Draft-Night in der NBA. Ein Spektakel der besonderen Art. Am 25. Juni 2009 findet sich eine Horde junger talentierter Basketballer im Mekka des US-Sport, dem Madison Square Garden, in New York ein. David Stern verließt die Picks: Nr. 1 Blake Griffin, Nr. 2 Hasheem Thabeet, Nr. 3 James Harden...
Deutlich später ziehen die Chicago Bulls mit dem sechzehnten Pick James Johnson von Wake Forest. Der 22-Jährige erhebt sich mit dem Ron-Artest-Gedächtnis-Irokesen auf dem Kopf aus einer Menge seiner Kumpels, die alle ein Trikot der Bulls tragen.
So weit, so gut. Die Geschichte könnte hier zu Ende sein, wäre da nicht der ganz spezielle Lebenslauf des 206 cm großen Forwards.
Härter als Laimbeer, Oakley und Co.
Johnson ist ein Fighter, ein richtiger Fighter. Nichts besonderers, werden einige sagen. Bill Laimbeer, Dennis Rodman, Charles Oakley und Co. waren ja schließlich auch echte Kämpfer des Hardwoods, oder?
Bei Johnson beschränkt sich das Kämpfen aber nicht auf den Court, er ist Kickboxer. Ein so guter, dass er im Alter von 17 und 18 Jahren zwei Mal Weltmeister wurde und sich auch schon beim MMA versuchte. Natürlich mit Erfolg.
In 20 Kämpfen als Kickboxer ist er ungeschlagen, sein Spitzname ist aufgrund seiner unglaublich schnellen Beinarbeit "Little Ali". Wo das Little herkommt, ist bei einem Kerl seiner Größe allerdings fraglich.
"Hier bin ich euer Lehrer"
Unumstritten ist der Ursprung seines Talents und seiner Hingabe für den Kampfsport. Der "kleine" James wurde in Cheyenne, Wyoming zusammen mit acht Geschwistern groß.
Dort im beschaulichen Nordwesten der USA betreibt sein Vater Willie Johnson, mehrfacher Weltmeister im Kickboxen, eine Kampfsportschule, in der auch seine Kinder trainiert wurden und werden.
Keines der Kinder wurde zum Kämpfen gezwungen, doch war die Entscheidung einmal gefallen, wurden die Regeln vom Vater bestimmt: "Ich kann euer Freund und euer Vater sein, aber hier in der Kampfsportschule bin ich euer Lehrer. Ihr sagt: 'Yes, Sir, und no, Sir.'" Erster Grundsatz Disziplin.
Mum Vi und die "Krook City Bloods"
Eine Tatsache, die Johnson noch heute beim Basketball hilft: "In Sachen Disziplin und Schnelligkeit profitiere ich sehr von meinen Kickbox-Erfahrungen. Außerdem hat mich die ständige Auseinandersetzung mit meinen älteren Geschwistern stark gemacht. Sie ließen nie zu, dass ich aufgebe oder mich hängen lasse. Verlieren war keine Option. Wir wollten alle immer gewinnen, dass hat uns besser und besser gemacht."
In der Tat sind in der Familie alle Träger des schwarzen Gürtels, außer der 10-Jährigen Kiandra, die noch den blauen Gürtel trägt.
Auch Mutter Vi, die samoanische Wurzeln hat und in ihrer Jugend die Anführerin der Gang "Krook City Bloods" war: "Ich habe mir immer die Troublemaker ausgesucht und mehr Kerle verhauen als Frauen."
Der Roundhouse-Kick
Auch alle anderen Mitglieder des Clans waren schon mindestens Zweiter bei den nationalen Meisterschaften und hören auf so klangvolle Kampfnamen wie Tuqik, Baby Boy, Hot Nickels, The Legend oder The Professor.
In dieser Gesellschaft fällt Little Ali gar nicht auf, wohl aber am College in Winston-Salem, North Carolina, wo auch Tim Duncan seine NCAA-Karriere verbrachte.
