Ist die Zeit für den Abgesang auf die Dallas Mavericks und Dirk Nowitzki gekommen? Ist Carmelo Anthony der überschätzteste Basketballer auf dem Planeten? Die SPOX-Redakteure Haruka Gruber und Florian Regelmann diskutieren mit Triangle-Offense-Experte Philipp Dornhegge und Hip-Hop-Legende Phife Dawg als Star-Gast über die wichtigsten Thesen.
GettyThese: Nowitzkis Statistiken sind die ersten Anzeichen seines Abstiegs.
Florian Regelmann: Dirk ist 33 Jahre alt. Das ist nun mal Fakt. Genauso ist es ja wohl offensichtlich, dass er sich nicht so gut auf die Saison vorbereitet hat wie ich das von einem Superstar, der 20 Millionen Dollar im Jahr verdient, erwarte. Klar, es ist menschlich verständlich, dass nach der Championship, die er so lange gejagt hat, die Luft raus war. Dann noch die EM. Das war viel. Dennoch hätte ich nicht gedacht, dass er sich so gehen lässt und jetzt die Quittung dafür bekommen hat. Dafür muss er sich Kritik gefallen lassen. Das ändert nichts an seinem Status als einer der Besten aller Zeiten. Ohne Frage wird er, wenn es in die heiße Phase geht, auch wieder echte Monster-Spiele abliefern. Ich gehe auch davon aus, dass er noch ein, zwei Jahre auf dem ganz hohen Niveau spielen kann, dann wird es ihm aber ähnlich gehen wie Duncan zum Beispiel. Das ist der ganz normale Lauf der Dinge. Eine Chance auf den Repeat haben die Mavs in dieser Saison ohnehin nicht, völlig egal, wie Dirk spielt.
Philipp Dornhegge:Die These ist Unsinn. Wer das behauptet, will doch nur Panik machen. Nowitzki ist weniger als alle anderen Superstars auf seine ohnehin bescheidene Athletik angewiesen. Er hatte aber das gleiche Problem wie die Celtics-Veteranen: Die Vorbereitung war zu kurz, um jetzt die hohe Belastung wegzustecken. Und die Tatsache, dass er nach der brutalen Vorsaison lange Zeit gar nichts gemacht hat, rächt sich doppelt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Rick Carlisle sehr vorsichtig mit Dirks Minuten umgehen wird, bis er wieder voll da ist. Und wenn das bis zu den Playoffs dauert, die die Mavs auch ohne einen Nowitzki in Bestform erreichen werden. Was mir mehr Sorgen macht, ist der mentale Aspekt. Nowitzki sagt zwar, dass er wieder Lust hat, erneut nach dem Titel zu greifen, ich habe allerdings Zweifel, ob wir ihn je wieder in der Verfassung aus den Playoffs 2011 sehen werden. Diese unmenschliche Intensität erneut abzurufen, obwohl er sich seinen Traum schon ein Mal erfüllt hat und niemandem mehr etwas beweisen muss, ist fast unmöglich. Das kann man ihm kaum vorwerfen, aber wir müssen uns halt klarmachen, dass es nur wegen seiner Willensstärke überhaupt einen Sieg in Spiel 2 der Finals gegeben hat. Ansonsten hätte es 2-0 für Miami gestanden und alles wäre fast vorbei gewesen. Und es gab weitere Spiele, in denen das ähnlich war. Nur ein paar Prozentpunkte Geilheit weniger, und die Mavs verlieren solche Spiele.
