Das Spiel mit dem Zonk

Ole Frerks
25. September 201319:55
Tür 1: Ein verpletzungsgeplagter Sam Bowie. Tür 2: "His Airness", sechsmaliger NBA-Championgetty
Werbung

Der Draft produziert alle Jahre wieder sowohl Erfolgs- als auch Horrorstories. Tony Parker etwa wurde an Nummer 28 gezogen, während Kwame Brown als No.1-Pick über die Ladentheke ging. Nowitzki an neun, Olowokandi an eins. Wir haben uns einige der größten Fehlentscheidungen der Draft-Historie rausgesucht und blicken auf die Folgen. Das "Was wäre wenn"-Spiel macht schließlich Spaß - es sei denn, man hält es mit den Blazers.

2007: Blazers holen Greg Oden an Eins

Später ist man immer schlauer. Klar. Wer weiß schon, was aus Greg Oden ohne seine diversen Verletzungen für ein Spieler geworden wäre? Die allermeisten Franchises hätten sich damals wohl wie Portland entschieden und Oden statt Kevin Durant geholt. Es ist allerdings ein Mythos, dass die üppigen Verletzungssorgen des Centers überraschend waren.

Bereits vor dem Draft war bekannt, dass Odens rechtes Bein 2,5 cm länger ist als sein linkes - bei 2,13 m Körpergröße und 129 kg Gewicht ein klarer Hinweis auf künftige Verletzungsprobleme. Wie seine Karriere seitdem verlief, ist bekannt. Bei der Franchise-Historie der Blazers hätten sie es eigentlich besser wissen und Durant nehmen müssen (siehe weiter unten).

Was geschieht in Portland mit Durant? Statt wie in Seattle die einzige Scoring-Option in einem hoffnungslosen Team zu sein und auf der falschen Position (Shooting Guard) auflaufen zu müssen, kommt er in ein Team, das mit Brandon Roy und LaMarcus Aldridge bereits über einen talentierten Kern verfügt. Auch ohne ihn gewinnen die Blazers 07/08 41 Spiele - mit ihm wäre über Jahre ein Top-Team in Oregon zusammengewachsen.

Wo die Sonics bzw. die Thunder heute stehen würden, hätten sie damals Oden bekommen, ist schwer zu sagen. Sie hätten zwar in den nächsten Jahren weiter hoch gedraftet, Spieler vom Schlage eines Kevin Durant tauchen aber weiß Gott nicht in jedem Jahrgang auf. Für Seattle/OKC war in diesem Fall der zweite Preis der eigentliche Hauptgewinn.

1993: 76ers holen Shawn Bradley an Zwei

Ein klassischer Pick der Marke "You can't teach height". Bradley war 2,29 m groß, hätte in der Theorie also eine absolute Macht am Brett werden müssen.

"The Stormin Mormon" hatte allerdings in den vorigen beiden Jahren den Basketball gegen die Bibel eingetauscht und war in Afrika als Missionar unterwegs. Außerdem war er fast genauso dünn wie Manute Bol, der noch zwei cm größer war, in den Vorjahren als Center für Philly auflief und kurz nach dem Bradley-Pick entlassen wurde.

Die Logik hinter diesen Moves war eher "speziell", zumal mit dem alternden Moses Malone sowie Eric Leckner und Isaac Austin noch drei weitere Center im Kader standen. Vielleicht wollte man einfach immer einen der größten Spieler überhaupt im Roster haben...

Auf den kleineren Positionen hingegen hatte Philly viel eher Handlungsbedarf. Im Draft waren unter anderem noch Penny Hardaway, Jamal Mashburn, Allan Houston oder Sam Cassell zu haben - alles Spieler, die es im Gegensatz zu Bradley mindestens einmal ins All-Star-Game geschafft haben.

Der Draft 1993 war mit Sicherheit nicht der einzige, aber doch einer der wesentlichen Gründe, warum Sixers-Fans die Zeit von 1992-1996 das "Dunkle Zeitalter" nennen. Dass Bradley eine totale Enttäuschung gewesen sei, ist allerdings auch wiederum ein Mythos: Immerhin brach er in seiner zweiten Spielzeit den 76ers-Rekord für die meisten Blocks innerhalb einer Saison (274) und legte z.B. gegen die Clippers 28 Punkte, 22 Rebounds und 9 Blocks auf.

In seiner Zeit bei den Mavericks führte er in der Saison 1997/1998 die Liga in Sachen Blocks an. Aber: Man hatte sich insgesamt doch mehr Leistung und mehr Konstanz erhofft.

