NBA

Wenn Legenden erste Schritte tun

Von Max Marbeiter
Michael Jordan (r.) und Kobe Bryant holten mit den Bulls und Lakers insgesamt 11 Meisterschaften
© getty

Talente finden sich im Draft immer, mancher Jahrgang ist jedoch besonders gesegnet. Die Jahre 1984, 1996 und 2003 brachten eine Fülle an Legenden in die Liga und dienen deshalb als Vorbild für die Generation von 2014. Doch es gab auch wundersame Entscheidungen.

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Als David Stern 1984 das Podium betrat, war noch nichts zu sehen vom Selbstverständnis, das ihn über die kommenden Jahre in aller Treue begleiten sollte. "Ich dachte nur. Okay, ich gehe jetzt raus", erinnert er sich. "Versau' es jetzt nicht." Stern war nervös. Kein Wunder. Schließlich hatte er das Amt des NBA-Commissioners gerade erst übernommen und musste sich erstmals der Herausforderung Draft stellen.

Nun, ziemlich genau 30 Jahre später, feiert sein Nachfolger Premiere. Adam Silver wird am Donnerstag im Barclays Center zu Brooklyn erstmals in seiner Amtszeit die vielversprechendsten Talente der Basketballwelt in der NBA willkommen heißen. Wahrscheinlich wird die Nervosität auch den neuen Commissioner packen. Premieren strapazieren nun mal die Gemütslage.

Zumal sich Silver in einer ähnlichen Lage befindet wie einst Stern. Er empfängt nicht irgendeinen Jahrgang, nein, die Prospects 2014 gelten als die vielversprechendsten seit Jahren - und beschließen damit beinahe einen Zyklus. Einen Zyklus, der mit David Stern 1984 begann. Denn auch damals wartete eine selten da gewesene Ansammlung an Talent darauf, endlich erstmals NBA-Parkett zu betreten.

Warten auf "The Dream"

Auch damals warteten Teams und Basketball-Amerika sehnlichst auf das, was der Draft ihnen bringen möge. Auf schier grenzenloses Potential. Auf die nächsten Heilsbringer nach Larry Bird und Magic Johnson. Allen voran auf Hakeem (damals Akeem) Olajuwon.

In einer von Big Men dominierten Liga gab es für eine Franchise damals nichts Schöneres als einen fähigen Center in ihren Reihen zu wissen. Geradezu skandalös mutete es daher an, dass ausgerechnet die Houston Rockets mit dem ersten Pick gesegnet waren. Jene Rockets, die sich mit Ralph Sampson bereits ein Jahr zuvor einen Sevenfooter gesichert hatten.

Die besten Draft-Picks der Geschichte: Pfeifkonzerte für zwei Legenden

Weshalb also Olajuwon picken? Ganz einfach: Weil ein Center mit der Beinarbeit eines Guards, der noch dazu erst mit 16 Jahren mit dem Basketball begonnen hatte, dennoch ein unglaubliches Arsenal an Moves und Finten besaß und die University aus Houston zu zwei Title-Games geführt hatte, einfach zu verlockend war, um ihn, aus welchen Gründen auch immer, zu übergehen.

Zudem ließ die Idee, die Twin Towers Olajuwon und Sampson auf die Liga loszulassen, Houstons Verantwortliche glückseligst grinsen, als entschieden war, dass sie als erste auswählen dürften. Dabei hätten die Mundwinkel der Rockets wohl selbst dann noch konsequent gen Himmel gezeigt, wäre "The Dream" nicht die sicherste Wahl an Nummer eins gewesen.

Jordan statt Dr. J

Immerhin standen neben Olajuwon auch die Herren Michael Jordan, Charles Barkley und John Stockton zur Wahl. Drei zukünftige Hall-of-Famer, drei Mitglieder des ersten und einzigen Dream Teams. Mit Jordan dazu der vielleicht beste Spieler aller Zeiten, mit Stockton der All-Time Assist- und Steal-Leader der NBA und mit Barkley, naja, eben Barkley.

Zugegeben, gänzlich zu erahnen war all das nicht, das Talent dieses Draftjahrgangs war jedoch auch 1984 bereits unbestritten. Weshalb sonst hätten die Chicago Bulls einen Trade Julius Erving - natürlich war Dr. J nicht mehr auf der Höhe seines Schaffens - gegen ihren Nummer-3-Pick ablehnen sollen? Philly tröstete sich mit Barkley.

Die Utah Jazz buchten mit der Verpflichtung Stocktons an Nummer 16 zwei Finals-Teilnahmen, wenngleich sich die Begeisterung in Salt Lake City zunächst in Grenzen hielt. Man wusste schlicht nichts mit dem schmächtigen Jungen aus Spokane anzufangen. So wenig, dass Stockton versichert wurde, die Laute bei Verkündung seines Namens wären "Who's" und nicht "Boo's" gewesen. Die Jazz-Fans hätten schlicht nicht gewusst, wen ihr Team denn da ausgewählt hatte.

