Herzlich Willkommen, Stefan Koch! Der Star-Trainer feiert beim LIVE-STREAM-Spiel zwischen den New York Knicks und den San Antonio Spurs (So., ab 18 Uhr) seine Premiere als SPOX-Kommentator. Im Interview spricht der Coach über sein Doppelleben als Journalist und BBL-Trainer, seine Zeit als Grizzlies-Scout und Flugzeuge kapern in der Ukraine.
SPOX: Herr Koch, Sie sind einer der bekanntesten und besten Basketball-Trainer Deutschlands und wurden zweimal zum Coach des Jahres gewählt. Bei den Artland Dragons hätten Sie ohne weiteres Ihren Vertrag als Headcoach verlängern können. Stattdessen geben Sie am Sonntag Ihr Debüt als NBA-Hauptkommentator bei SPOX. Warum lassen Sie sich darauf ein?
Stefan Koch: Ich glaube, SPOX ist auf einem sehr, sehr guten Weg. Und alle Kollegen, die in der Vergangenheit mit SPOX zu tun hatten, gaben mir positives Feedback. Daher habe ich keinerlei Berührungsängste. (lacht) Für mich ist der NBA-Live-Stream eine schöne Möglichkeit, um zu meinen Wurzeln zurückzukehren. Ich habe Journalismus studiert und in der Vergangenheit bereits Basketball kommentiert. Entsprechend ist das eine schöne Alternative, nachdem ich im vergangenen Sommer die Chance hatte, bei den Dragons den Vertrag zu verlängern - aber nur für ein Jahr. Ich lehnte ab, weil es angesichts der Einschulung meines Sohnes nicht die richtige Option gewesen wäre. Ich hatte immer Ein-Jahres-Verträge erhalten, die von Saison zu Saison verlängert wurden. Jetzt war es erneut so - aber vielleicht wäre es irgendwann eben nicht mehr der Fall gewesen. Daher blieb mir aus familiärer Sicht nichts Anderes übrig, als den Dragons abzusagen. Dadurch öffnen sich allerdings neue Türen - wie auch die zu SPOX.
SPOX: Wollten Sie eher Basketball-Trainer oder Sportjournalist werden?
Koch: Als ich die Schule verlassen hatte und mit dem Studium anfing, tat ich es mit dem konkreten Ziel: Sportjournalist. Ich arbeitete für alle Medien: Ich schrieb für Tageszeitungen und Magazine, machte ein bisschen Hörfunk und Fernsehen. Und jetzt kommt das Internet. In die Trainerschiene rutschte ich damals eher zufällig rein, weil es von Beginn an erfolgreicher lief als gedacht.
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SPOX: Was einige verwundern wird: Sie werden bei SPOX als Hauptkommentator tätig sein, so wie früher bei den Euroleague-Übertragungen von "Sportdigital". Bei Sport1 sind Sie hingegen als begleitender Experte im Einsatz. Welche Rolle liegt Ihnen mehr?
Koch: Ich mache beides sehr gerne, allerdings ist mir die Rolle des Hauptkommentators ein Stück weit lieber. Der Vorteil dabei ist: Man kann seine Gedanken sprießen lassen und man ist nicht darauf angewiesen, dass man als Co-Kommentator eingebunden wird. Es kommt hin und wieder vor, dass der Hauptkommentator inmitten einer szenischen Beschreibung ist und der Experte erst 40 Sekunden nach der betreffenden Aktion zu Wort kommt, was das Einordnen manchmal schwierig macht.
SPOX: Mit welcher Art des Kommentierens gehen Sie in den Live-Stream (So., ab 18 Uhr) zwischen San Antonio und New York?
Koch: Es ist ein schmaler Grat: Einerseits möchte ich so viele User wie möglich abholen und niemanden überfordern, indem ich als Fachidiot auftrete und jeden Spielzug analysiere. Das wäre gnadenlos übertrieben. Andererseits möchte ich den Basketball-Interessierten auch etwas anbieten. Wenn auf dem Feld etwas taktisch besonders Interessantes passiert, muss ich es einordnen. Es wird auf die richtige Mischung ankommen.
SPOX: Wie sieht Ihre generelle Karriereplanung aus? Mike Fratello war zuletzt für das Sensationsteam der Ukraine bei der Basketball-EM verantwortlich und kehrt zur NBA-Saison zurück hinters Kommentatoren-Pult. Könnten Sie sich das ähnlich vorstellen?