Phife Dawg:Ich sehe überhaupt nicht, warum Dirk mental nachgelassen haben soll. Er ist ein Instinktbasketballer, der das Spiel und den Wettbewerb liebt und braucht. Ich bin spätestens seit letzter Saison total überzeugt von ihm. In seinen ersten Jahren war ich - wie viele Amerikaner - der Ansicht, dass er mit hartem Körperkontakt nicht klar kam und zu leicht aus der Bahn zu werfen war. Jetzt ist er es selbst, der den Kontakt sucht und trotzdem in der Lage ist, seine Würfe zu treffen. Er ist ein Killer, auf den man immer gefasst sein muss. Körperlich mache ich mir auch überhaupt keine Sorgen um ihn. Trotzdem denke ich, dass seine Aussichten auf einen zweiten Titel schlecht stehen. Ich komme jetzt vielleicht etwas vom Thema ab, aber Tyson Chandler und DeShawn Stevenson nicht zu halten, war aus meiner Sicht ein Fehler. Die Defense der beiden wird den Mavs noch fehlen. Cubans Erklärung für diese Entscheidungen war zwar irgendwie logisch, auf der anderen Seite wäre diese Saison perfekt gewesen, um mit einer eingespielten Truppe voll anzugreifen. Und was im Sommer passiert, ist sowieso nicht planbar. Jetzt fehlt Dallas eben eine Drecksau. Mit jemandem wie Kenyon Martin hätte ich Chancen auf die Meisterschaft gesehen, aber er hat sich ja für die Clippers entschieden.
Nowitzki doch noch für das All-Star-Game berufen
Haruka Gruber:Naja, so skeptisch sehe ich die Aussichten der Mavs nicht. Derzeit setzt sich nur die Entwicklung fort, die sich bereits letztes Jahr angedeutet hat: Die Mavs verwandeln sich langsam in die Spurs und Dirk verwandelt sich in Tim Duncan - zumindest auf eine gewisse Art und Weise. Statistiken und Regular-Season-Siege sind egal, was zählt ist der Juni. Die Mavs haben die knallharte Maxime übernommen. Der Saisonstart war besorgniserregend, doch mittlerweile hat Dallas gezeigt, dass sie mit jedem Team in der Liga mithalten können. Dabei versuchen die Mavs, so vorsichtig und schonend wie möglich mit ihren Spielern umzugehen wie sonst nur San Antonio. Dass darunter die Abstimmung vor allem in der Crunchtime leidet, ist klar. Vor allem bei Nowitzki ist offensichtlich, dass ihm der Rhythmus fehlt. Dennoch traue ich Dallas und ihm alles zu: Denn wenn die letzten Playoffs etwas bewiesen haben, dann die Fähigkeit von Rick Carlisle, die Rotation intelligent zu managen. Er weiß genau, welcher Spieler in welcher Woche in welcher Form sein muss, damit sie Richtung März/April Fahrt aufnehmen. Nowitzki wird in der Regular Season wahrscheinlich nie wieder 20 Punkte und 10 Rebounds im Schnitt liefern, die Zeiten sind vorbei. Wenn man das als Abstieg definiert, ist diese Saison tatsächlich das erste Anzeichen dafür. Aber: Mit der richtigen Schonung wird Nowitzki in der Postseason eine Macht sein. Zur Not wird er im März noch mal geschont, auch wenn Dallas deswegen nur als Sechster und nicht als Dritter in die Playoffs einzieht. Dass der Heimvorteil nicht so wichtig ist, haben die Mavs letzte Saison eindrucksvoll bewiesen.
These 2: Washingtons Unfähigkeit gefährdet John Walls Superstar-Karriere
These 3: Ricky Rubio ist wie Rajon Rondo - nur besser
These 4: Melo ist der überschätzteste Basketballer auf dem Planeten
These 5: Boston sollte sofort den Rebuild angehen
GettyThese: Washington gefährdet John Walls Superstar-Karriere.
