Die inneren Werte zählen

Max Marbeiter
07. Juli 201514:21
Nach 0:3 verkürzten die Bucks in den Playoffs gegen Chicago noch auf 2:3getty
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Milwaukee galt lange als NBA-Diaspora. Free Agents ließen sich kaum einmal von Wisconsin überzeugen. Mittlerweile verfolgen die Bucks um Coach Jason Kidd jedoch einen Plan, der Greg Monroe Milwaukee sogar Los Angeles und New York vorziehen ließ.

Oft ist die Optik entscheidend. Gefällt mir etwas? Spricht es mich an? Besteht etwas oder jemand den Eye-Test, ist die erste Hürde schon mal genommen. Auch in Beziehungsfragen. Natürlich spielt ein jeder auf die inneren Werte an, sinniert er über seinen Traumpartner. Passt die Optik nicht, kann das Innere allerdings noch so verlockend sein, am Ende kommt man unter Umständen dennoch ins Grübeln.

Alle Entscheidungen der Free Agency im Überblick

Ähnlich verhält es sich bei der Wahl des optimalen Teams. Diverse Faktoren spielen mit hinein. Auch die Attraktivität. Nicht umsonst werben die Lakers grundsätzlich mit der Attraktivität der Stadt der Engel. Nicht umsonst gelten die Knicks permanent als verlockendes Ziel eines jeden Free Agents - egal, wie schwach sich das Team präsentiert, wie wild das Front Office zuvor auch gehandelt haben mag.

New York und Los Angeles sind eben attraktiv. Die beiden Metropolen bestehen den Eye-Test. Womit sie einen nicht unwesentlichen Vorteil gegenüber, sagen wir, Milwaukee haben. Lange Jahre galt Brew City in etwa als Gegenentwurf zu Tinseltown und dem Big Apple. Klein. Provinziell. Im Winter eiskalt (gut, New Yorker Winter gelten ebenfalls nicht als gerade tropisch). Dazu ein Team, das in der jüngeren Vergangenheit in etwa den Glanz eines Asphaltcourts versprühte. Nach Milwaukee WOLLTE niemand. Es galt als Sibirien der NBA.

L.A.? New York? Milwaukee!

Und nun hat ausgerechnet dieses Milwaukee das große L.A. und den so verlockenden Empire State ausgestochen. Greg Monroe, Big Man mit verbrieften Postscorer-Qualitäten und Free Agent, entschied sich für Wisconsin und gegen die großen Märkte. Er einigte sich mit den Bucks auf einen Dreijahres-Maximalvertrag - und blickte damit unter die oft kalte Oberfläche Milwaukees.

Brew City mag nicht die verlockendste aller Städte sein - wenngleich auch nicht so desolat wie häufig dargestellt -, dafür wissen die Bucks mit inneren Werten zu glänzen. "Ich habe in Milwaukee einfach eine bessere Chance auf Erfolg als anderswo", begründete Monroe seine Entscheidung pro Wisconsin - und hat trotz klassischer Bauchpinselei des neuen Arbeitgebers damit sicherlich nicht ganz Unrecht.

Fünfpunkteplan für die Playoffs

Vor rund einem Jahr noch das schwächste Team der gesamten Association, befolgt man am Lake Michigan mittlerweile nämlich den Fünfpunkteplan einer attraktiv erfolgreichen Franchise. Die Bucks anno 2015 managen ihr Team klug, treffen beim Draft gute Entscheidungen. Sie entwickeln ihre Spieler, nennen einen smarten Coach und dazu intelligente Besitzer ihr eigen. Die Bucks haben zuletzt viel richtig gemacht.

Zugegeben, eine Playoffqualifikation im Osten war vergangene Saison nicht zwingend Ausdruck grenzenloser Qualität, die Art und Weise, mit der Milwaukee die Postseason erreichte, darf dem geneigten Beobachter dennoch guten Gewissens Respekt abnötigen. Weder von schweren Knieverletzungen (Jabari Parker, Kendall Marshall) noch von den Querelen rund um Larry Sanders ließen sich die Bucks aus der Ruhe bringen. Coach Jason Kidd verfolgte in seinem ersten Jahr in Wisconsin einen Plan. Einen erfolgreichen noch dazu.

