Warten auf Godot

Martin Klotz
30. April 201517:50
Die Mavs haben Free Agent LaMarcus Aldridge ins Visier genommengetty
Werbung

Rebuild ist in Dallas ein Fremdwort, stattdessen planen die Mavs im Sommer den nächsten Anlauf, einen Superstar zu holen. Dabei ist die Personalsituation in diesem Jahr ungeklärt wie nie. Dem Front Office stehen schwierige Entscheidungen bevor - selbst Dirk Nowitzkis Rolle wird hinterfragt.

SPOX

Sie reden über ihn. Sie spekulieren. Sie mutmaßen. Doch er kommt nicht. Jeder Hinweis wird gierig aufgesogen, jede noch so kleine Möglichkeit debattiert. Weiterziehen ist keine Lösung, denn das Warten ist zur Aufgabe geworden. Eine andere Option haben sie einfach nicht.

Nachdem im letzten Sommer ein weiterer Anlauf der Mavs, einen namhaften Free Agent nach Dallas zu holen, gescheitert ist, startet die Franchise aus Texas 2015 den nächsten Versuch. Langsam bekommt die Thematik tatsächlich Züge von Samuel Becketts Meisterwerk.

Einziger Unterschied: Nicht ein Akteur allein steht im Fokus, vielmehr fällt das Licht jedes Jahr auf einen neuen Starspieler. LeBron James, Carmelo Anthony, Chris Bosh, Dwight Howard, Deron Williams - die Liste der Heilsbringer, auf deren Ankunft in Big D vergeblich gewartet wurde, ist in den vergangenen Jahren länger und länger geworden.

Und auch die kommende Offseason droht für Dallas zum nächsten Teil einer Geschichte ohne Happy End zu werden, denn diesmal gibt es noch mehr Baustellen als die der Hauptfigur. Diesen Sommer ist nicht einmal genau klar, wer die Wartenden eigentlich sind.

Hauptrolle für Aldridge

Der Name des aktuellen Godot geistert schon seit einigen Monaten durch die Gänge der Mavs-Büroetage: LaMarcus Aldridge. Der 29-Jährige wird im Sommer zum Unrestricted Free Agent. Gut möglich, dass LMA nach neun Jahren seine Zelte im ungemütlichen Nordwesten abbricht und Portland den Rücken kehrt.

SPOXspoxNur ein einziges Mal kamen die Blazers seit Aldridges Ankunft über die erste Playoff-Runde hinaus. Nicht gerade das, was sich der vierfache Allstar erhofft hatte.

Aber ob die Mavericks angesichts der Konkurrenz aus Los Angeles, New York und San Antonio eine Chance auf einen solch dicken Fisch haben? Durchaus.

Denn im Gegensatz zu Marc Gasol, Kawhi Leonard, Kevin Love oder Jimmy Butler, den anderen Top-Zielen des Sommers, kommt Aldridge gebürtig aus Dallas. Seine College-Jahre verbrachte er zudem im nur knapp drei Stunden entfernten Austin. Daraus speisen sich die Hoffnungen der Mavs, auch wenn die vergangenen Enttäuschungen nicht gerade dazu beitrugen, das Image der unattraktiven Free-Agent-Destination zu verbessern.

Dirk von der Bank?

Falls Aldridge sich für Dallas entscheiden sollte, stünden die Mavs allerdings vor dem nächsten Problem. Da es angesichts von Nowitzkis kontinuierlich abbauender Defense unmöglich ist, ihn im Frontcourt gemeinsam mit Aldridge auflaufen zu lassen, bliebe nur eine Möglichkeit: Dirk müsste von der Bank kommen.

Für Nowitzki durchaus ein realistisches Szenario: "Ich werde tun, was immer nötig ist. Das habe ich immer gesagt", so der Deutsche in seinem finalen Saison-Interview. "Ich möchte meine letzten zwei Jahre genießen und in einem erfolgreichen Team spielen, das in den Playoffs weit kommen kann. Also ist es für mich überhaupt keine Frage, dass ich alles dafür tun werde."

Die Mavs haben schon mehrfach von Nowitzkis uneigennütziger Einstellung profitiert - und sollte Dallas wirklich eine realistische Chance auf Aldridge haben, würde Dirk selbst dieses Opfer noch bringen. Rick Carlisle wundert das nicht: "Er hat bereits große finanzielle Opfer in Kauf genommen, um das Team um ihn herum besser zu machen", so der Headcoach. "Daher bin ich nicht überrascht, dass er sich vorstellen kann, unser sechster Mann zu werden."

