"Die Houston Rockets kündigen den Vertrag mit Tim Ohlbrecht": Nur rund fünf Monate nachdem der große Traum des gebürtigen Wuppertalers von der NBA-Karriere Wirklichkeit geworden war, schien er auch schon wieder zu zerplatzen.
Ohlbrecht war in Houston kaum zum Einsatz gekommen, hatte sich über die D-League und im Training um Minuten bewerben müssen. Doch am Ende wurde er nicht aus sportlichen Gründen entlassen, sondern weil sein Gehalt einer sehr viel namhafteren Verpflichtung im Weg stand.
"Das Management ist früh an mich herangetreten und hat gesagt, dass man sehr zufrieden sei, es aber sein kann, dass man das Geld aus meinem Vertrag braucht, um Dwight Howard das Maximum zu zahlen", schilderte Ohlbrecht bei "Sport1" seinerzeit die Gründe.
Die Rockets hatten ihm vor der Saison 2012/2013 einen Kaderplatz in der Summer League verschafft, ihn über Monate beobachtet. Folglich wusste auch kein anderes Team besser über die Qualitäten und den Einsatzwillen des 25-Jährigen Bescheid.
Ohlbrecht in den USA kaum beachtet
Die Berufung ins All-Star Team der D-League dürfte ihm einigen Auftrieb gegeben haben, so richtig auf dem Zettel hatte ihn aber kein anderes Team.
Und genau deshalb musste man im Juli auch so um Ohlbrechts NBA-Karriere bangen: Das Team, das ihn an die beste Liga der Welt herangeführt hatte, konnte ihn nicht mehr halten.
Allerdings war die Sorge nur von kurzer Dauer: Denn Ohlbrecht hatte in den letzten Monaten durch harte Arbeit so viele Weichen gestellt, dass ihm zu einem entscheidenden Zeitpunkt auch mal das Schicksal zu Hilfe kam.
Denn mit Sam Hinkie hatten die Philadelphia 76ers bereits im Mai einen Mann zum neuen General Manager gemacht, der zuvor sechs Jahre mithalf, als Vice President of Basketball Operations die Geschicke bei den Rockets zu lenken.
Hinkie als prominenter Befürworter
Und der ganz wesentlich für den Aufstieg Ohlbrechts zu einem NBA-Spieler gewesen war: "Wir haben wirklich ein super Verhältnis aufgebaut", sagte Ohlbrecht im Gespräch mit SPOX. Und weil dieser Sam Hinkie seinen fast blanken Sixers-Kader mit jungen Spielern füllen musste, war Ohlbrechts Arbeitslosigkeit nur von sehr kurzer Dauer.
"Ich habe nur gelesen, dass Houston ihn gestrichen hat, und da habe ich ihm geschrieben: 'Sorry' und 'Bleib positiv, es wird schon was kommen'. Und da hat er mir zurückgeschrieben, dass er schon in Philly ist", erinnerte sich Mavericks-Superstar Dirk Nowitzki unlängst im SPOX-Interview.
Der 35-jährrige Hinkie gilt, ganz im Sinne von Rockets-General-Manager Daryl Morey, als Statistik-Freak, der die Leistung und den Wert seiner Spieler gern mit analytischen Daten verifiziert. Das dieser Hinkie etwas in Ohlbrecht sieht, darf man also nicht einfach als Schnellschuss ins Blaue verstehen.
Nicht garantierter Vertrag für Ohlbrecht
Es hat vielmehr den Anschein, als würde er Ohlbrecht die erhoffte NBA-Karriere tatsächlich zutrauen - ganz abgesehen davon natürlich, dass der Deutsche günstig zu haben war.
Ohlbrecht kostet die Sixers im ersten Vertragsjahr nur rund 800.000 Dollar - andere Backup-Center kommen deutlich teurer daher.
Doch man wird das Gefühl nicht los, dass Philly tatsächlich die große Chance für Ohlbrecht ist. Die Umstände jedenfalls könnten günstiger nicht sein: Philadelphia hat dank Hinkie komplett auf Rebuild umgestellt, will das Team in den kommenden zwei oder drei Jahren völlig neu aufstellen.
