Vor dem Start der NBA-Finals in der Nacht von Donnerstag auf Freitag zwischen den Miami Heat und den San Antonio Spurs spricht Rashard Lewis exklusiv bei SPOX über seine persönliche Entwicklung, seine Rolle in Miami, das Rematch mit den Spurs und Vergleiche mit Michael Jordans Bulls.
SPOX: Herr Lewis, Sie spielen nunmehr seit 1998 in der NBA und haben in diesem Zeitraum unter anderem bereits zwei Finals erreicht, eine Meisterschaft gewonnen und waren All-Star. Mit Blick auf die am Donnerstag beginnende Finalserie gegen die San Antonio Spurs: Existiert bei dieser geballten Erfahrung in Ihrem Wortschatz überhaupt noch der Begriff "Nervosität"?
Lewis: (überlegt) Ich würde es jetzt nicht als Nervosität beschreiben - eher als positive Anspannung! So habe ich es bei meiner ersten Finals-Teilnahme mit den Orlando Magic und auch in der vergangenen Saison mit den Miami Heat erlebt. Im Grunde hast du eigentlich gar keine Zeit beziehungsweise kannst es dir auch gar nicht erlauben, nervös zu sein. In den Finals ist das Niveau derart hoch, dass jeder Fehler gnadenlos bestraft wird und sofort dazu führen kann, dass du verlierst. Daher bist du praktisch gezwungen, dich voll und ganz auf das Spiel, deine Aufgabe und jedes Play zu fokussieren. Schaffst du das nicht, bekommst du zwangsläufig große Probleme.
SPOX: Bleiben wir beim Thema Erfahrung! Sie standen, wie bereits gesagt, sowohl mit Orlando als auch Miami schon jeweils einmal in den NBA-Finals. Wie wichtig ist diese "Finals-Experience", gerade im Hinblick auf die nun anstehende Serie gegen die Spurs?
Lewis: Ungemein wichtig! Ich denke, diese Erfahrung hat uns auch zuletzt in den Conference Finals gegen die Indiana Pacers wieder immens geholfen. Wir wussten in den wichtigen Augenblicken dieser Serie, was zu tun ist, um die entscheidenden Spiele zu gewinnen. Gerade in diesem Punkt waren wir sicherlich den Pacers etwas voraus. Aber du lernst auch, dass ein Match nicht vorbei ist, bevor die Uhr abgelaufen ist - egal ob du deutlich führst oder hinten liegst. Ich erinnere nur an Spiel sechs in den letztjährigen Finals gegen die Spurs, als wir mit dem Rücken zur Wand standen, aber die Begegnung noch gedreht haben. Fehlt dir in diesen Augenblicken die Erfahrung, hast du im Normalfall kaum eine Chance.
SPOX: Sie haben die diesjährigen Conference Finals gegen die Indiana Pacers bereits angesprochen. Nach dem letzten Duell in dieser Serie meinte Pacers-Coach Frank Vogel, dass sein Team gegen die "Chicago Bulls unserer Ära" verloren hätte. Wie gefällt Ihnen dieser Vergleich?
Lewis: Nun, ich sehe ihn schon als großes Kompliment an! Wir haben in den vergangenen drei Jahren immer einen Weg gefunden, die Pacers in den Playoffs zu besiegen und in die Finals einzuziehen! In diesem Bereich gibt es sicherlich eine gewisse Parallele zu den Bulls. Auch sie haben sich immer wieder durch die Eastern Conference gekämpft und es in die Finals geschafft. Dieser große Respekt, den uns Vogel mit dieser Aussage entgegenbringt, gilt aber natürlich auch von unserer Seite für die Bulls von einst. Man kann sicherlich sagen, dass sie in vielen Dingen ein Vorbild für uns sind.
SPOX: Die Bulls haben in der "Ära Michael Jordan" immer wieder bewiesen, dass sie gerade dann ihre besten Leistungen abrufen konnten, wenn es vonnöten war. Dies trifft in den vergangenen zwei, drei Jahren auch auf die Miami Heat zu. Jüngstes Beispiel war die starke Vorstellung in Spiel sechs der Conference Finals gegen die Indiana Pacers (117:92). Würden Sie dies als "Markenzeichen" beziehungsweise eine der großen Stärken Ihres Teams bezeichnen?
