Er stand häufig im Schatten von Babe Ruth, war aber selbst eine der größten Baseball-Legenden überhaupt: Lou Gehrig. Der Mann von den New York Yankees stellte eine unfassbare Serie auf und wandelte zwischenzeitlich auf Tarzans Spuren. Sein Leben endete viel zu früh.
Dieser Artikel wurde 2018 erstmals veröffentlicht.
"Fans, über die letzten zwei Wochen habt ihr von einer schlechten Nachricht gelesen. Heute sehe ich mich als glücklichsten Menschen auf Erden. Ich war 17 Jahre lang in Ballparks und habe von euch Fans nie etwas anderes als Freundlichkeit und Zuspruch erhalten. Wenn ihr euch umschaut, würdet ihr es nicht auch als Privileg empfinden, euch mit diesen gutaussehenden Männern, die hier heute in Uniform im Ballpark stehen, zu assoziieren? Sicher bin ich glücklich. [...] Mir steht schon ein böses Schicksal bevor, aber ich habe sehr viel, für das es sich zu leben lohnt, noch vor mir. Danke." - Lou Gehrig im Yankee Stadium am 4. Juli 1939.
Wer an die glorreiche Geschichte der New York Yankees denkt, kommt nicht an Babe Ruth, aber auch nicht an Mickey Mantle, Joe DiMaggio, Derek Jeter oder den ganz jungen Größen wie Aaron Judge in der heutigen Zeit vorbei. Doch einer darf in dieser Liste ganz bestimmt nicht fehlen. Henry Louis Gehrig, "The Iron Horse".
Größte Bekanntheit erlangte Gehrig letztlich zwar durch seine schwere Krankheit ALS, die in Nordamerika nach ihm benannt wurde (Lou Gehrig's Disease), aber auf dem Platz war er die Konstanz und Robustheit in Person.
Am 1. Juni 1925 wurde Gehrig als Pinch-Hitter für Shortstop Pee Wee Wanninger eingewechselt, am 2. Juni wiederum startete er gar für den schwächelnden Wally Pipp an der ersten Base.
Das Besondere an diesen Momenten: Sie bedeuteten den Anfang einer schier unglaublichen Serie. Von diesen Tagen an sollte Gehrig 2.130 Spiele in Serie absolvieren, ohne auch nur eines zu verpassen. Ein Rekord, der erst 1995 von Cal Ripken Jr. übertroffen wurde.
Lou Gehrig: Sohn deutscher Immigranten
Gehrig war eines von vier Kindern der deutschen Immigranten Christina Foch und Heinrich Gehrig. Seine zwei Schwestern verstarben im Kindesalter an Keuchhusten und Masern. Ein Bruder wiederum verstarb schon als Baby.
Lou, der eigentlich Heinrich Ludwig hieß, aber wie damals üblich amerikanisiert wurde, half seiner Mutter bei der Arbeit. Sie war ein Hausmädchen und die Hauptverdienerin der Familie, während der Vater, ein gelernter Blechschlosser, aufgrund seiner Alkoholsucht kaum lange einen Job behielt.
Nach seinem High-School-Abschluss studierte er an der Columbia University mit einem Football-Stipendium und dem Ziel, einen Abschluss in Ingenieurwesen zu machen. Sein großes Ziel blieb jedoch professioneller Baseball.
Um dem näherzukommen, riet ihm John McGraw, der damalige Manager der New York Giants, in einer professionellen Sommerliga zu spielen - natürlich unter falschem Namen, da auch damals schon Entlohnungen für College-Stipendiaten im Sport untersagt waren. Und so spielte "Henry Lewis" für die Hartford Senators.
Lou Gehrig: Durchbruch bei den Yankees 1925
Das Ganze flog auf und Gehrig durfte in seinem Freshman-Jahr nicht für Columbia spielen. Ein Jahr später jedoch spielte er als Fullback Football für die Schule. Baseball begann er für Columbia erst 1923 als Pitcher und First Baseman.
