"Kein Wurf ist schwierig für mich"

Dirk Sing
17. Mai 201419:49
Ray Allen (r.) ist der erfolgreichste Dreierschütze in der NBA-Geschichtegetty
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Am Sonntag eröffnen die Indiana Pacers und die Miami Heat(ab 21.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE bei SPOX) die Conference Finals. Im Exklusiv-Interview erklärt Miamis Scharfschütze Ray Allen die Schlüssel zum Sieg, berichtet über Nachhilfe für Chris Bosh und seine Zukunftspläne.

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SPOX: Mal Hand auf's Herz, Mr. Allen: Hätten Sie lieber gegen die Washington Wizards als die Pacers gespielt?

Ray Allen: Nein. Jeder - egal ob Spieler, Verantwortliche, Fans oder Medien - wollte doch letztlich genau dieses Aufeinandertreffen in den Conference Finals sehen. Und jetzt haben wir es bekommen. Ob eine Serie gegen Washington einfacher geworden wäre, wage ich zu bezweifeln. Die Wizards haben in der ersten Runde immerhin Chicago besiegt sowie jetzt Indiana sehr große Probleme bereitet. Fakt ist, dass wir es nun mit dem Erstplatzierten nach der Regular Season in der Eastern Conference zu tun bekommen. Das ist eine große Herausforderung, auf die wir uns jetzt konzentrieren und freuen.

SPOX: Welches sind Ihrer Meinung nach die Schlüssel in dieser Serie?

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Allen: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man sich zunächst einmal auf sich selbst beziehungsweise sein eigenes Spiel konzentrieren sollte. Sehr wichtig wird es daher sein, dass gerade unsere großen Jungs einen entscheidenden Einfluss auf das Geschehen nehmen und viel Druck erzeugen - sowohl unter den Brettern als auch auf ihre Gegenspieler! Ansonsten gibt es vor allem eine Devise: Turnover vermeiden! Die Verteidigung der Pacers ist großartig und darauf ausgelegt, Ballverluste des Gegners zu forcieren. Wir müssen daher unglaublich gut auf unseren Ball aufpassen.

SPOX: Nachdem sich das Gesicht beider Teams im Vergleich zur vergangenen Saison nicht wirklich verändert hat und man zusätzlich in dieser Spielzeit schon viermal aufeinander getroffen ist: Gibt es zwischen den Pacers und Heat überhaupt noch Geheimnisse, mit denen man den jeweiligen Kontrahenten überraschen könnte?

Allen: Nein, absolut nicht! Wir haben - wie Sie ja bereits gesagt haben - in der Vergangenheit schon so oft gegeneinander gespielt. Bei einer Niederlage wissen wir genau, was die Pacers getan haben, um diese Partie zu gewinnen. Und auch bei einem Sieg ist es nicht anders. Ebenso gibt es beim Personal keine Überraschungen von beiden Seiten. Letztlich kommt es in jedem Match darauf an, wer die Schwächen des Gegners besser nutzen und seine Topleistung auf den Court bringen kann. Von dem her ist das erste Spiel sicherlich schon einmal ein sehr interessanter und wichtiger Gradmesser.

SPOX: Im Vergleich zum vergangenen Jahr haben die Indiana Pacers nun den Homecourt-Advantage auf ihrer Seite. Welche Bedeutung messen Sie dieser Tatsache bei?

Allen: Das ist im Vorfeld einer Serie immer schwer zu sagen. Klar, wir hatten in der letzten Saison sowohl gegen Indiana als auch San Antonio das jeweils siebte Match in der eigenen Arena und konnten beide zu unseren Gunsten entscheiden. Von daher war es zumindest kein Nachteil (lacht). Wie es jetzt aussieht, muss man einfach abwarten. Aber sollte es am Ende tatsächlich eine siebte und entscheidende Partie geben, werden wir uns dieser Herausforderung eben stellen.

SPOX: Herausforderung ist ein gutes Stichwort! Ihr Headcoach Erik Spoelstra hat unmittelbar nach der fünften und entscheidenden Begegnung im Conference-Halbfinale gegen die Brooklyn Nets (4:1) über Ihren erfolgreichen Dreier kurz vor Schluss, mit dem Sie Ihr Team mit 93:91 in Führung brachten, referiert, dass Sie eben diesen Wurf schon mehrere 1000 Mal im Training geübt und praktiziert hätten. Konkret gefragt: Kann man eine derartige Drucksituation im Training überhaupt kreieren und simulieren?

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Allen: Ja, das denke ich schon! Was du im Training machst, ist ja letztlich genau das, was du auch im Spiel machen willst. Und du hoffst natürlich, dass du dies auch entsprechend gut umsetzen kannst. Ich kann jetzt zwar nicht genau sagen, wie viele Würfe ich jede Woche im Training nehme. Aber es gibt wohl keine Position und keinen Zentimeter vor, auf oder hinter der Drei-Punkte-Linie, von der ich nicht meine Serien schieße. Abgesehen davon möchte ich immer jeden Wurf treffen - egal ob es mein erster oder letzter ist. Daher mache ich mir auch keine Gedanken, zu welchem Zeitpunkt oder bei welchem Spielstand ich werfe. Mir geht es nur darum, den Ball im Korb zu versenken. Nicht mehr und nicht weniger.

