Schon bald startet auch die NHL wieder mit der Vorbereitung auf die neue Saison. Dann wird auch Marco Sturm nach überstandener Knieverletzung wieder dabei sein. SPOX traf den NHL-Star in Landshut und sprach mit ihm über Schneeschippen in Boston, sein Duell mit Wayne Gretzky und sein schönstes Tor. Außerdem äußerte sich Sturm offen über seine Zukunft und die Situation im deutschen Eishockey.
Vor uns liegt das Hammerbach-Stadion. Hier wird am Abend die SpVgg Landshut den FC Amberg in der Landesliga Mitte mit 3:1 besiegen.
Aber noch ist von Fußball-Stimmung nichts zu spüren. Keine Menschenseele ist zu sehen, als SPOX NHL-Star Marco Sturm trifft. Der perfekte Ort für das Interview ist schnell gefunden: Eine Parkbank vor dem Stadion, die dem Zustand zufolge weit vor dem Krieg gebaut worden sein muss.
779 Spiele hat "The German Rocket" in der besten Liga der Welt bislang absolviert und dabei stolze 429 Scorerpunkte (212 Tore und 217 Assists) erzielt. In seiner Heimat Landshut bereitete sich der 30-Jährige nun auf die neue NHL-Saison vor.
SPOX: Ich habe den Eindruck, dass Sie schon wieder ganz rund laufen. Wie geht es Ihnen nach Ihrer schweren Knieverletzung, die Sie sich in der letzten Saison zugezogen hatten?
Marco Sturm: Danke, mir geht es eigentlich ganz gut. Es war eine lange Zeit, die ich pausieren musste und ich bin sehr froh, dass ich jetzt in Landshut die Möglichkeit habe, aufs Eis zu gehen. Ich merke zwar noch, dass ich lange draußen war und ich bin noch ein bisschen steif, aber ich habe keine Schmerzen. Es wird noch etwas dauern, bis ich wieder der Alte bin, speziell im Spielerischen, aber ich habe ja noch genug Zeit. Zum Trainingcamp-Start bei den Bruins werde ich bereit sein.
SPOX: Was war das Schlimmste in den letzten Monaten?
Sturm: Die sehr lange Reha war schlimm für mich. Ich habe mich total darauf konzentriert, dass alles wieder so wird, wie es vorher war und dass vor allem die Muskulatur wieder zurückkommt. Es waren sehr harte Monate in der Reha, einen Urlaub gab es in diesem Jahr deswegen für mich auch nicht.
SPOX: Was auch schlimm gewesen sein muss, ist die Zeit in den Playoffs. Die Bruins standen kurz vor dem Stanley-Cup-Finale und Sie mussten zuschauen.
Sturm: Das stimmt, das war sehr bitter. Unter der Saison ging es noch, aber wenn dann die Playoffs losgehen, willst du natürlich dabei sein. Die Jungs haben sehr gut gespielt und ich konnte ihnen nicht helfen, aber ich war in den Playoffs zumindest immer hautnah dabei. Ich bin auch zu allen Auswärtsspielen mitgereist.
SPOX: Den Cup haben am Ende die Penguins geholt. Verdient?
Sturm: Absolut. Es ist ganz witzig, weil ich vor den Playoffs in einem Interview Pittsburgh als meinen Geheimfavoriten genannt habe. Die Penguins haben in der letzten Phase der Regular Season schon überragend gespielt, so dass es sich ein bisschen angedeutet hat. Sie sind ein würdiger Champion.
SPOX: Wenn man an die Pens denkt, denkt man an Sidney Crosby und Jewgeni Malkin. Wie ist es, gegen diese beiden Jungs zu spielen?
Sturm: Es ist schon unglaublich, was Crosby und Malkin auf dem Eis manchmal veranstalten. Das Problem für uns und alle anderen Gegner ist, dass ja irgendwie ständig mindestens einer der beiden auf dem Eis ist. Und den Rest des Kaders hat Pittsburgh mit sehr vielen Arbeitern aufgefüllt, die ohne Ende rackern und alles für die Mannschaft tun. Die Mischung ist optimal - nur so gewinnt man.
