicht besser gespielt zu haben. Die Menschen erhoben sich und feierten den Verlierer.
Genauso feierten sie ihn 15 Jahre später nach dem Match gegen Drobny wieder. Wieder huldigte man "dem größten Gentleman der Sportgeschichte" (Badgers) und seinem eleganten Stil. Auch 1951 stand er auf dem Center Court von Wimbledon, den er so gerne einmal mit dem Siegerpokal verlassen hätte, und das Publikum durchschnitt die Sommerluft mit stehenden Ovationen für den Verlierer, der eigentlich ein Sieger war. Der Sieger der Herzen.
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