Ein Münzwurf entscheidet

Es ist nur eine dieser Geschichten, die den 84er Draft so legendär machen. Vier der besten Spieler aller Zeiten, weitere starke Rollenspieler wie Sam Perkins, Rick Carlisle, Jerome Kersey oder Kevin Willis. Ein Leon Wood, der an Nummer 10 gezogen wurde, sich nie etablierte, der jedoch noch heute größten Einfluss auf die Liga hat. Als Schiedsrichter.

Dazu natürlich die Tatsache, dass damals noch der Münzwurf über den ersten Pick entschied - und damit über die Zukunft der gesamten Liga. Hätten die Blazers und nicht Houston das allseits beliebte Spiel aus Kopf und Zahl gewonnen, Olajuwon wäre in Portland gelandet. Die Blazers hatten sich nämlich ebenfalls darauf versteift, einen Center zu verpflichten - und sich damit einen ganz besonderen Platz in der Hall of Fame der größten Draft-Irrtümer gesichert.

Jordan? Bowie!

Sam Bowie statt Michael Jordan war angesagt. Auf den ersten Blick ein Fehlgriff allererster Güte. Auch retrospektiv nicht die glücklichste Wahl. Bei genauerem Hinsehen ist Portlands Entscheidung aber wenigstens halbwegs nachzuvollziehen. Einerseits hatten die Blazers mit Clyde Drexler bereits einen Jordan ähnlichen Spieler im Roster, andererseits sollte, musste es einfach ein Center sein - und Bowie hatte im letzten College-Jahr durchaus überzeugen können.

Dazu schwelgte man in Portland offenbar in Erinnerung an seinen letzten dominanten Big Man, Mr. Bill Walton, der die Blazers 1977 zu ihrem bislang einzigen Titel geführt hatte. Allerdings hätte man sich vielleicht die Verletztenhistorie Waltons ins Gedächtnis rufen sollen. Denn auch Bowie pflegte am College bereits einen Hang zu schweren Fuß-Verletzungen.

Und so kam es, wie es kommen musste. Nach einem soliden Rookie-Jahr, das Bowie sogar ins All-Rookie First Team brachte, hatte der Center immer wieder mit mittelschweren bis schweren Verletzungen zu kämpfen und brachte es in elf Jahren NBA nur auf solide 10,9 Punkte und 7,5 Rebounds im Schnitt, während Michael Jordan Rekorde pulverisierte, zur größten Marke im Basketball aufstieg und die Bulls zu sechs Titeln führte.

"Würde das alles nicht durchmachen"

"Jedes Mal, wenn wir gegen die Bulls spielen, packe ich Michael am Trikot und sage: 'Wenn du nicht der Spieler geworden wärst, der du heute bist, würde ich nicht all das durchmachen'", gab Bowie 1992 zu. Für alle Zeiten wird er derjenige sein, den die Blazers anstelle des vielleicht besten Spielers aller Zeiten wählten. Derjenige, der entscheidend dazu beitrug, dass die 90er verliefen, wie sie verliefen.

Denn nachdem Magic Johnson seine Karriere aufgrund seiner HIV-Erkrankung beenden, Larry Bird vor seinem Rückenleiden kapitulieren musste und Chicago endlich die Bad Boys der Detroit Pistons besiegt hatte, dominierte der 84er Draft ein gesamtes Jahrzehnt auf selten gesehene Art und Weise.

Jordan und Olajuwon dominieren 90er

Zwischen 1991 und 1998 teilten Jordan und Olajuwon alle acht Titel unter sich auf - mit leichten Vorteilen zugunsten MJs (6:2). Zwei Mal traf die Nummer 23 dabei auf einen alten Bekannten. 1997 und 98 lautete das Finals-Duell Bulls gegen Jazz, Jordan gegen Stockton, Nummer-3-Pick von 1984 gegen Nummer-16-Pick von 1984.

Bedenkt man nun, dass der Brasilianer Oscar Schmidt, den Kobe Bryant einst als "meinen Larry Bird" bezeichnete, der in seiner Karriere mehr als 49.000 Punkte erzielte und damit, noch vor Kareem Abdul-Jabbar, der inoffiziell größte Scorer der Basketball-Geschichte ist, ebenfalls 1984 gezogen und 2013 in die Hall of Fame aufgenommen wurde - wenngleich er nie in der NBA spielte - , wird relativ schnell deutlich, weshalb der 84er Jahrgang, als einer der besten aller Zeiten gilt.

