Jochen Reimer ist Eishockey-Goalie in der DEL und spielt für den ERC Ingolstadt. Und er ist großer MLB-Fan. Im Interview mit SPOX spricht der zweimalige Torhüter des Jahres über seine Leidenschaft zum Baseball, sein Dasein als Anhänger der Los Angeles Angels und seine Lieblingsspieler. Zudem erklärt Reimer, wie man den Sport hierzulande populärer machen könnte.
SPOX: Herr Reimer, um gleich auf den Punkt zu kommen: Wie kamen Sie als Eishockey-Profi zum Baseball?
Jochen Reimer: Ich war vor genau elf Jahren zum ersten Mal in Amerika, in L.A., damals durch einen Torwartkollegen. Und ein guter Freund von ihm wiederum hat bei den Anaheim Ducks gespielt und hat uns dann Karten für die Angels besorgt. Und das war so ein bisschen auf meiner Bucket List, dass, wenn ich mal in Amerika bin, ich auch mal ein Baseballspiel schaue.
SPOX: Waren Sie gleich voll drin in der Materie?
Reimer: Beim ersten Spiel habe ich noch nicht so viel kapiert, aber ich bin immer mehr rein gekommen und habe es mir im Fernsehen angeschaut, bin immer wieder auf Wikipedia gegangen, habe Regeln nachgeschaut und mir das so ein bisschen selber beigebracht. Das Jahr darauf war ich wieder bei meinem Kollegen - den ganzen Sommer - und war dann schon bei drei oder vier Spielen. Einen Sommer später waren es schon sechs oder sieben Spiele. Die Begeisterung ist nach und nach gewachsen. Mittlerweile ist das erste, was ich morgens nach dem Aufstehen mache, zu schauen, wie meine Angels gespielt haben und wie die anderen Spiele in der MLB ausgegangen sind.
SPOX: Manche Menschen sagen, dass sie Baseball am Anfang abgeschreckt hat. Bei Ihnen war das also nicht der Fall?
Reimer: Nein, mir hat das gefallen. Erstmal die Euphorie, mit der die Leute da hingehen, obwohl es eigentlich, wenn man es schwarz auf weiß betrachtet, ein langweiliges Spiel ist. Ich habe mich aber nach und nach reingefuchst und es hat mir richtig gut gefallen.
SPOX: Sie sagen, Sie sind vor elf Jahren zum Baseball gekommen. Das heißt, dass Sie den World-Series-Titel der Angels 2002 noch nicht als Fan mitbekommen haben?
Reimer: Nein, leider nicht. Aber ich habe - wie das ein guter Fan natürlich macht - die DVD und habe mir das natürlich ein paar Mal angeschaut.
SPOX: Wie verfolgen Sie denn normalerweise die Spiele?
Reimer: Ich habe MLB.TV. Und im Sommer, wenn ich drüben bin, kommt es natürlich im Fernsehen. Aber dann gehe ich ohnehin so oft wie möglich zu den Spielen. Letzten Sommer war es zwar nicht so oft, aber im Sommer davor war ich bei rund 20 Spielen im Stadion. Wir wohnen ja eigentlich in New Jersey, wo meine Frau herkommt - und in ihrer Familie sind alle große Mets-Fans. Mein Schwiegervater war schon Brooklyn-Dodgers-Fan und nun eben Fan der Mets. Ich gehe also so oft es geht ins Stadion - und jetzt nutze ich natürlich auch DAZN.
SPOX: Schauen Sie denn die Spiele auch mal Mitten in der Nacht live?
Reimer: Das Gute für mich als Angels-Fan ist, dass die von der Westküste kommen und die Spiele deshalb immer erst um 4 Uhr in der Früh anfangen. Das heißt, wenn ich um 6 oder 7 Uhr aufstehe, sehe ich meistens noch den spannendsten Teil vom Spiel. Aber es kommt auch vor, dass ich in den Playoffs den Wecker stelle und die Spiele komplett live anschaue.
SPOX: Sie schauen also nicht nur Spiele von den Angels, sondern auch von anderen Teams?
Reimer: Wenn irgendein Mittagsspiel in Amerika bei uns am frühen Abend läuft, dann schaue ich mir alles an - Hauptsache Baseball! Und wie gesagt bin ich mittlerweile durch die Familie meiner Frau auch Mets-Fan - das geht ja mit American League und National League. Da darf man immer einen Favoriten haben. Und es gibt natürlich Mannschaften, die einfach ziehen, wie - auch wenn es schwer für mich ist - die Yankees oder Red Sox. Oder jetzt mit Max Kepler die Twins, das verfolge ich natürlich auch.