Haruka Gruber: Die These impliziert, dass Wall Superstar-Potenzial mitbringt. Das würde ich an sich schon anzweifeln. Wall ist ein Guter - aber ein Superstar? Nein. Dass er letzte Saison derart im Fokus stand, hing auch damit zusammen, dass der Rookie-Jahrgang ingesamt unterdurchschnittlich war und deswegen Wall herausstach. Nur: Um einer der Besten der gesamten Basketball-Welt zu sein, muss man erst einmal einer der Besten auf seiner Position sein. Ist er das? Nicht mal ansatzweise. Derrick Rose, Chris Paul, selbst Deron Williams sind meilenweit entfernt. Tony Parker, Russell Westbrook und Rajon Rondo sind auch voraus. Dazu gibt's die Jungs aus der zweiten Reihe wie Brandon Jennings und Ty Lawson. Selbst ein Lou Williams ist fast auf Augenhöhe. Und die neue Generation mit Ricky Rubio und Kyrie Irving setzt zum Überholen an. Daher: Mit Wall kann man in diesem verlodderten Washington Mitleid haben, doch wir sollten nicht übertreiben und so tun, als ob bei den Wizards der nächste Magic Johnson kaputtgeht. Vielleicht wird Wall ein All-Star, wenn er die richtigen Mitspieler bekommt oder wechselt. Doch um ein Superstar zu sein, sollte er anfangen, seine Turnover in den Griff zu bekommen und als Point Guard auch mal einen Dreier zu versenken.
Philipp Dornhegge:Ich bin da komplett anderer Meinung als Haruka. Wenn wir die Frage stellen, ob Wall überhaupt Superstar-Potenzial hat, lautet die Antwort eindeutig: ja. Er ist superschnell, spielt Teambasketball und hat den Körper und die Athletik, um in der NBA zu dominieren. Er ist sicher kein Derrick Rose, vielleicht wird er das auch nie. Aber wir sollten nicht vergessen, von wem beide ausgebildet wurden.
Phife Dawg:John Calipari, völlig richtig. Genauso wie Tyreke Evans und Brandon Knight, die auch jede Menge drauf haben. Aber Wall wird derzeit ja überhaupt gar nicht beachtet. Und das kann nur an Washington und dieser unsäglichen Franchise liegen. Wenn ich mir den Kader ansehe, sehe ich durchaus talentierte Spieler, zum Beispiel Nick Young, Andray Blatche und JaVale McGee. Aber niemand hat auch nur die geringste Lust auf Defense. Und das ist immer das Ergebnis schlechter Trainerarbeit beziehungsweise einer nicht vorhandenen Philosophie innerhalb der Franchise. Ohne Defense aber kannst du in der NBA keinen Erfolg haben. Und so lange John Wall nur verliert, wird er es auch nicht zum Superstar schaffen.
Wie mies sind die Wizards? Wie verpeilt ist McGee? Hier ist das Beweis-Video!
Dornhegge:Du hast gerade das Talent vieler Spieler angesprochen. Gerade die drei von Dir genannten sind aber doch nicht nur defensiv faul, sie haben auch keine Ahnung, wie man Teambasketball spielt und sich als Profi benimmt. Young, Blatche und McGee sind jeder für sich schon kaum tragbar für eine Mannschaft, gemeinsam machen sie John Wall das Leben auch offensiv so unglaublich schwer. Weil sie sich nur bewegen, wenn sie den Ball haben, weil sie keine Ahnung von richtigen Laufwegen haben, weil sie überhaupt gar nicht einsehen, mit ihren Kollegen zusammen zu spielen. Wall macht auch Fehler, keine Frage. Er könnte seinen Wurf verbessern. Aber seine über 4 Turnover im Schnitt sind aus meiner Sicht vor allem die Schuld der unfähigen Kollegen. Flip Saunders soll ja schon eine Weile keine Lust mehr auf diese Chaostruppe gehabt haben und dürfte letztlich froh über seine Entlassung gewesen sein. Aber wer soll jetzt das Ruder rumreißen? Randy Wittman etwa? John Wall kann einem nur leid tun.
