"Das wäre arrogant und dumm von mir"

Florian Regelmann
23. Oktober 201413:21
Ettore Messina (l.) ist seit dem Sommer Assistant Coach von Gregg Popovichgetty
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Ettore Messina ist eine der großen Coaching-Legenden im europäischen Basketball. Viermal gewann der Italiener die Euroleague-Championship, jetzt ist er in die NBA gewechselt und arbeitet als neuer Top-Assistant von Gregg Popovich bei den San Antonio Spurs. Im SPOX-Interview spricht der 55-Jährige über seinen Start beim Champion, die mögliche Pop-Nachfolge und macht eine Liebeserklärung an Manu Ginobili.

SPOX

SPOX: Herr Messina, wie lange haben Sie überlegt, als Gregg Popovich Sie im Sommer angerufen und Ihnen den Job als Assistant angeboten hat?

Ettore Messina: Es gab keinen Entscheidungsprozess, ich habe ihm in fünf Minuten zugesagt. Wir hatten schon in früheren Zeiten über die grundsätzliche Möglichkeit gesprochen, dass ich sein Assistent werden könnte. In diesem Sommer hat es jetzt einfach gepasst - ich hatte überhaupt keinen Zweifel, ob ich das mache oder nicht. Es war völlig klar, dass ich sage: Pop, ich komme!

SPOX: Sie kennen sich ja auch schon viele Jahre.

Messina: Richtig. Ich kenne Pop, seit die Spurs damals Manu Ginobili in Bologna gescoutet haben. Der Kontakt ist danach nie abgerissen. Mit Manu war ich eh immer in Kontakt und ich habe immer ganz genau verfolgt, wie die Spurs ihren Weg gehen. Ich war schon immer ein großer Bewunderer der Spurs und ihrer Philosophie. Die Spurs sind ohne Zweifel das teamorientierteste und damit europäischste Team der NBA.

Gregg Popovich im Interview: "Europa hat uns eine Lektion erteilt"

SPOX: Popovich ist der Mann, der diese Philosophie verkörpert. Wahrscheinlich ist er aktuell DER Trainer im gesamten US-Sport. Für jemanden wie Sie, der ihn so lange kennt und verfolgt: Was macht ihn so besonders?

Messina: Wir müssen nicht darüber sprechen, dass er ein unglaubliches Basketball-Fachwissen besitzt. Aber was ihn so speziell macht, ist etwas anderes. Es ist seine Persönlichkeit und die Art und Weise, wie er sich um jeden einzelnen Spieler kümmert. Ich gehe sogar weiter: Er kümmert sich so nicht nur um alle seine Spieler, sondern um den gesamten Staff, der für die Spurs arbeitet. Jeder Einzelne ist ihm wichtig. Er legt einen großen Fokus darauf, dass die Chemie stimmt und dass es ein enormes Zusammengehörigkeitsgefühl gibt. So hat er es geschafft, dass die Spurs eigentlich einem College-Team viel ähnlicher sind als einem Profi-Team. In einer Profi-Mannschaft kommen normalerweise die einen durch die Tür hinein, die anderen gehen hinaus, in San Antonio ist das anders, viel stabiler. Pop hat Tim Duncan, Tony Parker und Manu Ginobili zu Persönlichkeiten geformt, die die Werte der Spurs leben und weitertragen - und das jeden Tag, in jedem Training, in jedem Spiel.

SPOX: Popovich meinte kürzlich, dass es eine Zeit gab, in der Europa den USA eine Lektion erteilt hat, u.a. was Ballmovement anbelangt. Jetzt haben die USA in diesem Bereich aber aufgeholt. Was kann Europa tun, um sich irgendwo wieder einen Vorteil zu verschaffen?

Messina: Es wird extrem schwierig sein für Europa, sich nochmal so einen Vorteil zu verschaffen. In den USA hat sich das Spiel auch weg von totalem Isolation Basketball entwickelt, sie haben verstanden, wie wichtig es ist, den Ball zu bewegen. Inzwischen haben sie ihren Stil viel besser an den internationalen Basketball angepasst und kombinieren den Ballmovement-Gedanken sehr gut mit ihren enormen physischen Skills.

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SPOX: Wie würden Sie denn Ihre Coaching-Philosophie beschreiben? Was ist Ihnen besonders wichtig?