SPOX: Haben Sie eigentlich einen bestimmten Lieblingsspieler ... also außer Mike Trout?
Reimer: (lacht) Ganz am Anfang fand ich Vladi Guerrero toll. Außerdem war ich sehr fasziniert von der ganzen Geschichte um Josh Hamilton und seine Drogenvergangenheit. Aber leider ist das ganze Thema bei den Angels nicht so aufgegangen, wie man sich das vorgestellt hat. Und klar, Mike Trout, der ist ja auch noch aus New Jersey, kommt gar nicht so weit von unserem Wohnort entfernt her. Das ist natürlich auch eine tolle Geschichte, der ist einfach brutal. Das ist ein Spieler, der immer den Unterschied machen kann und es macht Spaß, ihm zuzuschauen.
SPOX: Wie sieht es mit anderen Teams aus, haben Sie da irgendwelche Lieblingsspieler?
Reimer: Es gibt immer ein paar gute Spieler. Einer mit Angels-Vergangenheit war etwa Torii Hunter, der lange in Minnesota war. Der war toll. Und einen wie Giancarlo Stanton schaut man sich ohnehin gerne an. Jetzt durch unsere Nähe zu New York eben auch Aaron Judge, der ist der neue absolute Superstar. Über den redet ganz New York und Umgebung. Es gibt also schon einige Spieler, denen man gerne zuschaut. Washington ist auch nicht weit von uns, da gibt es Bryce Harper, der immer wieder für Furore sorgt. Wobei ich den persönlich nicht so toll finde. Seine sportlichen Qualitäten will ich ihm nicht wegnehmen, aber ...
SPOX: ... er hat eine originelle Frisur.
Reimer: (lacht) Ja, wie gesagt ... da ist mir Mike Trout sehr viel sympathischer als Harper, aber solche Spieler braucht man auch. Und der wird früher oder später bei den Yankees landen!
SPOX: Darauf wird es hinauslaufen im Jahr 2019. Aber sprechen wir weiter über die Gegenwart. Sie verfolgen wie angesprochen auch Spiele von Kepler. Schauen Sie da gezielt drauf?
Reimer: Gezielt nicht, aber wenn die Twins kommen, dann definitiv. Ich schaue in der Früh, wie meine Angels gespielt haben, wie die Mets gespielt haben und dann schaue ich auch, was der Kepler gemacht hat. Es ist schön zu sehen, wie einer aus einem Nicht-Baseball-Land für Furore sorgen kann.
SPOX: Sie haben nie selbst gespielt, aber hätten Sie mal Bock, das Ganze auszuprobieren?
Reimer: Ja klar. In Amerika gibt es natürlich Softball-Ligen und mein Schwager spielt in einer. Und für mich als Torwart ist zum Beispiel auch interessant, ob ich den Ball als Catcher fangen würde oder wie ich mich da anstellen würde. Ich wäre wohl ein guter Outfielder, denn fangen könnte ich. Aber werfen? Wohl eher nicht!
SPOX: Stichwort Catcher: Ein Goalie ist ja quasi das Gegenstück zum Catcher. Die offensichtliche Gemeinsamkeit ist, dass die beiden deutlich mehr Ausrüstung tragen als die anderen Spieler. Sehen Sie noch andere Gemeinsamkeiten?
Reimer: Der Catcher ist ein sehr, sehr wichtiger Spieler. Der dirigiert das Spiel mehr oder weniger. Und als Torwart im Eishockey ist es so, dass du von hinten - wie auch im Fußball - die Übersicht hast, und mehr oder weniger deine Vorderleute ein bisschen dirigieren willst. Beim Baseball ist das sogar noch schwieriger, denn der Catcher muss das ganze Spiel unter Kontrolle haben und natürlich auch seinen Pitcher und den auch mal beruhigen. Ich glaube, dass es definitiv Parallelen zu einem Eishockey-Torwart oder überhaupt zu einem Torwart gibt.
SPOX: Wir haben diese Frage sinngemäß Dirk Nowitzki vor einer Weile gestellt: Wer sind die besseren Athleten - Baseballer oder Eishockeyspieler?
