NBA

Zwischen Zuckerbrot und Arschtritt

Von Jan-Hendrik Boehmer
John Loyer bestritt gegen die San Antonio Spurs sein erstes Spiel als Head Coach der Pistons
© getty

Nach nur 50 Spielen feuerten die Detroit Pistons ihren Trainer. Für viele Fans und Experten eine Überraschung, schließlich ging es sportlich gerade bergauf. In der Kabine brodelte es allerdings gewaltig. SPOX war beim ersten Spiel von John Loyer als Head Coach in Detroit dabei und blickt auf die Hintergründe zum Trainerwechsel.

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Gut sieben Minuten waren im Palace of Auburn Hills beim Duell mit den San Antonio Spurs gespielt, da versagte John Loyers Stimme. "Move, Josh!", war gerade noch zu hören, dann wurde es plötzlich still.

Und wäre es im Palace mit 13.628 Zuschauern nicht generell eher ruhig gewesen, so hätte man den neuen Trainer der Detroit Pistons vermutlich bis zum Ende des Spiels gar nicht mehr hören können.

"Das ist der Preis, den ich zahlen muss", krächzte Loyer nach dem Spiel bei der Pressekonferenz ins Mikrofon. Der 49-Jährige hörte sich nach seinem ersten Spiel als Chef so an, als hätte er gerade eine Tournee als Frontmann einer Metal-Band hinter sich. Und er genoss es.

Hyperaktiv an der Seitenlinie

Denn genau diese Leidenschaft ist es, die man von ihm erwartet. Loyer hatte sich in wenigen Minuten mehr verausgabt als sein Vorgänger in 50 Spielen. Während der am vergangenen Sonntag entlassene Maurice Cheeks eher unbeteiligt wirkte und seinen Platz auf der Bank oft nur verließ, um sich auf einem der vielen verwaisten Stühle in der ersten Reihe des Palace niederzulassen, war Loyer fast schon hyperaktiv.

Immer wieder trieb er seine Spieler bei Angriffen im Laufschritt in die Hälfte der Spurs, nur um sie dann wild dirigierend auf ihre Positionen in der Defensive zurück zu kommandieren. Immer wieder holte er sich Spieler an die Seitenline, gab ihnen einzeln Anweisungen.

Ob dieses wilde Gestikulieren, dieser volle Körpereinsatz sein persönlicher Stil sei, wurde Loyer nach dem Spiel gefragt. "Stil?", gab er zu bedenken, "einen Stil habe ich nicht." Zuletzt hätte er schließlich vor gut 14 Jahren bei einem kleinen Community College irgendwo zwischen Indianapolis und St. Louis als Head Coach an der Seitenlinie gestanden. Da wäre das mit einem eigenen Stil doch eher unwahrscheinlich.

Loyer: "Das wird schon"

Wenn man Loyer allerdings beobachtet, oder gar seine Spieler fragt, dann ergibt sich ein ganz anders Bild. Dann hat Loyer seinen Stil längst gefunden - und er bewegt sich dabei immer irgendwo zwischen Zuckerbrot und Arschtritt.

Da gibt es den John Loyer, der vor dem Spiel in aller Ruhe durch die Kabine geht, eigenhändig mit rotem Marker die letzten Änderungen in der Aufstellung der Spurs an die Tafel schreibt, und der mit jedem seiner Spieler noch einmal die letzten Informationen für das anstehende Spiel durchgeht.

Das ist der John Loyer, der selbst einem sichtlich geknickten Jonas Jerebko nach einem weiteren enttäuschenden Einsatz die Hand auf die Schulter legt und ihm gut zuredet: "Das wird schon". Fürsorge, die es unter Cheeks nicht gab.

Da staunt selbst Popovich

Dann gibt es da aber auch den anderen John Loyer. Den, der nach wenigen Minuten seine Stimme verliert, weil er ohne Unterbrechung an der Seitenlinie auf und ab rennt und Kommandos brüllt. Den John Loyer, gegen den selbst der oftmals erstaunt herüberschauende Spurs-Coach Gregg Popovich aussieht wie ein braver Schuljunge. Der John Loyer, der selbst zwei Sekunden vor dem Ende und mit 11 Punkten Vorsprung die Hände über dem hochroten Kopf zusammen schlägt, weil Andre Drummond ein unnötiges Foul begeht.