Ein Problem kann aber auch Nowitzki nicht lösen: Die Salary-Cap-Situation. Tyson Chandler würde seinen auslaufenden Vertrag in Dallas wohl gern verlängern, ein Frontcourt mit Aldridge, Nowitzki und Chandler jedoch einen Großteil des Cap Space auffressen. Nicht zu vergessen die 15,3 Millionen, die die Mavs kommende Spielzeit an Chandler Parsons überweisen werden. Damit bliebe nicht mehr allzu viel finanzieller Spielraum, um die Guard-Positionen zu besetzen.

Jordan eine Option?

Das bringt einen anderen Free Agent ins Gespräch, der Chandler als Defensiv-Anker ersetze könnte: DeAndre Jordan. Seine Äußerungen zu den Mavs, die er laut ESPN einem Freund gegenüber getätigt haben soll, beinhalten die Worte "extrem" und "interessant" - in dieser Reihenfolge.

Worte, die man in Big D selten aus dem Mund eines Free Agents in spe vernommen hat. Schon gar nicht von einem dominanten Center wie Jordan, der in der abgelaufenen Saison Karrierebestwerte in Punkten (11,5), Rebounds (15,0) und bei der Wurfquote (71,1 Prozent) aufgelegt hat.

Sollte zur kommenden Saison wirklich eine Regeländerung eingeführt werden, die das absichtliche Foulen von schlechten Freiwerfern einschränkt, DeAndre the Giant wäre kaum zu stoppen.

Noch wichtiger wären für die Mavs aber Jordans Defensivkünste. Nach dem gescheiterten Offense-First-Konzept sollte die Stärkung der Verteidigung in Dallas oberste Priorität haben. Aus diesem Grund wäre auch eine Verpflichtung von Kevin Love nicht die erste Wahl, sollte er Cleveland verlassen wollen.

Ungewissheit vs. Flexibilität

Beim Warten auf den Heilsbringer sollte zudem nicht vergessen werden, dass mit Nowitzki, Chandler Parsons, Backup-Guard Devin Harris und Rookie Dwight Powell nur vier Akteure einen gültigen Vertrag für die nächste Spielzeit besitzen. Gleich 11 Spieler könnten das Team im Sommer verlassen - mehr als bei jeder anderen Franchise.

Auch für die gejagten Free Agents ist das nicht unbedingt ein Argument pro Dallas - schließlich wissen sie nicht, wer die Mitglieder ihres Supporting Casts sein werden. Andererseits könnte ein Mitspracherecht bezüglich weiterer Verpflichtungen von manchem Spieler als Bonus gesehen werden. Einem LaMarcus Aldridge würde Mark Cuban diese Option sicher einräumen.

Seite 1: Dirk als sechster Mann?

Seite 2: Ellis, ein Glücksgriff und der Konjuktiv

SPOX

Ende der Kurzarbeit

Definitiv vakant sein, wird im Sommer die Position der Spielmachers - zu belastet ist das Verhältnis zwischen Rajon Rondo und Rick Carlisle. Eine Rückkehr der Nummer 9 ist undenkbar. Eine langfristige Lösung für die Eins dürfte im Sommer bei all den offenen Baustellen allerdings schwer zu finden sein, auch wenn man in Dallas ein weiteres Übergangsjahr unbedingt vermeiden will.

Chris Kaman, Elton Brand, Samuel Dalembert, DeJuan Blair, Lamar Odom, Jose Calderon, Darren Collison und Anthony Morrow sind nur einige der Kurzarbeiter, die in den letzten Jahren das Mavs-Jersey getragen haben. Nach den Off-Season-Enttäuschungen und dem Rondo-Missverständnis strebt Dallas nun vor allem nach Stabilität.

Glücksgriff Aminu

Immerhin ermöglichte die hohe Fluktuation im Kader den Mavs auch den einen oder anderen Glücksgriff. Ganz oben auf der Liste steht - nicht nur seines Names wegen - Al-Farouq Aminu. Aus finanzieller Sicht hätten sich die Verantwortlichen sicher gewünscht, der Swingman hätte in den Playoffs nicht so stark gespielt.

In den fünf Begegnungen gegen Houston erzielte der Amerikaner mit nigerianischen Wurzeln 11,2 Punkte, griff sich 7,2 Rebounds, legte 2,0 Steals und 1,6 Blocks auf, zudem traf er starke 55 Prozent aus dem Feld und überragende 63 Prozent vom Perimeter.

Für das Veteranenminimum, das ihm die Mavs in dieser Saison bezahlt haben, wird man den 24-Jährigen sicher nicht halten können. Dennoch sollte das ohne Zweifel das Ziel sein, ist Aminu doch einer der wenigen im Roster, die das Prädikat "Verteidiger" auch wirklich verdienen.

