Ein MVP-Kandidat aus dem Labor

Ole Frerks
13. Januar 201515:08
James Harden gehört in der bisherigen Saison zu den besten Spielern der NBAgetty
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Die Houston Rockets sind trotz diverser Verletzungen furios in die Saison gestartet - den Löwenanteil daran hat James Harden. Der Bärtige hat einen weiteren Schritt gemacht und gehört zweifelsohne zu den wichtigsten Spielern der Liga. SPOX wirft einen Blick auf die eindrucksvollen Zahlen des Shooting Guards.

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Offense: Dreier und Freiwürfe

Houstons General Manager Daryl Morey gilt in der NBA gewissermaßen als Vorreiter der Nerds - als einer der ersten Personaler bezog er Advanced Stats in seine Auswertung von Spielern ein, zudem geht er beim Einbeziehen dieser Erkenntnisse rigoroser vor als wohl jeder andere. "Grantland"-Experte Bill Simmons bezeichnet ihn als "Dork Elvis", und das ist in diesem Fall als Kompliment gemeint.

Will man Moreys Philosophie auf simple Paradigmen herunterbrechen, bleiben folgende bestehen: "3 Punkte sind mehr als 2", "Der effizienteste Wurf ist der Freiwurf" und "Lange Zweier sind die schlechtesten Würfe".

Das Farmteam der Rockets, die Rio Grande Valley Vipers, experimentiert daher seit einer Weile mit einem Spiel, das fast nur noch aus Dreiern, Abschlüssen am Ring und Freiwürfen besteht. Die Vipers nehmen irrsinnige 40,5 Dreier und gehen zudem 27,8 Mal pro Spiel an die Linie.

Der Erfolg hält sich momentan zwar in Grenzen (9 Siege aus 21 Spielen), dennoch lässt die Spielweise erahnen, wie Moreys Vision von Basketball ungefähr aussehen soll.

Gut, dass er dafür den perfekten Superstar in seinem Team hat. James Harden verkörpert die Kombination aus Dreiern und Freiwürfen wie kein Zweiter: In dieser Saison hat der NBA-Topscorer bisher die sechstmeisten Dreier versucht - 37,3 Prozent seiner Würfe nimmt er vom Perimeter. An der Freiwurflinie war niemand öfter als Harden.

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Sein Shotchart zeigt zudem, dass er über 40 Prozent seiner Abschlüsse in unmittelbarer Korbnähe nimmt, während er die Mitteldistanz soweit es geht meidet (nur 10,5 Prozent). Seine Quoten sind dabei nicht überragend: Von der Dreierlinie trifft er insgesamt eher durchschnittliche 36,4 Prozent, aus dem Feld sind es 43,8.

Wie gesagt, das sind keine außergewöhnlich starken Werte. Sie erzählen allerdings nicht die ganze Wahrheit, da sie die Freiwürfe des Bärtigen nicht einbeziehen. Dort trifft Harden fast 90 Prozent - nicht so schlecht, wenn man häufiger an der Linie geht als jeder andere (8,8 Mal pro Spiel). SPOX

Um Hardens Scoring wirklich beurteilen zu können, ist also eine andere Formel nötig - das True Shooting. Dieses bezieht Wert und Anzahl von Dreiern, Zweiern und Freiwürfen ein und wird Hardens Spiel damit eher gerecht. Sein True Shooting beträgt starke 59,5; abgesehen von Stephen Curry (62,7) legt kein Guard mit ansatzweise vergleichbarem Scoring-Volumen einen signifikant besseren Wert hin.

Bei Harden kommt erschwerend hinzu, dass er sich seine Würfe fast alle selbst erarbeiten muss. Er ist bei den Rockets gleichzeitig bester Scorer und bester Playmaker, was zur Folge hat, dass fast 74 Prozent seiner Treffer kein Assist vorausgeht (zum Vergleich: Bei Curry sind es 60 Prozent). Seine einzigen "einfachen" Abschlüsse sind Fastbreak-Punkte, alles andere muss er sich durch Penetration, Fakes oder seinem herausragenden Euro-Step hart erarbeiten.