2005: Atlanta holt Marvin Williams an Zwei

Dass man einen Spieler mit dem zweiten Pick holt, der am College kein Starter war, ist zwar merkwürdig, aber verzeihlich, wenn es im Draft keine talentierteren Spieler gibt oder man für seine Problemposition keine Lösung findet. Mal sehen...die Point Guards der Hawks in der Saison 2005/06? Tyronn Lue und Royal Ivey. Die nächsten beiden Picks im Draft 2005? Deron Williams und Chris Paul.

Die Hawks hatten damals unter anderem schon Josh Smith und Joe Johnson im Kader. Mit einem Elite-Point-Guard wie CP3 oder D-Will hätte Atlanta nach kurzer Zeit zu einer Macht im Osten aufsteigen können, stattdessen blieben sie jahrelang im Mittelmaß hängen.

Und das war ihre eigene Schuld. Paul und Williams hatten am College bereits Erfolge vorzuweisen, wurden beide All-Americans - von Geheimtipps kann also keine Rede sein. Dass Marvin Williams beiden vorgezogen wurde, fällt demnach eindeutig in die Kategorie "unverzeihlich".

Trotz mehrfacher Draft-Fehlentscheidungen (ein Jahr später: Shelden Williams statt Brandon Roy) schafften es die Hawks regelmäßig in die Playoffs. Der Kader hatte viel Talent, trotzdem fehlte es an Struktur. Mit Paul hätten die Hawks wesentlich mehr erreichen können als die erste Playoffrunde, mit Roy hätte man Joe Johnson 2010 nicht einen der schlechtesten Verträge überhaupt geben und mittlerweile den Rebuild einleiten müssen.

2009: Timberwolves holen Jonny Flynn an Sechs

2009 wurden gleich elf Point Guards in der ersten Runde gezogen, unter anderem Stephen Curry, Ty Lawson, Jrue Holiday und Brandon Jennings. Minnesota sicherte sich zwei Einser: Ricky Rubio und Jonny Flynn. Der Rubio-Pick ist aus heutiger Sicht vertretbar, auch wenn die Wolves ganze zwei Jahre auf die Ankunft des Spaniers warten mussten. SPOX

Bei Flynn verhält es sich anders. In Ermangelung besserer Alternativen legte der zwar in seinem Rookiejahr recht ansprechende Statistiken auf, danach ging es jedoch ständig bergab - im letzten Jahr spielte Flynn in Australien, nachdem er innerhalb der Saison 11/12 bei gleich drei verschiedenen Teams "gegangen wurde". Curry und Lawson spielten derweil in der ersten Playoffrunde als Anführer ihrer Teams gegeneinander.

Es ist ohnehin fraglich, warum man einen zweiten Lottery-Pick für einen Point Guard verwendet, wenn man mit Rubio bereits den vermeintlichen Einser der Zukunft gezogen hat. Zumal etwa mit Curry ein Spieler zu haben war, der mit seinem großartigen Wurf auch neben Rubio hätte auflaufen können - und der Minnesota auch in den zwei Jahren ohne Rubio weitergeholfen hätte.

Seite 2: Milicic, Bowie und die Furcht der Krieger

2003: Detroit holt Darko Milicic an Zwei

Der 2003er Draft ging als einer der besten überhaupt in die Geschichte ein. Acht All-Stars gingen aus ihm hervor, darunter Dwyane Wade, Chris Bosh, Carmelo Anthony und - natürlich - der (Stand heute) viermalige NBA-MVP LeBron James. Vorm Draft galt LBJ zurecht als der große Preis, dahinter standen zwei Spieler scheinbar auf einer Stufe: Anthony und der Serbe Darko Milicic.

Heute ist Anthony sechsmaliger All-Star und amtierender Scoring-Champion, Milicic ist derweil vertragslos und hat in seiner Karriere bei insgesamt sechs verschiedenen Teams nie mehr als 8,8 Punkte pro Spiel erzielen können. Milicic war also definitiv eine Fehlentscheidung für Detroit.

Aber was wäre passiert, wenn die Pistons Anthony ins Team geholt hätten? Zur Erinnerung: 2004 wurde das Team sensationell Champion. Ohne Stars, dafür mit hervorragender Teamchemie und beinharter Defense. Die Pistons waren zu dieser Zeit eine Mannschaft, die einen rohen Youngster wie Milicic einfach nicht brauchte.

