Tim Legler war einer der besten Scharfschützen der NBA, inzwischen arbeitet der ehemalige Shooting Guard als TV-Experte für "ESPN". Im SPOX-Interview spricht Legler über den am meisten unterschätzten Point Guard der NBA, den Vergleich zwischen Dennis Schröder und Rajon Rondo und den Geheimtipp Dallas Mavericks. Außerdem: Sein Frankreich-Ausflug und sein Coaching-Traum.
SPOX: Tim, obwohl die Atlanta Hawks die meisten Siege auf dem Konto haben und alle von ihrer Spielweise begeistert sind, werden sie nicht so richtig als Titelkandidat wahrgenommen, wie stehen Sie zu den Hawks?
Tim Legler: Ich glaube, dass den Zweiflern einfach ein Superstar bei den Hawks fehlt. Wenn es in die Playoffs geht und du vielleicht sieben Mal gegen die gleiche Mannschaft spielst, dann brauchst du zwingend einen Superstar, der dich trägt und im entscheidenden Moment die Verantwortung übernimmt. Im Verlauf einer Serie stellt sich die Defense auf den Gegner ein, nur wenn du dann einen echten Superstar in deinen Reihen hast, kannst du dich am Ende durchsetzen. Und Atlanta fehlt eben dieser Superstar im Kader. Ich persönlich stimme dieser Haltung aber nicht zu. Es könnte für mich durchaus ein Jahr sein, in dem ein Team wie die Hawks, das den Ball so gut laufen lässt und so gut schießt, die Finals erreicht.
SPOX: Apropos gut schießen, Kyle Korver spielt eine womöglich historische Saison. Sie waren selbst ein herausragender Schütze, wie bewerten Sie seine Leistung?
Legler:Kyle Korver ist unglaublich. Ich weiß, wie hart es ist, solche Quoten zu haben. An die 50 Prozent aus dem Feld zu treffen, ist für einen Guard in der NBA schon sensationell. Wenn dann noch 50 Prozent von Downtown und 90 Prozent von der Freiwurflinie dazukommen, sprechen wir wirklich von einer Saison für die Geschichtsbücher. 50-50-90 - das hat noch nie jemand geschafft und wäre dann eines der besten Shooting-Jahre, das die NBA jemals gesehen hat. Ich war sehr froh, dass Kyle dann doch beim All-Star Game dabei sein durfte und für seine Leistungen belohnt wurde. Schützen wie er werden gerne als Rollenspieler abgetan, aber Kyle ist viel mehr als ein Rollenspieler.
SPOX: Wer sich in seinem zweiten Jahr zu einem wichtigen Rollenspieler bei den Hawks entwickelt hat, ist Dennis Schröder.
Legler: Ich bin mir absolut sicher, dass das nur der Anfang ist. Dennis Schröder wird über kurz oder lang ein Starting-Point-Guard in der NBA werden, er hat auch definitiv das Potenzial zum All-Star. Ich bin sehr beeindruckt, welchen Sprung er in seinem zweiten Jahr gemacht hat. Den Vergleich mit Rajon Rondo gibt es ja schon länger, aber ich muss sagen: Er ist wirklich wie Rondo. Sie haben den gleichen Körperbau, sie laufen gleich, sie machen eigentlich alles gleich. (lacht)
SPOX: Wenn wir den Osten weiter durchgehen: Die Cavaliers sind auch vor allem dank ein paar Trades ins Rollen gekommen. Ist Cleveland damit jetzt gut genug, um den Titel zu holen?
Legler: Zum einen muss man wirklich sagen, dass es ja sehr selten ist, dass einem Team innerhalb einer Saison Trades gelingen, die für so einen dramatischen Turnaround sorgen können. Das haben die Cavs aber geschafft. Timofey Mozgov war ein enorm wichtiger Pickup, davor hatten sie praktisch überhaupt keine defensive Präsenz unter dem Korb. Und auch J.R. Smith passt perfekt rein. Im Gegensatz zu NY, wo er für sich selbst schlechte Würfe kreierte, kann er sich in Cleveland von LeBron James und Kyrie Irving füttern lassen, bekommt gute Würfe und kann so seine Shooting-Qualitäten optimal einbringen. Auch Iman Shumpert hilft ihnen. Cleveland ist ein viel kompletteres Team geworden. Für mich werden sie umso mehr zum Titelkandidaten, je mehr sie Kevin Love noch ins Spiel einbinden. Bis heute haben sie es immer noch nicht verstanden, Love richtig einzusetzen. Es scheint, als ob sie komplett vergessen hätten, was Love in Minnesota im Low-Post alles angestellt hat. In Cleveland mutiert er ja meistens zum reinen Spot-up-Jump-Shooter.