SPOX: Wenn der Ball dann in einer solch entscheidenden Phase wie in Spiel fünf gegen Brooklyn oder auch in den letztjährigen Finals gegen die San Antonio Spurs in der sechsten Partie fällt: Wie sieht in diesen Momenten die "Gefühlswelt" des Ray Allen aus? Haken Sie dies unter dem Thema "Business as usual" ab oder kommen dann auch beim erfolgreichsten Drei-Punkte-Schützen aller Zeiten in der NBA die Emotionen hoch?

Allen: Das hängt letztlich schon etwas von der Situation ab. Zunächst einmal bin ich niemand, der nach einem solchen Shot völlig überdreht oder gar die Fassung verliert, da ich von mir einfach erwarte, dass ich diesen einen Wurf treffe! Aber klar, wenn man jetzt einmal die von Ihnen bereits angesprochene Begegnung gegen Brooklyn betrachtet: Wir standen bereits mit dem Rücken gehörig zur Wand. Als uns der Dreier nach einer tollen Aufholjagd dann plötzlich wieder in eine Situation gebracht hat, das Match und damit die Serie zu gewinnen, war das schon ein sehr emotionaler Moment. Allerdings musst du diese Emotionen auch sehr schnell wieder kontrollieren, um einen klaren Kopf zu bewahren. Auf alle Fälle stärkt es aber dein Selbstvertrauen.

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SPOX: Wie wichtig sind denn grundsätzlich sowohl das Selbstvertrauen als auch der Wurf-Rhythmus für einen Shooter?

Allen: Der Rhythmus ist zweifelsohne das Wichtigste. Ich bin schon oft mit großem Selbstvertrauen in ein Match gegangen, habe mich hervorragend gefühlt - aber einfach meinen Rhythmus nicht gefunden. Bist du dann aber in deinem Rhythmus, steigt auch das Selbstvertrauen. Von dem her ist es für einen Shooter die allerwichtigste Aufgabe, einen Weg zu finden, um in seinen Rhythmus zu kommen.

SPOX: Welche Rolle spielt diesbezüglich für Sie persönlich, dass gleich der erste Wurf in einer Partie fällt?

Allen: Natürlich kann es den gesamten Prozess erleichtern. Entscheidend ist es aber definitiv nicht. Grundsätzlich musst du dir zunächst einmal vor Augen halten, dass es zwar sicherlich wichtig ist, dass du deinen eigenen Rhythmus findest. Aber letztlich bist du auch nur ein Teil des Spiels und nicht die einzige Figur, um die sich alles dreht. Entscheidender für den Teamerfolg ist es, dass alle Akteure auf dem Court in das Match involviert sind - was im Umkehrschluss wiederum bedeutet, dass es jedem Einzelnen leichter fällt, seinen persönlichen Rhythmus zu finden.

SPOX: Und falls Ihnen das nicht gelingt?

Allen: Wichtig ist, dass du nach zwei oder drei Fehlwürfen nicht den Kopf verlierst und das Werfen komplett einstellst, sondern dir einen Plan zurecht legst, wie du am besten in deinen Rhythmus kommst. Das kann mit Würfen aus der Nah- oder Mitteldistanz oder einem Penetrieren zum Korb sein. Ich selbst hole mir oft auch meinen Rhythmus über Freiwürfe. Wenn ich in Ruhe an der Linie stehe und zwei freie Würfe habe, dann hilft mir das enorm.

SPOX: Wenn man den Drei-Punkte-Wurf gemeinhin unter die Lupe nimmt: Es gibt das Catch-and-Shoot quasi aus der Ruhe, das Catch-and-Shoot aus der Bewegung sowie den Shot aus dem Dribbling heraus. Welchen dieser Würfe würden Sie als den schwierigsten bezeichnen?

Allen: Das ist eine gute Frage. Grundsätzlich würde ich sagen, dass für mich keiner dieser Würfe schwierig ist. Grundsätzlich! Wenn man allerdings nicht in seinem Rhythmus ist, sieht das Ganze schon ganz anders aus. Dann sind auf einmal alle drei Würfe enorm schwer und wollen in der Regel auch nicht fallen. Letztlich dreht sich auch hier wieder alles um den bereits mehrfach angesprochenen Wurf-Rhythmus.

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SPOX: Dass Sie in den Trainingseinheiten unzählige Würfe aus allen möglichen Positionen nehmen, um Spielsituationen zu simulieren, haben Sie ja bereits gesagt. Arbeitet man mit knapp 38 Jahren und der stolzen Gewissheit, bester Drei-Punkte-Werfer in der NBA-Historie zu sein, eigentlich auch noch an seiner Wurftechnik?