Für ihn wäre es sicherlich besser gewesen, er wäre bei einer schwächeren Mannschaft (sprich: Denver) gelandet, um dort Spielzeit zu bekommen und sich zu entwickeln. Vielleicht hätte er sich etablieren können und wäre über die Jahre nicht zur ständigen Punchline für Kolumnisten und Experten geworden.

Anthony? Der hätte sich in Motown wesentlich schwerer getan als in Denver. In seinen jüngeren Jahren galt Melo als eher schwieriger Charakter, zudem gerieten er und der damalige Pistons-Coach Larry Brown 2004 beim Team USA mehrfach aneinander. Ein Konflikt der beiden hätte die in Detroit so wichtige Teamchemie und damit die Meisterschaft '04 ernsthaft gefährden können.

So lässt sich dafür argumentieren, dass die falsche Wahl im Endeffekt genau das Richtige für die Pistons war, da die Entscheidung nur auf einen der beiden fallen konnte. Was mit den Kollegen Wade oder Bosh bei Detroit passiert wäre, steht auf einem ganz anderen Blatt.

1996-97: Die Furcht der Krieger

In zwei Drafts hintereinander wurden die Warriors ihrem Namen nicht gerecht und verpassten daher die Chance auf Franchise-Player oder zumindest All-Stars. Der Grund? Kobe Bryant, Jermaine O'Neal (beide '96) und Tracy McGrady ('97) kamen direkt von der High School, was als zu riskant erschien. Gleiches gilt vermutlich für den wilden Kanadier Steve Nash und den Euro Peja Stojakovic.

Jep, in aufeinanderfolgenden Drafts hätten die Warriors T-Mac und Kobe ziehen können. Stattdessen "verstärkten" sie sich mit Adonal Foyle (Karriere: 4,1 Punkte pro Spiel) und Todd Fuller (3,7). Gut, irgendeinen Grund muss es ja haben, dass Golden State nach '97 (Latrell Sprewell) und vor 2013 (David Lee) keinen Spieler zum All-Star-Game geschickt hatte.

1984: Blazers holen Sam Bowie an Zwei

In gewisser Weise die Mutter aller Draft-Schnitzer. Aus heutiger Sicht ist es ohnehin klar, dass man mit dem Pick Michael Jordan hätte nehmen müssen, ganz einfach deshalb, weil er sich letztendlich als der beste Spieler aller Zeiten herausstellte. Aber schon vor dem Draft gab es genug Gründe, ihn Sam Bowie vorzuziehen.

Da war an erster Stelle die damals schon üppige Verletzungshistorie von Bowie. Zwei volle Saisons musste der Center am College bereits wegen wiederkehrenden Schienbeinproblemen und einer Stressfraktur aussetzen. Zudem war er drei Jahre älter als Jordan. Die Blazers gingen also ein Risiko ein, obwohl sie fünf Jahr zuvor schon ihren Franchise-Center Bill Walton aus ähnlichen Gründen verloren hatten.

Nach seiner Rückkehr hatte Bowie zudem am College nicht eben geglänzt, mit 10,5 Punkten und 9,2 Rebounds pro Spiel in seiner letzten Saison legte er schlechtere Zahlen auf als Mychal Thompson (16 und neun), der Starting Center der Blazers im Vorjahr. Das Argument, dass Portland damals unbedingt einen Center brauchte, greift also ebenfalls nicht.

SPOXspox

Was passiert, wenn sich Portland anders entscheidet? Mit Fat Lever, Jim Paxson, Thompson und Clyde Drexler standen bereits einige Hochkaräter im Team (im Vorjahr reichte es immerhin für die Playoffs). Drexler spielte allerdings dieselbe Position wie Jordan - per Trade hätte man den einen oder anderen Forward ins Team holen und direkt ein junges Topteam ins Rennen schicken können.

Wie viele Titel holt Jordan, wenn er nicht die ersten Jahre seiner Karriere mit einem durchschnittlichen Bulls-Team verbringt? Wie viele epische Playoff-Schlachten zwischen Magic Johnsons Lakers, Hakeem Olajuwons Rockets und Michael Jordans Blazers gibt es in den 80ern und 90ern?

Unmöglich zu beantworten, gewiss ist nur, dass man die Geschichte der 80er und 90er wohl größtenteils umschreiben müsste. Und dass die Blazers, wenn sie mal wieder vor der Wahl stehen sollten, lieber nicht den verletzungsgeplagten Center, sondern den basketballbesessenen Swingman ziehen sollten.

Alle NBA-Spieler von A bis Z