Florian Regelmann:Ich kann mich Philipp nur anschließen, mir tut John Wall insgesamt auch leid. Allein wenn ich mir vorstelle, wie es für ihn sein muss, jeden Tag in die Kabine zu kommen und von einer Horde Dummköpfe umgeben zu sein, mit denen er auch noch zusammenspielen muss... Das ist hart. Die Wizards sind eine unerträgliche Franchise. Wenn man noch die Unfähigkeit der Redskins und die enttäuschenden Capitals sieht, ist es schon bitter, was in Washington in Sachen Sport gerade abgeht. Und es sagt viel aus, dass die Nationals, die so am Boden lagen, inzwischen das Team sind, das die beste Perspektive hat. Aber noch mal zurück zu Wall: Auch wenn ich von ihm grundsätzlich sehr viel halte, weil er es vor allem von der Mentalität her drauf hat, ein großer Spieler zu werden, bin ich schon ein wenig enttäuscht von seiner stockenden Entwicklung. Die mangelnde Qualität um ihn herum ist keine Entschuldigung dafür, dass sein Wurf so unglaublich schlecht ist. Nicht nur, dass er schlicht keinen Dreier besitzt - er hat erst einen Dreier in der gesamten Saison getroffen! Auch sein Mid-Range-Jumper fällt ja kaum. Und selbst seine Finishes am Korb waren phasenweise schwach. Zuletzt hat er ja jetzt immerhin ein paar starke Spiele gemacht.
These 1: Nowitzkis Pause ist das erste Anzeichen seines Abstiegs
These 3: Ricky Rubio ist wie Rajon Rondo - nur besser
These 4: Melo ist der überschätzteste Basketballer auf dem Planeten
These 5: Boston sollte sofort den Rebuild angehen
GettyThese: Rubio ist wie Rondo - nur besser.
Philipp Dornhegge: Vielleicht ist es für diese Aussage noch etwas früh, aber ich glaube, dass er schon bald besser ist, ja. Das ist natürlich ein gewaltiges Lob: Rondo ist All-Star, NBA-Champion und hat schon einiges an Erfahrung. Aber Rubio ist ja auch kein Anfänger: Er war schon jahrelang in Barcelona Profi, hat Euroleague und mit Spanien große Turniere gespielt, bevor er jetzt nach Minnesota kam. Er ist ein schon sehr reifer Stratege, enorm ballsicher und ein exzellenter Passer. Dazu ist sein Wurf besser als der von Rondo und er hat nicht den Ruf, so ein schwieriger Charakter zu sein. Er hat sich bisher als sehr pflegeleicht gezeigt, Rondos Reputation dagegen hat in den letzten Jahren ein wenig gelitten. Man muss sich nur daran erinnern, wie er sich 2010 bei der WM-Vorbereitung präsentiert hat. Da wurde er ob seiner Spielweise kritisiert und hat sich beleidigt aus dem Staub gemacht. Dieses Jahr ist er nicht mal im erweiterten Kader. Das sagt schon viel aus. Wenn man heute eine Umfrage unter den NBA-Managern machen würde, würden so ziemlich alle wohl sehr genau überlegen, ob sie nicht lieber Rubio nehmen.
Haruka Gruber: Genau richtig, was Philipp sagt. Wenn jetzt Playoffs wären: Mit wem würde man in die Schlacht ziehen? Rondo hat mehr Erfahrung, aber das hat ihm nicht dabei geholfen, sich einen Wurf anzueignen. Rubios Schuss ist auch inkonstant, dennoch ist ihm anders als bei Rondo zuzutrauen, dass das noch kommt. Wir dürfen nicht vergessen: Rondo wird bald 26, Rubio ist erst 21. Und wenn man dann bedenkt, wie reif Rubio schon spielt - der Wahnsinn. Wie gut wird er erst, wenn er in fünf Jahren so alt ist wie Rondo jetzt? Er hat gezeigt, dass er ein Winner ist. Und eine Attraktion für die gesamte NBA. Wegen Spielern wie ihm erinnert man sich an die schönen 90er, als man NBA Jam gezockt hat. Er ist Basketball. Vor der Saison wusste ich auch nicht, ob er den Sprung aus Europa in die NBA schafft. Bei der EM war er nichts besonderes, auch das Jahr mit Barca verlief durchwachsen. Man konnte zweifeln, ob Genialität ausreicht oder ob ihm doch der Wurf und die Athletik fehlt. Aber dann findet er sich so ein und macht aus Minnesota einen Hot Spot. Was ich zudem super finde: Er hat sich toll integriert. Ein Aspekt, den viele Spanier in der NBA gerne vernachlässigen. Rubio wird die NBA in den nächsten Jahren prägen. Genau das traue ich Rondo nicht zu. Er prägt ja nicht einmal die Celtics, die ihn vor der Saison fast getradet hätten. Das kommt nicht von ungefähr. Athletik und Defense sind wichtig, aber nicht alles.