Vor allem in Abwesenheit von Dwight Howard war die Rockets-Offense eine One-Man-Show - man kann sich gut vorstellen, was für einen Sprung Hardens Quoten machen könnten, wenn er einen weiteren Creator an seiner Seite hätte. Dennoch sind sie schon jetzt beeindruckend, wenn man bedenkt, wie sehr die Offense seines Teams von ihm abhängt.

James Hardens Shotchart 2014/15

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Offense: Dreier und Freiwürfe

Defense: Keine Lachnummer mehr

Der Einfluss auf die Rockets

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Defense: Keine Lachnummer mehr

Woran misst man die Defensiv-Fähigkeiten eines Spielers? Steals pro Spiel können trügerisch sein, da sie nicht erzählen, ob ein Spieler nur spekuliert und daher die Defense am Mann verteidigt. Auch Blocks sind nicht unfehlbar als Statistik. Es ist allerdings zweifellos ein schlechtes Zeichen, wenn es bei Youtube gleich mehrere Videos mit Titel a la "James Harden horrible defense" zu bestaunen gibt.

Kein Zweifel: In den letzten Jahren war Hardens Defense ein schlechter Witz. Die Fähigkeiten zum soliden Verteidiger hatte er zweifelsohne, das haben die Jahre in Oklahoma City gezeigt. Der nötige Einsatz dafür fehlte nach seinem Wechsel allerdings komplett.

Deswegen entstanden die peinlichen Videos, bei denen Hardens Mann völlig unbehelligt am Korb finishen konnte, während Houstons Nummer 13 seelenruhig auf eine Fastbreak-Chance spekulierte. Deswegen wurden zahllose Memes kreiert, deswegen wurde Hardens Defense zur Lachnummer. Bill Murrays Credo aus Space Jam - "Whoa-ho-ho, I don't play defense" - das war Harden.

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Das ließ sich auch statistisch festhalten: Laut dem "DRPM", einer Statistik, die den Einfluss eines Spielers auf die Defensivleistung seines Teams bemessen soll, war Hardens Einfluss entschieden negativ. Tatsächlich legten allein 62 Shooting Guards einen besseren Wert hin als seine -2,84!

Auch sein Defensiv-Rating wies in den vergangenen beiden Jahren mit 104,4 und 103,1 extrem miese Werte auf. Doch die neue Saison gibt bisher Anlass zur Hoffnung. Denjenigen, die Basketball hauptsächlich über Youtube und Memes konsumieren, wird es noch nicht aufgefallen sein, aber: Harden spielt auf einmal wieder Defense!

Es ist nicht überliefert, ob er zu viele von den Memes gesehen hat oder ob er realisiert hat, dass man nur dann ein echter Star sein kann, wenn man auf beiden Seiten des Feldes Einsatz zeigt, es spielt in diesem Fall aber auch keine Rolle. Seine Defensiv-Werte sind in dieser Saison durchweg auf einem respektablen Niveau angekommen. SPOX

Sein Defensiv-Rating steht mittlerweile bei 99,3, womit er besser dasteht als beispielsweise Jimmy Butler (102,8). Natürlich ist Butler ein besserer Individual-Verteidiger und das Defensiv-Rating bezieht nicht nur Hardens Leistung, sondern die seines Teams mit ein, der Wert beweist aber, dass die Rockets mit Harden auf dem Court durchaus gute Defense spielen können. Und das, obwohl der Defensiv-Anker mit Howard große Teile der ersten Saisonwochen verpassen musste.

Mehr braucht Houston von Harden in diesem Fall nicht, zumal er üblicherweise mit Patrick Beverley, Trevor Ariza und Howard gleich drei Top-Verteidiger neben sich hat. Er muss kein Stopper sein, da er den Großteil seiner Energie zweifellos für die Offensive nutzen soll.

Dass er hinten aber zumindest nicht bloß herumsteht wie ein Pappkamerad, sollte man schon verlangen können. Gut und wichtig, dass diese Erkenntnis mit etwas Verspätung nun auch bei Harden angekommen ist.

