SPOX: Herr Geschwindner, nach dem ersten Saisondrittel fällt es angesichts unterschiedlichster Leistungen schwer, das Grundkonzept der Dallas Mavericks in diesem Jahr zu erkennen. Wie ist Ihr Eindruck?
Holger Geschwindner: Am Anfang einer Saison ist das Konzept oft nur schwer zu erkennen, und die Leistungen unterliegen extremen Schwankungen. Das ist nicht verwunderlich, wenn die Mannschaft zur Hälfte aus neuen Spielern besteht. Bis Mitte Januar geht es meist darum, eine solide Basis und einen eigenen Spielstil zu finden. Dann kann man taktische Feinheiten erarbeiten. Falls das nicht gelingen sollte, bleibt vor dem Ende der Wechselfrist immer noch Zeit für weitere Ergänzungen.
SPOX: Woher die Schwankungen?
Geschwindner: Mit Devin Harris, J.J. Barea, Raymond Felton, und jetzt Rajon Rondo verfügt Dallas über etliche verschiedene Playmaker-Typen. Das Spiel ändert sich, je nachdem, wer den Ball bringt. Einerseits kann das von Vorteil sein, weil der Coach verschiedene Werkzeuge hat, um den Gegner zu ärgern. Auf der anderen Seite kann ein solches Konstrukt sehr wetteranfällig und dadurch von Nachteil sein. Es wird schwerlich so stabil sein wie bei den Spurs, bei denen Tony Parker bei jedem Angriff den Ball in der Hand hat. Deswegen funktionieren die Mavs manchmal sehr gut - und manchmal kriegen sie die Ohren richtig langgezogen.
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SPOX: Jenen Schwankungen unterliegt auch Dirk Nowitzki. Nach einem starken Saisonstart hatte er sogar eine Phase, in der er nur 7 von 44 Dreiern verwandelte. Haben Sie darüber nachgedacht, kurzfristig zu ihm zu reisen und am Wurf zu arbeiten?
Geschwindner: Nein. Es hat sich bewährt, dass ich eine Woche vor Saisonbeginn nach Dallas fliege und mir die ersten zwei, drei Spiele anschaue. Es ist immer etwas anderes, ob wir im Sommer zu zweit in der Halle trainieren, oder ob das in der NBA-Tagesroutine passiert. Es gibt gerade aber keinen akuten Bedarf. Dirk ist 36 und weiß selbst gut genug, wie er sich aus so einer Phase herausmanövriert. Das ist ohnehin die bessere Variante. Was immer dazu geführt hat, so etwas lässt sich normalerweise in zwei, drei Tagen reparieren.
SPOX: Trotz der Inkonstanz weist Dallas die achtbeste Bilanz der Liga auf. Sind Sie überrascht? Immerhin gehört die Mannschaft nach der Rückkehr von Tyson Chandler und J.J. Barea zu den ältesten der gesamten NBA.
Geschwindner: Es war sicher sinnvoll, dass Dirk wieder auf ein paar Mark verzichtet hat, damit eine Truppe zusammengestellt werden kann, die nicht hoffnungslos rumstolpert. Der Titelgewinn 2011 war etwas ganz Besonderes, weil die Chemie in der Kabine extrem gut war. Das ist in der NBA nicht allzu häufig. Tyson und J.J. wären damals sicher gerne geblieben, sind aber aus unterschiedlichen Gründen weiter nach New York und Minnesota. Sie haben gesehen, wie andere Organisationen funktionieren. Jetzt sind sie zurück, und man ahnt, was in den Jahren nach der Meisterschaft möglich gewesen wäre. Dafür kann man sich jedoch nichts kaufen. Wir greifen wieder neu an.
SPOX: Wie schätzen Sie das generelle Kräfteverhältnis in der NBA ein? Sind die Spurs weiter das Maß aller Dinge?
Geschwindner: Die Spurs unter Gregg Popovich haben ein Konzept. Sie wissen beispielsweise, dass sie wegen ihres konstanten Erfolgs nie einen hohen Draftpick bekommen werden, daher gehen sie andere Wege. Sie holen Spieler wie Tiago Splitter, die genau in ihr System passen. Was allerdings auffällt: Gregg Popovich ist einer der wenigen aus der alten Coach-Garde. Selbst die Generation danach um Rick Carlisle wird seltener. Jetzt kommt mit Jason Kidd, Steve Kerr und Jeff Hornacek eine ganz neue Generation - und mit ihnen wird sich der Basketball erheblich weiterentwickeln und verändern.
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SPOX: Wie meinen Sie das?
Geschwindner: Wir kehren zur Grundidee der Sportart zurück. Der Basketball wurde als Angriffsspiel konzipiert, und wenn man sieht, wie etwa Golden State unter Steve Kerr spielt, geht das genau in die Richtung. Früher hatten Teams einen Namen: Kobe Bryant und seine Lakers, Dirk und die Mavs. Heute ist in der NBA immer mehr die Mannschaft gefordert und man benötigt mindestens drei bis fünf Leistungsträger, die Feuerkraft mitbringen. Ich glaube, wer als Profi nicht werfen kann, wird in zwei, drei Jahren wenig Chancen auf die NBA haben. Selbst bei den langen Kerlen wird es nicht mehr ausreichen, den Rebound zu bekommen und die Schützen zu finden.
SPOX: Der Team-Basketball der Spurs ist nur ein Zwischenschritt?
Geschwindner: Früher genügte es, athletisch zu sein. Das ist mittlerweile fast jeder. Dann kamen Teamplay und Spielverständnis hinzu. Da haben auch viele aufgeholt. Jetzt geht es darum, dass man werfen kann. Die Wurfquoten im heutigen Basketball sind noch nicht so hoch, wie sie sein könnten. Irgendwann werden nicht mehr 40 Prozent an getroffenen Dreiern die Richtmarke sein, sondern 50 Prozent. Das ist die Zukunft. Wenn man geschickt coacht, sodass man den allerletzten Spielzug und den allerletzten Wurf hat, gewinnt man die knappen Spiele eher.
SPOX: Sie kündigten bereits 2012 im SPOX-Interview an, dass die nächste Stufe für Nowitzki der Hook Shot sein könnte. Warum nutzt er ihn immer noch nicht?
Geschwindner: Er beherrscht ihn wirklich gut. Das Problem ist: Der Spieler muss sich in einer Drucksituation sicher fühlen - und das fehlt noch. Wir überlegen, wie wir da weiterkommen. Der Hakenwurf ist eines der besten Werkzeuge im Basketball, weil man den Wurf immer loswird. Egal, wer einen verteidigt. Ich bin mir sicher, dass der Hakenwurf wieder zurückkehrt wie damals unter Kareem Abdul-Jabbar. Irgendjemand packt ihn über kurz oder lang wieder aus.