Messina: Das Wichtigste ist, eine Balance im Spiel zu haben. Was du in der Offense machst, beeinflusst immer auch deine Defense. Wenn du zum Beispiel schlechte Würfe nimmst, wirst du wahrscheinlich eine schlechte Transition Defense haben und einfache Körbe zulassen. Auf der anderen Seite beeinflusst deine Defense wieder deine Offense. Wenn du eine gute, solide Verteidigung spielst, wird es dir Möglichkeiten zum Scoren eröffnen. Egal welchen Stil du spielst, was am einen Ende des Courts passiert, hat immer Einfluss auf das, was am anderen Ende des Courts passiert, das muss man wissen.

SPOX: Wie wichtig ist es, die richtige Mischung an Charakteren im Kader zu haben?

Messina: Ich bin der festen Überzeugung, dass man nicht gewinnen kann, wenn deine Schlüsselspieler nicht auf dem Court zu jeder Zeit das Heft in der Hand haben. Deine Schlüsselspieler müssen in der Lage sein, ihre Teamkollegen zu leiten und zu pushen. Es geht immer darum, Spieler zu finden, die bereit sind, diese Verantwortung anzunehmen. Denn es ist eine große Verantwortung. Ich hatte in meiner Karriere das Glück, bei meinen Stationen immer Spieler zu haben, die diese Rolle hervorragend ausgefüllt haben. Ich konnte nur so eine Karriere machen, weil ich großartige Spieler zur Verfügung hatte.

SPOX: Sie haben unzählige Erfolge gefeiert, viermal sind Sie Euroleague-Champion geworden. Welcher Titel ragt für Sie heraus?

Messina: Normalerweise sagt man ja, dass der nächste Sieg oder Titel immer der wichtigste ist. Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen, dass zwei Triumphe besonders herausstechen. Zum einen der erste Euroleague-Titel mit Bologna 1998, weil es der erste in der Geschichte des Klubs war. Und zum anderen der Euroleague-Titel mit ZSKA Moskau 2006, weil es der erste Titel für ZSKA seit 35 Jahren war. Das waren ganz spezielle Momente.

SPOX: Was nicht viele wissen: Während Sie bei ZSKA Coach waren, spielte auch eine gewisse Becky Hammon für ZSKA, die jetzt ebenfalls neu zum Coaching-Staff der Spurs gehört...

Messina: (lacht) Ja, wir haben uns zwar nie getroffen, aber ich habe sie in der Zeit einige Male spielen sehen. Becky ist eine sehr kluge junge Frau, wenn sie das nicht wäre, hätte sie auch nicht so eine tolle Karriere als Spielerin gehabt. Ich bin sehr beeindruckt, wie schnell und reibungslos sie es geschafft hat, nicht mehr als Spielerin, sondern als Coach zu denken. Ich bin sicher, dass sie eine tolle Trainerin wird.

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SPOXSPOX: Zurück zu Ihrer Karriere: Wenn man eine Station sucht, bei der es nicht so rund lief, war es Ihre Zeit in Madrid.

Messina: Zu meiner Zeit in Madrid möchte ich wirklich gerne etwas sagen. Als wir in meinem zweiten Jahr im Finale der Copa del Rey gegen Barca gespielt haben, hießen meine fünf wichtigsten Spieler, die die meisten Minuten gespielt haben: Sergio Rodriguez, Sergio Llull, Carlos Suarez, Nikola Mirotic und Ante Tomic. Ich bin sehr glücklich, wenn ich jetzt sehe, welchen Weg diese Jungs gemacht haben und auf welch hohem Niveau sie spielen.

SPOX: Nach der Zeit in Madrid haben Sie ein Jahr als Assistent von Mike Brown bei den Los Angeles Lakers verbracht. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Messina: Ich bin Mike Brown und den Lakers sehr dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Bei den Lakers zu arbeiten, zusammen mit Kobe Bryant oder Pau Gasol, ist eine einmalige Chance im Leben. Auch wenn es aufgrund des Lockouts kein ganzes Jahr war, habe ich es genossen, Insider-Einblicke bei den Lakers zu bekommen. Es war extrem interessant für mich und hat mir in mancher Hinsicht die Augen geöffnet. Ich konnte einige Vorurteile, die ich selbst als europäischer Coach hatte, abbauen und habe gelernt zu verstehen, wie die Uhren in der NBA ticken.

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SPOX: Als jetzt Ihre Verpflichtung als Popovich-Assistant feststand, gab es sofort Spekulationen, ob Sie nicht dann in einigen Jahren der perfekte Nachfolger als Head Coach wären.