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Lewis: Ja, absolut! Ich denke, dass hier vor allem General Manager Pat Riley einen sehr guten Job gemacht hat. Dieses Team wurde im Jahr 2010 zusammengesetzt und aufgebaut, um die Finals zu erreichen und Titel zu gewinnen. Es wurde dann Jahr für Jahr punktuell ergänzt, um diesem Anspruch über einen möglichst langen Zeitraum gerecht zu werden. Fakt ist, dass unsere Mannschaft nicht nur unglaublich tief besetzt ist, sondern vor allem auch die einzelnen Puzzleteile perfekt zueinander passen. Und genau Letzteres ist eigentlich das Schwierigste. Wir sind in der Lage, 48 Minuten lang mit hoher Intensität jedes Tempo zu gehen und es auch entsprechend zu kontrollieren. Besonders in den Playoffs, in denen du jeden zweiten Tag auf dem Court stehst, ist diese Leistungstiefe und -dichte natürlich ein großer Vorteil und oftmals auch entscheidend.
SPOX: Lassen Sie uns etwas über sich und Ihre Karriere sprechen! Ihr erster Einzug in die NBA-Finals datiert aus dem Jahr 2009 mit den Orlando Magic. Wie hat sich der Basketball-Profi Rashard Lewis seitdem in den vergangenen fünf Jahren entwickelt beziehungsweise verändert?
Lewis: (überlegt lange) Das ist eine sehr gute Frage. Wenn man sowohl auf diesen Zeitraum als auch die Jahre zuvor zurückblickt, dann habe ich eigentlich so gut wie alles miterlebt. Ich war Starter, absoluter Leistungsträger und auch "Go-to-Guy" in Seattle oder Orlando. Auf der anderen Seite aber auch, vor allem in der vergangenen Jahren, Bank- und Rollenspieler mit verschiedenen Aufgaben in der Defense und Offense. Natürlich ist eine solche Umstellung anfangs nicht wirklich einfach. Du musst beispielsweise, wenn du von der Bank kommst und dies nicht gewohnt bist, erst einmal lernen, wie du am schnellsten deinen Rhythmus findest und deinem Team helfen kannst. Mittlerweile fühle ich mich aber in allen Rollen sehr wohl.
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SPOX: Stichwort Rolle: Wenn man Ihre Statistiken bei den Heat aus den Spielzeiten 2012/2013 sowie 2013/2014 miteinander vergleicht, dann fällt auf, dass Sie sowohl in der diesjährigen Regular Season als auch den Playoffs deutlich mehr Einsatzzeit erhalten. Würden Sie sagen, dass sich Ihre Rolle - gerade auch nach dem Abgang von Mike Miller - etwas verändert hat?
Lewis: Ja, das kann man schon so sagen. Aufgrund der Tatsache, dass ich in dieser Saison mehr Minuten erhalten habe, war es für mich auch etwas einfacher, gerade in der Offense meinen Wurf-Rhythmus zu finden. Aber selbst, wenn du einige Partien nicht in der Rotation bist, was bei unserem tiefen Kader immer einmal der Fall sein kann, musst du mit dieser Situation professionell umgehen und dich in jedem Training und Shootaround so vorbereiten, als würdest du im nächsten Match von Beginn auf dem Court stehen. Wenn du in der NBA spielst, dann hast du ohnehin nur eine Möglichkeit: Du musst dich den jeweiligen Gegebenheiten anpassen. So läuft das Geschäft. Letztlich entscheidet dein Trainer, welche Rolle du wann übernimmst. Bist du nicht in der Lage, diese dann auszufüllen, hast du schlichtweg keine Chance.
Seite 1: Lewis über seine Entwicklung, Vergleiche mit Jordans Bulls und seine Rolle
Seite 2: Lewis über das Rematch mit den Spurs, Tony Parker und den Heimvorteil
SPOX: Head Coach Erik Spoelstra hat sowohl anfangs dieser Saison als auch kürzlich wieder über Sie gesagt: "Rashard hat vergessen, wie gut er eigentlich ist." Können Sie diese Aussage nachvollziehen oder bestätigen?