Koch: Wer könnte es nicht? (lacht) So, wie es Mike Fratello möglich ist, wäre ideal: Immer im Sommer eine Nationalmannschaft trainieren und vom Herbst bis Frühling als Kommentator so eingebunden werden, dass man seine Familie ernähren kann. Ich muss zugeben: Das Trainer-Dasein vermisse ich viel früher und viel stärker, als ich es je erwartet hätte. Ich dachte, dass erst im Januar, Februar das Kribbeln losgeht. Pustekuchen! Es kribbelt nicht nur, es brennt regelrecht. Das Coaching ist offenbar eine Leidenschaft, die ich nicht beliebig ausschalten kann. Allerdings gilt das auch fürs Kommentieren. Das ist das Verrückte. Nur: Das Problem eines Basketball-Kommentators in Deutschland ist es, dass es schwierig ist, so viele Aufträge zu erhalten, dass man den Unterhalt der Familie davon bestreiten kann. Auf der anderen Seite bietet es die Möglichkeit, die Familie an einem festen Standort zu belassen. Von daher: Ich bin mit meiner Karriereplanung noch nicht ganz so weit. (lacht)
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SPOX: Sie sprechen über die Sehnsucht nach dem Coaching. Fehlt Ihnen nach 13 Playoff-Teilnahmen und das viermalige Erreichen des Playoff-Halbfinals der Adrenalin-Kick?
Koch: Nicht unbedingt. Mir fehlt vor allem der der fachliche Austausch mit Tyron McCoy und Martin Schiller, meinen ehemaligen Assistenztrainern, die immer sehr bereichernd waren. Und mir fehlt es, täglich in der Halle zu stehen und eine Mannschaft zu unterrichten und jeden Spieler individuell zu entwickeln.
SPOX: Artland wird nun von Ihrem ehemaligen Schützling McCoy trainiert - und das überaus erfolgreich. Die Dragons sind eines der Überraschungsteams der Saison. Blutet Ihnen das Herz?
Koch: Es blutet natürlich, dass ich nicht mehr dabei bin. Zugleich freue ich mich ungemein, alle Beteiligten dort haben sich das verdient. Die Zeit in Quakenbrück war deswegen so toll, weil die Atmosphäre so einzigartig ist. Unglaublich freundschaftlich, aber auch hochprofessionell. Dass mit David Holston und Brandon Thomas zwei Spieler zurückgekehrt sind, die wir geholt hatten, spricht für sich. Ich drücke die Daumen, dass es so weitergeht.
SPOX: Sie selbst sollen seit dem freiwilligen Verzicht auf die Vertragsverlängerung von anderen BBL-Klubs Angebote erhalten haben. Wie konkret?
Koch: Es gab Anfragen, aber es ging nie über das Stadium hinaus, weil ich immer sofort abgesagt hatte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich auch nicht, wie sehr mir das Coaching fehlen würde, daher fiel es mir auch nicht schwer, zumal bei einem Vereinswechsel die Familie sich an ein komplett neues Umfeld hätte gewöhnen müssen.
Seite 2: "Die Spurs besitzen eine europäische Identität"
SPOX: In der Vorsaison verpflichteten Sie für Artland mit Ryan Gomes einen gestandenen NBA-Profi. Anfangs als Coup gefeiert, enttäuschte er und verließ Quakenbrück nach wenigen Wochen schon wieder. Jetzt könnten Sie ihn bei den NBA-Streams kommentieren: Gomes gehört zum Kader von Titelkandidat Oklahoma City Thunder. Wie seltsam ist es?
Koch: So seltsam finde ich es gar nicht. Wir müssen uns klarmachen: Der Unterschied zwischen der NBA und der BBL ist nicht mehr so groß wie noch vor 10, 20 Jahren. Das ist Fakt. Gomes ist ein Beispiel, noch viel deutlicher wird es bei P.J. Tucker und Brian Roberts. Beide waren Leistungsträger in Bamberg, gingen zurück in die USA und bekamen wichtige Rollen in der NBA, Tucker ist mittlerweile sogar Starter in Phoenix. Daher verwundert es mich nicht, dass es Gomes mit seiner Erfahrung in einen Roster geschafft hat.
SPOX: Wie stehen Sie zum Glaubenskrieg NBA-Basketball vs. FIBA-Basketball?
Koch: In der NBA spielen die besten Basketballer der Welt, Punkt. Der Stil bleibt eine Geschmacksfrage. Beides hat seinen Reiz. In der NBA geht es darum, Mismatches zu finden und diese im Eins-gegen-Eins auszunutzen. Dazu gibt es Regeln wie die defensiven 3 Sekunden, die diese Art des Basketballs bevorteilen. Wie anders europäische Teams spielen, erklärte mir kürzlich wieder Ettore Messina, mit dem ich gut befreundet bin.
SPOX: Messina ist eine Trainer-Legende, der 2011/12 als Berater im Stab der Los Angeles Lakers arbeitete und seitdem Euroleague-Mitfavorit ZSKA Moskau verantwortet.
Koch: Ettore war mit ZSKA in der Preseason auf US-Tour und spielte auf Augenhöhe gegen einige NBA-Teams. Seine Erklärung: Europäische Mannschaften sind es gewohnt, auf einem kleineren Feld gegen Mannschaften anzutreten, die im Verbund kompakter verteidigen. Das macht das europäische Spiel an sich defensivorientierter und weniger spektakulär. Aber bei den Partien gegen die NBA-Teams, wo das Feld größer ist, konnte ZSKA den Ball besser bewegen, um zum offenen Wurf zu kommen. NBA-Teams positionieren sich anders in der Verteidigung, weil sie eine andere offensive Spielstruktur gewohnt sind.
spoxSPOX: Ist es umso spannender, dass Sie im NBA-Stream die Spurs und die Knicks kommentieren? Beide Teams verfolgen den europäischen Ansatz.