SPOX: In Boston haben Sie aber auch ein ganz starkes Team mit vielen jungen Stars zusammen. Wie würden Sie Bruins-Hockey beschreiben?
Sturm: Wir sind jung und wir spielen hart - 60 Minuten lang. Das ist Bruins-Hockey. In den Playoffs hat man gemerkt, dass uns einfach noch ein wenig die Erfahrung fehlt. Aber die bekommt man nur durch viele Playoff-Spiele. Das letzte Jahr hat uns schon einmal weitergebracht und hoffentlich können wir in der nächsten Saison mindestens wieder so weit kommen. Am liebsten wollen wir natürlich noch einen weiteren Schritt machen.
SPOX: Das würde bedeuten, dass die Bruins ins Finale kommen und dann vielleicht sogar den Cup holen?
Sturm: Das ist für jeden das Ziel und deswegen spiele ich Eishockey, ganz klar. Wir haben das Talent dazu, den Stanley Cup zu gewinnen. Man muss ja sehen, dass wir Pittsburgh in der Regular Season auch immer geschlagen haben.
SPOX: Marc Savard ist jemand, der meine Meinung nach immer noch nicht den Respekt bekommt, den er verdient. Was können Sie über Ihren Mitspieler sagen?
Sturm: Savvy ist ein begnadeter Eishockey-Spieler. Er hat unwahrscheinlich viel Talent, eine glänzende Übersicht und er macht in jedem Jahr viele Punkte. Es gab eine Zeit, in der jeder schlecht über ihn geredet hat und teilweise war das auch berechtigt, weil er faul war. Aber in den letzten Jahren hat er sein Spiel geändert. Er spielt jetzt defensiv viel besser, macht mehr für die Mannschaft und seine letzte Saison war überragend. Ich finde es schon komisch und schade, dass er bei Kanada für die Olympischen Spiele überhaupt keine Rolle gespielt hat.
SPOX: Boston ist eine ganz große Sportstadt. Es gibt nicht nur die Bruins. Es gibt die Patriots, die Celtics und die Red Sox. Was würde ein Stanley-Cup-Sieg der Bruins auslösen?
Sturm: Da wäre auf alle Fälle die Hölle los. Ich habe es in der letzten Saison schon gemerkt. Die Celtics waren weg, die Patriots waren weg, die Red Sox waren weg - es gab nur die Bruins. Die ganze Aufmerksamkeit lag auf uns und man hat das Feeling bekommen, dass Eishockey die Nummer eins in der Stadt ist. Wenn wir gewinnen, fährt Boston mehr auf Eishockey ab als auf jede andere Sportart. Besonders wenn wir gegen unseren Erzrivalen aus Montreal spielen, ist einiges los.
SPOX: Können Sie unbemerkt durch Boston laufen?
Sturm: Die Leute erkennen mich schon, aber das ist nicht schlimm. Die Amerikaner sind in dieser Beziehung sehr angenehm. Sie reden kurz mit dir, aber sie belästigen dich nicht. Das ist das Schöne an Amerika.
SPOX: Bevor Sie nach Boston getradet wurden, haben Sie lange in San Jose gespielt. Von Kalifornien an die Ostküste. Wie groß war der Schock?
Sturm (lacht): Einen krasseren Unterschied als von San Jose nach Boston zu gehen, kann man sich kaum vorstellen. Vorher lagen wir am Strand, jetzt schippen wir Schnee.
SPOX: Boston ist auch viel größer als San Jose.
Sturm: Es war für uns als Familie eine völlig neue Erfahrung. Ich habe noch nie in einer so großen Stadt gewohnt. Teilweise vermisse ich das lockere Leben in Kalifornien, weil das eigentlich mehr meinem Naturell entspricht. Aber auch die Großstadt hat seine Vorzüge. Es ist viel mehr los, man kann viel mehr unternehmen. Wir wohnen mitten in der Innenstadt und uns gefällt es super.
SPOX: Sie hätten ja auch an den Stadtrand ziehen können, oder?