Sogar als bester aller Zeiten? Vielleicht. Andererseits bereicherten in den vergangenen 30 Jahren zwei weitere Generationen die Liga, die in der Spitze vielleicht nicht ganz so beeindruckend besetzt waren wie das Hall-of-Fame-Quartett von 1984, dafür aber eine unglaubliche Fülle an Talent bereit hielten. So wurde die Liga 1996, David Stern hatte seine Nervosität mittlerweile übrigens abgelegt, beinahe mit künftigen Superstars, MVPs, Topscorern und Legenden überschwemmt.

1996: Der tiefste Draft der Geschichte?

Allein Allen Iverson, Ray Allen, Steve Nash und Kobe Bryant hätten ausgereicht, den 96er Jahrgang von anderen abzuheben. Marcus Camby, Shareef Abdur-Rahim, Stephon Marbury, Antoine Walker Peja Stojakovic, Jermaine O'Neal, Zydrunas Ilgauskas und Derek Fisher machten aus der Klasse jedoch den vielleicht tiefsten Draft der Geschichte.

Allein Allen, Kobe, Fisher und Peja vereinen 17 Meisterschaften auf sich. Nash wurde zwei Mal zum MVP gekürt, Bryant und "The Answer" je einmal, Camby einmal zum Defensive Player of the Year. Allen gilt zudem als bester Schütze der Geschichte.

Ikone Allen Iverson

Dazu prägte speziell Iverson eine ganze Generation. Seine Cornrows, die Tattoos, der gelebte Rap auf dem Court - all das missfiel der Liga, fand bei Fans dafür umso mehr Anklang. Dazu AI's unnachahmlicher Spielstil. Diese Geschwindigkeit. Der Crossover, der selbst Jordan beinahe auf den Hosenboden setzte. Dieses Kämpferherz, das mit Spielbeginn zu schlagen begann und sich nur für die eine oder andere Trainingseinheit Auszeiten nahm. Iverson war so viel mehr als nur ein unglaublich guter Basketballer. Iverson war eine Ikone. Vielleicht ist er es heute noch.

Sicher ist dagegen, dass "The Answer" und seine Draft-Kollegen um Kobe gemeinsam mit dem bereits 1992 gedrafteten Shaq und einigen anderen Legenden wie Tim Duncan, Dirk Nowitzki, Kevin Garnett oder Paul Pierce das Zepter langsam aber sich von der Generation um Jordan und Olajuwon übernahmen.

Jordan: "Das Spiel in guten Händen"

Als MJ 2003 schließlich sein letztes All-Star Game spielte, war die Übergabe bereits abgeschlossen. Ein letztes Mal wurde dem Meister gehuldigt. Er blickte sich im weiten Rund der Philips Arena um und stellte beim Anblick seiner All-Star-Kollegen fest, dass "das Spiel in guten Händen" sei. Er blickte dabei auf insgesamt acht Mitglieder der Klasse von 1996.

Einer Klasse, die vier Monate später ihrerseits einen Großteil ihrer Nachfolger zu Gesicht bekommen würde. Schließlich hielt der Juni 2003 erneut Legendäres bereit. LeBron James gab sich die Ehre und mit ihm Carmelo Anthony, Dwyane Wade, Chris Bosh, Chris Kaman, Kirk Hinrich, David West und Boris Diaw.

10 Titel haben allein LeBron, Flash, Bosh und Diaw mittlerweile gesammelt, James dazu vier MVP- und zwei Finals-MVP-Awards. Wade wurde immerhin einmal zum besten Spieler der Finals gekürt. Melo zählt zweifelsohne zu den besten Scorern seiner Generation, vielleicht sogar der jüngeren Vergangenheit. Ein Mix, der auch die Klasse von 2003 zu einem der besten Jahrgänge der Geschichte macht.

Was wird 2014?

Und 2014? Wenn Adam Silver am 27. Juni das Podium im Barclays Center zu Brooklyn betritt, endet der Zyklus, den David Stern 1984 gemeinsam mit Michael Jordan und Hakeem Olajuwon einleitete. Ein neuer Commissioner, neue Top-Talente. Vielleicht sogar einige zukünftige Legenden.

Die Erwartungshaltung an den Jahrgang um Jabari Parker, Andrew Wiggins und Joel Embiid ist immens. Ob sie sie erfüllen können, muss sich zeigen. Eines haben sie ihren berühmten Vorgängern jedoch bereits jetzt voraus. Der Draft 1984 fand im Felt Forum statt. Nachmittags. USA Network übertrug, erreichte damals jedoch nicht einmal jeden Amerikaner. Diesmal blickt die Welt nach Brooklyn. In die Halle der Nets. Der Draft ist in den vergangenen 30 Jahren zu einem globalen Event geworden. Wahrscheinlich ist Adam Silver tatsächlich ein wenig nervös.

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