Doch es ist genau diese Mischung, die bei den Spielern gut ankommt. "Er ist ganz anders als Coach Cheeks", sagt Brandon Jennings zu SPOX. "Maurice war leise, nachdenklich - John lässt uns gleich wissen, wenn ihm etwas nicht gefällt. Egal ob beim Training oder im Spiel. Manchmal brauchen wir das wohl. "

"Eine reine Business-Entscheidung"

Es ist offensichtlich, dass im Palace of Auburn Hills ein frischer Wind weht. Und das, obwohl Spieler und Verantwortliche sehr darauf bedacht sind, kein schlechtes Wort über den entlassenen Maurice Cheeks zu verlieren.

Maurice sei ein guter Mensch und ein hervorragender Coach, versichert Loyer: "Ich war ehrlich gesagt enttäuscht, als mich das Team über die Entscheidung informierte." Und auch Point Guard Jennings meint: "Die Entlassung hat nichts mit seinen Fähigkeiten als Trainer zu tun. Das ist eine reine Business-Entscheidung."

Eine Business-Entscheidung, die für viele Fans und Experten allerdings zu einem überraschenden Zeitpunkt kam. Fünf der letzten sieben Spiele haben die Pistons gewonnen - vier davon unter Cheeks. Es schien gerade so, als könne das Team nach einem enttäuschenden Start endlich dem ohne Zweifel vorhandenen Talent des Kaders gerecht werden. Als hätten die Pistons eine ehrliche Chance auf die Playoffs.

Knackpunkt der Geschichte ist aber, dass Cheeks offenbar schon nichts mehr damit zu tun hatte.

Billups übernimmt Verantwortung

Bereits seit Ende Januar soll vieles an ihm vorbei gelaufen sein. Er hätte den Kontakt zu den Spielern längst verloren, sei mit seiner ruhigen Kumpel-Art besonders bei den schwierigeren Charakteren im Pistons-Kader gescheitert, heißt es.

Unter vorgehaltener Hand wird berichtet, dass Chauncey Billups seit langer Zeit bereits besser darin gewesen wäre, seinen Teamkollegen die Spielzüge zu vermitteln. Zusammen mit Loyer und Assistant Coach Rasheed Wallace habe er das Team übernommen.

Und dem Routinier wird unter Loyer auch offiziell eine größere Rolle zukommen. Mit anhaltenden Knie-Problemen (bisher nur vier Spiele in dieser Saison) ist eine Rückkehr auf den Platz für Billups vorerst nicht abzusehen, ein zeitnaher Übergang in die Coaching-Abteilung scheint vorstellbar.

Auf der Bank sitzt Billups ohnehin bereits direkt neben den Trainern und ist nicht nur optisch das Bindeglied zwischen Spielern und Coaching Staff. "Chauncey ist ein ganz wichtiges Element für die Kommunikation", bestätigt Kyle Singler.

Probleme mit Smith & Drummmond

Immer wieder war Cheeks zudem mit Josh Smith, Drummond und Will Bynum aneinander geraten - und hatte am Ende zu drastischen Mitteln greifen müssen, um sich zu behaupten. So verbannte er Drummund bei der Niederlage gegen die Mavericks Ende Januar wenige Sekunden nach Beginn des dritten Viertels etwa auf die Bank, weil er beim Pick'n'Roll gepatzt hatte. Drummond stürmte nach dem Spiel aus der Halle, verweigerte jegliche Interviews und war sichtlich angegriffen.

Während Cheeks' Entscheidung als disziplinarische Maßnahme vielleicht noch zu verstehen ist, war sie gegenüber einem Franchise-Player wie Drummond mehr als nur ungeschickt.

