"Der Deal wurde abgesegnet", ließ ein MLB-Vertreter Jeff Luhnow, den General Manager der Houston Astros, spätabends an der Westküste via Handy wissen. "Wir haben eine endgültige Verifizierung von Verlander um 23 Uhr 59 und 58 Sekunden bekommen", fuhr der Vertreter fort.
Der Deal war durch, Star-Pitcher Justin Verlander wurde ein Mitglied der Astros. Und sollte diese Geschichte vom ersten World-Series-Erfolg der Astros mal verfilmt werden - und davon ist angesichts der tragischen Umstände der Stadt nach Hurrikan Harvey durchaus auszugehen - dann dürfte dieser Blockbuster-Trade am 31. August eine zentrale Rolle spielen.
Zur Erklärung: Die bekanntere Trade Deadline ist der 31. Juli. Dies ist die sogenannte Non-Waiver-Trade-Deadline. Danach jedoch sind auch weiterhin Trades möglich, so denn ein Spieler zuvor die Trade-Waiver-Liste durchläuft. Die zweite relevante Deadline ist dann der 31. August. Wer sich bis zu diesem Tag einer Organisation anschließt - via Trade, Free Agency, Waiver Wire oder Draft - ist in den Playoffs spielberechtigt.
Hätte Verlander, der eine Full-No-Trade-Klausel in seinem Vertrag hat, also zwei Sekunden später sein Okay zum Trade gegeben, hätte er nicht mehr in den Playoffs für Houston spielen dürfen, was den Trade wohl zunichtegemacht hätte.
Houston Astros: Verlander-Trade als Initialzündung
Doch so bekamen die Astros ihr Ace und die damit einhergehende Initialzündung. Bis dahin verlief die Saison ergebnistechnisch sehr gut, man führte die American League West souverän an und in der AL hatte man die beste Bilanz, doch wurde der Kader durch zahlreiche Verletzungen dezimiert. Auch kamen Fragezeichen rund um den Bullpen auf. Zur (ersten) Deadline Ende Juli gab es daher Verhandlungen, doch bis auf den gelernten Starter Francisco Liriano, der zum Lefty-Spezialisten im Bullpen umfunktioniert wurde, kam nichts.
Entsprechend groß war die Enttäuschung auch im Team der Astros. Star-Pitcher Dallas Keuchel machte keinen Hehl aus seinem Frust: "Enttäuschung ist leicht untertrieben." Das junge Team, das in den vergangenen Jahren von Grund auf neu aufgebaut worden war, sah endlich Licht am Ende des Tunnels, doch mindestens ein Puzzleteil hatte gefehlt - bis Verlander kam.
Die Geschichte des Titels 2017 begann im Prinzip schon 2011, Ende 2011. Die Astros hatten gerade eine Saison mit 106 Pleiten abgeschlossen, da wurden sie auch schon verkauft. Drayton McLane verkaufte sein Team an den in Houston ansässigen Unternehmer Jim Crane für knapp 680 Millionen Dollar. Damit nicht genug, die Astros gaben zudem einen Umzug in die American League (West) bekannt, nachdem sie bis dahin in der NL Central ansässig gewesen waren.
Quasi als Zugeständnis des zur Saison 2013 vollzogenen Umzugs, der beide Ligen auf 15 Teams brachte, drückte die Liga dann auch beide Augen zu, während die Organisation wohl so aggressiv wie kein Team zuvor seinen Kader komplett abrüstete. Eigentlich besagt das CBA, dass Teams einen gewissen Prozentsatz ihrer Einnahmen ins Team stecken müssen. Doch die Astros durften sich gewissermaßen gesund sparen.
Houston Astros: Neuaufbau seit 2012
Lag die Payroll 2009 noch bei 108 Millionen Dollar, war sie 2013 auf unglaubliche 29 Millionen geschrumpft. Nahezu alle vorhandenen Altlasten waren weg und das Team konzentrierte sich unter Leitung des Analytik-Experten Luhnow darauf, per Draft und internationalen Amateur-Verpflichtungen an der Zukunft zu schrauben.
Auf dem Platz machte sich dies mit drei Spielzeiten mit über 100 Niederlagen in Serie bemerkbar. 2013 war der Tiefpunkt mit 111 Pleiten erreicht. Doch Misserfolg hat auch positive Aspekte - hohe Draftpicks etwa. Mit einem herausragenden Scouting-Department wurden diese äußerst effektiv genutzt.
Der erste Pick insgesamt im Draft 2012 - zugleich der erste Pick der "neuen" Astros überhaupt - war gleich Shortstop Carlos Correa, einer der größten Stars des heutigen Teams. Wenig später im selben Draft kam Pitcher Lance McCullers Jr. (41. Pick). Third Baseman Alex Bregman - eigentlich auch Shortstop - war der zweite Pick insgesamt 2015. World Series MVP George Springer (11. Pick 2011), Keuchel (221. Pick 2009) und Jose Altuve (International Signing 2008) waren freilich schon davor da, entwickelten sich aber erst so richtig unter Luhnow.
Erste Früchte ernteten die Astros dann 2015. Vor der Saison wurde A.J. Hinch, ebenfalls jemand, der auf analytische Daten schwört, als Manager verpflichtet. Und direkt in seiner ersten Saison erreichte das Team einen Wildcard-Platz und damit die Playoffs. Im Wildcard Game wurden die Yankees besiegt, anschließend war jedoch gegen den späteren Champion Royals in der ALDS nach fünf Spielen Schluss.