Sturm (lacht): Nein, hätte ich nicht. Ich habe mich auch außerhalb umgeschaut, aber glauben Sie mir eins: Jeder, der die Stadt kennt, weiß, dass du in der Stadt wohnen willst. 90 oder 95 Prozent des Teams wohnen inzwischen in der Stadt.
SPOX: Sie sind jetzt schon sehr lange in den USA. Die Klassiker-Frage: Fühlen Sie sich schon als halber Ami?
Sturm: Nein, das würde ich nicht sagen. Für mich ist es optimal, dass ich im Sommer immer nach Hause nach Deutschland kommen kann. Ich vermisse sicher die Familie und die Freunde, die weit weg wohnen, aber ansonsten kann ich mich nicht beklagen. Meine Frau kocht gerne, deutsches Essen bekomme ich also auch immer serviert.
SPOX: Was wissen die Amis eigentlich über Deutschland?
Sturm: Die Leute in Kalifornien haben mal gar keine Ahnung, die wissen nicht mal, wo Deutschland liegt. In Boston merke ich dagegen, dass hier alles viel europäischer ist. An der East Coast weiß man mehr mit Germany anzufangen, aber die große Ahnung hat kein Mensch.
SPOX: Sie sind als Jungspund in die USA gekommen. Wenn Sie an die Zeit denken, als Sie das erste Mal in den Flieger in Richtung USA und NHL gestiegen sind, an was denken Sie?
Sturm: Puh, das war eine aufregende Zeit. Ich war sehr jung und ich habe gar nicht gewusst, was mich erwartet. In der ersten Saison war ich ganz auf mich allein gestellt. Es ist nicht so wie in Deutschland, dass du Auto, Wohnung und sonst alles gestellt bekommst. Du musst dich um alles selbst kümmern. Das war am Anfang hart, aber ich bin auch froh, dass es so gekommen ist. Die Sprache ist dadurch schnell besser geworden und ich habe sehr viel gelernt. Ich habe in ganz jungen Jahren schon meinen Traum gelebt - und ich lebe ihn immer noch.
SPOX: Gab es nie einen Moment, in dem Sie verzweifelt sind?
Sturm: Es gab sicher schwierige Momente. Gerade wenn es sportlich nicht läuft und du mit 18 Jahren alleine in den USA hockst, ist es nicht so einfach. Aber eins kann ich sagen: Ich bin seit zwölf Jahren in Amerika und es gab nicht eine Minute, in der ich Heimweh hatte und der Gedanke aufkam, dass ich zurück nach Deutschland will.
SPOX: Sie haben es angesprochen: Sie sind seit zwölf Jahren "drüben". Hätte irgendetwas in Ihrer Karriere besser laufen können?
Sturm: Nein, überhaupt nicht. Ich bin sehr glücklich, wie alles gelaufen ist. Ich hatte einen tollen Start in San Jose und bin acht Jahre bei den Sharks geblieben. Wer bleibt schon acht Jahre bei einem Klub? Und jetzt bin ich schon wieder seit langem in Boston. Ich bin nur einmal gewechselt, ich habe zwei wunderschöne Städte erwischt und auch persönlich hätte es nicht besser sein können. Wobei ich schon glaube, dass ich in einem Alter bin, in dem noch was geht.
SPOX: Wie wäre es mal mit 30 Toren?
Sturm: Ja, an der 30-Tore-Marke kämpfe ich immer noch herum. Die 20er-Barriere habe ich häufig geknackt, aber die 30 fehlen mir. Es wäre schon schön, wenn ich das noch packen würde.
SPOX: Wie viel Zeit geben Sie sich dafür noch? Sprich: Wie lange wollen Sie noch in der NHL spielen?
Sturm: So lange es geht. Ich habe nicht vor, vorzeitig nach Deutschland zurückzukehren. So lange ich Spaß habe, will ich mich in der NHL durchbeißen. Was danach kommt, ist völlig offen. Meine Kinder kommen jetzt in die Schule, vielleicht bleiben wir nach meiner Karriere auch erstmal in den Staaten. Grundsätzlich würde ich gerne dem Eishockey verbunden bleiben.