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Defense: Keine Lachnummer mehr

Der Einfluss auf die Rockets

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Der Einfluss auf die Rockets

Die Rockets sind in dieser Saison bisher nicht gerade vom Glück geküsst. Neben Howard, der bisher 12 Spiele verpasste, mussten unter anderem auch Beverley (ebenfalls 12) und Terrence Jones, der bisher überhaupt nur 4 Spiele absolvierte, länger aussetzen. Das sind immerhin drei von fünf etatmäßigen Startern des Teams.

Die Konsequenz: Houston bot vor den Trades für Josh Smith und Corey Brewer Starting Fives auf, in denen beispielsweise Donatas Motiejunas, Tarik Black (mittlerweile Lakers), Jason Terry und Ariza aufliefen. Und eben Harden. Nichts gegen die Herren D-Mo oder Ariza, aber ein solches Lineup schreit nicht unbedingt "Contender!", zumal zu dieser Zeit auch die Bank nur wenig zu bieten hatte.

Und trotzdem steht Houston derzeit mit einer 26:11-Bilanz auf Platz 3 im historisch starken Westen. Der Hauptgrund dafür trägt einen ziemlich markanten Bart.

Anhand der Zahlen lässt sich problemlos argumentieren, dass kein Top-Team so abhängig von einem Spieler ist wie die Rockets. Hardens Usage Rate von 31,1, also der Anteil von Ballbesitzen des Teams, die mit einem Abschluss, Assist oder Ballverlust von ihm enden, wird ligaweit nur von fünf Spielern übertroffen.

Seine 4 Ballverluste pro Spiel sind der zweithöchste Wert der Liga, sind aber eben auch dadurch begründet, dass er in jedem einzelnen Angriff die Verantwortung trägt. Sein Scoring ist bekannt, aber auch als Playmaker ist er große Klasse: Mehr als ein Drittel der Treffer seiner Teammates werden von Harden vorbereitet - und kein NBA-Spieler hat mehr Dreier vorbereitet als er.

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Die Offense sackt daher verständlicherweise komplett ein, wenn Harden auf die Bank geht. Während die Rockets mit Harden auf dem Court ein Offensiv-Rating von 106,7 produzieren, das für einen Top-5-Platz in der NBA reichen würde, beträgt das Rating ohne ihn 90,2 - so schlecht sind nicht einmal die Knicks. SPOX

In der Kategorie Win Shares, also Siegen, die ein Spieler für sein Team "produziert" hat, führt Harden die NBA bisher mit 7,6 an, und auch sonst ist er bei fast allen Statistiken, die die Gesamt-Performance eines Spielers beschreiben sollen, mindestens in der Top 5. Kurz gesagt: Wenn man nach den Zahlen geht, ist Harden zweifellos einer der besten Spieler der Liga.

Das reflektiert auch sein Player Efficiency Rating, das mit 26,44 (Platz 6) für einen Guard herausragend ist. Auf Platz 2 und 3 stehen derzeit übrigens Russell Westbrook und Kevin Durant; und ja, die Thunder könnten heute drei Spieler mit MVP-Kaliber im Kader haben.

Es ist mittlerweile ein alter Hut, dass sich OKC beim Harden-Trade kolossal verzettelt hat, daher muss das hier nicht mehr groß beschrieben werden. Es sei allerdings gesagt, dass die Thunder sich auch keinen Gefallen damit tun, wenn sie Neuzugang Dion Waiters verbieten, mit der Nummer 13 aufzulaufen, um Vergleiche mit Harden zu verhindern.

Mit diesem Verbot rücken sie nur selbst wieder in den Fokus, was für ein Fehler dieser Trade war. Daryl Moreys Mitleid dürfte sich in Grenzen halten. Er hat ohne viel Aufwand den Superstar gefunden, der perfekt zu seiner Vision vom Basketball passt.

Offense: Dreier und Freiwürfe

Defense: Keine Lachnummer mehr

Der Einfluss auf die Rockets

James Harden im Steckbrief