Houston Astros: Schlüsselzugänge 2017 als Statement
2016 schwächelte man etwas, was für junge Teams nach dem ersten Schnuppern an Playoff-Luft aber keine Seltenheit ist. 2017 begann mit zwei größeren Statements. Von den Yankees kam der erfahrene Catcher Brian McCann, der großen Anteil am Erfolg des jungen Pitchting Staffs hat, per Trade, sowie der Astros-Playoff-Held von 2004, Carlos Beltran, via Free Agency. Die Weichen für einen Playoff-Run waren gestellt.
Was fehlte, war ein weiterer Topstar. Der wurde dann Verlander, für den Luhnow sogar seine eigenen Prinzipien über Bord warf. "Die Realität ist, dass jedes ökonomische Modell, das Projektionen enthält, einen Deadline-Deal nicht gutheißt. Denn man tradet etwas, was einen enormen zukünftigen Wert haben könnte, für etwas, das einen ordentlichen aktuellen Wert hat. Mathematik unterstützt ein solches Geschäft nicht. Es geht also darum, nach bestem Ermessen zu handeln."
Der Preis für Verlander war freilich hoch: Neben drei namhaften Prospects, darunter der bis dahin unantastbare Pitcher Franklin Perez, kam noch ein hoher monetärer Preis. Verlander wird bis Vertragsende 2019 28 Millionen jährlich verdienen, wovon die Detroit Tigers allerdings acht Millionen pro Jahr übernehmen. Dennoch war der Deal eine große Überraschung in der Branche, da ligaweit der Eindruck vorherrschte, die Astros würden in Trades nie etwas abgeben. In diesem Fall taten sie es und es zahlte sich aus.
Und wie! Alle Rädchen griffen, die Astros waren nicht zu stoppen. Nach der fast schon lockeren Regular Season mit 101 Siegen wurde es dann zwar in der Postseason schwieriger, doch das junge Team spielte dann am besten, wenn der Druck am größten war. In der ALCS brauchte es sieben Spiele gegen die Yankees, in der World Series freilich ebenso sieben gegen die Dodgers. Dabei überkam man schließlich sogar seine größte Schwäche der Postseason - die Auswärtsspiele. Nur dreimal insgesamt gewann Houston auf fremdem Platz, darunter in den Spielen 2 und 7 im Fall Classic!
Houston Astros: Hinch kaschiert die größte Schwäche
Bemerkenswert war auch, wie Hinch den schwächsten Teil seines Teams umschiffte. Der Bullpen war gegen Ende der World Series fast schon ein Sicherheitsrisiko. Was tat also Hinch? Er wechselte in den wichtigen Spielen immer wieder gelernte Starter ein! Verlander spielte eine entscheidende Rolle in Spiel 4 der ALDS gegen Boston, McCullers dominierte mit seiner Curveball-Orgie in Spiel 7 der ALCS gegen die Yankees. In der World Series brillierten schließlich Brad Peacock in Spiel 3 sowie Charlie Morton in Spiel 7 aus dem Bullpen.
Unkonventioneller kann man heutzutage sicher nicht managen, doch es führte zum Erfolg und könnte letztlich zum Nachahmen verleiten. Aber eben nur in der Postseason, wenn es eventuell kein Morgen mehr gibt und alle Vorsicht über Bord geworfen werden kann.
Innerhalb von nur fünf Jahren schafften die Astros ihren Turnaround und wählten dabei ähnliche, wenn auch aggressivere, Mittel wie die Cubs, die 2016 erfolgreich waren. Nimmt man noch die Royals 2015 dazu, ergibt sich ein klarer Trend: Wer im Baseball heutzutage erfolgreich sein will, muss ganz unten an der Basis - durch den Draft und Amateur-Signings - anfangen und sein Team von Grund auf selbst bauen. Der alte Weg, mithilfe von teuren Free Agents eine Supertruppe aufzubauen, funktioniert nicht mehr.
Die Astros sind nun auf dem Gipfel angekommen. Nun stellt sich die Frage, wie es jetzt weitergeht. Personell jedenfalls steht das Gerüst dank des behutsamen Aufbaus. Alle Topleute sind noch länger unter Teamkontrolle und beziehen aufgrund ihrer meist noch geringen Servicezeit überschaubare Gehälter. Die Vermutung liegt also nahe, dass diese Truppe noch viele Jahre ganz oben mitspielen wird.
Houston Astros: Carlos Beltran bekommt seinen Ring
Abgänge wird es auch geben. In erster Linie ist Carlos Beltran zu nennen, der mittlerweile auch schon 40 Jahre alt ist und doch noch seinen Ring bekommen hat. Ob er überhaupt weitermacht, steht in den Sternen. Ansonsten jedoch bleiben die Big Names zusammen. Der Fokus von Luhnow dürfte also darauf liegen, nun auch brauchbare "echte" Relief Pitcher zu finden.
Was die mögliche Hollywood-Geschichte angeht, bleibt natürlich als übergreifendes Thema die Katastrophe namens Harvey, die das Team sicher noch enger zusammengeschweißt hat.
"Houston Strong" prangte auf den Uniformen der Baseballhelden als Signal an die Gesellschaft. Doch im Gegensatz zu einem Hollywood-Film reicht es, dies als schöne Geste realistisch einzuordnen. Den Siegeswillen hatten dieses Astros nämlich schon lange vorher - sonst wäre Harvey vielleicht in den brenzligen Situationen eher zur Belastung geworden.
Dieser Artikel wurde ohne vorherige Ansicht durch die Major League Baseball veröffentlicht.