Phife Dawg: Da muss ich widersprechen: Ich finde nicht, dass man Rubio schon auf diese Stufe heben darf. Und zwar aus dem einfachen Grund: Rondo ist nicht nur ein sehr guter, sondern ein überragender Verteidiger. Vielleicht der beste Point Guard in dieser Hinsicht seit Gary Payton. Rubio hat zwar einen guten Ruf, was seine Verteidigung angeht, und ohne Frage ist er ein spektakulärer Offensivspieler. Ich habe jetzt fünf oder sechs Spiele von ihm in voller Länge gesehen und bin begeistert. Vor allem, weil ich einer derjenigen war, die ihn für zu gehypt gehalten haben. Aber wir haben trotzdem noch lange nicht genug von ihm gesehen, um seine Perspektive beurteilen zu können. Und am Ende des Tages gewinnt man in der NBA mit Defense. Da muss Rubio einfach noch mehr zeigen.
Florian Regelmann: Ich finde sehr wohl, dass Rubio auch in der Defense schon einiges zeigt. Die Nummer eins bei den Steals zu sein, ist schon mal eine Ansage. Und hinzu kommt, dass die Statistik klar zeigt, dass die T-Wolves-Defense deutlich besser ist, wenn Rubio auf dem Court steht. Da geben sie pro 100 Possessions über 10 Punkte weniger ab, als wenn Rubio draußen ist. Ich gebe es gerne zu: Ich hätte auch im Leben nicht gedacht, dass der Junge so einschlägt. Von der Kreativität hat Rubio finde ich Steve-Nash-Flair, es ist generell schön zu sehen, wenn es in einer Ära voll von Point Guards, die erst schießen anstatt zu passen, mal wieder so jemanden wie Rubio gibt. Wenn ich mich als GM entscheiden müsste zwischen Rondo und Rubio, würde ich sofort Rubio nehmen. Um aber noch etwas Negatives zu erwähnen: 38 Prozent Trefferquote aus dem Feld gehen natürlich gar nicht, das weiß Rubio aber selbst und das wird er verbessern. Wenn ich ein T-Wolves-Spiel im League-Pass sehe, juckt es mich, draufzuklicken. Das gab es sehr lange nicht. Und das liegt alles an Ricky. Natürlich im Verbund mit Kevin Love, dem besten Power Forward der NBA.
These 1: Nowitzkis Pause ist das erste Anzeichen seines Abstiegs
These 2: Washingtons Unfähigkeit gefährdet John Walls Superstar-Karriere
These 4: Melo ist der überschätzteste Basketballer auf dem Planeten
These 5: Boston sollte sofort den Rebuild angehen
GettyThese: Melo ist der überschätzteste Basketballer auf dem Planeten.
Phife Dawg: Wer das behauptet, macht sich völlig lächerlich! Natürlich muss man sich zunächst genau vor Augen führen, wer Carmelo Anthony ist: Als er aus dem College von Syracuse kam, hatte er bereits den Ruf eines Scorers. Er war nie ein starker Verteidiger. Genauso wenig übrigens wie Spieler wie Ray Allen oder Paul Pierce. Die Celtics kaschieren die Schwächen einzelner Spieler mit ihrer überragenden Team Defense. So etwas gibt es bei den Knicks nicht, deshalb gibt es immer wieder Szenen, in denen Melo schlecht aussieht. Das Problem in New York ist jedoch nicht Melo, sondern Coach Mike D'Antoni und sein System, das überhaupt nicht zu den Spielern passt. Anthony ist ein Spieler, der das langsame Spiel bevorzugt, für den man Isolations spielen muss. Und nicht permanentes Run'N'Gun. Denn eines müssen wir ja mal festhalten: In der NBA gibt es niemanden, der ihn im Eins-gegen-Eins aufhalten kann.