Der letzte große Star, der Wake Forest verlies, war Hornets-Point-Guard Chris Paul, der auf ganz spezielle Weise mit Johnson Bekanntschaft machte. Auf dem Campus sagte er: "Mir wird ständig von deinen Kampfsportkünsten erzählt, aber du bist viel zu groß für einen Kämpfer."
Johnson reagierte gelassen, nahm Paul, stellte ihn hin und sagte: "Bleib einfach ruhig stehen und zuck' nicht zusammen. Ich werde dich nicht treffen, so gut bin ich." Zwei Schritte nach hinten - swisssshhhh. Ein Roundhouse-Kick fliegt Zentimeter vor Pauls Nase vorbei, der nur noch "okay, ich glaube dir", stottern kann. In your face!
Die Zeit des Kämpfens ist vorbei
Die Bulls sind sich des Hintergrunds ihrer Neuverpflichtung durchaus bewusst, wie Gar Forman auf der Präsentation des Rookies sagte: "Das Coaching-Team von Wake Forest hat uns gesagt, dass er athletisch unheimlich vom Kampfsport profitiert. Das betrifft vor allem seine Beweglichkeit, seine enorme Stabilität im Rumpf, aber auch seine unglaubliche Hand-Auge-Koordination."
Gleichzeitig sprach der Manager ein Verbot für weitere Kämpfe aus: "Ich denke, er tritt jetzt nicht mehr beim MMA an, wenn doch, werden wir das sofort vertraglich ausschließen."
Seit 2006 hat Johnson nicht mehr gekämpft und sich ganz auf den Basketball konzentriert, aber als Fighter sieht er sich immer noch: "Ich bin noch nicht fertig mit dem Kämpfen", sagt er und lässt eine Fäuste dabei fliegen.
Die Bulls haben großes Vertrauen
Doch nun soll es erst einmal in der NBA mit dem Durchbruch klappen. Die Bulls sind sich sicher, dass sie ein Toptalent an Land gezogen haben. "Wir sind uns einig, dass er zu den fünf bis sieben besten Spielern des Drafts gehört", sagte Forman.
Der Rookie selbst gibt sich gelehrig und zielstrebig: "Ich werde viel und hart trainieren und mich weiter verbessern. Neulich habe ich mir bei einem Fünftklässler einen Crossover abgeschaut. Wenn mir etwas gefällt, versuche ich die Dinge in mein Spiel einzubauen."
Eine Mischung aus Melo und The Truth
Wo er spielt, ist ihm egal: Er will dem Team helfen, sei es auf der Drei oder der Vier und beschreibt sein Spiel als Mischung aus Paul Pierce und Carmelo Anthony. Keine schlechte Mixtur, die sich die Bulls da in den Kader geholt haben.
Die Flexibilität und Beweglichkeit ist laut Vater Willie seine große Stärke: "Die meisten Jungs seiner Größe können sich nicht so fließend bewegen, so anmutig und scheinbar mühelos. Man sieht es in jeder seiner Bewegungen."
"Seine Hände sind tödlich"
Diese Stärken haben auch dazu geführt, dass er überhaupt seine Chance bei Wake Forest bekam.
Das College erhielt 2005 folgenden Scouting-Bericht aus Wyoming: "Der Junge trägt den schwarzen Gürtel, ist 206 cm groß, wiegt fast 110 Kilo und schlägt aus dem Stand Rückwartssalti. Er rennt Richtung Wand, setzt seinen Fuß an und macht einen Salto. Und seine Hände sind tödlich."
Wake war überzeugt und Johnsons Weg führte über das renommierte College direkt in die NBA. Johnson ist also ein athletischer Freak, der gerne von Fünftklässlern lernt und auch noch für gute Stimmung in der Umkleide sorgt.
Er hat einen sehr offenen Charakter und besitzt laut Vater Willie "die Fähigkeit, einen Menschen, der einen echt miesen Tag hat, zum Lachen zu bringen." Oder er kann einen zu Tode erschrecken. Fragen sie mal Chris Paul.