Messina: Darüber denke ich überhaupt nicht nach. Ich bin der Meinung, dass es ziemlich arrogant und dumm von mir wäre, wenn ich das tun würde. Ich bin gerade erst in San Antonio angekommen. Ich bin noch dabei, mich in dieser großartigen Franchise einzuarbeiten und werde es hoffentlich schaffen, mir den Respekt der Leute bei den Spurs zu erarbeiten. Das ist im Moment mein einziges Ziel.

SPOX: Sollten Sie aber eines Tages Head Coach der Spurs werden, könnten Sie der erste europäische Cheftrainer in der NBA sein. Warum traut sich kein NBA-Klub, einen Europäer als Trainer zu holen?

Messina: Zum einen gibt es sicher Bedenken bei den Klubs, die logisch nachzuvollziehen sind. Das fängt bei der Sprachbarriere. Es ist ja zudem völlig klar, dass in Europa ein anderer Basketball gespielt wird als in der NBA. Das 48-Minuten-Spiel in der NBA ist komplett anders als das 40-Minuten-Spiel in Europa. Ein Coach braucht Zeit, um sich daran anzupassen. Auch um die Spieler kennenzulernen, die Regeln, die Referees. Dann gibt es aber auch völlig unlogische Bedenken, die in der NBA noch vorherrschen. Klischees wie europäische Coaches wären zu tough, wären an mehr Trainingseinheiten gewöhnt, könnten nicht mit den Stars umgehen. Dabei sind gerade die europäischen Trainer extrem flexibel und aufgeschlossen. Ich weiß es nicht, vielleicht ist es ähnlich wie bei den europäischen Spielern. Da gab es vor 20 Jahren auch Barrieren, die dann mit der Zeit gefallen sind.

SPOX: Mit David Blatt als US-israelischer Trainer ist jetzt zumindest ein Coach mit Europa-Background der neue Chef der Cleveland Cavaliers um LeBron James. Ist er ein Sonderfall?

Messina: Bei David Blatt ist die Situation ähnlich wie bei Mike D'Antoni. Natürlich ist es gut zu sehen für alle internationalen Trainer, dass David sich jetzt durch seine Arbeit in Europa diese Chance ermöglichen konnte. Vielleicht öffnet es wieder ein paar Türen. Aber lasst uns eines nicht vergessen: David ist in den USA aufs College gegangen, so wie Mike auch, für die Amerikaner ist er ein Amerikaner.

SPOX: Sie haben vorhin Ihre besondere Beziehung zu Manu Ginobili angesprochen. Was bedeutet Manu für Sie?

Messina: Ich kenne Manu seit Beginn seiner Karriere, für mich ist es etwas sehr sehr Besonderes zu sehen, was er für eine Karriere hingelegt hat. Aber noch viel wichtiger: Manu ist nicht nur ein fantastischer Basketballer, er ist in erster Linie ein wundervoller Mensch. Ein wundervoller Mensch, den der ganze Erfolg und Ruhm überhaupt nicht verändert hat. Ich bin glücklich, dass ich ihn getroffen habe und ihn als meinen Freund bezeichnen darf.

SPOX: Wen Sie wahrscheinlich auch als Freund bezeichnen würden, ist Dirk Bauermann.

Messina: Oh ja, Dirk war jetzt auch in der Preseason eine Woche bei uns in San Antonio. Ich kenne Dirk seit 20 Jahren und schätze ihn sehr. Er ist ein toller Mensch mit unglaublichem Basketball-Sachverstand.

SPOX: Wie beurteilen Sie denn aktuell den deutschen Basketball?

Messina: Ich habe den deutschen Basketball in den letzten Jahren intensiv verfolgt, weil wir mit ZSKA gegen Bayern und Bamberg, früher auch gegen Alba, gespielt haben. Ich finde es großartig, wie exzellent sich die BBL entwickelt hat, für mich gehört die BBL insgesamt definitiv zu den besten Ligen Europas. Es gibt viel Enthusiasmus für Basketball in Deutschland. Ich weiß natürlich auch, dass die Nationalmannschaft gerade im Umbruch ist und eine etwas schwierige Phase durchmacht, aber das ist ganz normal. In Italien haben wir momentan die gleichen Probleme. Es gibt einfach nicht genügend Spieler, um so eine Phase des Umbruchs locker zu bewältigen. Selbst Spanien wird das aber auch nicht anders ergehen.

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