Allen: Ja, absolut! Im Grunde sogar fast täglich! Du bekommst nichts geschenkt beziehungsweise es kommt auch nichts von selbst. Von dem her schaue ich mir beispielsweise nach jedem Spiel das Video mit meinen Würfen an und analysiere es genau. Dabei achte ich auf viele kleine Details, damit ich gegebenenfalls im nächsten Training daran arbeiten kann. Mein Ziel war und ist es immer noch, mich weiter zu verbessern - und zwar unabhängig vom Alter!

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SPOX: Ist es eigentlich richtig, dass Sie - sowohl bei Heim- als auch Auswärtspartien - stets drei bis vier Stunden vor Spielbeginn in der Arena sind?

Allen: (lacht) Das ist richtig, ja.

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SPOX: Können Sie uns verraten, was es damit auf sich hat?

Allen: Nun, ich habe in meinem zweiten NBA-Jahr (1997/1998, Anm. d. Red.) damit begonnen, mir einige bestimmte Dinge anzueignen, die ich mittlerweile als Routine bezeichnen würde und mit denen ich mich wohl fühle. Warum ich damals damit angefangen habe, bei Spielen derart früh in die Halle zu gehen, ist eigentlich schnell erklärt: Ich wollte einfach alleine auf dem Court sein, um konzentriert und ohne Ablenkung an mir zu arbeiten sowie mich möglichst perfekt auf die anstehende Begegnung vorzubereiten. Diese Gewohnheit habe ich bis heute beibehalten und fahre damit nach wie vor sehr gut.

SPOX: Zuhause in der American Airlines Arena dürfte dies rein organisatorisch sicherlich kein Problem darstellen. Doch wie sieht es damit auswärts in fremden Hallen aus?

Allen: Hier muss man in der Tat gut planen und organisieren. Wenn wir am Spieltag vormittags zum Shootaround kommen, mache ich mich bereits mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut. Wo ist der Haupteingang zur Halle? Wo befinden sich die Umkleidekabinen? Wie komme ich später an die Bälle? Das sind alles Dinge, die ich im Vorfeld zumeist selbst abkläre oder, falls die Vormittagseinheit entfällt, von unserer Team-Staff ausfindig machen lasse.

SPOX: Sie arbeiten gerade im Training nicht nur an Ihrem eigenen Wurf, sondern auch an dem Ihrer Teamkollegen! Chris Bosh hat erst kürzlich in einem Hintergrund-Gespräch mit SPOX erklärt, dass Ihr Input für ihn sehr wichtig sei und Sie großen Anteil an seinem deutlich verbesserten Drei-Punkte-Wurf hätten! Was haben Sie denn mit ihm "angestellt"?

Allen: (lacht) Chris hat mich gerade in der Vergangenheit immer wieder nach meiner Meinung und meinem Rat gefragt. Ich habe ihm dann viele Wurf-Drills, die ich im Laufe meiner Karriere immer wieder angewandt habe und nach wie vor anwende, gezeigt und auch zusammen mit ihm gemacht. Wie ich schon einmal gesagt habe: Im Training machst du letztlich das, was du auch im Spiel selbst umsetzen willst. Also musst du dich bereits im Training in Situationen bringen, die identisch mit denen im Match sind. Und zwar sowohl von den Positionen her als auch der Intensität.

SPOX: Nachdem Sie ja bei den Miami Heat quasi schon inoffiziell als "Shooting-Coach" für Ihre Mannschaftskollegen tätig sind: Könnten Sie sich eine Trainer-Laufbahn nach Ihrer aktiven Karriere vorstellen?

Allen: (überlegt) Naja, man soll ja bekanntlich niemals nie sagen. Aber momentan denke ich eher, dass ein Cheftrainer-Job nichts für mich wäre. Mir macht es augenblicklich großen Spaß, mit meinen Söhnen zu trainieren und sie Schritt für Schritt besser zu machen. Die Arbeit mit Kindern oder Jugendlichen allgemein würde mir sicherlich Freude bereiten. Aber auch ein Job als Shooting-Coach bei einem College- oder Profiteam wäre vielleicht eine Option. Mal schauen, was die Zukunft bringt. SPOXNBA

SPOX: Sie werden im Juni 38 Jahre alt! Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie lange Sie den Beruf des Profi-Basketballers in der NBA noch ausüben wollen?

Allen: Natürlich denkt man, wenn man etwas älter wird, über solche Dinge nach und spricht auch mit seiner Familie. Ich habe immer gesagt, dass ich eine solche Entscheidung davon abhängig mache, wie groß meine Motivation noch ist, wie ich mich körperlich fühle und ob ich noch in der Lage bin, meinem Team zu helfen. Wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt eine Entscheidung treffen müsste, wäre ich schon der Meinung, dass ich noch ein, zwei gute Jahre im Tank habe. Wie es dann in einem, zwei oder drei Monaten aussieht, wird sich zeigen.

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