SPOX: Ist es nicht die Aufgabe von Coach Blatt, das zu ändern?
espnLegler: Es ist die Aufgabe von Coach Blatt, aber auch Love ist gefordert. Er muss sich wehren. Ein Spieler muss auch mal zum Trainer gehen und auch mal den Weg über die Medien gehen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das hat Kevin ja auch schon gemacht, was ich gut finde. Er muss klarmachen, dass es eben nicht okay ist, wenn er in einem Spiel acht oder neun Würfe bekommt. Hey, ich war Teil von Team USA, ich bin ein All-Star, es kann nicht sein, dass ich hier der vergessene Mann bin in der Offense. Zumal die Statistik beweist, dass die Cavs fast immer gewinnen, wenn Love mehr Würfe bekommt. Auch LeBron ist gefragt, dafür zu sorgen, dass Love besser integriert wird.
SPOX: Hawks, Cavs, Bulls: Die Top-3 im Osten waren eigentlich klar, bis sich Derrick Rose wieder verletzt hat...
Legler: Es ist so bitter, weil die Bulls für mich das größte Potenzial aller Teams im Osten haben. Vor dem All-Star-Break hat Rose gegen Cleveland ein Spiel gemacht, in dem er wieder wie der alte MVP-Rose aussah. Ich dachte mir: Lass die Bulls rechtzeitig zu den Playoffs komplett sein, dann spricht sehr vieles für sie. Jetzt? Keine Ahnung. Klar ist, dass sich die Mentalität der Mannschaft auch mit Rose etwas verändert hat. Chicago tut sich leichter zu scoren, hat dafür aber nicht mehr diese ausgeprägte Defense-Identität. Es ist nicht mehr so, dass sie den Gegner bei 80 Punkten halten müssen, weil sie selbst nur 82 Punkte machen können. Aber in Richtung Playoffs wird Coach Thibaudeau das in den Griff bekommen. Das Fragezeichen ist und bleibt Rose.
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SPOX: Wechseln wir in den Westen, wo die Golden State Warriors weiter von der Spitze grüßen, aber grundsätzlich alles möglich zu sein scheint. Wie sehen Sie die Western Conference?
Legler: In der Western Conference gibt es eine ganze Reihe an Teams, bei denen ein Finals-Einzug für mich keine Überraschung wäre. Natürlich ist die Saison der Warriors beeindruckend. Alle sprechen über das Shooting der Warriors, aber mir imponiert noch mehr, wie sie Defense spielen. Aber wenn sie mich fragen, wer das beste Team im Westen ist und die Conference gewinnen wird, dann sage ich: Memphis. Aufgepasst auf die Grizzlies! Die Verpflichtung von Jeff Green macht den Unterschied. Tough war Memphis schon immer, aber in den Playoffs hatte man dann einfach nicht genügend Offense, es fehlte ein weiterer Scorer. Jetzt haben sie diesen mit Green, der jeden Abend 15 bis 20 Punkte liefern kann, gefunden. Dazu sind die Grizzlies eines der wenigen Teams, das noch mit einer traditionellen großen Lineup auf der Vier und Fünf spielt und ihre Gegner in der Zone attackieren kann. Und: Sie haben mit Mike Conley den am meisten unterschätzten Point Guard der NBA.
SPOX: Wenn Sie so von Memphis schwärmen, gehört Marc Gasol für Sie wahrscheinlich auch in die MVP-Diskussion mit rein, oder?
Legler: Auf jeden Fall gehört er in die Top-5, absolut. Aktuell wäre mein MVP aber dann doch James Harden. Was er für Houston in der Abwesenheit von Dwight Howard leistet, nicht nur, was das Scoring angeht, ist Wahnsinn. Es ist für mich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Harden und Steph Curry, aktuell mit leichten Vorteilen für Harden.
SPOX: Die Dallas Mavericks rechnen sich im tiefen Westen auch Chancen aus, wenn sie komplett sind. Wie weit kann Dallas kommen?