Zwar mussten die Bucks in den Playoffs zunächst Lehrgeld zahlen, am Ende kamen sie dem Unmöglichen aber so nahe, wie es einem derart unerfahrenen Team wohl möglich ist. 0:3 lagen sie gegen die Bulls zurück, nur um Chicago dank überfallartiger Defense, unglaublichem Druck auf den Ballhandler und unbändigem Einsatz ordentlich aus dem Konzept zu bringen.

Gut, Spiel 6 geriet zum Debakel, doch die Bucks hatten eines relativ deutlich gemacht: Die Playoff-Qualifikation war weder Produkt unglaublichen Glücks noch dem Zufall geschuldet. Milwaukee hat einen Weg beschritten, der vielversprechend anmutet, geradlinig wirkt - und den Greg Monroe nun deutlich vereinfachen dürfte.

Monroe: Kein Heilsbringer, aber...

Um etwaigen Missverständnissen direkt vorzubeugen: Monroe ist keinesfalls ein Heilsbringer, der Milwaukee ohne Umwege vom Erstrundenaus in Richtung Finals katapultiert. Der ehemalige Piston ist lediglich ein Puzzlestück. Dafür eines, das optimal ins ehemalige Sibirien zu passen scheint. Denn Monroes Stärken liegen exakt dort, wo vergangene Saison der Bucks größte Schwäche zu finden war.

Defensive war Milwaukee über jeden Zweifel erhaben, ließ während der Regular Season pro 100 Possessions lediglich 99,3 Punkte zu und reihte sich Association-weit damit direkt hinter Champion Golden State auf Rang zwei ein. In den Playoffs stieg das Defensive Rating zwar auf 101 Punkte, was allerdings immer noch für Rang sechs gut war und verdeutlichte, dass die Bucks gut beraten waren, offensiv anzusetzen.

Auftritt: Greg Monroe. Der Big Man gibt den Bucks endlich etwas, das ihnen allerspätestens nach Parkers Kreuzbandriss abgegangen war. Einen verlässlichen Scorer. Zu oft endeten Angriffe der Bucks in gut verteidigten Würfen, zu oft musste erst getestet werden, welche der diversen Waffen gerade am heißesten war, zu selten gab es diese eine, klare Option, die beständig Punkte garantierte.

Und genau eine solche vermag Monroe zu liefern. Des Big Mans Hoheitsgebiet ist die Zone. Dort, maximal drei Meter vom Korb entfernt, nimmt "Moose" 92,5 Prozent seiner Würfe, von denen er knapp 51 Prozent trifft. Dort ist er angesichts seiner Masse und Kraft, dank seiner Explosivität mit dem Rücken zum Korb mitunter kaum zu verteidigen. Auf 15,9 Punkte kam Monroe so vergangene Saison.

Exitstrategie und Rebounding

Der Neuzugang beschert den Bucks also eine Art Exitstrategie. Läuft es nicht, gibt man den Ball in den Post und lässt Monroe an die Arbeit gehen. Zumal er als fähiger Passer aus dem Post heraus oder vom Ellbow gilt und Double-Teams somit durchaus zu bestrafen weiß.

Doch damit nicht genug. Statistisch gesehen zählte Monroe vergangene Saison zu den zehn besten Power Forwards der Liga, wenn es um den defensiven Rebound ging (25,1 Defensive Rebound Rate), die Bucks wiederum zu den sieben schwächsten Teams (73,3 Defensive Rebound Rate).

Es bleibt also dabei: Die Stärke des einen ist die Schwäche des anderen. Auch umgekehrt. Denn wo die Bucks das Verteidigen mitunter zur viel- und vor allem langgliedrigen Kunstform erheben, zeichnete sich Monroes Defense in der Vergangenheit eher durch schlecht getimte Reaches in Passwege, durch langsame Recoveries und an Taumeln erinnernde Fußarbeit aus.

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Viel Arbeit für Kidd

Es wartet also einige Arbeit auf Coach Kidd und vor allem Defensive Coordinator Sean Sweeney. Andererseits ist Milwaukees System wohl nicht zu anfällig für Monroes Schwächen. Beim Pick'n'Roll ist der verteidigende Center meist dazu angehalten, nicht höher zu gehen als der Screen. Meist steht er sogar noch etwas tiefer, um den Ballhandler kurz aufzunehmen. Das sollte für Monroe möglich sein.