Daher verzichtete der GM darauf, sich auf dem Free-Agent-Markt nach etablierten und namhaften Spielern umzusehen. Es wird alles auf die Jugend gesetzt. Diese Jugend wird im kommenden Jahr viele Spiele verlieren. Das ist ganz unausweichlich - und genau so einkalkuliert.
Tanking der Sixers: Ohlbrechts Chance
Nörgler nennen das "Tanken", also das absichtliche Verschlechtern der Mannschaft, um im darauffolgenden Draft möglichst gute Chancen auf einen hohen Draft Pick zu haben. Und 2014, das steht jetzt schon fest und wurde wiederholt berichtet, gibt es jede Menge Spieler, die Philadelphia helfen könnten.
Dieses Tanken bedeutet aber auch, dass es für Ohlbrecht viele Chancen geben wird, sich zu zeigen. "Auf den ersten Blick glaube ich, dass die Situation gut sein könnte", hatte der 2,10-Meter-Mann schon im Juli richtig erkannt. Diesen Eindruck bestätigt er während seiner Reise mit den Sixers durch Europa.
Spencer Hawes wird als Starting Center der Sixers in die Saison gehen. Kwame Brown dürfte Backup spielen, ist allerdings 31, hat einen auslaufenden Vertrag und dürfte keine Perspektive in Philly haben.
Arnett Moultrie und Lavoy Allen sind bullige Power Forwards, aber zu klein für die Center-Position. Und weil die Sixers keinen anderen Big Man ins Training Camp eingeladen haben, bleibt nur noch Ohlbrecht.
Noel wortkarg
Irgendwann - vielleicht im Dezember, vielleicht erst im neuen Jahr oder gar zur Saison 2014/2015 - wird Nerlens Noel fit werden. Der Shotblocker von der University of Kentucky war als Nummer-Sechs-Pick im Tausch für Jrue Holiday von den Pelicans gekommen und soll der Defensivanker der jungen Sixers werden, im Stile vielleicht eines Tyson Chandler.
Aber dieser Noel leidet noch an den Folgen eines am College erlittenen Kreuzbandrisses. "Er macht weiterhin sein Rehaprogramm, unsere Fitness-Trainer haben ein wachsames Auge auf ihn", sagte Hinkie. In Manchester wollte er keinen Kommentar zu seinem Zustand abgeben, offenbar hat er noch nicht einmal seinen Rookie-Vertrag unterschrieben.
Noel ist für die Zukunft der Franchise von entscheidender Bedeutung, man wird bei ihm nichts überstürzen. Und je länger sich das Comeback verzögert, umso besser für Ohlbrecht.
Aktuell fällt auch Brown wegen einer Adduktorenzerrung aus, der Routinier ist bei der Europatournee der Sixers nicht dabei. Zum Preseason-Auftakt in Bilbao war Ohlbrecht deshalb nach Hawes zweite Option auf der Fünf. "Ich will nicht sagen, dass ich froh über die Verletzungen bin", sagt Ohlbrecht. "Aber natürlich bekommt dadurch immer jemand anders seine Chance, und diesmal bin ich derjenige."
System kommt Ohlbrecht entgegen
Auch aufgrund von fünf Fouls kam Ohlbrecht am Ende nur auf 11 Minuten Spielzeit, da geht sicher mehr. Immerhin verzeichnete der Deutsche 2 Punkte, 3 Rebounds und hatte darüber hinaus beim 106:104 über Bilbao Basket ein Plusminus-Rating von +3 zu Buche stehen.
In Manchester dürfte Ohlbrecht am Dienstag seine nächste Chance erhalten, wenn er mit seinen Sixers auf die NBA-Konkurrenz der Oklahoma City Thunder trifft.
"Ich find unser neues System richtig geil", ist Ohlbrecht geradezu euphorisch. "Der Coach will, dass wir in der kommenden Saison alle Teams in Grund und Boden rennen. Vielleicht können wir so den einen oder anderen Gegner überraschen. Auf jeden Fall kommt es meinen Stärken entgegen."
Ganz sicher kann sich Ohlbrecht noch nicht sein, was seinen Verbleib in Philadelphia angeht. Doch glaubt man den aktuellen Eindrücken, deutet vieles darauf hin, dass Ohlbrechts Traum zum zweiten Mal wahr wird - und diesmal von Dauer ist.