Dazu kommt, dass die Mavs unter Umständen einen Ersatz für Chandler Parsons benötigen könnten. Zumindest zu Saisonbeginn. Dessen komplizierte Knieverletzung erfordert eine Operation, vielleicht sogar einen Microfracture-Eingriff. Die Reha könnte bis zu acht Monate in Anspruch nehmen.

Ellis oder nicht Ellis?

Das vielleicht größte Entscheidungsproblem steht dem Front Office allerdings in der Personalie Monta Ellis bevor. Es gibt wenige Gründe, die den Shooting Guard davon abhalten könnten, seine Player Option für die kommende Saison zu ziehen. Somit würde er - in der Hoffnung auf einen warmen Geldregen durch den neuen TV-Vertrag - erst 2016 zum Free Agent werden.

SPOXDie Frage aber ist: Sollten die Mavs Ellis tatsächlich einen neuen Vertrag anbieten und ihn so zu einem Eckpfeiler der neuen Mavericks machen? Ihren Wert hat die Mississippi Missile mit den beiden 30-Punkte-Spielen gegen die Rockets noch einmal unter Beweis gestellt - und doch bleibt Ellis ein eindimensionaler Shooting Guard mit Hang zur Balldominanz.

Noch gibt es keine eindeutige Antwort auf die Frage. Die Szenarien, die in Dallas hinter verschlossenen Türen durchgespielt werden, sind schließlich zahlreicher als die Anzüge im Kleiderschrank von Craig Sager. Noch ist es also eine Gleichung mit vielen Unbekannten.

Ein einziger Konjunktiv

Sollten die Mavs weder Aldridge noch Jordan von einem Wechsel nach Dallas überzeugen können, wäre der bei den Indiana Pacers zuletzt glücklose Roy Hibbert eine Option für den Frontcourt. Auch der Name Greg Monroe dürfte diskutiert werden.

Bleibt Ellis, könnte ein defensivstarker Point Guard wie Patrick Beverley zur Unterstützung geholt werden. Ohne Ellis hätte die Aussicht auf ein Guard-Duo, bestehend aus einem Allrounder und einem Shooter durchaus Charme. Mögliche Kandidaten wären in diesem Fall Brandon Knight (Restricted) und entweder Wesley Matthews (Restricted) oder Danny Green.

Ein weiteres interessantes Ziel stellt Beno Udrih dar. Der Slowene kommt derzeit bei den Memphis Grizzlies von der Bank und besticht vor allem mit Ruhe, Übersicht und Effizienz. In der Second Unit könnte er das Mavs-Spiel lenken und den Gegenpart zum schnellen Harris bilden. Hätte, wäre, könnte - es ist ein einziger Konjunktiv.

Auf den Spuren von Jerry Sloan

Ein Job, der in Dallas definitiv nicht zur Disposition steht, ist wiederum der an der Seitenlinie. Rick Carlisle geht im Herbst in seine achte Saison mit den Mavericks. Und wenn es nach Donnie Nelson geht, soll der Coach am liebsten niemals aufhören: "Wir wollen, dass er unser Jerry Sloan wird", so Dallas' President of Basketball Operations. Sloan leitete die Übungseinheiten bei den Utah Jazz bekanntlich 23 Jahre lang.

Carlisle vertraut auch nach dem missglückten Rondo-Experiment auf die Fähigkeiten und das Verhandlungsgeschick des Front Office: "Wir werden im Sommer sehr aktiv sein", so der Coach. "Und das bedeutet, dass wir viele Möglichkeiten haben werden, das Team besser zu machen."

Ende der Warteschleife?

Auch Nowitzki ist trotz der ungewissen Situation zuversichtlich: "Wir werden sehen, was im Sommer passiert", so der fast 37-Jährige. "Wir haben wieder eine Reihe Free Agents, aber ich bin überzeugt, dass Mark und Donnie wie immer einen Weg finden werden, die Franchise zu verstärken."

Wenn sich der Staub nach dem Erstrundenaus gegen die Rockets gelegt hat, werden die beiden Strategen der Mavs wieder zum Horn greifen und zur Jagd blasen. So viel ist sicher. Zur Jagd auf den nächsten großen Free Agent. Und vielleicht hat Dallas' Warten auf Godot im Sommer 2015 endlich ein Ende.

Seite 1: Dirk als sechster Mann?

Seite 2: Ellis oder nicht Ellis?

Der Kader der Mavs im Überblick