Noch im selben Jahr verpflichteten die Yankees Gehrig als First Baseman. Bis 1925 allerdings war er lediglich ein Ersatzspieler, der kaum das Feld sah. Das änderte sich erst mit dem Lineup-Change zu Lasten von Pipp.
Lou Gehrigs größtes Jahr in der MLB war sicherlich 1927. Seine Zahlen überragten alles, er legte praktisch eine der besten individuellen Spielzeiten überhaupt in der Geschichte dieses Sports hin.
Lou Gehrig: Statistiken der MLB-Saison 1927
Spiele | Hits | Doubles | Triples | Homeruns | RBI | OPS | OPS+ |
155 | 218 | 52 | 18 | 47 | 173 | 1.240 | 220 |
Und doch wurde diese Leistung wie so oft in seiner Karriere überschattet. Überschattet von Ruth, der als erster Mensch in einer Saison 60 Homeruns schlug, und vor allem vom Erfolg der "Murderer's Row", wie die Yankees damals genannt wurden.
Nicht wenige halten die 1927er Yankees noch heute für das größte Baseballteam, das es je gab. Folglich gewann es auch die World Series in dem Jahr - Gehrigs erster von insgesamt sechs Meistertiteln in Pinstripes.
New York Yankees 1927 - "Murderer's Row"
Position | Name | OPS+ |
Catcher | Pat Collins | 116 |
First Baseman | Lou Gehrig | 220 |
Second Baseman | Tony Lazzeri | 125 |
Third Baseman | Joe Dugan | 78 |
Shortstop | Mark Koenig | 83 |
Outfielder | Bog Meusel | 135 |
Outfielder | Babe Ruth | 225 |
Outfielder | Earle Combs | 141 |
Es folgten zahlreiche weitere besondere Jahre, in denen Gehrig immer wieder einer der Top-Run-Produzenten der Liga war. Seine 185 Runs Batted In (RBI) im Jahr 1931 sind bis heute der Allzeit-Rekord in der American League.
Seine Nummer 4 indes trug Gehrig nicht ohne Grund: Damals nämlich war es bei den Yankees üblich, die Trikotnummern gemäß der Batting Order zu verteilen. Und da Gehrig stets Cleanup schlug, also an Position 4, trug er selbige auch. Entsprechend hatte Ruth die 3 und es ist nicht gerade abwegig zu behaupten, dass Ruths legendäre Leistungen ohne die "Protection" von Gehrig so nicht möglich gewesen wären.
Ohne Gehrig hinter dem Babe hätten gegnerische Pitcher ihn einfach absichtlich per Walk auf Base schicken können. Er hätte dann wenigstens keine Homeruns gegen sie geschlagen. Gehrigs ebenso grandiose Power machte dies jedoch schwierig. Schon 1926 schlug er 20 Triples und war später auch der erste Spieler überhaupt, der vier Homeruns in einem Spiel schlug.
Allerdings war das Verhältnis zwischen den beiden nicht immer das Beste: Als 1933 Aussagen von Gehrigs Mutter über den Kleidungsstil von Ruths Tochter die Runde machten, war Ruth so sauer, dass er sich weigerte, außerhalb des Platzes mit Gehrig zu reden.
Lou Gehrig: Monströse Power als Teenager
Schon zu High-School-Zeiten konnte Gehrig kaum ein Ballpark halten. Bei einem Auswahlspiel im Cubs Park - das heutige Wrigley Field - in Chicago hämmerte Gehrig mal einen Ball gänzlich aus dem Stadion und auf die Straße - als 17-Jähriger. Völlig unvorstellbar zur damaligen Zeit.
Gehrig machte sich schnell einen Namen im Baseball. Ein Name, der weit über seine Lebzeiten hinausgehen sollte. 1969 wurde er etwa zum größten First Baseman aller Zeiten von der Baseball Writers' Association gewählt. 1999 wählten ihn Fans als Spieler mit den meisten Stimmen ins MLB All-Century Team. Und natürlich ist er im berühmten Monument Park des Yankee Stadiums verewigt.