Reimer: Ich glaube Eishockeyspieler. Aber verallgemeinern kann man es auch nicht. Es gibt auch in der MLB tolle Athleten, wenn ich mir beispielsweise in Pittsburgh Andrew McCutchen anschaue. Das ist ein Modellathlet. Oder Mike Trout. Trout könnte auch Football spielen.
SPOX: Der könnte alles spielen!
Reimer: Eben. Aber ich glaube, wenn man es verallgemeinert, sind Eishockeyspieler definitiv bessere Athleten, denn wenn ich mir einen CC Sabathia oder einen Bartolo Colon anschaue oder Prince Fielder damals ... so etwas gibt es beim Eishockey eben nicht.
SPOX: Das würde aber bestimmt lustig aussehen auf Kufen ...
Reimer: Bestimmt. (lacht) Aber klar: 162 Spiele spielt man nicht einfach so auf der linken Arschbacke runter, da muss man fit sein. Das zehrt schon ganz schön am Körper.
SPOX: Haben Sie das Gefühl, dass in Deutschland der Sport so langsam größer wird oder nehmen Sie das gar nicht wahr?
Reimer: Es wird langsam mehr. Das ist vielleicht nur eine Theorie von mir, aber: Durch den Boom von New-Era-Caps glaube ich, dass sich Leute mehr damit befassen. Und dadurch ist auch erstmal ein bisschen mehr Interesse da. Mit dem Internet und solchen Sachen wie DAZN schaltet auch mal jemand rein, der damit sonst eigentlich nichts zu tun hat. Es steckt natürlich immer noch in den Kinderschuhen, aber mir würde das natürlich auch gefallen, wenn das größer werden würde.
SPOX: Wie könnte man denn den Sport in Deutschland bekannter und populärer machen? Was wäre Ihr Ansatz?
Reimer: Es geht natürlich nur, wenn es öfter im Fernsehen gezeigt wird. Aber ich glaube, dass es jemanden bräuchte, der so ein Spiel gut erklären kann. Wenn so ein Spiel läuft, müsste einer da sein, der erklärt, was da vor sich geht. Es ist natürlich schwierig, wenn das Spiel nur im amerikanischen Originalton läuft und es einer anschaut, dessen Englisch nicht so gut ist. Dann wird es schwierig.
SPOX: Was bevorzugen Sie bei einem Spiel - gutes Pitching oder eher brutale Offensive?
Reimer: Mir ist es lieber, wenn der Pitcher ein gutes Spiel macht als dass es ein Shootout wird, in dem alles passieren kann. Das ist zwar auch schön, aber ich habe zum Beispiel im Sommer ein Spiel gesehen, das 1:0 ausging. Jacob deGrom (Pitcher der New York Mets, d. Red.) war praktisch unschlagbar. Da fieberst du schon mit ihm mit. Einen Homerun will jeder sehen, klar. Wenn es länger eng ist, kommen die ganzen Dinge, die mir gefallen im Baseball.
SPOX: Die da wären?
Reimer: Wie reagiert der Manager? Was macht er mit dem Bullpen? Bringt der andere Manager einen Pinch-Hitter? Solche Sachen, die eben auch den Reiz am Baseball ausmachen. Mir ist das lieber als wenn es zum Schluss 15:14 steht, was natürlich auch interessant sein kann.
SPOX: Die folgende Frage ist jetzt blöd formuliert, denn ich habe geschrieben: "Gerüchten zufolge tragen Sie Angels-Klamotten ..." Aber ja, Sie tragen Angels-Klamotten ...
Reimer: (lacht)
SPOX: Gibt es dazu öfter mal einen Kommentar von Kollegen oder Freunden?
Reimer: Ich habe - jetzt müsste ich lügen - schätzungsweise 50 verschiedene Angels-Mützen und tausche die öfter durch und dann kommt oft mal die Frage, was überhaupt los ist mit mir. Ich spiele natürlich auch in einer Mannschaft mit bis zu neun Nordamerikanern und die kennen alle Baseball. So kommt man grad am Anfang ins Gespräch. Wir haben jetzt grad einen neuen Spieler aus Toronto, ein ganz großer Blue-Jays-Fan. Das erste, was er mich gefragt hat, war, warum Angels? In New Jersey oder New York werde ich so oft gefragt, warum ich eine Angels-Mütze aufhabe. Ich werde immer angesprochen, ob Mike Trout mein Lieblingsspieler sei.