Philipp Dornhegge: Wir müssen aber festhalten, dass sich Anthony selbst wohl eher mit LeBron James und Dwyane Wade auf einer Stufe sieht als mit Allen und Pierce. Und die beiden sind eben darüber hinaus, dass sie überragende One-On-One-Spieler sind, auch noch mannschaftsdienlich und starke Verteidiger. Insofern denke ich, dass er sich selbst überschätzt, allerdings sehr viel besser ist, als er derzeit von vielen gemacht wird. Zum Beispiel glaube ich, dass ich niemandem den Ball lieber überlassen würde, um in letzter Sekunde einen Wurf zum Sieg zu versenken. In punkto Clutchness kann er es locker mit Kobe und Dirk aufnehmen und ist sicher höher einzuschätzen als Wade oder James. Dazu kommt, dass er ein starker Rebounder ist und durchaus verteidigen kann, wenn er denn will. Das Problem ist, und da kommen wir zu dem, was Phife gerade sagte, dass sein Trainer unfähig ist. Er setzt seine Spieler nicht nur in der Offense falsch ein, sondern hat es bereits in Phoenix nie geschafft, auch nur halbwegs anständige Verteidigungsstrategien zu entwickeln und von seinen Spielern in der Hinsicht höchste Leidenschaft einzufordern. Ich glaube, dass den Knicks ein Mann wie Scott Skiles richtig gut tun würde.
Phife:An den hatte ich noch gar nicht gedacht. Guter Mann, ich hätte auch sehr gern Mark Jackson gesehen, der mich 1986 zum Knicks-Fan gemacht hat und der zufällig aus meiner Nachbarschaft kommt. Leider ist er jetzt in Golden State, was wir der völlig unfähigen Vereinsführung der Knicks zu verdanken haben. Jetzt bleibt mir nur das Hoffen auf Phil Jackson. Mit D'Antoni habe ich schon vor Jahren abgeschlossen, er ist der überschätzteste Trainer der Liga. Eine totale Pfeife! Und wenn wir doch unbedingt auf einem Spieler rumhacken wollen, dann doch wohl auf Amare Stoudemire!
Haruka Gruber:Stoudemire wollte ich gerade auch nennen. Wahnsinn, wie Chris Bosh oder Melo immer gedisst werden. Manchmal natürlich zu Recht, aber für mich ist Stoudemire im Vergleich zu den beiden nicht mehr als gehobener Durchschnitt. Auch wenn sein Spitzname STAT für Standing Tall and Talented steht - es passt zu seinem Spiel. Er liefert Stats und Zahlen - aber sonst? Vielleicht liegt es an seiner schweren Knieoperation, dass er milder beurteilt wird als ein Melo. Doch am Ende gehört Stoudemirte mehr in die Kategorie Carlos Boozer als in die Kategorie Superstar. Melo hingegen bringt schon alles mit und hat phasenweise gezeigt, dass er ein echter Superstar sein kann. Nur: Er ist zu oft Opfer der Umstände. Vielleicht ist er selbst schuld, vielleicht hatte er auch Pech. Wie auch immer: Ich bin sicher, dass Melo den Sprung von der B- und die A-Klasse schaffen kann, wenn er die richtigen Mitspieler hat. Wenn er einen wie Kidd an der Seite hätte, der ihm den Ball zu seinen liebsten Spots serviert, ein Shooting-Big-Man wie Nowitzki ihm Platz verschafft und der Rest Isolation spielt, weiß ich nicht, wer Melo stoppen könnte.