In seinen finalen Jahren als Yankee wurde er zum Captain des Teams ernannt. Eine Ehre, die nur elf Spielern insgesamt seit 1913 zu Teil wurde. Nach Gehrig, der das Amt für vier Jahre bekleidete, hatten die Yankees bis 1976 (Thurman Munson) keinen offiziellen Team Captain mehr.
New York Yankees: Team Captains seit 1913
Name | Position | Amtszeit |
Frank Chance | First Baseman | 1913 |
Roger Peckinpaugh | Shortstop | 1914-1921 |
Babe Ruth | Outfielder | 1922 |
Everett Scott | Shortstop | 1922-1925 |
Lou Gehrig | First Baseman | 1935-1939 |
Thurman Munson | Catcher | 1976-1979 |
Craig Nettles | Third Baseman | 1982-1984 |
Willie Randolph | Second Baseman | 1986-1988 |
Ron Guidry | Pitcher | 1986-1988 |
Don Mattingly | First Baseman | 1991-1995 |
Derek Jeter | Shortstop | 2003-2014 |
1936 bezeichnete ihn das Magazin Time als den "Nummer 1 Schlagmann des Spiels". In der Coverstory hieß es, Gehrig verkörpere "jungenhaften Stolz darin, einen Baseball so weit wie möglich zu schlagen und die Bases so schnell wie möglich zu umrunden".
Im selben Jahr machte er auch einen Abstecher in die Showbiz-Welt. Auf Anraten seiner Frau engagierte Gehrig den Agenten von Babe Ruth. Mit dessen Hilfe durfte Gehrig für die Rolle des Tarzan vorsprechen, nachdem Johnny Weissmuller die begehrte Filmrolle aufgegeben hatte. Es ging so weit, dass Gehrig gar in einem Leoparden-Kostüm abgelichtet wurde. Das Bild machte durch alle Medien die Runde, wirkte jedoch eher lächerlich als anmutig.
Die Rolle bekam er letztlich nicht, dafür jedoch ein vielsagendes Telegramm vom Erfinder Tarzans, Edgar Rice Burroughs: "Ich möchte Sie dazu beglückwünschen, ein bombiger First Baseman zu sein."
Über die 2.130 Spiele hinweg lief für Gehrig nicht immer alles rund. Wie später herauskam, hatte Gehrig in seiner Karriere zahlreiche Frakturen erlitten, von denen außer ihm seinerzeit wohl keiner wusste. Bei einer Röntgenuntersuchung gegen Ende seiner Karriere entdeckten Ärzte gar 17 mehr oder minder verheilte Frakturen in seinen Händen.
Bei einer den Yankees bekannten Verletzung griff auch mal General Manager Ed Barrow ein, der prompt ein Heimspiel wegen Regens absagte - nur blieb der Regen letztlich aus. Die Serie ging weiter.
gettyGehrig nimmt sich selbst aus dem Lineup der Yankees
Bis zu einem verhängnisvollen Tag 1939, an dem Gehrig zu seinem Manager Joe McCarthy ins Hotelzimmer in Detroit kam und ihm eröffnete, dass er sich selbst aus dem Lineup nehme - "zum Wohle des Teams", wie er erklärte. Er hatte sich zu schwach gefühlt, um seinen Kollegen zu helfen. Zu diesem Zeitpunkt waren acht Spiele gespielt, Gehrig schlug .143 und hatte nichts mehr im Tank.
Im Tiger Stadium waren Fans wie Gegner und Schiedsrichter allesamt verwundert, als diese sensationelle Nachricht die Runde machte. "Meine Damen und Herren, dies ist das erste Mal seit 2.130 Spielen, das Lou Gehrigs Name nicht im Lineup der Yankees stehen wird", verkündete der Stadionsprecher. Das Publikum quittierte die Nachricht mit stehenden Ovationen, während Gehrig mit Tränen in den Augen im Dugout saß.
Der Grund für sein Schwächegefühl wurde nach eingehenden Untersuchungen gefunden: Amyotrophe Lateralsklerose. Auch wenn es seinerzeit nur wenige Erkenntnisse über die teuflische und immer noch unheilbare Krankheit gab, erklärten die Ärzte, dass Gehrig nach und nach seine motorischen Fähigkeiten verlieren, Probleme mit dem Sprechen, Schlucken und Atmen bekommen werde und nicht mehr lange zu leben habe.