Koch: Da möchte ich einschränken. Auf San Antonio trifft es hundert Prozent zu. Die Spurs besitzen eine europäische Identität, nicht umsonst stehen Tony Parker, Boris Diaw, Nando De Colo und Marco Belinelli unter Vertrag. Manu Ginobili und Tiago Splitter spielten vor dem Wechsel in die NBA ebenfalls lange in Europa. Die Knicks müssen differenzierter betrachtet werden: Carmelo Anthony als gelernter Small Forward spielt beispielsweise als Stretch Four, daher ist der Positionsgedanke schon europäisch. Aber die Spielstruktur ist amerikanisch geprägt mit Basketballern wie Melo oder J.R. Smith, die den Mismatch-Gedanken sehr kultivieren.
SPOX: Sie waren vor einiger Zeit als Scout für die Grizzlies tätig. Gibt es noch Verbindungen?
Koch: Nein, nein. Das war zur Anfangszeit der Franchise, als die Grizzlies noch in Vancouver gespielt haben. Meine Tätigkeit sollte man allerdings nicht überbewerten: Ich stellte für das Management Listen zusammen mit möglichen Draft-Kandidaten aus Europa. Wobei die Grizzlies damals bevorzugt amerikanisch drafteten, weswegen mein Einfluss begrenzt war.
SPOX: Mitte der 90er Jahre ließen Sie sich auf ein noch größeres Abenteuer ein: Sie wechselten für eine kurze Zeit von Deutschland in die Ukraine und trainierten Bipa Moda Odessa. War es so wild, wie es klingt?
Koch: Absolut! Mein damaliger Verein BG Bramsche/Osnabrück ging nach sechs Spielen pleite und es hieß, dass die beiden Amerikaner ihr Gehalt weiter bezahlt bekommen würden, die Trainer und die deutschen Spieler hingegen auf die Hälfte verzichten sollen. Das machte ich nicht mit, daher unterschrieb ich kurzentschlossen in Odessa. Das war ein Abenteuer, nur wenige Jahre nach dem Ende der Sowjetunion. Ich könnte unzählige Anekdoten erzählen. Einmal ging es für ein Playoff-Spiel nach Donezk. Nach der Partie fuhren wir zurück zum Flughafen - und merkten, dass gar kein Personal mehr dort war. Deswegen schmissen wir unsere Taschen über den Zaun und kletterten selbst darüber, liefen zu unserer Maschine und flogen einfach los. Es war wild!
SPOX: Sie verfügen ohnehin über eine bewegte Vergangenheit. Einen Einschnitt erlebten Sie bereits mit elf Jahren. Ein tragischer Unfall, ohne den Sie aber nie der geworden wären, der Sie sind.
Koch: Das stimmt. Ich spielte wie mein Bruder Michael nur Fußball. Als ich elf Jahre alt war, erlitt ich eine sehr schwere Verletzung. Ein superkomplizierter Beinbruch mit einem komplett durchbrochenen Schienbein und einem angebrochenen Wadenbein. Es war ein offener Bruch, der zu eitern anfing. Wenn es einen Tag länger geeitert hätte, wäre mein Bein amputiert worden. Ich konnte im Anschluss fünf Monate nicht zur Schule gehen, weil ich mit dem Gips nur liegen durfte. Nach diesem Erlebnis verbot unsere Mutter mir und Michael das Fußballspielen. So kamen wir erst zum Basketball.
SPOX: Ihr eineinhalb Jahre jüngerer Bruder Mike Koch wurde auf diesem Weg zu einem der erfolgreichsten deutschen Basketballer überhaupt. Er gewann 1993 EM-Gold und 2000 mit Panathinaikos den Europapokal der Landesmeister. Nach seiner Karriere übernahm er den Trainerposten in Bonn, den er bis Sommer 2013 innehatte.
Koch: Ich hatte vor der Verletzung eine gute Schnelligkeit und Sprungkraft. Aber selbst wenn ich fit geblieben wäre, hätte ich wohl keine große Karriere hingelegt, dass muss man klar zugeben. Mein Bruder hatte mehr Talent und ich fing so oder so zu spät mit dem Basketball an. Ich stieg schlussendlich erst im zweiten B-Jugendjahr ein. Daher interessierte mich früh das Coaching. Die Referees werden es nicht gerne lesen, doch es ist so: Wer es als Spieler nicht schafft, versucht es als Trainer. Wer es als Trainer nicht schafft, wird Schiedsrichter. Zum Glück bin ich kein Schiedsrichter geworden. (lacht)