Nach seinem Meniskusriss, den er sich in der ersten Playoff-Runde 2013 gegen die Houston Rockets zuzog, hatte Russell Westbrook sein nächstes Ziel ziemlich schnell vor Augen: "Ich werde zurückkommen, und ich werde besser als je zuvor sein", sagte der Spielmacher der Oklahoma City Thunder nach dem Saisonaus, und er wiederholte diese forsche Ankündigung während des Sommers mehrfach.
Ein Meniskusriss ist kein Zuckerschlecken, aber kaum zu vergleichen mit dem Kreuzbandriss von Derrick Rose und Rajon Rondo oder dem Achillessehnenriss von Kobe Bryant.
Eine volle Heilung war also zu erwarten - und glaubt man den Ärzten, dann ist sie es weiterhin. Denn der jüngst erforderliche Eingriff war kein Hinweis auf "echte" orthopädische Probleme am Knie. Er war lediglich deshalb erforderlich, weil eine lose Naht am reparierten Meniskus Irritationen im Gewebe hervorrief und für eine Schwellung sorgte.
Mit der Korrektur an dieser Naht sollte auch der Meniskus weiter so heilen wie erhofft: "Diese lose Naht war kein Hinweis auf Fehler oder Probleme bei der ersten OP", stellte Dr. David Geier, Experte für Meniskus-Behandlungen in South Carolina, klar. "Das kann einfach passieren. In der Reha ist das natürlich ein Rückschritt, weil jetzt erst die Schwellung abklingen muss. Aber es sind davon abgesehen keine Komplikationen zu erwarten."
Thunder optimistisch
Die zweite OP hat bei den Verantwortlichen der Thunder sogar so etwas wie Optimismus hervorgerufen, denn bei diesem Eingriff habe man klar sehen können, dass der Meniskus - abgesehen von der losen Naht - optimal verheile.
"Wenn das wirklich so ist, dann gibt es keinen Grund, warum Westbrook nicht vollständig zu alter Leistungsstärke zurückfinden sollte", meint Geier.
Die Belastbarkeit des Knies ist natürlich speziell für einen Athleten von Westbrooks Kaliber entscheidend, denn kaum ein Spieler fliegt so ohne Rücksicht auf Verluste durch die Zonen der NBA wie er.
Der 24-Jährige lebt - nicht nur, aber ganz wesentlich - von seiner Explosivität, mit seinem ersten Schritt und seiner Sprungkraft verschafft er sich normal spielend Platz, um bei einer dichten Zone seinen stetig besser werdenden Midrange-Jumper abzufeuern.
Westbrook hält sich bedeckt
All das soll also wiederkommen, wenn man den Ärzten, der Franchise und den vollmundigen Ankündigungen des Spielers selbst Glauben schenken darf.
In den sozialen Medien übt sich Westbrook allerdings seit geraumer Zeit in Zurückhaltung. Bei Twitter, Facebook und Co. lässt er wenige Updates zu seinem gesundheitlichen Status vom Stapel, stattdessen beschäftigt er sich mit der NFL, Boxen und einem neuen Hund.
Gern und oft suhlt er sich in seiner Modeleidenschaft, die zu mitunter fragwürdigen Auswüchsen bei der Wahl der eigenen Kleidung führt.
Aus Sicht des Spielers ist das nur klug: So hält er den Ball flach, setzt sich nicht unter Druck und macht den OKC-Fans keine falschen Hoffnungen.
Spätes Comeback birgt Gefahren
Denn die sind nun wahrlich nicht angebracht. Selbst wenn Westbrook zu voller Leistungsstärke zurückkehrt, haben die Thunder das Problem, das die NBA-Saison zum Zeitpunkt des Comebacks bereits seit geraumer Zeit laufen wird.
Visiert Westbrook sein erstes Spiel für Mitte Dezember an, wird Oklahoma City zu diesem Zeitpunkt bereits die ersten rund 25 Spiele absolviert haben, zum Teil gegen die direkte Konkurrenz aus dem Westen (Timberwolves, Mavericks, Clippers, Warriors, Nuggets, Spurs, Trail Blazers, Grizzlies, Lakers).
Und das eine oder andere weitere Spiel wird Westbrook sicher brauchen, um wieder ganz der alte Westbrook zu sein.
Kollegen verstecken sich
Die Thunder müssen also einen Plan entwickeln, wie sie in Abwesenheit des All-Star-Spielmachers das Schiff über Wasser halten, und das ist leichter gesagt als getan.
Die zweite Playoff-Runde gegen Memphis (1-4) brachte zwar die Erkenntnis, dass Reggie Jackson ein sehr passabler Backup ist, für die ganz große Show aber wohl noch nicht weit genug.
Und sie brachte auch die Erkenntnis, dass sich mit Ausnahme von Superstar Kevin Durant und mit Abstrichen Serge Ibaka die anderen Kollegen nur allzu gern verstecken.
Noch mehr Arbeit für Durant
Mit Kevin Martin verließ der Scharfschütze von außen und einer der wichtigsten Scorer das Team in Richtung Minnesota, fortan sollen Jeremy Lamb und andere Youngster in die Bresche springen. Ob diese Jungspunde, zu denen auch die Rookies Steven Adams und Andre Roberson zählen, dafür bereit sind, ist zumindest fraglich.
Etablierte Veteranen wie Thabo Sefolosha, Nick Collison oder Kendrick Perkins sind zu sehr in ihrer Rollenspieler-Mentalität "gefangen", als dass sie plötzlich zu Punktesammlern par excellence mutieren werden. Ein Derek Fisher dürfte allenfalls noch sporadische Dreier beitragen.
Scott Brooks stand insbesondere in der jüngeren Vergangenheit ob seiner Kreativlosigkeit in der Kritik, was das Offensivsystem der Thunder angeht.
Es steht also zu befürchten, dass Brooks es sich einfach macht und einfach noch mehr Last auf Durant - sportlich zweifellos gewaltigen - Schultern ablädt. Durant wäre sicher in der Lage, die Mannschaft zu packen und halbwegs auf Kurs zu halten.
Ibaka bereit für mehr Last?
Aber ist diese Taktik auf lange Sicht, sprich im Hinblick auf die Playoffs ratsam? Verbrät der Topscorer der Jahre 2010, 2011 und 2012 schon in den ersten Monaten zu viel Energie, könnte sich das in der Postseason rächen.
Die Konkurrenz im Westen ist gerade in der Spitze mit den Spurs, Clippers, Warriors, Grizzlies und einigen anderen einfach zu groß. Aber ist es wahrscheinlich, dass Serge Ibaka - nach den positiven Eindrücke des ersten Preseason-Spiels in Istanbul - wirklich zu einer echten Offensivwaffe wird?
Die Oklahoma City Thunder gehen auf einen kniffligen Saisonstart zu. Russell Westbrooks Verletzung ist langfristig nicht dramatisch. Die Karriere steht nicht auf dem Spiel. Aber sie könnte auf die kommende Spielzeit mehr Einfluss haben, als den Thunder-Verantwortlichen lieb ist.