Gehrig beendete daraufhin prompt seine Karriere. Die Öffentlichkeit wiederum war erschüttert, ihren Helden so zu sehen. Derweil machten sich Medien- und Ligavertreter Gedanken, wie Gehrig geehrt und gefeiert werden könnte.
Eine besondere Zeremonie vor dem All-Star Game 1939 wurde angedacht, doch Yankees-Besitzer Jacob Ruppert, der später im Jahr verstarb, hielt davon nichts. Er fürchtete, Gehrig hätte dann das Rampenlicht mit den übrigen All-Stars teilen müssen, wenn er doch wenigstens bei seinem Abschied allein im Mittelpunkt stehen sollte.
Lou Gehrig Appreciation Day am 4. Juli
Also wurde der "Lou Gehrig Appreciation Day" terminiert. Am 4. Juli, in der Mitte des Independence Day Doubleheaders gegen die Washington Senators, wurden die Feierlichkeiten abgehalten. Gehrig erhielt Geschenke und hielt seine berühmte Rede vor einem mit 61.808 Zuschauern vollgepackten Yankee Stadium, das seinen Helden ein letztes Mal hochleben ließ.
Unter den Gästen: Babe Ruth, der sein Schweigen gegenüber dem alten Kameraden aufgab und ihm zur Seite stand. Mehr noch: Unmittelbar nach Gehrigs Tod besuchten Ruth und seine Frau Gehrigs Witwe, um ihr in der schweren Stunde beizustehen.
Die Yankees zogen Nummer 4 für immer aus dem Verkehr und somit wurde Gehrigs Nummer die erste, die je in der MLB "retired" wurde.
Ende 1939 hielt die Baseball Writers' Association dann eine besondere Wahl ab und entschied, Gehrig sofort und nicht erst nach der üblichen fünfjährigen Wartezeit in die Hall of Fame aufzunehmen. Eine offizielle Zeremonie gab es jedoch nie.
Nach seinem Karriereende ernannte ihn New Yorks Bürgermeister Fiorello La Guardia - nach dem später der Flughafen benannt wurde - zum Bewährungskommissar von New York City. Gehrig nahm die Aufgabe an, um im öffentlichen Dienst der Gesellschaft zurückzugeben. Er musste den Posten jedoch mit fortschreitender Krankheit 1941 aufgeben - ungefähr einen Monat vor seinem Tod.
gettyGehrig und Ruth: Freundschaft für die Ewigkeit
Lou Gehrig verstarb im Alter von nur 38 Jahren am 2. Juni 1941 in seinem Haus in Riverdale (Bronx/NY). Die Nachricht von Gehrigs Tod verbreitete sich schnell und sorgte für große Trauer, die weit über seine Weggefährten, Freunde und Familie hinausging. La Guardia ordnete an, die Flaggen in New York auf Halbmast zu hängen, Ballparks in der gesamten MLB taten es ebenso.
Gehrig hinterließ seine Frau Eleanor, die danach nicht mehr heiratete. Stattdessen sagte sie Jahre später: "Ich hatte das Beste. Ich würde nicht mal zwei Minuten mit diesem Mann für 40 Jahre mit einem anderen eintauschen." Bis zu ihrem Tod 1984 widmete sie ihr Leben der ALS-Forschung.
Gehrig wurde eingeäschert und seine Überreste auf dem Friedhof Kensico in Valhalla/New York begraben, dort wo auch Barrow seine letzte Ruhe fand. Nebenan im Gate of Heaven Friedhof befindet sich derweil das Grab von Babe Ruth.
Ruth und Gehrig - es war eine komplizierte Partnerschaft zu Lebzeiten. Doch es wurde eine nie endende Freundschaft für die Ewigkeit.
Dieser Artikel wurde ohne vorherige Ansicht durch die Major League Baseball veröffentlicht.