Lewis: (lacht) Klar, da ist schon etwas dran! Letztlich hängt alles am Selbstvertrauen - und um sich dieses zu holen, kann es manchmal schon ein verdammt langer Weg sein! Nehmen Sie nur die zurückliegenden Conference Finals gegen die Pacers! Als Chris Andersen nach Spiel zwei aufgrund einer Verletzung ausgefallen ist, hat unser Coach die Rotation dahingehend verändert, dass ich plötzlich in der Starting Five stand. Ich hatte Pech, dass mein Wurf in dieser Partie überhaupt nicht fiel. Also habe ich mich darauf konzentriert, meinem Team vor allem in der Defense gegen David West zu helfen und mir auch dadurch Selbstvertrauen zu holen. Im nächsten Match hatte dann LeBron ziemlich schnell Foulprobleme und fiel über weite Strecken als unser Offense-Leader aus. Daher war ich praktisch gezwungen, mehr Verantwortung zu übernehmen - was dann auch, zumindest persönlich gesehen, ganz gut geklappt hat. Das gibt dir schon einen gewissen Push, stärkt dein Selbstvertrauen und hilft dir, dass du auch in der Offensive wieder an dich glaubst. Trotz allem sehe ich das Scoren nicht als meine wichtigste Aufgabe an. Vielmehr möchte ich meinem Team in allererster Linie mit meiner Defense oder Rebounds helfen. NBA
SPOX: Kommen wir auf die am Donnerstag beginnenden Finals gegen San Antonio zurück! Heat-Coach Spoelstra hat in den vergangenen Tagen immer wieder betont, dass die Mannschaft in dieser Serie von der ersten Sekunde an "bereit" sein und ihre beste Leistung abliefern müsse. Mal Hand auf's Herz: Wir schwer fällt das, nachdem die meisten Akteure inklusive Pre- und Regular Season sowie Playoffs mittlerweile schon über 100 Partien in dieser Saison absolviert haben?
Lewis: Die Playoffs und dann natürlich auch die Finals sind in der Tat sehr speziell! Die Intensität der Spiele geht von der ersten Runde an nochmals deutlich nach oben. Nachdem dir zwischen den jeweiligen Partien in der Regel auch kaum Zeit zum Trainieren bleibt, bist du letztlich selbst dafür verantwortlich, deinen Körper zu pflegen und in Form zu bleiben. Aber nicht nur die physische Belastung in dieser Zeit ist enorm, auch mental musst du sehr stark sein. Du musst dich in jedem Match ungemein auf deine Aufgabe fokussieren, weil es gerade in den Playoffs immer wieder auf die Kleinigkeiten ankommt. In den NBA-Finals spielt dann auch der "Basketball-IQ" eine große und entscheidende Rolle. Du musst das Spiel und den Gegner lesen sowie vom Kopf her möglichst immer einen Schritt voraus sein. Das alles kostet schon sehr viel Kraft.
SPOX: Die letztjährigen Finals gingen bekanntlich über die volle Distanz von sieben Partien. Denken Sie, dass diese Neuauflage gerade für die Spurs aufgrund dem aus Ihrer Sicht tragischen Ende ein zusätzlicher Motivationsschub ist?
Lewis: Auf alle Fälle - aber darauf sind wir vorbereitet. Tim Duncan hat ja unmittelbar nach dem Finaleinzug in einem Interview gesagt, dass die Spurs nun die große Möglichkeit bekämen, sich für die bittere Niederlage gegen uns zu revanchieren. Aber diese Aussage ist natürlich keine große Überraschung. Fakt ist, dass San Antonio - wie auch schon in den Jahren zuvor - über eine sehr, sehr gute Mannschaft sowie mit Gregg Popovich einen der besten Trainer in der NBA verfügt. Von daher wissen wir ganz genau, was uns auch in diesem Jahr erwartet.
SPOX: In den vergangenen Tagen wurde viel über den Gesundheitszustand von Spurs-Point-Guard Tony Parker spekuliert. Wie intensiv hat man bei den Heat diese Thematik verfolgt?
Lewis: Überhaupt nicht - und es hat uns auch nicht zu interessieren! Sicherlich ist Tony einer der besten Point Guards in der NBA. Doch die Spurs haben auch während der Saison etliche Begegnungen ohne ihn erfolgreich absolviert. Auch in Spiel sechs der Conference Finals gegen die Oklahoma City Thunder mussten sie in der zweiten Halbzeit auf ihn verzichten und haben die Partie noch gedreht. Von daher darf dieses Thema für uns absolut keine Rolle spielen.
SPOX: Gewissheit gibt es dagegen in Sachen "Homecourt-Advantage"! Anders als im letzten Jahr, als die Heat im siebten Duell in der heimischen American Airlines Arena die Meisterschaft unter Dach und Fach brachten, liegt dieser (scheinbare) Vorteil nun auf Seiten der Spurs. Welche Rolle wird dieser Ihrer Meinung nach spielen?
Lewis: Ich denke, je weiter es in den Playoffs geht, umso größer wird letztlich auch die Bedeutung des Homecourt-Advantages. Wir hätten ihn natürlich auch sehr gerne gehabt. Aber die Spurs waren in der Regular Season das bessere Team und haben sich diesen Vorteil damit auch verdient. Unsere Aufgabe muss es nun sein, ihnen möglichst gleich in den ersten beiden Begegnungen mindestens ein Heimspiel zu klauen, um den Homecourt-Advantage auf unsere Seite zu ziehen und ihn dann auch zu verteidigen. Wir wollen wieder Meister werden - und dazu bleibt uns keine andere Wahl!
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