Florian Regelmann: Ich sehe aktuell einen ganz anderen Spieler, der für meinen Geschmack etwas überschätzt und doch etwas zur arg gehyped wird. Blake Griffin. Ganz ehrlich: Der ist super-spektakulär, ohne Frage, aber der hat in der Starting Five des All-Star-Teams der Western Conference absolut nichts zu suchen. LaMarcus Aldridge? Kevin Love? Hallo? Zu Melo: Anthonys Zahlen sind mies, aber erstens quält er sich durch zig Verletzungen und fällt ja aktuell jetzt auch aus. Und zweitens würde sich jeder Superstar schwer tun, in einem Team zu spielen, das ohne Guards daher kommt. Okay, jetzt ist plötzlich Jeremy Lin aus dem Nichts aufgetaucht, eine schöne Story, Linsanity und so, aber was bei den Knicks an Guards herumgelaufen ist in dieser Saison, ist schon erschreckend. Für alle, die hier auf Mike D'Antoni draufhauen, möchte ich sagen: Es ist ja gar nicht mehr so, dass die Knicks so abgrundtief schlecht sind in der Defense. Was die abgegebenen Punkte angeht, rangieren sie im Mittelfeld. Der Tyson-Chandler-Faktor. Ich hasse Teams, die keine Defense spielen, aber bei den Knicks liegt es in dieser Saison an der Offense. Sie sollten Amare, der einfach nicht mit Melo zusammenpasst, traden und einen guten Point Guard dafür holen.
These 1: Nowitzkis Pause ist das erste Anzeichen seines Abstiegs
These 2: Washingtons Unfähigkeit gefährdet John Walls Superstar-Karriere
These 3: Ricky Rubio ist wie Rajon Rondo - nur besser
These 5: Boston sollte sofort den Rebuild angehen
GettyThese: Boston sollte sofort den Rebuild angehen.
Florian Regelmann:Was für ein Unsinn. Die Celtics sind für mich sogar ein Team, das - wenn alle fit sind - alle schocken und den Osten gewinnen kann. Wenn ich Miami oder Chicago wäre, hätte ich überhaupt keinen Bock, in den Playoffs auf Boston zu treffen. Championship-Spieler, ein Championship-Coach, eine Championship-Mentalität - die Celtics werden in dieser Saison noch gefährlich. Paul Pierce spielt seit einiger Zeit wieder wie der Paul Pierce, den man kennt. Die Defense ist die beste der NBA. Der Schlüssel ist aber für mich, dass es GM Danny Ainge nach Jahren, in denen er meiner Meinung nach komplett versagt hat (u.a. Perkins-Trade), es verstanden hat, eine richtig starke Bank zusammenzustellen. Bass, Pietrus, Dooling, Bradley, Wilcox, auch Moore in Ansätzen - die Jungs bringen jede Menge Athletik und Energie, das erinnert schon ein wenig an die starke Celtics-Bank beim letzten Titelgewinn mit Posey, House und Co. Kurzum: Alleine der Gedanke daran, Pierce wegzutraden, ist für mich völlig lächerlich. Rondo zu traden, um Paul nach Boston zu holen, wäre natürlich sinnvoll gewesen. Da waren die Celtics ja auch dran, und das hat nur nicht geklappt, weil Paul unverständlicherweise keinen Bock auf Boston hatte. Aber ich bleibe dabei: Watch out for the Celtics.
Phife Dawg:Ich glaube, nächstes Jahr ist früh genug. Der Lockout war ja nicht ihre Schuld. So fehlte den Celtics die Vorbereitung, und gerade für ältere Mannschaften ist das tödlich. Und wenn Du dann nur einigermaßen fit in die Spielzeit gehst, aber vier oder fünf Spiele pro Woche hast, dann kommen schnell die Verletzungen dazu, das Team funktioniert nicht richtig und man sieht schlechter aus, als man wirklich ist. Für die älteren Mannschaften geht es nur darum, es irgendwie in die Playoffs zu schaffen, und da kann dann aufgrund der brutalen Regular Season eh alles passieren. Und der Faktor Erfahrung wiederum wirkt sich dann eher positiv aus. Ich glaube an Boston: Die Big Three werden sukzessive in Form kommen und Doc Rivers ist ein viel zu guter Coach, als dass die Celtics nicht noch ein Wörtchen im Osten mitreden werden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie sogar die vermeintlich feststehenden Conference Finals zwischen Miami und Chicago verhindern könnten. Die Heat zum Beispiel haben immer noch keine Ahnung, wie man ein Spiel konsequent zu Ende bringt.
