Den 27. Januar als Zäsur für die Boston Celtics zu bezeichnen, wäre leicht untertrieben. Schließlich verlor der Rekordmeister an jenem Sonntag seinen Leader - und seinen einzigen echten Point Guard. Rajon Rondo, der beste Assistgeber der Liga, wird aufgrund eines Kreuzbandrisses in der laufenden Saison kein Spiel mehr bestreiten.
Plötzlich standen die Celtics also nicht nur ohne ihren besten Spieler da, Doc Rivers war mit einem Mal gezwungen, die offensive Identität seines Teams völlig neu zu gestalten. Das bis dahin praktizierte Spiel um einen dominanten Aufbau war nun jedenfalls nicht mehr möglich.
Als sich in den folgenden zwei Wochen auch noch Rookie Jared Sullinger (Rücken) sowie Guard-Backup Leandro Barbosa (Kreuzband) ebenfalls schwer verletzten, schien die Saison für Boston beendet, ehe sie richtig begonnen hatte.
Die Playoffs, so die landläufige Meinung, waren angesichts der Kulmination widriger Umstände nur noch schwer zu erreichen. Das Wort Championship stand erst recht auf dem Index.
Trotz Ausfälle keine großen Trades
Denn Verletzungen hin oder her, auch mit Rondo, Sullinger und Barbosa hatten die Celtics bis dahin nicht gerade überzeugt. Die Bilanz? Negativ! Die Leistungen? Durchwachsen! Dennoch hielt sich Boston vor der Trading-Deadline merklich zurück
Einzig Barbosa wurde inklusive auslaufendem Vertrag für Jordan Crawford nach Washington geschickt. Dazu erhielten die vertragslosen Terrence Williams, Shavlik Randolph und D.J. White einen Kontrakt. Ein echter Aufbau ist keiner der vier. Doch gerade Terrence Williams hat Coach Rivers offenbar von seinen Passfähigkeiten überzeugt.
"Er hat im Sommer mit uns trainiert und bereits da hat man gesehen, dass er eher ein Point- als ein Shooting Guard ist. Ich glaube nicht, dass er jemals ein großer Scorer wird, aber er kann ein sehr guter Playmaker werden." Crawford soll dagegen eine weitere Scoringoption von der ohnehin bereits sehr produktiven Bank darstellen.
Die unerwartete Wende
Die Akquise einiger Rollenspieler erschien eigentlich nicht genug, die strauchelnden Celtics wieder auf Kurs zu bringen. Zumal es nicht gelang, einen Big Man zu verpflichten, der Boston unmittelbar weiterhelfen könnte. Nicht umsonst weisen lediglich die Charlotte Bobcats ein schlechteres Reboundrating auf als der Rekordmeister (47,7).
Doch es tat sich Merkwürdiges: Seit Rajon Rondos Ausfall haben die Celtics stolze 17 ihrer 21 Spiele gewonnen. Inzwischen stellt sich nicht mehr die Frage, ob, sondern auf welcher Position der Rekordmeister in die Playoffs einziehen wird.
Doc Rivers hat sein Team binnen kürzester Zeit an die neuen Gegebenheiten angepasst, holt derzeit das Beste aus seinem Kader heraus. Während Rondos Abstinenz teilen sich Avery Bradley und Courtney Lee den Ballvortrag.
Das funktioniert aus einem Grund überraschend gut: Während Rondo als Faciliator den Ball in seinen Händen braucht, für die Mitspieler kreiert, fungiert das Combo-Guard-Duo lediglich als Initiator des Angriffsspiels.
Flexible Offense, starke Defense
Das kaschiert die Schwächen der beiden in Sachen Playmaking und verleiht der Offense dazu mehr Flexbilität. Der Ball wird viel und gut bewegt, wodurch die Offense weniger abhängig von den Leistungsschwankungen ihrer einzelnen Komponenten ist.
Die wesentlich entscheidendere Rolle kommt Lee und Bradley aber am defensiven Ende des Courts zu. Dort bilden sie eines der besten Perimeter-Defense-Duos der Liga und sind mit ein Grund, weshalb Boston mit einem Defensive Efficiency Rating von 99,3 ligaweit Rang fünf belegt.
Zudem findet Bradley nach Operationen an beiden Schultern, aufgrund derer er 30 Spiele verpasste, auch vorne langsam den Rhythmus, trifft in den letzten sechs Spielen 50 Prozent seiner Würfe und erzielt im Schnitt gut 13 Punkte.
"Er opfert sich einfach auf", lobt auch Paul Pierce den 22-Jährigen. "Wahrscheinlich könnte er uns offensiv noch mehr geben, aber er ist in der Defense derart fokussiert. Das hat Einfluss auf das gesamte Team."