SPOX: Dann werden Sie eben Bundestrainer. Abgemacht?
Sturm (lacht): Nein, auf gar keinen Fall. Wenn ich etwas nicht machen werde, dann ist es Trainer. Dafür bin ich nicht der Typ und daran habe ich überhaupt kein Interesse.
SPOX: Es gibt sicher auch attraktivere Jobs als Eishockey-Bundestrainer in Deutschland. Wie sehen Sie die Situation im deutschen Eishockey?
Sturm: Was im letzten Jahr abgelaufen ist, war sehr bitter. Es geht ja nicht nur um die A-Nationalmannschaft. Auch die Junioren sind abgestiegen. Dass die deutschen Spieler in der DEL zu wenig Eiszeit bekommen, ist ein Problem, aber auch der DEB ist gefordert. Wenn man mit so ziemlich jedem Jahrgang absteigt, was ich persönlich schon schlimm finde, und sich dann wieder nichts tut... Es ist ein schwieriges Thema. Ich weiß auch zu wenig darüber, was im DEB alles passiert. Wir sind eben auch einfach nicht so stark wie andere Nationen. Das wird auch immer so sein.
SPOX: Auch wenn wir da keine Chance haben werden, sind die Olympischen Spiele im nächsten Jahr noch einmal ein Highlight für Sie, oder?
Sturm: Auf jeden Fall. Olympia noch einmal mitzunehmen, wird eine schöne Sache. Speziell deswegen, weil es in Kanada, in Vancouver stattfindet. Schöner kann es nicht sein.
SPOX: Gibt es überhaupt etwas, was an Ihrem Leben schöner sein könnte?
Sturm (lacht): Nein, Sie haben schon Recht. Ich könnte so viele Dinge aufzählen, die mir an meinem Beruf großen Spaß machen. Wenn man in jedem Spiel vor 18.000 Fans in der besten Liga der Welt spielt, kann ich mir nichts Schöneres vorstellen. Das ganze Drumherum passt auch und dann verdienst du noch ordentlich. Ich fahre einfach jeden Tag gerne ins Stadion.
SPOX: Wenn wir schon bei schönen Dingen sind. Was war denn bislang Ihr schönstes Tor?
Sturm: Schwierige Frage. Ich würde sagen, dass es mein erstes Tor war. Immer noch. Es war mein allererstes Spiel, zuvor hatte ich einmal aussetzen müssen. Wir haben gegen Chicago gespielt und in Unterzahl habe ich nach einem Alleingang und einem guten Fake getroffen. Den Puck habe ich noch daheim, das erste Tor vergisst man nie.
SPOX: Schönstes Tor hätten wir. Schönstes Erlebnis?
Sturm: Da gibt es mehrere. Das All-Star-Game in meinem dritten Jahr gehört dazu, das war eine Ehre, da dabei zu sein. Und dann hatte ich auch noch ein Bully gegen Wayne Gretzky. Ich glaube, ich habe nur auf ihn geschaut und gar nicht auf die Scheibe. Die WM in Deutschland habe ich auch noch gut in Erinnerung. Das hat von Anfang bis zum Ende unglaublich Spaß gemacht. Speziell in Köln war die Stimmung der Hammer. Wir haben toll gespielt und das Viertelfinale erreicht. Und dann sind grundsätzlich die Playoffs immer eines der schönsten Erlebnisse. Egal, wie lange die Spiele da gehen, die Kraft geht dir irgendwie nie aus. Du bist so angespannt und willst unbedingt am Ende den Cup hoch halten. Da geht es in jedem Spiel um alles.
SPOX: Letzte Frage: Sie haben bald Geburtstag, sind vom Sternzeichen also Jungfrau. Jungfrauen wird ein stark ausgeprägter Drang zum Perfektionismus nachgesagt. Stimmt das bei Ihnen?
Sturm: Nicht so richtig. Wenn es um den Beruf geht, dann schon, aber außerhalb bin ich nicht so perfektionistisch veranlagt. Aber man sagt ja auch, dass die Jungrauen lieb, brav und nett sind - da liege ich dann schon wieder richtig (lacht).