Philipp Dornhegge:Ich gehe mit Phife konform, dass ein panischer Rebuild während der Saison totaler Quatsch ist. Warum denn? Wie schon erwähnt war doch klar, dass es aufgrund des Lockouts nicht von Anfang an laufen würde. Für die Mavs galt ja das gleiche, und beide sind in den letzten Wochen immer besser in Fahrt gekommen. Ich glaube sogar, dass Boston eine in vielerlei Hinsicht tieferes Team hat als in den letzten zwei Jahren. Brandon Bass ist ein deutliches Upgrade zu Glen Davis, Chris Wilcox kann einige Minuten auf den großen Positionen übernehmen und Mickael Pietrus ist ein spitzenmäßiger Swingman. Dazu wird Avery Bradley in seiner zweiten Saison besser, E'Twaun Moore ist ein Rookie, der von vielen unterschätzt wurde. Darüber hinaus muss man sich klar machen, was ein Rebuild bedeuten würde: Man müsste Pierce, Garnett und Allen zu Dumping-Preisen verscherbeln, weil allerhöchstens Pierce noch etwas Gegenwert bringen würde, wäre damit in den kommenden Jahren kaum konkurrenzfähig und müsste von vorn anfangen. Da kann man genauso gut abwarten, ob Allen, Garnett und Jermaine O'Neal ihre Karrieren beenden und dann im Sommer neu anfangen. Und wenn sie das nicht tun, werden sie bestimmt relativ günstig zu halten sein, wenn man diesen Schritt gehen will. Also: Auf keinen Fall Rebuild während der Saison, die zweite Runde ist mit diesem Team locker drin.
Haruka Gruber: Ich bin doch sehr überrascht, wie zuversichtlich die anderen drei Kollegen sind. Kann sich keiner mehr an das 1-4 gegen Miami in den letzten Playoffs erinnern? Und die These, dass Boston jetzt ja so viel tiefer besetzt ist als damals, würde ich auch nicht unterschreiben. Damals gab es einen Jeff Green, der nicht integriert war, aber immerhin Minuten bekommen hat. Dazu Shaq, Big Baby Davis, Delonte West - für sich genommen nichts Außergewöhnliches, aber auch nicht wirklich schlechter als die jetzige Bank. Bass gefällt, aber Wilcox oder Pietrus? Bradley mit seiner Dreierquote unter 10 Prozent? Moore, der noch im Eurocup bei den Bayern abgetaucht war? Das soll der Grund sein, warum Boston auf einmal besser sein soll als die Heat oder die Bulls, die sich definitiv verstärkt haben? Mit Glück ziehen die Celtics in die zweite Playoff-Runde ein, aber spätestens dort setzt es das Aus. Warum dann nicht jetzt schon versuchen, die Mannschaft neu auszurichten? Im Sommer steigt mit Dallas ein Powerhouse in den Free-Agent-Markt ein. Während dieser Saison aber könnte Boston versuchen, mit den auslaufenden Verträgen von Garnett, Allen, O'Neal oder Wilcox einen Klub zu einem Trade zu verführen, der unter den Salary Cap will oder selbst einen Rebuild anstrebt. Mir fallen mit Orlando, Atlanta oder New York genügend Namen ein, die auch nicht so richtig wissen, wie es weitergehen soll. Warum sich nicht zusammenschließen?
These 1: Nowitzkis Pause ist das erste Anzeichen seines Abstiegs
These 2: Washingtons Unfähigkeit gefährdet John Walls Superstar-Karriere
These 3: Ricky Rubio ist wie Rajon Rondo - nur besser
These 4: Melo ist der überschätzteste Basketballer auf dem Planeten