SPOX: Wenn ich jemandem erzähle, dass ich Baseball-Redakteur bin, wird mir immer erklärt, wie langweilig das doch alles ist. Haben Sie auch solche Erfahrungen gemacht?
Reimer: Ja! Das erste Wort ist immer "langweilig". Mein Gegenargument ist immer, dass da eben Unwissenheit vorherrscht. Das sagt eben ein Laie, der wahrscheinlich noch nicht mal ein ganzes Spiel angeschaut oder nur mal reingeschaltet hat. Vielleicht war eben mal das Inning innerhalb von fünf Minuten vorbei und das wirkt eben langweilig für jemanden, der sich nicht auskennt. Aber ich versuche dann immer zu sagen, dass so viel mehr dazu gehört als einfach nur den Ball zu treffen. Offensiv gehört viel mehr dazu, defensiv sowieso. In Amerika wächst jeder damit auf. Man fängt mit drei Jahren an, T-Ball zu spielen, danach Little League und so weiter. Da kennt jeder die Regeln. Aber hier steckt Baseball noch in den Kinderschuhen. Ich glaube, dass hier einfach die Unwissenhaft das Bild trügt. Aber da heißt es, die Unwissenden so ein bisschen aufzuklären.
SPOX: Sie sind dann auch jemand, der direkt dasteht und die Regeln erklärt?
Reimer: Ja, ich probiere das in Kurzform und frage auch, was die Leute langweilig finden und probiere immer so ein bisschen zu erklären und es so rüber zu bringen, dass es eben keinen langweiligen Eindruck macht - was ja tatsächlich überhaupt nicht so ist.
SPOX: Kommen wir mal zur aktuellen Saison. Ihr Team, die Angels, ist ja ziemlich gut drauf, hat kürzlich erst acht Spiele in Folge gewonnen und die Wildcard ist in Reichweite. Glauben Sie, das bleibt auch so und sie schaffen es dann tatsächlich in die Playoffs?
Reimer: Ich hoffe natürlich darauf. Aber die Angels - das ist das Gleiche wie mit den Mets - holen dich immer, um dich dann wieder fallen zu lassen. (lacht) Aktuell läuft es ganz gut, aber jetzt kommt die heiße Phase, die letzten 30 Spiele. Da stellt sich die Frage, ob alle gesund bleiben? Das ist nicht ganz leicht. Ich glaube, in der MLB ist es von den vier großen US-Sportligen am schwierigsten, in die Playoffs zu kommen. Das wird noch ein hartes Stück Arbeit.
SPOX: Abgesehen von den Angels, wen erwarten Sie am Ende noch in den Playoffs?
Reimer: Der Titel geht nur über die Dodgers. Houston wird drin sein. Ich glaube, dass eher die Red Sox reinkommen als die Yankees. Cleveland ist auch gut drauf. Ich glaube aber, dass an den Dodgers kein Weg vorbei führt, wenn Clayton Kershaw zurückkommt, auch wenn das der große Rivale der Angels ist.
SPOX: Wenn die Angels jetzt aus irgendeinem Grund doch nicht in die Playoffs kommen sollten, wem drücken Sie denn dann die Daumen? Denn die Mets sind ja wohl auch nicht dabei ...
Reimer: (lacht) Das weiß ich noch nicht. Ich glaube, in dem Fall würde ich mich entspannt zurücklehnen. Im letzten Jahr hat wohl wirklich jeder den Cubs die Daumen gedrückt. Jedes Jahr kristallisiert sich irgendeine Mannschaft heraus, bei der irgendwelche Dinge passieren, die dazu führen, dass man ihnen letztlich den Erfolg gönnt. Aber den Dodgers kann ich nicht die Daumen drücken, die Red Sox mag ich genauso wenig wie die Yankees. Ich glaube, dass ich mich dann entspannt zurücklehne und nur den Sport genieße.
SPOX: Aber Sie schauen es dann trotzdem an?
Reimer: Ja definitiv.
SPOX: Abschließend gefragt: Was macht für Sie die Faszination Baseball aus? Warum ist der Sport so geil?
Reimer: (denkt nach) Ich finde ihn athletisch, taktisch geprägt, spannend und sehr unterhaltsam.
Dieser Artikel wurde ohne vorherige Ansicht durch die Major League Baseball veröffentlicht.
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