Green findet seine Form
Seinen Einfluss auf das Team erhöht hat mittlerweile auch ein weiterer Rekonvaleszent. Jeff Green hatte die gesamte vergangene Saison aufgrund einer schweren Herz-OP verpasst und zu Beginn dieser Spielzeit entsprechend einige Anlaufschwierigkeiten gehabt.
Doch auch der Forward hat in der "Post-Rondo-Ära" seine Produktivität deutlich nach oben geschraubt, legt seither 15 Punkte pro Spiel auf, trifft Gamewinner - gesehen beim knappen Erfolg in Indiana - und liefert regelmäßig herausragende Arbeit in der Defense, so auch im Januar gegen LeBron James.
Zweifel an Rondo
Angesichts der enormen Leistungssteigerung der meisten Celtics sowie der herausragenden Bilanz der letzten Wochen stand Rajon Rondo, ohne überhaupt zu spielen, zuletzt immer häufiger im Zentrum der Kritik. Nimmt er den Celtics durch seine Dominanz die nötige Flexibilität? Macht er seine Mitspieler überhaupt besser? Ergo: Wird er überhaupt noch gebraucht?
Tradegerüchte kamen auf, zumal der Aufbau wohl den größten Gegenwert im Kader der Celtics bringen würde. Dabei ist nicht einmal klar, ob die Celtics nicht auch mit Rondo einen ähnlichen Run gestartet hätten. Dass die Mannschaft nach den Veränderungen aus dem Sommer einige Anlaufzeit benötigen würde, war zu erwarten gewesen.
Und so stärkte Danny Ainge, President of Basketball Operations, Rondo und versicherten ihm, dass er nicht getradet würde. Durchaus ein Statement für die Zukunft. Denn beenden Kevin Garnett und Paul Pierce erst einmal ihre Karrieren, wird Rajon Rondo wohl das Fundament des keltischen Rebuilds darstellen.
Was wird aus den Veteranen?
Mit Bradley, Lee, Sullinger, Green und Williams besitzt Boston dazu ein durchaus stabiles Gerüst aus Talent, Jugend und Einsatzwillen. Ein Gerüst, dem beinahe frühzeitig noch größere Bedeutung zugekommen wäre. Denn neben Rondo waren auch Paul Pierce und Kevin Garnett in den vergangenen Wochen immer wieder Gegenstand von Trade-Spekulationen.
Dabei werden beide nicht müde zu betonen, wie gern sie ihre Karrieren in Boston beenden würden - und Garnett hat dank einer No-Trade-Clause auch alle Möglichkeiten dazu. "Ich lebe und sterbe in Grün", sagt er.
Und auch Pierce' möchte nach 15 Jahren kein anderes Trikot mehr überstreifen. "Ich will als Celtic zurücktreten", gibt "The Truth" zu verstehen. "Das war immer mein Ziel, aber ich habe es nicht selbst in der Hand. Der Klub trifft seine Entscheidungen."
Ein wenig wird Pierce die Entscheidungen des Clubs wohl dennoch beeinflusst haben. Denn obwohl seine Quoten aus dem Feld seit knapp zehn Jahren nicht mehr so schwach waren (42,2 Prozent), hat er immer noch immens positiven Einfluss auf das Spiel.
Gerade in engen Partien übernimmt er immer wieder erfolgreich Verantwortung, verteilt seit Rondos Verletzung dazu 6,6 Assists und hilft so, die gut 11 Vorlagen des Playmakers einigermaßen zu kompensieren.
Pierce und Garnett weiter wertvoll
Es ist die Erfahrung, die Pierce ebenso wertvoll macht, wie Kevin Garnett, der im Schnitt zwar nur 30,3 Minuten auf dem Feld steht, dabei aber durchaus starke Zahlen auflegt (15 Punkte, 7,8 Rebounds) und speziell die Defense durch seinen auch mit 36 Jahren ungebrochenen Einsatzwillen stets auf ein höheres Level hebt.
Trotz allem wird es für die Celtics in diesem Jahr wohl nicht zu einem weiteren Angriff auf den Titel reichen. Zu schwer wiegen die Schwächen unter den Brettern, zu sehr wird sich das Fehlen von Rondos beinahe einzigartiger Spielintelligenz beim langsameren und intensiveren Playoff-Basketball bemerkbar machen. Schließlich geht Bostons Korberfolgen in 63 Prozent der Fälle ein direkter Assist voraus.
Dennoch wird kaum ein Team gerne gegen die Celtics antreten, gelten sie dank ihrer unglaublichen Intensität doch als sehr unangenehm zu spielen. Was im Sommer passieren wird, weiß niemand.
Bleiben Pierce und Garnett und kehrt Rondo zur neuen Saison zurück, werden sich die positiven Auswirkungen des Zäsur vom 27. Januar vielleicht noch deutlicher bemerkbar machen.