Legler: (lacht) In Deutschland hättet Ihr gerne ein Finals-Matchup Atlanta vs. Dallas, oder?
SPOX: Na klar. Wird aber niemals passieren...
Legler: Wahrscheinlich nicht, nein. Wobei die Mavs für mich die ganze Saison lang so was wie mein Geheimtipp waren. Und auch wenn vor allem die Defense enttäuschend ist, stufe ich Dallas noch als gefährlich ein. Sagen wir es so: Die Mavs sind für mich die Mannschaft in der Liga, die noch nicht gezeigt hat, wie gut sie eigentlich sein kann. Rick Carlisle ist ein großartiger Coach, vielleicht kitzelt er es noch aus dem Team heraus. Dallas kann mehr. Was ich aber auch sagen muss: Ich finde es großartig, wie Dirk Nowitzki es akzeptiert, dass er jetzt eine kleinere Rolle hat als früher und Monta Ellis dafür die Spiele mehr entscheidet. Andere Superstars hatten da größere Probleme, als sie nicht mehr die Nummer eins waren. Dirk ist einfach in jeder Hinsicht einer der Größten aller Zeiten.
SPOX: Wenn wir noch zu Ihnen persönlich kommen: Sie waren kein Superstar, aber haben nach anfänglichen Problemen noch eine gute NBA-Karriere als Scharfschütze hingelegt. Wie blicken Sie auf die Zeit zurück?
Legler: Für mich ist das Wichtigste, dass ich es überhaupt in die NBA geschafft habe. Ich hatte keinen einfachen Weg. Ich war an einer kleinen Uni, wurde nicht gedraftet und musste mich über die CBA und Europa in die NBA kämpfen. Das habe ich gepackt und dann in Washington sogar die Liga im Three-Point-Shooting angeführt und mir so einen Namen gemacht. Wenn du an einem großen College bist und gedraftet wirst, ist es zwar auch nicht leicht, aber es ist schon leichter als mein Weg. Deshalb bin ich stolz, dass ich mich nicht habe unterkriegen lassen.
SPOX: Sie haben Europa angesprochen. Wie war Ihre Zeit in Frankreich?
Legler: Ich hatte eine fantastische Zeit in Limoges. Ich war beim besten Team in Frankreich, habe sehr viel gelernt und die Zeit genossen. In Europa war das Spiel so viel physischer als am College, das hat mich gut auf die NBA vorbereitet. Ich kam als junger Bursche nach Limoges und bin als Mann zurückgekommen, das trifft es wohl am besten.
SPOX: Inzwischen arbeiten Sie als TV-Experte bei "ESPN". War es Ihr Ziel, nach der aktiven Karriere die Seiten zu wechseln?
Legler: Eigentlich überhaupt nicht. Aber vor 14 Jahren bekam ich plötzlich einen Anruf und wurde gefragt, ob ich Interesse hätte, fürs Fernsehen zu arbeiten. Ich hatte Glück, dass einige Leute ein paar Interviews von mir aus meiner Zeit in Washington gesehen hatten und dachten, dass ich das machen könnte. Zu Beginn wusste ich noch nicht so recht, ob es mir liegen würde, aber jetzt liebe ich es. Ich habe in all den Jahren an der Seite von 30 oder 40 verschiedenen Kollegen gesessen, aber ich bin immer noch dabei, das macht mich stolz.
SPOX: Kommt als nächster Schritt dann der Wechsel ins Coaching-Business? Lust?
Legler: Auf jeden Fall. Es ist nur eine Frage des Timings. Meine Tochter ist schon auf dem College, bei meinem Sohn dauert es auch nur noch ein paar Jahre. Sobald die Kinder aus dem Haus sind, bin ich geographisch nicht mehr so limitiert und habe die Freiheit und Flexibilität, im ganzen Land einen Coaching-Job anzunehmen.
SPOX: Sehen wir Sie also in fünf Jahren als NBA-Trainer?
Legler: Mein größerer Traum ist ehrlich gesagt, College-Trainer an einer großen Uni zu werden. Ein College-Programm aufzubauen und junge Menschen zu trainieren und zu entwickeln, das reizt mich sehr. Aber klar, wenn ich mir diesen Traum einmal erfüllt habe, ist die NBA sicher auch ein Ziel. Die besten Spieler der Welt zu trainieren, ist auch verlockend.
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