Ebenso wie das Ausfüllen der Rolle als dritter Mann auf der Strongside. Dorthin, also auf die Seite des Balls, schicken die Bucks sehr gerne einen dritten Verteidiger, der sich am Zonenrand ungefähr zwischen Freiwurflinie und Baseline positioniert. Wird der Ball auf die andere Seite gepasst, muss dieser recovern, einen Gegenspieler aufnehmen.

Monroe sollte es hinbekommen. Auf Dauer jedenfalls. Denn eines ist für Milwaukees Defense essentiell: gegenseitiges Vertrauen. Angesichts all der Rotationen ist es für die Bucks ungemein wichtig, zu wissen, dass der Mitspieler im Rücken bereits mit der Rotation begonnen hat, wenn sie selbst aushelfen.

In dieses System muss sich Monroe einfinden. Er wird sich ein wenig anpassen müssen. Zumal er sich defensiv häufig auf der Fünf, also jener Position, die die Knicks für ihn vorgesehen hatten, auf der er sich selbst allerdings nicht sieht, wiederfinden könnte. Greift Kidd dann auch noch auf ein System mit Jabari Parker auf der Vier zurück, wie er es in Brooklyn bereits mit Paul Pierce tat, käme Monroe mitunter eine Rolle ähnlich der von Andrew Bogut bei den Warriors zu.

Parker und die Schweizer-Armee-Messer

A propos Parker. Ehe sein Kreuzband nachgab, war der ehemalige Dukie vergangene Saison auf bestem Wege, Andrew Wiggins den Titel des Rookie of the Year streitig zu machen. Mangels defensiver Fähigkeiten allerdings größtenteils dank seines bereits in jungen Jahren recht ansehnlichen Offensivspiels.

Nun bleibt sicherlich abzuwarten, inwieweit sich Parker von seiner schweren Verletzung erholt hat, inwieweit sie ihn beeinflussen wird. Von seiner Athletik gelebt hat der Forward allerdings noch nie. Im Grunde bekommen die Bucks neben Monroe also einen zweiten Scorer zurück, an dessen Seite mit Khris Middleton, Michael Carter-Williams und Giannis Antetokounmpo die viel besungene Schweizer-Armee-Messer-Armee steht.

Dank ihrer Länge kommen den Dreien diverse Aufgaben zu. Speziell in der Defense, wo sie nahezu übergangslos verschiedene Positionen verteidigen können. Middleton ist so nicht nur stolzer Besitzer des zehntbesten Real-plus-Minus-Werts der gesamten Associaton, er legte vergangene Saison zudem das beste Defensive Rating aller Bucks auf (95,1 Punkte pro 100 Possessions). SPOX

Droht der Umzug?

Allein das macht die Vertragsverlängerung des Flügels (5 Jahre, 70 Millionen) zum Erfolg für die Bucks, dass Middletons Dreier in 40,3 Prozent der Fälle fällt, rundet das positive Gesamtbild ab. Ganz allgemein gilt Milwaukee nämlich nicht als sonderlich gefährliches Team aus der Distanz. Zwar legten die Bucks während der Regular Season die siebtbeste Dreierquote aller Teams auf (36,3 Prozent 3FG), dafür trafen mangels Versuchen (18,3 3PA, Rang 26) pro Spiel nur sechs Teams seltener von Downtown als Milwaukee (6,6 3PM).

Neuzugang Greivis Vasquez wird dort sicherlich ein wenig Abhilfe schaffen, beheben wird er die Schwachstelle jedoch nicht. Ebenso wenig wie Monroe und Parker die schwache Offense (96,4 Offensive Rating, Rang 25) auf ein völlig neues Level heben dürften.

Perfekt ist in Brew City also nicht alles. Zumal Besitzer Peter Feigin am Montag erklärte, dass die Franchise zum Umzug gezwungen werden könnte, sollten nicht die noch aus öffentlichen Geldern benötigten 250 Millionen Dollar für eine Arena aufgetrieben werden.

Derartige Dinge liefen allerdings ohnehin nicht in den Händen von Jason Kidd und seinen Bucks. Die bleiben auf einem sehr guten Weg - und sind mittlerweile sogar irgendwie attraktiv.

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