Die Pistons rangieren am unteren Ende der Zuschauer-Statistik, spielen regelmäßig vor halb-leeren Rängen. Drummond ist mit seinen spektakulären Slams noch eines der wenigen Zugpferde, um Geld in die Kassen zu spülen. Und genau das ist es, was für Besitzer Tom Gores am Ende des Tages zählt: Basketball-Affinität hin oder her, für den Geschäftsmann zählt am Ende das Geld. Und dafür braucht es einen gutgelaunten Franchise-Player.

Auch Drummond selbst sagt: "Es ist gut, wenn das Spielen wieder Spaß macht."

Wallace als zweiter starker Mann

Dass es Drummond wieder Spaß macht, das liegt vor allem an Rasheed Wallace. Der war zwar bereits seit Beginn seiner Coaching-Tätigkeit bei den Pistons für den Center zuständig, wurde aber zuletzt immer wichtiger. In den letzten Wochen hatte sich Wallace offenbar immer deutlicher zwischen Drummund und Ex-Coach Cheeks gestellt, um den 20-Jährigen abzuschotten.

Auch offiziell ist "Sheed" jetzt der zweite Mann hinter Loyer, nachdem zusammen mit Cheeks auch dessen engster Vertrauter und ebenfalls aus Oklahoma City gekommene Maz Trakh gehen musste.

Singler: "Wir spielen befreit"

Doch kann man den Aufschwung wirklich dem internen Übergang zu Loyer, Billups und Wallace zuschreiben? Nur bedingt. Natürlich bringt eine Trainerentlassung immer eine neue Dynamik in den Locker Room. Die Spieler, die mit dem alten Trainer Probleme hatten, kommen plötzlich wieder mit guter Laune zur Arbeit. Die, die zuvor wenig Spielzeit bekamen, hoffen plötzlich auf einen besseren Platz in der Rotation und hängen sich dementsprechend wieder mehr rein.

Fakt ist auch, dass Cheeks immer wieder mit seiner kumpeligen und manchmal passiv-aggressiven Art aneckte. Und das nicht nur bei Smith und Drummond. Einer der größten Reibungspunkte war die Rolle von Jennings. Cheeks war ein Pass-First-Point-Guard der alten Schule, Jennings hat eine klare Shoot-First-Mentalität. Hier standen die Zeichen von Anfang an auf Konflikt. Und obwohl beide Seiten weiter den gegenseitigen Respekt betonen (Jennings: "Cheeks ist wie eine Vaterfigur für mich"), schien eine Trennung der einzige Weg zu sein, die vertrackte Situation aufzulösen.

"Wir spielen in den vergangenen Spielen irgendwie befreit", sagt Singler. "Mit mehr Selbstbewusstsein. Wir fühlen uns als Team besser und das haben wir jetzt in den letzten Spielen gesehen."

Hilfe für die Stimme

Auf der anderen Seite sind die Probleme der Pistons noch lange nicht verschwunden. Auch gegen die Spurs war die Defensive alles andere als standfest. Tony Parker konnte machen, was er wollte - und hätten er und Tim Duncan sich nicht frühzeitig ausruhen dürfen, es hätte durchaus noch einmal eng werden können.

Auch die Dreier sind weiterhin ein Problem, und Josh Smith wirkt sowohl auf dem Platz als auch in der Kabine immer mal wieder unbeteiligt. "Man darf deshalb nicht zu viel in die letzten Spiele hinein interpretieren", mahnt Jennings. "Noch hat sich nicht viel geändert. Noch sind wir das gleiche Team." Noch. Denn Loyer will das Spiel der Pistons offenbar deutlich umstrukturieren. Einfacher soll es werden, mit mehr Bewegung in der Offensive und einer klareren Zuordnung in der Verteidigung.

Und dabei hat er offenbar die Unterstützung des Teams. "Wir sind begeistert, dass er uns jetzt trainiert", sagt Rodney Stuckey. Und Billups verspricht: "Wir werden ihm helfen, das Team zu coachen. Und selbst wenn es nur darum geht, dass er nicht immer in der zweiten Hälfte seine Stimme verliert."

Der Spielplan der Detroit Pistons

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